Dezember 31st, 2021

Trust Rückblick Teil 2 # 202, 2020

Posted in artikel by Jan

Hier also Teil II des Rückblicks, diesmal die Hefte 190-200, wieder subjektiv in der Auswahl und der Bewertung, manchmal auch eher ein „was ich mir so überlegt habe zu verschiedenen Themen“. Wie eine überlange Kolumne in etwa…


#190

Das Cover dieser Ausgabe „ziert“ der vor allem für seine Basteleien mit Fett und Filz bekannte Düsseldorfer Künstler Joseph Beuys; sein Gesicht bleibt aber glücklicherweise verdeckt und das ist auch gut so, nachdem mittlerweile ja über dessen wirres völkisches und anthroposophisches Weltbild so einiges bekannt geworden ist. Ihr ahnt es, es geht hier natürlich nicht um eine quellen- und werkkritische Auseinandersetzung mit dem Künstler, sondern das Cover ist eine Anspielung auf die großartigen Düsseldorfer Joseph Boys, die Jan für dieses Heft interviewt hat.

Da merkt man dann auch schnell beim Lesen, welche Rolle der Spinner Beuys am Rhein auch heute noch spielt. Herrlich ist beispielsweise die Adaption der frei erfundenen aber dennoch auch weiterhin eifrig kolportierten Legende, der echte Beuys sei nach seinem Flugzeugabsturz auf der Krim von dort ansässigen (und dummerweise zu diesem Zeitpunkt schon von einem anderen Josef bereits deportierten) Nomaden mit Filz und Fett gerettet worden in das Gesamtkunstwerk der Joseph Boys. Was gibt es noch in diesem Heft? Die allesamt lesenswerten Kolumnen lasse ich hier mal aus Platzmangel aus und konzentriere mich auf weitere Interviews respektive Artikel, als da wären: gepflegtes Geballer mit Phantom Winter, Claas` ausführliche Gedanken über die „Für immer in Pop“-Textsammlung von Martin Büsser. Krass, der is ja nu auch schon zehn Jahre dod!

Mich hat ja bei aller Bewunderung der Scharfsinnigkeit Büssers immer dieses Gelaber über vermeintlich vorhandene oder nicht vorhandene Relevanz bestimmter Musiken genervt. Der fleißige Jan hat dann noch Refuse Records und The Fairy Lights interviewt, wo Kenny Chambers von den zuletzt ja hierzulande eifrig tourenden Moving Targets ebenfalls beteiligt ist. Mit seinem ausführlichen Stammbaum der Band könnte Jan sich sicherlich auch für einen Führungsposten bei den an dieser Art von Forschung bekanntlich sehr interessierten Mormonen bewerben. Dann noch ein kurzes Interview mit Hank Wood (and the Hammerheads) von Bela, die unmittelbar beim Schreiben dieses Artikels schon den Weg auf meine to-buy-Liste gefunden haben. Ich erfahre hier, dass deren zweite Platte „Stay Home!“ hieß und auch wenn ich den Slogan schon nicht mehr hören kann, schließt sich damit doch irgendwie der Kreis, weshalb ich diese Ausgabe nun beiseitelege.

#191
In den Kolumnen regen sich zu Recht Dolf über überteuerte Reparaturen, Jan über engstirnige Musikhörer_innen und Mika über unpolitische deutsche Punkbands auf. Bela entwickelt eine Typologie blöder Menschen in der Punk-Szene und Alva schreibt über die Notwendigkeit von Feminismus ebendort. Irgendwie ist das hier eine klassische Punk-Rock Ausgabe. Interviews mit The Gears, der besten LA-Punk Band, die du noch nie gehört hast, und La Vase, von denen ich absolut noch nie gehört habe (toller 77er Punk mit französischen Texten), Empowerment und dann gefühlt als Kerntext der Ausgabe: Das Trust-Layout. Tatsächlich ein Thema für sich.

