Dezember 31st, 2022

David Rovics (#209, 2021)

Posted in interview by Thorsten

Eine der besten Sachen an Hip-Hop war es immer, dass viel schneller mit Songs auf aktuelle Ereignisse reagiert werden konnte. Oftmals gab es bereits wenige Tage nach Geschehnissen Tracks zum Download oder Streamen auf Webseiten. Die Technik und das begrenzte Instrumentarium im Rap machten es im Heimstudio möglich. Rock- und Punkbands brauchen erst mal Zeit, um Songs zu schreiben, gemeinsam zu proben, um irgendwann mal ins Studio zu gehen. Dafür sind die Texte im Rap meistens gerade heraus, an manchen Stellen vielleicht etwas holperig, aber deswegen entsteht eine Dringlichkeit, die es sonst in der Musik nicht mehr häufig gibt.

Viele Jahre zuvor erfüllte die Folk- und Countrymusik einen ähnlichen Zweck. Alles, was für die Verarbeitung und das Weitertragen von Stimmungen benötigt wurden, waren eine Gitarre, ein einprägsamer Text, eine Handvoll Akkorde und eine gute Stimme.

In diese Tradition schlägt David Rovics aus Portland, Oregon, mit seinem neuen Album „Rebel Songs“! Viele der Lieder auf dem Album wurden bereits als Solonummern im Laufe des letzten Jahres veröffentlicht. Nun wurden die Stücke auf diesem Album zusammengestellt und um einen kleinen Bandsound erweitert, der den Songs richtig guttut, weil sie nun universeller klingen, mehr wie ein Zeitdokument als ein Kommentar zur Lage der Nation.

Hallo David, kannst du bitte zunächst mal zusammenfassen, wie dein Sommer 2020 war?

Meine Güte, das ist schwer beschreiben. Es ist wirklich viel passiert in diesem Jahr. Zunächst einmal war es alles sehr aufregend. Es gab natürlich sehr viele gute Gründe für die Proteste, aber eben auch viele schreckliche. Aber die Tatsache, dass so viel Widerstand geleistet wurde inmitten der Pandemie und trotz der Polizeigewalt, war inspirierend, vielversprechend und hoffnungsvoll. Außerdem konnte ich sehr kreativ sein, ich schrieb viele neue Lieder, Essays und organisierte einige Livestreaming Events. Darüber hinaus nutzte ich die Krise aus und führte Interviews mit Menschen von überall auf der Welt.

Du sagest gerade, du hättest viele neue Songs geschrieben, wofür es letztes Jahr sicherlich viele Gründe gab. Aber wie entscheidest du, aber welches Thema du ein Lied bastelst?

Das ist ein eher chaotischer Prozess ohne jegliche Ordnung oder Vorgehensweise. Tatschlich passieren so viele Dinge da draußen in der Welt. Ich denke praktisch die ganze Zeit darüber nach aber ein bestimmtes Thema einen Song zu schreiben, meistens verwerfe ich die Idee allerdings. Wenn mir aber eine gute Hookline einfällt und ich ein zentrales Thema für einen Refrain gefunden habe, dann fügt sich der Rest meistens von alleine zusammen. Am schwersten ist es, eine gute Melodie zu finden und ob mir das gelingt, kann ich nicht vorhersagen. Ansonsten schreibe ich über Dinge, die in den Nachrichten oder um mich herum hier in Portland oder an einem mir vertrauten Ort geschehen. Manchmal auch, weil ich ein gutes Geschichtsbuch oder so was gelesen habe.

Hast du die letzten Monate ganz besonders in deinem neuen Song „With Mask upon their faces and leaf-blowers in their hands“ verarbeitet?

Ja, ich habe im Laufe des Jahres 2020 ungeführ 50 Songs geschrieben, und die meisten davon haben etwas mit der Pandemie, dem Lockdown oder den Protesten gegen Rassenungerechtigkeit, Wohnen und andere Themen zu tun. „With Masks“ war definitiv einer dieser Songs, der eine musikalische Verarbeitung oder Nacherzählung der jüngsten Ereignisse war. Wer wusste schon, wie gut Laubbläser Tränengas zu den Bullen zurückpusten können? Ich nicht! Darüber hinaus habe ich letzten Sommer viele andere Dinge gelernt.

Was denn?

Dass es in Portland und in vielen anderen Städten der USA eine beträchtliche Anzahl an Menschen aus jeder Schicht gibt, besonders junge Leute, die bereit sind, sich einem wirklichen Protest anzuschließen, die einfach aktiv sein wollen und sich für soziale Bewegungen interessieren. Jedenfalls galt es für das Jahr 2020. Aber ich hoffe es bleibt auch zukünftig so.

Auch wenn „Rebel Songs“ hauptsächlich über die Ereignisse in den USA handelt, so schreibst du ansonsten auch Lieder über europäische Themen. Woher nimmst du die Gewissheit, die Dinge richtig einzufangen und zu beschreiben?

