Juli 26th, 2017

FINISTERRE (#160, 06-2013)

Posted in interview by Jan

Ich tue mich immer schwer damit Bands neutral beurteilen zu wollen, deren Mitglieder ich lange kenne und gerne mag. Vielleicht hat es auch deswegen so lange gedauert, bis ich mich entschließen konnte Manuela von Finisterre um ein Interview zu bitten, obwohl sie es schon lange mehr als verdient hätte. Auf den ersten Blick ist das Quintett vielleicht eine D-Beat-Band wie jede andere, die sich über Jahre hinweg ein enormes internationales Standing erarbeitet hat. Auf den zweiten Blick können Finisterre Shows aber eben genau deswegen so begeistern, weil jede einzelne Person völlig in ihrem Element zu sein scheint – sowohl musikalisch als auch politisch.

Gitarrist Philipp hat zum Beispiel schon mit 13 seine ersten Konzerte in Würzburg organisiert, ist eines der größten Riot-Grrls die ich kenne und veröffentlicht bei Contraszt! am laufenden Meter in bester DIY-Manier nur die Bands, die ihm wirklich am Herzen liegen. Bassist Lukas ist spätestens durch Pressure & Ink zum absoluten Siebdruck-Freak mutiert, der gefühlt eine ganze Szene mit Textilien versorgt und Manuela, die auch gerne mal einen Urinella-Stand bei Konzerten aufbaut, da im Stehen pinkeln nicht bloß ein Privileg von Penisträgern bleiben soll, schafft es düstere Texte doch noch mit einem glücklichen Funkeln in den Augen vorzutragen und inspiriert so nicht nur die Frauen, die sich auch auf Hardcore-Shows vielleicht endlich mal in der ersten Reihe erwünscht fühlen.

Euer neues Album heißt Hexis, was so etwas wie Grundeinstellung bedeutet. Wie sieht denn eure Grundhaltung auf dieser Platte aus?

Manuela: Übersetzt heißt Hexis so etwas wie Habitus. Es bezeichnet also sowohl persönliche Einstellungen als auch das, was man nach außen präsentiert. Was neue Lieder machen anging waren wir diesmal sehr langsam, was unter anderem daran liegt, dass Hütte in Hannover wohnt, aber auch daran, dass wir alle auch in andere Projekte involviert sind. Die Musik ist uns allen sehr wichtig, aber es gibt Dinge, die gleichwertig existieren. Die vier Lieder auf Hexis sind das Werk der letzten 1 1/2 Jahre und wir wollten das auch dokumentieren und haben für die Tour dann diese Lieder als CD-Version produziert und notdürftig an einem Sonntag im Probenraum aufgenommen. Mehr wollten wir mit den Liedern eigentlich gar nicht machen, bis dann die Anfrage von Twisted Chords kam, die Lieder als einseitig bespielte 12″ auf 45rpm auf Platte herauszubringen.

Wir wussten erst nicht, ob wir das cool finden, vor allem für den teureren Preis. Jetzt haben wir uns aber sehr viel Mühe mit dem Artwork gegeben. Das hatte auch mit unserer Grundeinstellung zu tun, wir wollten alles selber machen. Bloß den Gesang haben wir neu aufgenommen. Die meiste Energie ist dann aber in die Herstellung geflossen. Wir haben selber grundiert und gedruckt und die Platte selbst einseitig besiebdruckt. Die Texte heben sich auch vom Vorgängeralbum Bitter Songs ab, weil wir langsamer an den Liedern gearbeitet haben. Die Texte sind persönlicher ausgefallen, weil sie widerspiegeln, was uns sonst noch so beschäftigt hat. Es geht eher um Sachen die einen im persönlichen und politischen Alltag lähmen und nicht um explizite Themen wie zum Beispiel Frontex. Das Expressive, Rotzige und Wütende stand dabei im Vordergrund.

Bei Broken Thoughts singst du „no one belongs here more than us“ – geht es da auch um den Grundkonsens innerhalb der Band und die Idee des Kollektivs?