Das Heft sticht schon heraus, nicht nur am Bahnhofskiosk oder im gut sortierten Zeitschriftenhandel, wo es zumindest in meiner Gegend immer öfter zu finden ist. Ich meine aber eher den Widerspruch zu den allgemeinen Sehgewohnheiten, auf den zweiten Blick ist das Trust-Layout aber eigentlich gar nicht durch „Bleiwüste“ gekennzeichnet, wie ich in letzter Zeit öfter mal von Gelegenheitslesern gehört habe, sondern wie ich finde eher durch seine Klarheit. Wie das kommt und überhaupt die Geschichte des Heftlayouts hat Jan recherchiert und mit den tatsächlich bislang einzigen beiden Layoutern Mitch (bis 2009) und André (seitdem) gesprochen. Es folgt noch ein Interview mit Es war Mord und dann kommen auch schon die Reviews, wo diesmal bei mir nicht so viel hängen geblieben ist. Die Neu!-Rubrik diesmal mit den absolut tollen SNUFF, Leatherface und HDQ.

#192
Diesmal fünf Kolumnen. Jan wundert sich darüber, dass der durchschnittliche Haushalt (!) laut Statistischem Bundesamt nur 32,- Euro im Monat für Alkohol ausgibt. Eigentlich kann er es gar nicht fassen. Ok, das ist nicht das Kernthema der Kolumne, ist aber hängengeblieben. Wenn ich so zurückrechne, waren es vielleicht bei uns letzten Monat coronabedingt 15,- Euro, sonst vielleicht doppelt so viel. Da fühle ich mich gleich total durchschnittlich und frage mich, ob ich das nun gut finde. Dolf schreibt diesmal über den vermeintlich freien Willen und Mika unter anderem kurz über die Arschgeigen vom Jugendwiderstand Berlin, einer von diesen Steinzeit-Neo-Stalino-Mao-Gruppen, die sich zum Glück letztes Jahr aufgelöst haben (aber deswegen sind die Leute ja nicht weg). Bela schreibt über die Lage in Bayern und warum wegziehen auch keine Lösung ist und Alva über ihren mehrwöchigen USA-Trip.

Claas setzt das auf einem Sublabel von Epitaph erschienene Album von Mavis Staples mit der Situation der Bürgerrechtsbewegung in den Vereinigten Staaten in Zusammenhang. Apropos Zusammenhang. In diesem Zusammenhang fällt mir nämlich auf, dass ich in meinem Rückblick noch gar nichts über den regelmäßigen Comic-Strip von Timo Stoffregen geschrieben habe, was hiermit an dieser Stelle dann geschieht aber auch wieder nicht, weil ja über Comics zu schreiben auch in etwa so ist, wie zu Architektur tanzen. Ich lese den aber eigentlich jedes Mal immer ziemlich am Anfang, genauso wie die News über die neuesten Throbbleheads, obwohl ich ja finde, dass man aus Vinyl viel bessere Dinge machen kann. Interviews in diesem Heft mit Dropdead (lang und ausführlich) mit Arterials (ebenfalls ausführlich). Noch ausführlicher ist das Boss Tuneage-Interview von Bela, dass quasi an die ja von mir so gelobte Neu!-Rubrik aus der #191 anschließt, in der, wie mir jetzt auffällt, die großartigen Doctor Bison fehlten, deren beide Alben ja auch von Boss Tuneage wiederveröffentlicht worden waren und die auch im Interview schändlich vernachlässigt werden. Es folgen noch zwei Interviews und zwar mit TLR und den kolumbianischen HC-Punkern von Muro. Bei den Reviews sind diesmal einige sehr merkwürdige Titel dabei, wie zum Beispiel Bullet For My Valentine oder die Denkedrans, von denen mir überhaupt nicht klar war, dass die außer der Stadionhymne von Holstein Kiel noch ein zweites Lied haben (und das ist für eine Fußballstadionhymne gar nicht mal so scheiße, wenn auch selbstredend vollkommen hirnerweichend, aber dafür geht mensch ja auch ins Stadion)

#193
Dolf schreibt druckt in seiner Kolumne seinen Text über Tim Yohannan anlässlich dessen 20. Todestags noch einmal ab, der im MMR etwas untergegangen war. Der MRR-Text schloss mit „Long live Maximumrocknroll“, während der letzte Satz der Kolumne lautet: „Bleibt zu hoffen, dass 2019 besser wird, es wird sich zeigen“. In punkto MMR würde ich sagen, Nostradamus, ick hör dir trapsen! Während ich das hier schreibe, köchelt auf dem Herd noch für mindestens zwei weitere Stunden eine leckere Bolognese, was bestens zur Nudelfrage passt, die Mika in seiner Kolumne aufwirft. Spiralnudeln sind in der Tat scheiße, aber was ist mit Linguine? Jan interviewt Henne von Dørtebeker; den kennt er schon ewig, weshalb die Fragen gut sind und sich nicht so sehr um „was meintet ihr, als ihr sangt…“ drehen. Diese Idee treibt Claas dann auf die Spitze, in dem er einfach selbst über das letzte Matula-Album nachdenkt. Ansonsten ist dies ein alte Helden-Heft. Es folgen nämlich noch Interviews mit den F.U.`s, Toxic Reasons und Ill Repute sowie ein Interview mit einem früheren Aktivisten der 924 Gilman Street in Berkeley. Ihr wisst schon, der Laden aus dem tollen Song von Mr. T. Experience.