Das vergangene Jahr war definitiv eines dieser Jahre, nun ja, das einzige seit Anfang der 90er Jahre, das ich 12 Monate an einem einzigen Ort verbracht habe. Normalerweise schreibe ich viel über Dinge, die in Europa und anderen Teilen der Welt vor sich gehen, wenn ich dort unterwegs bin. Dieses Jahr war ich vor allem damit beschäftigt, was in Portland geschah. Und da ich eh nirgendwo anders hingehen konnte, konzentrierte ich mich darauf, hauptsächlich Songs über das zu schreiben, was in Portland und allgemein in den USA geschah – insbesondere an Orten, an denen kürzlich Polizeimorde stattfanden (was in dem Lied „Say their Names“ eindringlich zum Ausdruck kommt)

In einem Lied geht es um Jason Hargrove. Wer war dieser Mann und warum hast du einen Song über ihn geschrieben?

Jason Hargrove war einer der ersten „systemrelevanten Arbeiter“ in den USA, der an Covid-19 gestorben ist. Er war ein Busfahrer aus Detroit, Michigan. Ich hörte von seinem Tod von einem anderen Busfahrer in Alberta und beschloss ein Lied über ihn zu schreiben, weil sein Leben wertvoll war.

Verstehe ich dich richtig, dass du im Song „They Lied“ anfänglich nicht an eine Pandemie geglaubt hast?

Nein, das Lied ist aus der Perspektive einer anderen Person geschrieben. Das Stück entstand, nachdem ich ein Interview mit einer Krankenschwester im Radio gehört hatte, die über ihre Patienten sprach, die an dem Virus starben, aber nicht glaubten, dass das Virus existiert. Ich dachte darüber nach, was eine Person dazu bringen würde, nicht an grundlegende Epidemiologie zu glauben. Und ich denke, die Antwort ist, dass diese Menschen ihr ganzes Leben lang belogen wurden – auch von den Massenmedien, den Stenografen für die Mächtigen, die uns mit einer ganzen Reihe von Unwahrheiten in den Krieg im Irak geführt haben, die sich später alle als Lügen erwiesen haben.

Ich finde, in den beiden Stücken „All the Jared Kushners in the world“ und „Don’t pay the rent“ greifst du ein interessantes Thema auf, welches viel zu wenig in der Pandemie diskutiert wurde. Fast jeder Mensch musste sich während des Lockdowns einschränken und finanzielle Verluste hinnehmen, nur Vermieter*innen nicht.

In den USA ist das eigentlich ein ziemlich großes Thema. Ich glaube, viele Länder in Europa haben gleich am Anfang der Krise etwas dagegen getan. Zumindest in Dänemark war es der Fall. Hier ist es aber ein anhaltendes Desaster. Mit Hilfen, die nicht funktionieren oder auch nur im Ansatz helfen. Dafür sind beide Parteien hier zu tief mit den großen Banken und Investoren verwurzelt, um das zu tun, was im Namen der Menschen getan werden muss.

„Don’t pay the rent“ sollte meiner Meinung nach, ein Standard auf Demonstrationen werden. Du bietest ja auch die Noten und Texte dafür an. Wie wichtig ist es für dich, dass Menschen anfangen deine Lieder zu singen?

Ich freue mich, dass du dich danach erkundigst, denn für mich ist die Antwort so offensichtlich und einfach, dass ich nicht darüber sprechen würde, wenn ich nicht konkret danach gefragt werden würde. Alle meine Lieder sind dafür gemacht, gesungen zu werden und ich versuche es den Menschen so leicht wie möglich zu machen. Aber es gibt so viele seltsame Ideen, die sich auf die lange und verwirrte Debatte um geistiges Eigentum und das Gemeinwesen beziehen, dass manche Leute sich fragen, ob sie um Erlaubnis bitten müssen. Ich denke, ich spreche für die überwiegende Mehrheit der Liedermacher da draußen, wenn ich behaupte, die meisten von uns haben nichts dagegen, wenn unsere Lieder für einen guten Zweck verwendet werden und gesungen werden. Einzig die Plattenfirmen und andere Unternehmen mit finanziellen Interessen stiften diese Verwirrung. Ich kenne keinen einzigen Musiker oder Musikerinnen, die sich beschweren, wenn ihre Lieder für etwas benutzt werden, außer es handelt sich um eine Veranstaltung der Republikaner oder wenn die Musik genutzt wird, um Menschen in Guantanamo damit zu foltern.

Deine Lieder sind alle sehr direkt, schreibst du sie einem Rutsch oder werden die später immer noch mal bearbeitet?