Wir haben alle unsere Rollen in der Band, die darüber hinaus gehen ein Konzert zu spielen. Ich schreibe zwar die meisten Texte, aber eben auch nicht alle. Wenn ich die dann aber singe, habe ich das Grundvertrauen, dass die Band inhaltlich hinter mit steht. Genauso wird mir das Vertrauen von den anderen entgegengebracht, dass ich schon keinen Scheiß schreibe. Aus den Gesprächen die sich bei uns ergeben, weiß ich, dass wir alle ähnliche Grundannahmen haben, ich finde es aber auch okay wenn sich nicht immer alle hundertprozentig mit einem Text von mir identifizieren können. Wenn ich mir unsicher bin hole ich mir auch das Feedback, ob wir alle an einem Strang ziehen.

Ist das auch eine Band oder Hardcore eben ein Szene, in der du Dir vorstellen kannst, oder die es überhaupt ermöglicht, alt zu werden?

Die Band ist mir sehr wichtig, auch für die Psychohygiene. Ich habe durch das Touren viele Freundschaften geschlossen. Uns gibt es schon lange, uns macht es allen Spaß aber wir reflektieren es auch immer wieder. Wir müssen vieles eher planen, weil wir eben nicht alle in der selben Stadt wohnen und so müssen wir automatisch überprüfen ob es uns das alles noch wert ist. Da geht es nicht so sehr darum jedes Jahr eine Platte rauszubringen, aber wir spielen einfach sehr gerne Konzerte. Die Ansprüche daran ändern sich aber natürlich auch mit der Zeit. Früher war es mir egal in einem Raum zu schlafen, der völlig verqualmt war, das soll aber nicht snobistisch rüber kommen.

Kobayashi sind vielleicht ein gutes Beispiel für eine Band, die es schon sehr lange gibt, die aber trotzdem noch total authentisch sind, vor allem weil der Hardcore schon recht schnelllebig ist. Ich bin auch nicht mehr eine der Jüngsten. In der Musikszene muss man auch was dafür tun um den Support dauerhaft zu bekommen. Es gibt auch genug Leute die mit 30 sagen, jetzt lebe ich mein richtiges Leben und steige aus. Das ist aber nicht unsere Idee, wir leben das, weil wir hinter dem Konzept stehen und nicht weil es eine post-pubertäre Phase ist. Wenn wir nicht mehr in der Band aktiv wären, wären wir es trotzdem in der Szene. Meine Punkfamilie möchte ich auch noch im Alter haben.

Was das Touren angeht, gibt es da explizite Ziele und auch Länder die ihr erreichen wollt? Ihr wart ja zum Beispiel in Israel, hatte das nochmal eine besondere Bedeutung für euch, auch als Aussage an die Szene vor Ort?

Es ist immer ein Riesenunterscheid ob du irgendwohin als Band oder als Touri kommst. Wir nehmen die Band zum Anlass um ganz viel von der Welt zu sehen. Ich merke aber schon, dass die Szene in anderen Ländern auch ähnlich funktioniert wie es von hier kenne, egal ob ich in Singapur oder den USA bin. Viele Sachen sind von den Idee her gleich, das ist das verbindende Element. Ich würde unglaublich gerne mal in Südostasien touren und kann mir auch vorstellen, dass das musikalisch gut passen würde, was jetzt in Israel eher nicht der Fall war. In Israel haben wir die Tour ja auch so ein bisschen mit einem Urlaub verbunden. Erstens ist es da auch nicht möglich sehr viele Konzerte zu spielen und zweitens ist es auch interessant dort Zeit zu verbringen. Hätten wir aber die Möglichkeit gehabt in Ramalah zu spielen, hätten wir das auch super gerne gemacht.

Wir haben uns nicht bewusst auf Israel beschränkt und verordnen uns auch nicht als antideutsch. Wir werden sehr oft danach gefragt, warum es keine Texte von uns über den Konflikt dort gibt. Wir haben ein Lied, das Um’s Ganze heißt, wo es aber nicht um dieses Bündnis geht. Wir sind eine antinationale Band. Auerhalb von Deutschland bekommen wir eher zu hören, dass die Leute es komisch finden, dass wir uns nicht Pro-Palästina positionieren. Ich finde das Thema aber viel zu komplex um es schwarz-und-weiß zu zeichnen. Wenn ich mich Pro-Palästina äußere identifiziere ich mich auch nicht mit Fatah. Ich kritisiere den Staat Israel genauso wie andere Staaten und deren Militär- und Politikführung.