Das Video zu diesem Song kann man auch unfassbar schlecht aufgelöst auf Youtube gucken und als ich das letztes Jahr tat, gab’s da so einen Kommentar, wo stand: Ey, ich bin der Typ, der in Minute 3 irgendwas für zwei Sekunden im Bild ist, weil ich was an eine Wand in der Gilman Street sprühe und freue mich total, dass jetzt 30 Jahre später im Netz zu finden. Das fand ich irgendwie eine nette Geschichte, die einerseits zeigt, wie lang viele Aktivist_innen jetzt auch schon dabei sind und wie viel ihnen so ein selbstverwalteter Laden in Berkeley oder sonstwo immer noch bedeutet, anderseits aber auch wie retro und sich an der eigenen Geschichtsschreibung abarbeitend Punk und HC heute teilweise sind. Bei den Reviews bemerke ich eine andere Tendenz. Hier erscheinen gefühlt 1000 Veröffentlichungen der New Wave of deutschprachiger Punkrock in der Tradition von allen Rachut-Bands. Neu! diesmal mit den wegweisenden Platten von Marginal Man, Rites of Spring und natürlich Fugazi.

#194
Die Kolumnen dieser Ausgabe habe ich allesamt sehr gerne noch einmal gelesen und erinnerte mich auch an den einen oder anderen der dort meist eher kurz angerissenen Gedanken, das hier zusammenzufassen klappt aber eher nicht. Einzig Claas Text ist monothematisch und führt noch einmal schön vor Augen, wie scheiße die BDS-Bewegung ist. Auch schön: ein freundlicher und lobender Leserbrief! Gerne gelesen hatte ich auch den Japan-Tourbericht von Scheisse Minelli. Jan interviewt ausführlich die ja durchaus kontroversen Sloppy Seconds, während Bela lange mit dem Macher der Blogseite 12XU-Scheiß Indie! sprach, was hinsichtlich der Veränderungen, denen die Welt des Musikjournalismus aktuell unterworfen ist, vollkommen folgerichtig ist. Nicht ganz nachvollziehen kann ich die im Interview geführte Diskussion über die angeblich ach so hohen Vinylpreise. Außer Gemüse gibt es m. E. nur wenige Dinge, die in den letzten 25 Jahren so moderat teurer geworden sind wie Vinyl. Und CDs gibt’s heute nahezu umsonst – wie es sich angesichts deren Sammelwürdigkeit ja auch gehört. Ihr sammelt alle nur zu viele Schallplatten. Oldschooliger geht es in Jans Interview mit Jimmy Alvarado vom Razorcake Fanzine zu, in dem er, ganz Fan, nach kleinen und großen Anekdoten aus LA fragt. Die gelungene Fotostrecke offenbart auch abseits der Uniformen große Parallelen zwischen den Cops aus Houston und die Bullen aus Kiel.

#195
Einen eigenen Text in einem Punk Rock-Fanzine, das war noch so ein Punkt auf meiner persönlichen Bucketlist (nachdem Haus und Kind auch schon da sind, kann es somit demnächst in die Kiste gehen). Seit dieser Ausgabe bin ich also auch in der Print-Ausgabe regelmäßig dabei. Subjektiv ist das natürlich von Bedeutung, den Lauf der Welt verändert es eher nicht. Schon eher die Einstellung der Print-Ausgabe des Maximum Rocknroll. Dolf rekapituliert seinem Text die Geschichte dieser Mutter aller Punk-Fanzine und stellt die Einstellung in Zusammenhang mit der Gentrifizierung in der Bay Area und dem Trend zur Digitalisierung. Ist es nur das Beharrungsvermögen einer weitgehend analogen Szene (Vinyl, Röhrenverstärker, echte Drums), das dazu führt, dass hierzulande die eher digitalaffinen Musiktitel zuerst eingestellt wurden (Spex, Groove, Intro, Juice etc.), während sich ein Retrozine wie die Good Times augenscheinlich immer noch verkauft?

