Dezember 31st, 2022

Flight 13 Duplication (#211, 2021)

Posted in interview by Thorsten

„Die Majors haben hier alles kaputt gemacht. Und Leute, die in eine Schallplatte LED Leuchten einbauen.“

 

Im Grunde sollte dieses Interview Teil einer längeren Serie über Nachhaltigkeit im Punk/Hardcore sein. Aus reinem Interesse lag der Schwerpunkt auf der Vinylproduktion und bisher gab es Interviews mit optimal media (#207) und duophonic (#209). Ursprünglich ging es mir darum zu erfahren, was es mit Re-Vinyl auf sich hat, da es nun an einigen Stellen auftaucht. Aber Nachhaltigkeit ist natürlich viel mehr als ein bisschen Reste-Verwertung. Gerade bei der rohstoff- und energieintensiven Herstellung von Schallplatten. In dem Kontext habe ich also auch Bieber angefragt. Denn Flight 13 Duplication ist, wie wahrscheinlich kein anderes Presswerk, mit unserer Szene verbunden. Nicht nur hat Bieber uns jahrelang unterstützt und ist hier schon öfters zu Wort gekommen, nein, auch viele der Schallplatten, die sich bei uns auf den Plattentellern drehen sind durch seine Hände gegangen. Doch irgendwie fällt dann dieses Interview doch deutlich raus. Zum einen, weil Bieber dankenswerterweise viele direkte Worte zum Thema Nachhaltigkeit gefunden hat. Zum anderen aber auch, weil es Flight 13 Duplication in Zukunft zumindest in dieser Form so nicht weitergeben wird

Schon am 1. September 2021 haben sie bei Facebook angekündigt, bis auf weiteres keine neuen Aufträge mehr annehmen (zu) können. Die Nachfrage nach Vinyl ist zu groß. Wir müssen erstmal abarbeiten was hier rumliegt. Das betrifft nur die Herstellung. (Wir mussten diese Entscheidung treffen, weil wir kein Land mehr sehen. Das gilt ohne Ausnahme. Wir melden uns, wenn es wieder Neuigkeiten zu diesem Thema gibt. Köpfe hoch! )Am 21. Oktober folgte dann das endgültige Bekenntnis zum Aus zum 31. Dezember 2021. Flight 13 Duplication wird fehlen, wird einige vor uns vor größere Herausforderungen stellen, in Zukunft weiterhin unsere Vorstellungen von unseren Releases umzusetzen. Vinyl lebt wieder, aber scheint mittlerweile von den „Falschen“ übernommen worden zu sein. Ein Record Store Day, der mit limitierten Sonderpressungen von Rockstars den Vinylmarkt mit häufig musikalisch unnötigen Releases flutet, große Industrielabel, die Represse drucken von Platten, die man auf jedem Trödelmarkt als Meterware erstehen kann.

Diejenigen von Euch, die als Bands oder Labels noch Platten pressen lassen, dürften verzweifeln. Wartezeiten verlängern sich, Slots für Pressungen ausgebucht, Preise steigen. Das merken auch die Nutzer*innen. In vielen größeren Mailordern ziehen gerade die Preise deutlich an. Einige Punk-DIY-Label halten ihre Preise noch bei zehn bis fünfzehn Euro, aber einige Releases auf der Industrie sind schon jenseits der 30 Euro. Gut zusammengefasst hat das eine Meldung von Uncle M aus Münster. Auf deren Facebook-Account (23. September 2021) schrieben sie: „Vinyl boomt, aber im Hintergrund tobt ein (Existenz-) Kampf um die viel zu geringen Slots in Presswerken. Kurzum: Meiner Meinung nach stellt die Situation eine größere Bedrohung für Vinyl-affine Indie-Labels dar als Corona!“Die Gründe für diesen Kampf: Ein Mangel an Papier- und PVC aber auch das plötzliche Aufwachen der Majors, die Indies immer weiter aus den geringen Presswerkskapazitäten und damit vom Markt verdrängen. Die Folge: explodierende Vinyl-Preise (+60 Prozent seit Anfang 2021), Knebelkonditionen und ausufernde Lieferzeiten (bis zu 10 statt 3 Monate).“ Der Post endet mit einem Aufruf weiterhin kleine Bands und Labels mit dem Kauf von Vinyl zu unterstützen, aber nicht über Verspätungen zu meckern, keine nervigen Nachfragen zu stellen und die Nerven aller Beteiligten zu schonen.