Auch in deinen Alltag spielt das gemeinschaftliche ja auch eine große Rolle. Du hast lange auf dem Wagenplatz gelebt und jetzt in einem größeren Hausprojekt. Kannst du da eine persönliche Entwicklung nachzeichnen?

Als ich in den Wagen gezogen bin, war das für mich der Inbegriff der Autonomie und der Freiheit. Ich war unabhängig und konnte aber mit dem LKW auch immer weg, wenn ich keinen Bock mehr hatte. Jetzt habe ich mich eher wieder auf etwas fokussiert. Das Haus und die Leute sind in Köln und die müsste ich dann mit zurücklassen, wenn ich weg wollte. Das war aber auch etwas, was ich gesucht hatte: Mehr Konstanz und mehr Sicherheit. Das ist sicher auch eine andere Aussage, weil ich jetzt wieder Miete zahle, aber in dieser kleineren, homogeneren Gruppe bin ich politisch zufriedener als in einem relativ losen Zusammenschluss von Wagenplätzen. Ich lass mich anders drauf ein und investiere aber selbst auch mehr hinein.

Diese Kopplung von verschiedenen Rollen und dem damit zusammenhängendem Erwartungsdruck thematisierst du ja auch, also die Normen die selbst das private Umfeld erschafft. Wie ist das in der Band, wenn du gleichzeitig mehr oder weniger intime Freundschaften pflegst, die aber auch mit anderen Rollen verschränkt sind und auch durcheinander kommen können?

Ich finde es gut mit allen eng zu sein mit denen ich Musik mache, da gerade das Singen für mich sehr persönlich ist. An der Stimme macht sich ja auch bemerkbar, ob man sich wohl fühlt. Mein Stimmtherapeut sagt immer: Die Stimme wohnt im Nebenzimmer der Psyche. Sie ist eine Diva, wenn ich schlecht gelaunt bin kann ich das auch beim Singen schlecht verbergen. Sicherlich baut sich aber vielleicht auch unbeabsichtigt der Erwartungsdruck auf, dass ich immer die Manuela sein muss, die tough und selbstbewusst ist und Leute irritiert sind, wenn ich gerade das Gegenteil davon bin. Sich davon frei zu machen und trotzdem allen gerecht werden zu wollen ist da manchmal sehr schwierig.

Und wie ist das bei anderen sozialen Rollen, wie grenzt du dich wo ab, zum Beispiel bei der Frage „und was machst du so?“?

Egal ob ich sage, ich singe in einer Hardcore-Band, oder ich studiere Sozialpädagogik muss ich damit rechnen erstmal eine Stunde beschäftigt zu sein, weil das keine Antworten sind, die Leute einfach so akzeptieren, sondern da kommen tausend Nachfragen. Je nachdem wo ich mich gerade befinde und wie meine Stimmung ist, lasse ich mich darauf ein, oder verschweige es einfach, weil ich meine Ruhe haben will, was ich auch legitim finde. Zur Zeit bin ich arbeitslos, aber davor habe ich mit Sexarbeiterinnen gearbeitet und da war’s mir dann auch irgendwann zu viel ständig alle Fragen dazu zu beantworten. Ich finde es aber auch gut, wenn es Leute interessiert, da ich ja auch hinter der Arbeit gestanden habe. Bei meiner Familie erzähle ich vielleicht dann was von Feminismus um überhaupt eine gedankliche Basis zu schaffen für Geschlechtergerechtigkeit aber in anderen Kontexten würde ich dann eher die queeren Aspekte betonen.

Um zurück zur Stimme zu kommen, wie löst du das technisch, die Stimme nicht zu überreizen?