Meistens entstehen sie weniger direkt, als sie schlussendlich aufgenommen werden. Es gibt diesen Trick, eine einfache Geschichte auf eine Weise zu erzählen, die nicht alles in Metaphern oder Adjektiven oder Ausdrucksformen unserer Gefühle verschleiert, sondern nur an der Geschichte festhält. Meine Songs beginnen oft doppelt so lange, wie sie enden. Normalerweise dauert es jedoch nicht länger als zwei Tage, bis sie fertig sind. Wenn ich versuche, ein Lied in kürzerer Zeit zu beenden, bereue ich es normalerweise. Die besten Stücke dauern mindestens 48 Stunden. Einige von ihnen brauchen viel länger. Die sind dann wie ein Leben, denn um sie zu schreiben, benötigen sie zuerst viel gelebte Erfahrung. Bei anderen muss ich zuerst ein Buch lesen. Wenn du also die Zeit nimmst, die zum Lesen eines Buches benötigt wird, kannst du sagen, dass das Schreiben einiger Songs ein oder zwei Wochen gedauert hat.

Du hast unglaubliche 25 Alben auf Bandcamp verfügbar, die in weniger als zehn Jahren entstanden sind und alle umsonst sind. Was ist die Idee dahinter?

Es gibt sogar noch mehr Alben, die nicht auf Bandcamp zur Verfügung stehen, weil sie entstanden, bevor es so was wie Bandacamp überhaupt gab. Aber es ist interessant, dass du diese Frage stellst. Normalerweise fragen Menschen schon gar nicht mehr danach, seitdem es fast normal ist, dass Musik überall verfügbar ist, nicht nur auf Bandcamp, sondern auch auf Spotify und anderen Streaming Plattformen. Die Musikindustrie hat nur noch 20% von der Größe, die sie vor 20 Jahren hatte. Sie ist am Boden zerstört. Was ist der Sinn dahinter? Damit Big Tech die Welt regiert, denke ich, und den Rest von uns auf der Straße betteln lässt. Es war nicht meine Idee. Ich mache nur das, was alle anderen auch machen. Wenn ich meine Musik nicht online verschenke, wäre es ja nicht so, als würde ich deswegen eine CD mehr verkaufen. Es ist möglich, wie sie es nennen, all jene Leute zu „monetarisieren“, die Musik kostenlos hören, aber es ist bei weitem nicht so direkt wie früher der CD-Verkauf.

Hast du schon immer (politische) Folk Musik gemacht oder vorher mit etwas anderem angefangen, Punkrock zum Beispiel?

Ich war einerseits sehr interessiert an Aktivismus, wie sie es nennen und als Kind sehr politisch orientiert. Aber eben auch an verschiedenen Arten von Musik interessiert. Ich war und bin definitiv in alle Arten von Volksmusik verliebt, aber ich bin auch seit Langem ein großer Fan von anderer Musik, die normalerweise nicht zur „Volksmusik“ gezählt werden, aber vielleicht von dem abgedeckt werden, was für eine Weile als „Welt“ -Musik und Rock’n’Roll aller Art bezeichnet wurde. In Punkrock tauchte ich erst relativ spät im Leben ein, als ich bereits über dreißig war. Auf jeden Fall setzen die Leute normalerweise das „Folk“ -Label auf mich, und damit bin ich einverstanden, obwohl der Begriff „Folk“ hier etwas kompliziert ist. Pete Seeger hörte nach einer Weile auf, den Begriff zu verwenden, weil er das Gefühl hatte, dass er missbraucht wurde, was von den meisten Menschen, die den Begriff verwenden, zu eng definiert wurde, und ich stimme ihm zu.

Würdest du dich als Sozialisten beschreiben?

Ja. Speziell vom libertären Flügel des Sozialismus.

Ist es dann nicht deprimierend, wenn der Kapitalismus immer wieder gewinnt. Ich meine, selbst Arbeiter*innen sehnen sich doch mittlerweile mehr nach einem neuen Appleprodukt, als nach übergreifender Gerechtigkeit.

Was mich am meisten deprimiert, ist, dass es den Kapitalisten immer dann gelingt, einen Weg zu finden, um das Blatt zu ihren Gunsten umzukehren, selbst wenn wirklich beeindruckende globale soziale Bewegungen entstehen. Sie schaffen es durch Duplizität und Teilung und Eroberung der Taktik. Aber ja, es ist sehr deprimierend. Ich weiß nicht, wie ich dieses Muster ändern soll, außer indem ich weiterhin versuche, gute Ideen zu verbreiten und auf das Beste zu hoffen. Wenn ich die Antworten hätte, hätten wir den Kapitalismus längst gestürzt.

Vielen Dank David, gibt es noch etwas, was du uns mitteilen möchtest?

Ich wollte im ersten Halbjahr 2020 zweimal nach Deutschland und Europa kommen, was offensichtlich nicht geklappt hat. So hoffe ich, in einer nicht allzu weiten Zukunft es endlich zu schaffen und dann können wir uns alle sehen.

Wer nun eine Übersicht über die verschiedenen Projekte von David bekommen möchte (Podcast Folgen, Bücher, Essays, Musik, Songtexte und auch Kontaktmöglichkeiten) geht am besten auf die offizielle Webseite und klickt sich von dort weiter: www.davidrovics.com

 

Text & Interview Claas Reiners

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0