Wenn man jetzt den Beitrag von Bieber auf der Facebook-Seite des Plastic Bombs liest (sorry, dass ich jetzt dreimal diese Scheißplattform nennen musste, aber leider finden sich die Informationen in der Art auf keiner der drei Websites), kommt man in die richtige Laune für das gleich folgende Interview. Bieber schreibt beim Plastic Bomb (am 16. Mai 2021): „Neulich habe ich gelesen, dass 2/3 aller Schallplattenkäufer/innen keinen Schallplattenspieler besitzen, sondern die Platten nur ins Regal stellen. Seitdem frage ich mich, was schlimmer ist: Eine Modelleisenbahn im Keller oder Schallplatten mit Stoffhandschuhen anfassen und ins Regal stellen. Leute, packt die Schallplatten aus und bewundert sie und freut euch, dass Ihr sie habt und stellt sie von mir aus auch ins Regal, aber hört sie Euch auch an! Warum gebe ich mir denn sonst so dermaßen scheiß Mühe so etwas Tolles herzustellen? Ja, es ist jammern auf niedrigem Niveau, aber ich fühle mich diskreditiert, wenn ich mir überlege, wie hart ich arbeiten muss um Schallplatten herzustellen. Das ist ein sehr schwieriger und anstrengender Prozess. Und dann kommen diese Leute und machen aus Luft etwas, während ich nachts im Bett liege und mir die Knochen weh tun.“

Okay, das soll jetzt als Einstimmung reichen. Dies ist auf jeden Fall der vorerst letzte Teil zum Thema Nachhaltigkeit und Vinyl. Viele Erkenntnisse beim Lesen.

Hallo Bieber, vielen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst. Erzähl mal, welche Rolle spielt für Dich bzw. für Euch bei Flight 13 Duplication das Thema Nachhaltigkeit? Ist das eher nachrangig, weil es zum Beispiel auf Eurer Homepage kein Thema ist? Oder ist das Euch in Mark und Bein übergegangen, sodass ihr dafür gar nicht mehr extra die Werbetrommel rühren müsst und wollt?

Das Thema Nachhaltigkeit ist bei der Schallplattenherstellung ein schwieriges Thema. Mehr als „grünen“ Strom und Gas zu kaufen hat man da kaum. Die Schallplattenherstellung ist extrem energieaufwändig. Vor allem als Kleinstpresswerk kannst Du da nichts groß optimieren. Natürlich liegt uns das Thema am Herzen, aber man braucht nun mal Dampf, Wasser, Luft, Vakuum, Strom und Hydraulik. Mit nur einer Presse haben wir Gaskosten von circa 90 Euro pro Tag! Das Thema Recyclingvinyl, welches dieses Jahr ja hochgekocht ist, ist bei dieser ganzen Energiefrage nur ein Tropfen auf dem heißen Stein. Außer neuen Problemen bringt das so gut wie nichts. Ehrlich gesagt rechne ich in den nächsten zehn Jahren mit einer starken Regulierung beim Verbrauch dieser Ressourcen. Das wird sich dann auch auf die Schallplattenindustrie auswirken. Wahrscheinlich wird dann alles sehr, sehr teuer beim Vinyl. Wenn wir auch im Bereich Verbrennungsmotoren so starke Einschränkungen erleben werden, dann ist es nur logisch, dass die beim maßlosen Verbrauch für Luxusgüter auch kommen werden.

Mit Einschränkungen und „einer starken Regulierung beim Verbrauch dieser Ressourcen“ meinst du Energiekosten? Oder tatsächlich auch weniger Öl und dadurch generell Schwierigkeiten Vinyl herzustellen?

Wenn beim Auto Verbrenner im Moment so stark in die Verantwortung genommen werden, dann ist es eine Frage der Zeit, bis auch unsere Branche mehr in die Verantwortung genommen wird. Direkt oder indirekt. Denn, wie gesagt, der Energieverbrauch ist immens.

Was ist Euch wichtig im Bezug einer ökologischeren und klimaverträglicheren Produktion von Vinyl? Was könnt ihr leisten, wo stoßt ihr als Produzent*innen an Eure Grenzen?

Das Einzige, was wir machen können, ist „grünen“ Strom zu kaufen. Das macht natürlich Sinn. Und wir können Recyclingvinyl pressen. Das macht eher weniger Sinn.

Inwieweit werdet Ihr bei diesen Themen von sozialen Bewegungen, wie Fridays For Future beeinflusst?

Da werden wir überhaupt nicht beeinflusst. Wir ertrinken in Arbeit und freuen uns nur noch wenn wir eine Produktion draußen haben. Das ist das Wichtigste. Sonst reißen uns die Bands und Labels den Kopf ab. Der Spielraum den wir haben ist sehr klein. Die Bands und Labels wollen Schallplatten. Und zwar so schnell als möglich.