Und sind Metalfans nicht die pickligen Jungs (und seltener Mädchen), die auch ganz gerne vor Rechner rumhängen und in digitalen Welten dem Eskapismus frönen? Das ist natürlich eine Pauschalisierung, verwundern tut’s trotzdem, dass gefühlt die Hälfte aller Musiktitel am Kiosk dem Metal gewidmet sind. Man wird sehen. Jan führt in dem Heft ein langes und interessant zu Lesendes Interview mit Philipp Wolter, seines Zeichens Sänger bei Vladimir Harkonnen und früher Bonehouse und auch noch Lehrer an einem Kieler Gymnasium. Und Mika sprach mit Nevin Domer von Genjing Records und Fanzui Xiangfa, das erweitert mal wieder meinen Horizont, zumal mensch eine wirklich großartige Band wie Fanzui Xiangfa sonst wohl kaum entdecken könnte – scheiß auf den Youtube Vorschlagsalgorithmus!
Thematisch interessant aber textlich leider nicht ganz so überzeugend fand ich den Text über die wirtschaftlichen Konzentrationsprozesse im Veranstaltungsgeschäft, der einfach mit zu vielen Fachinformationen aufwartet, als dass da wirklich was bei mir hängengeblieben wäre. Defätismus hin oder her sähe ich es durchaus gerne, wenn den großen Playern im Veranstaltungsgeschäft wie CTS Eventim trotz von der Politik sanktioniertem Gutscheinsystem durch Corona die Puste ausginge. Wahrscheinlich kommt danach aber was noch Schlimmeres. Auch gerne gelesen habe ich das Interview mit Gouge Away, wenn mich auch die Musik so gar nicht umhaut wie die Autorin, aber dafür sind Fanzines ja nun mal da. Außerdem noch ein Interview mit Slumb Party, Kolumnen, Rezensionen und Neu! – diesmal zum Thema Ska. Love it or hate it!

#196
Kolumnen lass ich diesmal außen vor, ansonsten nämlich weniger Bilder – mehr Text! Das ist das gefühlte Motto dieser Ausgabe, die insgesamt nur vier, dafür aber lange und ausführliche Interviews enthält. Zum Beispiel mit Martin Sorrondeguy von Limp Wrist, in dessen Einleitung Jan den geneigten Leser mit der Aussage „Die meisten kennen Martin Sorrondeguy als Sänger von Los Crudos, der genialen Latino-HC-Band aus Chicago, die in den 90ern aktiv waren.“ mal eben auf die billigen Zuschauerplätze verweist. Ich schrieb ja oben schon was zu Ahnenforschung und Mormonen und so. Einen Blick über den engen Tellerrand gibt es ja im Heft recht häufig, diesmal durch das Interview mit Chain Kult aus Athen, die gerade ihr Debut-Album veröffentlichten.

Bisschen näher ein meiner eigenen Lebenswelt ist der Ventil Verlag, über dessen 20-jähriges Jubiläum Claas sich so seine Gedanken macht, leider nur mit relativ wenigen O-Tönen. 20 Jahre erst? Nochmal zum Regal gegangen und in die Bücher geschaut, die mich in meiner Punk Sozialisation schon in der zweiten Hälfte der 90er Jahre begleiteten, wie z.B. „Driving in a dead man’s car“ von Lee Hollis oder das streitbare „If the kids are united“ von Martin Büsser – stimmt! Das war damals noch der Dreieck-Verlag, von dem das lange noch gebräuchliche dreieckige Ventil-Logo übernommen wurde. Zum Thema sei auch das ausführliche Interview in der Ox #145 empfohlen, das kurz nach diesem Heft erschien. Nur im Trust hingegen zu finden ist das lange und ausführliche Interview über das Proud to be Punk-Fanzine und die politische Situation in Sachsen sowie über’s Fanzine-machen generell, das Mika geführt hat. Das ist aber wirklich mal Bleiwüste! Besonders gelungen deshalb auch als einzige Illustration die Sicherheitsnadel. Zwei heiße Anwärter auf meine Lieblingsplatte des Jahre 2019 werden in dieser Ausgabe besprochen. Rochus von den Joseph Boys und Pony von Orville Peck (Fun Fact: Ende April 2020 rangieren beide Platten in der Amazon-Rangfolge bei etwa 68.000 und 31.000, Music for the masses also) Neu! diesmal über Protopunk.