Am Anfang hatte ich große Stimmprobleme in Form einer Disphonie. Die Stimmlippen schließen nicht mehr und können dann keinen Ton mehr produzieren. Diese Stimmstörung muss relativ lange logopädisch behandelt werden. Die Leute sind aber eher pathologisch ausgerichtet und nicht darauf präventive Maßnahmen, die für die Stimme ergriffen werden können zu vermitteln. Durch Zufall habe ich einen HNO-Arzt gefunden der gleichzeitig Phoniator ist und sich in diesem Zwischengebiet aufhält und auch musikpädagogisch geschult war. Er war dann der Erste der nicht nicht gesagt hat: Mit diesem Geschrei machen Sie sich die Stimme kaputt. Mich hat ja bloß interessiert wie ich das möglichst stimmschonend weiterbetreiben kann. Seit 4 Jahren habe ich auf Konzerten keine Probleme mehr gehabt. Ich bin immer heiser, aber trotzdem klappt das nächste Konzert.

Bei den Proben kann ich ja auch einfach aufhören. Viel hat auch mit der Einstellung zu tun und bei Konzerten wird mehr Adrenalin freigesetzt, und dann klappt das auch. Im Studio muss ich mich erst in die Stimmung bringen. Beim Konzert muss ich mich aber auch bewegen und diese Stimmung aufrecht zu erhalten. Hardcore ist wütend und ich dementsprechend auf der Bühne auch. Sonst kann ich noch die Stimmübungen von Melissa Cross und Salbei-Thymian-Tee empfehlen.

Du bist ja auch meist eher vor der Bühne und stehst eher seitlich als frontal zum Publikum. Ist das auch die notwendige Distanz zur Selbstdarstellung um sich weniger persönlich verletzlich zu machen? Hat die Entwicklung von deutschen Texten, zu gemischten zu englischen, die über die Veröffentlichungen hinweg zu beobachten war vielleicht auch etwas damit zu tun?

Bei der Sprache wurde es mir wichtiger, das der Text für sich stehen kann und bei den deutschen Texten hatte ich das Gefühl immer eine Erklärung dazuliefern zu müssen. Viele Dinge kommen im Englischen aber auch einfach besser rüber. Es ist aber nicht in dem Sinne strategisch. Zum Thema Distanz schaffen: Ich tigere eher rum, weil ich mit den Leuten sein will. Ich hasse es auf der Bühne zu stehen. Ich kann mich von den Texten gut abgrenzen und will ja auch die Thematik ansprechen.

Vor Unspeakable mache ich immer eine Ansage, auch um klar zu machen, dass spätestens jetzt mal auch alle Frauen nach vorne kommen sollen, weil sie sich auch eher damit identifizieren können und für mich ist ein Konzert auch kein Freizeitvergnügen sondern hat einen politischen Anspruch. Sexismus hört nicht am Bühnenrand auf. Sexistisch sind nicht nur die anderen, sondern mir kann das auch passieren. Gerade auch im Hardcore-Bereich passieren bei Konzerten viele Übergriffe. Ich erhoffe mir das Leute dazu kommen zu überdenken was so ein Text oder so eine Aussage auch mit sich selbst zu tun hat und welche Strukturen die Leute selber verinnerlicht haben. Das wäre für mich der erste Schritt das dann auch zu überwinden.

Du hast selbst ja einen recht offenen Umgang mit Sexualität und auch dem Thema sexualisierte Gewalt. Wie gehst du mit der Verantwortung um, Leute dann eben auch direkt damit zu konfrontieren, wenn du ihnen zum Beispiel erklärst, dass diese Gewalt meist aus dem nahen Umfeld kommt?

Mein Ansatz ist der, dass es keine Awareness-Gruppen geben muss damit ich mich in den Räumlichkeiten in denen ich mich bewege sicher fühlen kann, sondern dass sich alle dafür verantwortlich fühlen sollen. Ich will nicht, dass Leute blöd angeguckt oder angetanzt werden und sexistische Sprüche fallen und keiner kriegt’s Maul auf. Bei Nazis können auch alle sagen, ihr seid Faschos und ich schmeiß euch jetzt raus, warum kann das bei dem Thema nicht so sein? Ich kann nachvollziehen, dass Leute bei dem Thema eher Angst haben was falsch zu machen, aber ich will auch nicht, dass Leute die Verantwortung dafür am Eingang abgeben. Als Person die Konzerte spielt oder veranstaltet möchte ich nicht als Dienstleisterin fungieren und ich schaffe es auch nicht alleine. Deswegen sollen sich Leute eben klarmachen, dass das immer und überall passieren kann.