Ist Kompensation von CO2-Emissionen oder Öko-Strom ein Thema für Dich? Wenn ja, habt ihr einen Überblick, wieviel CO2-Emissionen bei einer 1000er Auflagen-Pressung (mit einfachem Cover) bei Euch entstehen?

Ja, das ist ein Thema, weil das die einzige Baustelle ist an der wir arbeiten können. Zahlen haben wir aber keine.

Siehst Du Möglichkeiten die Energiekosten zu senken, indem ihr zum Beispiel Solarzellen auf dem Dach anbringt oder so? (Wahrscheinlich ist das wegen wahnsinnigen Anschaffungs- und Installationskosten nicht lukrativ, oder?)

Nee, keine Chance. Wir reden hier von Pressmaschinen die mit 63 Ampere abgesichert sind. Da helfen Dir keine Solarzellen.

Bei Euch kann man Re-Vinyl bestellen. Was ist das? Was war für Euch die Motivation es anzubieten? Wie läuft die Umsetzung? Was sind Herausforderungen? Welches Material recycelt ihr in dem Prozess?

Das kann man bei uns bestellen, weil die Leute danach gefragt haben. Von uns aus hätten wir das nicht angeboten. Es ist absurd: Die Leute bekommen Testpressungen. Die einen schreiben: „Die Platten haben Nebengeräusche, die können wir so niemals freigeben!“ Die anderen schreiben: „Wir wollen Recyclingvinyl und es ist egal, wenn die Nebengeräusche lauter sind.“ Recyclingvinyl ist einfach 100 Prozent geschreddertes, schon einmal gepresstes Compound. Sprich: Früher haben wir den Randabschnitt weggeworfen und mussten dafür bezahlen. Heute ist (für einige) plötzlich das Zeugs gut genug, dass es nochmal gepresst werden kann und wir bekommen noch Geld dafür. Aber wir reden hier von keinen großen Mengen. Da wird kein Planet damit gerettet werden. Das ist marginal. Darüber hinaus mischt sowieso jedes Presswerk ca. 20 Prozent geschreddertes Material dem neuen Virgin Compound bei. Das machen wir (und alle anderen) schon immer.

Danke für Deine Ausführungen zu ReVinyl. Als Konsument war mir diese Komplexität nicht ansatzweise bewusst. Du sagst ReVinyl hat es eigentlich immer schon gegeben. Was ist denn jetzt das Neue? Das Reste in der Produktion etwas besser verwertet werden? Das heißt circa 10 oder 20 Prozent weniger Abfall sind der „Öko-Effekt“?

Der Öko-Effekt ist, dass für ReVinyl 100 Prozent geschreddertes Material genommen wird. Früher hat man circa 20 Prozent geschreddertes Material dem Virgin Compound beigemischt. Das 100 Prozent geschredderte Material ist aber schwerer zu verarbeiten und knackt oder / und knistert halt ab und zu.

Wenn ihr da alte Platten schreddert, warum kann ich nicht die alten Schlagerplatten meines Großvaters zu Euch bringen und bei Euch daraus eine neue Hardcore-Platte erstellen lassen?

Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen wurde das Compound noch vor einigen Jahren mit Blei stabilisiert. Zum anderen gibt es, zum Beispiel im Moment circa fünf bis sieben Hersteller von Compound in Europa. Jedes Compound hat seine eigene Fließgeschwindigkeit und verhält sich komplett anders. Wenn Du die mischen und schreddern würdest, würdest Du keine Schallplatten mehr rausbekommen. Wahrscheinlich würde es nicht mal mehr nach einer Schallplatte aussehen. Die Masse muss immer absolut homogen sein. Man kann auch zu dem neuen Virgin-Granulat nur geschreddertes Granulat der gleichen Charge beimischen.

Wie verfolgt ihr die Debatte in Eurer Branche?

Du meinst die Umweltdebatte? Wie gesagt: Wir haben das Recyclingvinyl angeboten, weil wir es müssen. Ansonsten kann ich da eigentlich gar keine große Debatte erkennen.

Gibt es eine externe Nachfrage nach nachhaltigeren Produkten? Wenn ja, könnt ihr sagen, welche Art von Kund*innen das eher nachfragen?

Eigentlich ist die Nachfrage minimal. Einmal in drei Wochen fragt jemand. Eine bestimmte Art von Kund*innen kann ich nicht erkennen.

Es gibt ja einige Entwicklungen und Ideen den Kunststoff bei den Schallplatten durch nachwachsende Rohstoffe zu ersetzen. Wie steht ihr zu anderen Rohstoffen für die Vinylgewinnung? Ist das für Euch schon eine Diskussion? Wo seht ihr die größten Herausforderungen?