#197
Dolf schreibt, dass er sich erstmals dem Zustand genähert hat, wo er keine neue Musik mehr zu hören hatte. Jans Kolumne über die sozialen Gegensätze im Großraum LA fand ich spannend, da ich mich seit Jahren immer mal wieder mit dem Thema beschäftige, meist wenn ein neues Buch von Mike Davis erscheint, für eine Rezension in #198 sprach ich für eine Rezension mit der Autorin Katja Schwaller, die zu ebendiesem Thema forscht. Die anderen Kolumnen müsst ihr selber lesen und dafür die Hefte kaufen, denn erstmal kommen die ja noch nicht auf die Webseite. Mein Highlight der Ausgabe ist das Samiam-Interview von Claas, da die Band ganz gut aufgelegt gewesen zu sein scheint. Hatte die aus früheren Interviews eher so mit dem mangelnden (finanziellen) Erfolg hadernd und übellaunig in Erinnerung. Außerdem noch ein Interview mit dem Betreiber von Dr. Strange Records und eines mit Postford, in welchem ich die Überlegung der Autorin nicht verstehe, dass ein hoher Anspruch an musikalische Fertigkeiten innerhalb einer Band zum Ausschluss von Frauen führen soll – zu kleine Finger oder watt? Es gibt ja vielfältige strukturelle Gründe, warum Frauen seltener in Rockbands spielen aber mangelnde technische Fertigkeiten?

Überhaupt ist mir die Gegenüberstellung von guter Musik und politischer Haltung in dieser Absolutheit irgendwie fremd. Wird dann ja in dem Interview auch wieder aufgelöst und relativiert von der Band. Finde aber die Diskussion darüber interessant. Dann kommt noch ein Interview mit Sister Disaster, das in Berlin geführt wurde, da das Trust-Außenbüro Jyväskylä nicht mehr existiert. Den Artikel über die Musikindustrie finde ich sehr löblich, da außer in Testcard ja kaum mal sowas aus Underground-Perspektive diskutiert wird. So richtig wird eine solche hier auch nicht eingenommen, aber das könnte ja mal ein Auftakt sein, das weiterzuverfolgen. Das Sunn O)))-Interview gebe ich zu nicht gelesen zu haben, da ich mit deren Musik so gar nichts anfangen kann. Das Cover dieser Ausgabe zieren Seax aus dem Raum Franken, die machen einen eher postpunkigen, mich ein wenig in die 90er Jahre zurückversetzenden Sound – cool. Buchbesprechungen, Platten und die Neu!-Rubrik, diesmal unter dem Motto obskurer Krach folgen noch.

#198
Jan sprach mit der Pornodarstellerin Larkin Love, das Interview ist allein schon aufgrund der Missverständnisse zwischen den beiden lustig zu lesen. Die Positionierung so eines ja schon per se etwas kontroversen Textes direkt nach den Kolumnen hat so ein bisschen was von, ok, lass es uns schnell hinter uns bringen. Danach ein Interview mit Primetime Failure, eine Skatepunk Band aus Bielefeld, die mir grundsympathisch erscheinen. Ich kenne ja Bela nicht persönlich, stelle aber bei Abfassen des Rückblicks immer mehr fest, dass es da doch einige große Überscheidungen gibt, was so musikalische Eckpunkte angeht und dazu gehören ganz offensichtlich Flag of Democracy, kurz F.O.D. Die haben vorletztes Jahr „No School No Core“ veröffentlicht, ein Meisterwerk wie ich finde und deshalb war mir das Interview dann auch fast zu schnell schon wieder vorbei.