Damit will ich den Leuten keine Angst machen, aber es ist eben die Realität. Das kann triggern. Es können ganz viel Sachen triggern, bei denen ich es auch nicht weiß und trotzdem habe ich mich dazu entschieden das immer wieder zu sagen. Weil es im sozialen Nahraum passiert, passiert es eben auch dort wo ich mich sicher fühle. Die Idee zu genau diesem Lied kam mir in einer Zeit in der ich ganz viele Zines von Leuten gelesen habe, die sich in Szenekreisen bewegen, dort von sexualisierter Gewalt betroffen wurden und es nicht geschafft haben sich an ihr Umfeld zu wenden. Das war mir wichtig aufzuzeigen, dass es eine starke Unsicherheit im Umgang mit diesem Thema gibt. Die linksradikale Szene möchte verhindern, dass sich Leute zurückziehen. Es ist ein gesellschaftliches Stigma und die Frauen, meistens sind es Frauen, die sich an die Polizei wenden, bekommen noch die Schuld in die Schuhe geschoben, müssen es immer wieder erzählen und sich fragen, was sie selbst dazu beigetragen haben. Das ist nicht die Wahrheit, wird aber reproduziert. Ich finde es wichtig, dass Menschen sich selber schützen können, indem sie ihre Geschichten an andere herantragen.

Was macht denn für dich das Gefühl der Sicherheit aus und wie kann es hergestellt werden?

Emanzipatorische Politik und das Praktizieren dieser. Ich merke ganz oft, dass ich mich sicher fühle wenn ich mit Leuten rede mit denen ich dieselben Ideen teile. Ich vertraue keinem Polizeitstaat und keiner Justiz. Ich glaube, dass eine Szene sich aus sich heraus selbst regulieren kann. Die Szene weiß nur noch nicht, was es für Werkzeug gibt oder wie es eingesetzt werden kann, aber in allen autonomen Strukturen passiert so was in Ansätzen. Es gibt dort auch immer wieder Ausschlüsse, was natürlich auch eine Form von „wir regeln das selber“ ist und es geht ja auch um die Frage, was danach passiert. Awareness-Gruppen regulieren sich ja auch selber, und ich glaube das das funktionieren kann, wenn Leute bereit sind sich damit auseinanderzusetzen und dran zu arbeiten. Das ist aber immer prozesshaft, weswegen die Themen auch immer wieder neu besprochen werden müssen.

Kann sich das dann irgendwann gesellschaftlich ausweiten, oder sind diese Ausschlüsse zur Selbsterhaltung notwendig?

Ich denke nicht, dass es 1-zu-1-übersetzbar ist. Awareness im AZ Köln läuft schonmal ganz anders als bei Kraake Konzerten und läuft auch anderes als Leute in Berlin das machen. Jede Gruppe muss da ihre eigene Dynamik und Grundhaltung finden. Diese Variationen sind auch ein ehrlicher Weg des Umgangs. Gerade mit Awareness-Arbeit muss man sich völlig identifizieren können um sie praktisch umzusetzen. Deshalb ist es auch in Ordnung wenn sich Gruppen auf Grundsätze einigen und Sachen, bei denen es keinen Konsens gab irgendwie anders regeln. Wichtig ist, dass es eine interne Auseinandersetzung gibt und sich dadurch eine Struktur verändert. Bei Kraake versuchen wir alle darauf zu achten, das kann auch schief gehen, aber wir sind immer ganz viele und alle haben Awareness mit auf dem Schirm. Außerdem ist der Raum kleiner und überschaubarer. Ich möchte gerade nicht mit einem Blinklicht rumlaufen, weil andere Verantwortung mitübernehmen sollen. Ich gerate da auch an Grenzen und die muss ich dann reflektieren. Es gibt viele unterschiedliche Interpretationen von Definitionsmacht, die ich vielleicht nicht alle mittragen kann. Es gibt kein Konzept, das immer und überall funktioniert, aber es ist eine Grundorientierung.