Diese Gerüchte gibt es schon seit 15 Jahren. Ich habe so Zeugs auch schon gesehen. Mehr aber auch nicht. Dass es sich nicht durchsetzen konnte oder nie richtig auf den Markt kam, spricht für sich. Die Schallplattenherstellung ist unglaublich schwierig. Man glaubt es kaum, aber ich denke Arzneimittel oder Lebensmittel herzustellen ist wesentlich einfacher. Viele kluge Köpfe haben in den letzten zehn Jahren mit neuen Herstellungsmethoden experimentiert. Zum Beispiel auch mit völlig neuen Technologien beim Pressen, wie Induktion anstatt Dampf. Aber nichts ist über einen Prototyp oder minimale Forschungen herausgekommen. Die Herstellung ist zu schwierig. Die Dinger werden noch gepresst wie vor 50 Jahren und ich glaube nicht, dass sich da großetwas ändern wird.

Du, Bieber, hattest ja im Mai einen ziemlichen, öffentlichen Wutanfall („Rant“) auf Facebook gegen Menschen geäußert, die Platten kaufen, um sie dann eingeschweißt ins Regal zu stellen. Du schriebst, dass Du dafür ja nicht Platten produzierst. Wie kam es dazu?

Es gibt viele Leute, die ein sehr ungesundes Verhältnis zu diesem Medium haben. Die wollen ein perfektes Produkt, was schon mal per se nicht möglich ist. Die haben völlig vergessen, dass eine Schallplatte ein Tonträger ist. Also ein Gebrauchsgegenstand. Wenn sich Leute Platten nur ins Regal stellen wollen, können sie das ja machen. Aber dann noch Platten zu messen an der Qualität von modernen Produkten etc. ist einfach nicht möglich. Nicht die Platte und nicht die Verpackung. Die Diskussionen sind sehr ermüdend, wenn jemand das nicht verstanden hat.

Was waren Reaktionen auf Deinen Post?

Da gab’s nicht groß Reaktionen und die Kommentare habe ich mir nicht durchgelesen.

Im Interview mit Duophonic (Trust #209) hatten wir das Thema Nickelfolien. Ist die Herkunft des Metalls bzw. der Metall-Panels für Euch ein Thema? Gibt es da überhaupt Möglichkeiten aktiver zu werden? Gäbe es technische Möglichkeiten für Alternativen?

Du meinst Lackfolien oder Matrizen?

Ja, ich meinte das Nickel, woraus die Matritze wird. Habt ihr irgendeinen Einfluss, woher das Nickel dafür kommt? Oder gibt es überhaupt Möglichkeiten Eure Zulieferer zu befragen, etwa nach der Herkunft der Nickel-Pellets (die meines Wissens genutzt werden)?

Da haben wir keinen Einfluss darauf. Man muss ja froh sein, dass man die Rohstoffe überhaupt noch bekommt.

Mich würde interessieren, was ihr als nächstes noch vorhabt und was Eure Utopie für einen nachhaltigen Musikgenuss ist?

Mein großer Wunsch wäre es, dass die Majors keine Platten mehr pressen lassen. Nur noch die Subkulturen. Dann wären die Schallplatten wieder ausschließlich in der Subkultur zu Hause. So wie es 20 Jahre lang war. Das war eine schöne Zeit!

Was Du beschreibst mit „Majors sollten sich aus Vinyl rausziehen“ wäre ja dann eher ein wieder Gesundschrumpfen. Also bräuchte es einen Anti-Hype von Vinyl, sodass Produktionen, die man in jedem 2nd Hand Laden als Meterware findet, einfach nicht mehr nachgepresst werden, oder?

Die Majors haben hier alles kaputt gemacht. Und Leute, die in eine Schallplatte LED Leuchten einbauen. Mein Gott, ich bekomme schon wieder schlechte Laune. Die Majors haben ein subkulturelles Produkt aus der Subkultur in den Mainstream zurückgeholt, weil man damit Geld verdienen kann. Ich habe aber keine Lust plötzlich mein Hobby mit den Zahnärzten der Nation zu teilen. Wenn die wenigstens nur Neuheiten gepresst hätten, wäre das ja noch ok. Aber durch das Pressen der Backkataloge haben sie eben eine komplette Branche ruiniert.

Danke für die klaren Worte. Und dass Du Dir in der stressigen Zeit eben jene genommen hast, die Fragen zu beantworten.

Gerne. Jetzt gehe ich nach Hause.

Wenn Du in Berlin bist, geht das erste Bier auf mich!

 

Mika

Danke Bieber für die tollen Platten, die ihr gepresst habt, die Leidenschaft für das Produkt!

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