Auch recht kurz ist das Interview mit Meghan, der Sängerin von Super Unison. Wichtig, weil das Thema ja in anderen Medien nahezu keine Rolle spielt ist Dolfs Text/Interview über atheistische Geflüchtete und die Unterstützungsorganisation Atheist Refugees Relief. Bei dem Text über den Buch-/Plattenladen Golden Shop in Bremen musste ich spontan an Wiglaf Drostes Text „Grün im Gesicht“ denken in dem die wichtigen Sätze stehen: „So, du willst hier also ein Brot kaufen? Bist du dafür denn qualifiziert. Und gehörst du überhaupt dazu, zu uns? “ Bestimmt ist es total nett im Golden Shop, ich mag halt nur nicht so gerne mit Menschen in Geschäften sprechen. Über die türkische Underground-Szene sprach Bela mit The Raws aus Istanbul und es ist ja irgendwie unfassbar, dass die die erste türkische Band ever sind, die im Trust interviewt wurden. Ich lese ja immer gerne die Texte von Andreas Michalke in der Jungle World, der hat doch dahin vielfältige Kontakte, könnte der nicht mal… .

#199
Der Schwerpunkttext dieser Ausgabe ist das Bremencore-Special von Claude und stellt meiner Meinung nach einen der besten Texte dar, der in den letzten Jahren im Trust veröffentlicht wurde. Hier wird als Ergebnis ausführlicher Recherche eine richtige Geschichte erzählt, die einen bislang noch nicht beschriebenen Aspekt von Hardcore ähnlich wie die bekannten Punk Rock Oral Histories aufbereitet. Das ist spannend zu lesen, selbst wenn mensch sich für den heftigen Northcore-Sound nicht so interessiert. Besonders gut gefällt mir, dass der Text durch die Kompilation der verschiedenen Interviews eine richtige Dynamik bekommt. Ein paar kleinere Redundanzen gibt es zwar und auch vom Layout her wäre noch etwas mehr drin gewesen, aber ich habe mich gefreut, so eine gute Reportage im Trust zu lesen. Jan sprach dann noch mit dem Bundesvorsitzenden der Partei der Humanisten, einer Kleinstpartei zwischen Grünen und FDP; ich würde sagen, da ist der Platz aber knapp.

Alva interviewt die Coathangers, die ich auf diesem Wege kennengerlernt habe und super finde, vor allem wegen des sehr effizienten Basssounds. In dieser Ausgabe gibt es eine große Bandbreite zwischen nahezu unbekannten Bands wie Bob Ross Effect, den schon etwas größeren Rauchen und dann sind da noch Flipper, deren Schlagzeuger Steve DePace von Stone interviewt wurde. Ersterer kommt, wie ich finde, in dem Interview extrem angeberisch rüber, ein wenig wie ein Punk Rock Trump. Vielleicht ist das aber auch nur diese „alles ist super“-Attitüde, die ich schon oft bei Menschen aus den USA festgestellt habe, bevor ich sie besser kennengelernt habe. Die Neu!-Rubrik beschäftigt sich turnusgemäß mit 90er Emo, wo es gefühlt ja gerade eine Reunion-Welle gibt bzw. auch nie aufgelöste Bands wie Samiam wieder etwas mehr machen.

Die Jubiläumsausgabe #200 überlasse ich mal der Person, die in ein paar Jahren den nächsten Rückblick schreiben wird. Zusammenfassend kann man fragen: Was haben wir gelernt beim (noch mal) durchlesen von Trust-Ausgaben aus knapp fünf Jahren? Zum Beispiel, dass Alter im Punk Rock auf jeden Fall ein Thema ist, über das auch in kommenden Jahren nachgedacht werden wird. Warum gibt es so viele alte Bands, die wieder auf Tour gehen und warum sind deren neue Platten sogar oftmals ganz gut, jedenfalls viel besser als vieles aus der Reunion-Welle der 90er Jahre, wo im Gefolge des Green Day/Offspring-Booms es ja viele auch noch mal wissen wollten.

Die Vielzahl von Interviews mit ebendiesen Bands, die in letzter Zeit im Trust erschienen sind, sind zwar einerseits Ausdruck der Vorlieben der einzelnen Mitarbeiter_innen, andererseits könnten die Interviewten ja auch sagen, „lasst uns mal mit dem alten Scheiß in Ruhe“. Nachwuchssorgen gibt es aber auf der anderen Seite aber auch nicht, wobei Nachwuchs auch wieder relativ ist. Immer noch erscheinen eine Menge guter Platten und touren, wenn Corona vorbei ist, viele gute neue Bands. Vielleicht ist das auch eine Folge meines eigenen Alterns, aber ich habe das Gefühl, dass auch das Durchschnittsalter der Beteiligten bei vielen neuen Bands den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Was bedeutet das? Wir werden es sehen.

Text: Thorsten Harbeke

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