Du hast ja jetzt auch eine recht neue Band, bei der du nur mit anderen weiblich sozialisierten Personen Musik machst. Was war deine Motivation dafür?

Mit Finisterre bewege ich mich hauptsächlich in einer Szene, die hauptsächlich von männlich sozialisierten Personen repräsentiert wird. Dort falle ich ganz oft als einzige Frau auf der Bühne bei fünf Bands pro Konzert auf und dann bin ich ja auch „nur“ die Sängerin. Diese Stereotype fallen auf und deswegen möchte ich mich da auch eher behaupten. Die Leute sagen mir dann oft ich sänge wie ein Typ und meinen, dass mich das freuen müsste, weil die Welt ja danach strebt so zu sein wie ein Mann. Ich finde aber, dass Stimme nichts mit dem Geschlecht zu tun hat. Ich wollte aber auch einfach musikalisch mehr machen, also ein Instrument lernen. Vielleicht auch weil ich das Gefühl hatte, dass Leute die singen oft als unwesentlicher Teil der Band reduziert werden. Ich hatte auch Bock etwas rein frauenspezifisches zu machen und zu schauen wie die Dynamik dort ist.

Es hat sich zufällig ergeben und ist total geil, weil es auch ganz anders ist. Als Gitarristen setze ich mich mit anderen Sachen auseinander und bin auch viel ausdauernder. Die Struktur ist anders, als auch das Ziel. Ich will beides nicht missen. Es ist mir in der Hardcore-Szene auch auf den Sack gegangen mit dieser Männerdominiertheit umgehen zu müssen. Ich will den Riot-Grrl-Gedanken da reintragen. Die Leute kennen vielleicht noch Bikini Kill aber andere Bands eben nicht, obwohl sie für mich auch Vorreiterinnen für die Hardcorebewgung waren und ganz viele Impulse da übergeschwappt sind. Ich ziehe die feministische Wut auch bei Finisterre eher aus solchen Kämpfen.

Viele Frauen aus der Hardcore-Szene distanzieren sich ja aber auch gerade davon in dieser Ausnahmeposition wahrgenommen zu werden. Petze machen auch eben keinen Hardcore. Gibt es keine Frauen mit diesem Anspruch, die Hardcore machen wollen?

Ich glaube es gibt auch in der Hardcoreszene Frauen die unpolitisch sind und denen es einfach egal ist und die trotzdem ihr Ding machen, aber vielen ist das Thema Feminismus schon sehr wichtig. Bands entstehen meist aus Freundeskreisen und aus dem Musikgeschmack heraus. Dinge ergeben sich aus der Konstellation von allen. Aber dennoch finde ich, es muss mehr Frauen im Hardcore geben und die Hemmschwelle für Frauen in Musikbereiche einzutauchen muss geringer sein. Ich kenne total viele Frauen, die unglaublich Bock hätten einfach mal rumzuschreien oder Musik zu machen aber aus irgendwelchen Gründen glauben dafür nicht geeignet zu sein, und das ist ein gesellschaftliches Problem.

Das hat was mit Rollenzuschreibungen von außen zu tun hat. Als ich als Kind gerne ein BMX-Fahrrad haben wollte habe ich ein rosa Mädchenfahrrad bekommen und mein Cousin ein BMX-Fahrrad. Ich denke, dass wenn ein Mädchen sagt, ich möchte Schlagzeug lernen wird ihr vielleicht eher nahegelegt Keyboard zu lernen. Damit will ich nicht rechtfertigen, warum vielleicht weniger Frauen Schlagzeug spielen aber ich denke, dass das zum Gefühl von, ich würde ja gerne, ich kann’s aber nicht, beiträgt. Diese Leute will ich ermutigen. Viele Frauen kommen nach dem Konzert auch zu mir uns sagen, dass ich ihnen Kraft gegeben habe, und das ist ein geiler Effekt.

Alva Dittrich

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