Juli 26th, 2017

Q AND NOT U (#87, 04-2001)

Posted in interview by Jan

Irgendwann Ende vergangenen Jahres weckte ein Artikel in der Süddeutschen Zeitung meine Aufmerksamkeit – und wohl nicht nur meine. Kurzzeitig fragten etliche Musikjournalisten beim deutschen Dischord-Vertrieb an, was es mit dieser Band namens Q And Not U auf sich hat, die bis dahin keiner kannte und die so überschwänglich in dem Zeitungsartikel gelobt wurde. „No Kill No Beep Beep“ ist tatsächlich so etwas wie eine große Überraschung. Immerhin konnte man sich mittlerweile leicht ausrechnen, welche Dischord-Platten richtig gut und welche weniger aufregend sein würden. Es gab schlicht und einfach nichts wirklich Neues.

Richtig neu sind Q And Not U auch nur in dem Sinne, dass hier keine Mitglieder alt bekannter Bands mitspielen. Ansonsten greift die Gruppe die Themen auf, die Dischord-Platten mal so wichtig und interessant gemacht haben. Und das tun die vier Musiker so gut, dass „No Kill No Beep Beep“ eine der besten Platten seit der Veröffentlichung der At The Drive-In LP ist. Der Name At The Drive-In fällt hier nicht zufällig – beide Gruppen sind zweifelsohne miteinander verwandt und haben ähnliche Vorbilder, auch wenn sie sich unabhängig voneinander entwickeln konnten. Die einen mehr oder weniger im Vakuum der südtexanischen Provinz, die anderen mitten in Washington DC.

Als ich Schlagzeuger John Davis Mitte Februar anrief, um einen Interviewtermin auszumachen, war er eigentlich im Stress. Wir machten das Interview trotzdem nur zwei Stunden später. Immerhin war es – trotz des vorhandenen Interesses – das erste mit einem europäischen Heft. Aber soll John selber erklären…

Eigentlich bin ich grad ziemlich im Stress, weil ich in den nächsten Tagen umziehen muss. Ich hab grad nicht einmal eine Wohnung, weil wir bis Ende Mai auf Tour gehen. Ich werde wohl eine Weile keine feste Unterkunft haben. Und bis Samstag muss ich aus dieser Wohnung sein. Jetzt teile ich das ganze Zeugs erst mal auf. Zwei aus der Band bewahren Sachen in ihren Kellern auf, meine Freundin übernimmt was – ich bringe Sachen überall dort unter, wo ich Platz finde.

Wie alt bist Du eigentlich?

Ich bin 24. Ich habe vor anderthalb Jahren mein Studium beendet, und jetzt schreib ich für ein paar Magazine und Zeitungen. Außerdem arbeite ich für so eine Promoagentur, die für ein paar kleinere Bands arbeitet. Kennst Du die Red House Painters? Das ist die größte Band, die wir machen.

Wie ist denn das, wenn Du jetzt die andere Seite siehst, dass ihr jetzt die Aufmerksamkeit als Band bekommt?

Sehr nett. Ich spreche gerne über Musik und liebe Interviews. Wir haben alle feste Ansichten über Musik. Und wir kümmern uns sehr um die Musik. Wir hören uns Musik an, wir spielen sie, wir reden und schreiben drüber – unsere Leben sind sehr von Kunst bestimmt und davon, dass wir Dinge erschaffen. Und ich schätze, was andere erschaffen – ob Musik oder Bücher oder was auch immer. Es ist toll zu sehen, dass andere daran interessiert sind, was wir machen. Also ist es nett, mal auf der anderen Seite zu sein und gefragt zu werden. Aber ich frage auch gerne andere Leute.

Dann lass uns doch mal damit beginnen, über die Musik von anderen zu reden. In den letzten Jahren gab es nicht sonderlich viele richtig gute Dischord-Alben. Es sah so aus, als ob die Szene in Washington DC nicht mehr so kreativ war wie meinetwegen noch vor 10,15 Jahren. Ich weiß nicht, wie Du das siehst als jemand, der in die Szene involviert ist.

Ich verstehe das vollkommen. Ich denke, viele Leute hatten diesen Eindruck und fragten sich, warum Dischord keine neuen Bands herausbrachte und warum die Musik nicht mehr ganz so gut war wie früher. Die Szene in Washington war gut, aber es gab eine gewisse Verunsicherung. Momentan ist die Szene aber wieder sehr aktiv. Es gibt sehr viele Bands, sehr junge, aber auch einige mit älteren Leuten. Wir haben wieder viele Clubs, wo man auftreten kann. Aber Du hast Recht, für eine Weile waren die Platten nicht mehr so gut. Das ist halt ein normales Auf und Ab.

Ihr seid doch eine der wenigen neuen Bands – wenn nicht gar die einzige seit langem – die auf Dischord erschienen ist. Ich meine, Make Up sind eine großartige Band, aber natürlich waren sie keine neue Band, als sie ihre erste Platte veröffentlichten.

Stimmt. Wir haben zwar alle in kleinen, lokalen Bands gespielt, aber in keiner, die wirklich bekannt geworden wären. Q And Not U sind die erste, die etwas bekannter ist.

Wie ist das überhaupt, in einer Hardcore-Band in Washington DC zu spielen, einer Stadt mit solch einer „Tradition“. Fühlt man da einen gewissen Druck?

Druck würde ich nicht sagen. Man fühlt eher einen gewissen Stolz, sowas wie Lokalpatriotismus. Aber letztlich ist das Vergangenheit. Was wir machen, ist Gegenwart. Wir sind natürlich mit Rites Of Spring, Minor Threat oder Fugazi aufgewachsen, aber wir machen unsere Musik. Und wir haben großes Vertrauen darin, was wir machen.

Es sieht so aus, als würdet ihr die Ideen von Bands wie Fugazi in die Jetzt-Zeit übertragen.

Leugnen können wir das sicherlich nicht. Fugazi haben definitiv einen Einfluss auf uns. Als ich vor zehn Jahren mit Punk anfing, waren Fugazi eine der ersten Bands, die ich hörte. Es war total cool, dass sie aus Washington kamen, ich sie live sehen konnte und sie total nett waren. Da gab es nichts Künstliches. Man konnte mit ihnen reden und sie boten uns Hilfe und Ratschläge an. Sie waren für mich eher ein Einfluss in menschlicher Hinsicht. Klar bedeutet uns die Musik viel, aber es gibt eine Menge Bands, die ich als größeren Einfluss bezeichnen würde. Fugazi und vor allem Ian McKaye waren so etwas wie Lehrer, was die Band angeht.

Wie seid ihr dann auf Dischord gelandet?

Wir haben bisher vor allem in DC gespielt. Und wenn man hier eine Punkband macht, dann hat man zwangsläufig mit Ian zu tun. Er kannte die Gruppen, in denen ich bisher gespielt habe, und half uns schon mal finanziell aus, wenn es nötig war. Wir hatten schon einen freundschaftlichen Umgang, auch wenn ich uns jetzt nicht als enge Freunde bezeichnen würde. Jedenfalls waren wir als Q And Not U interessiert daran, dass Ian unsere Platte aufnimmt. Er sah uns ein paar Mal live, ihm gefiel die Musik und er wollte es machen. Während wir aufnahmen, wurden wir Freunde. Also baten wir ihn, die Platte auch zu veröffentlichen. Und nach einer Weile stimmte er zu. Ziemlich einfach. Er wusste, dass wir auf Dischord sein wollten und was das bedeutet.

Bringt das mehr Aufmerksamkeit?

Keine Ahnung, wie das in Europa ist, aber hier in den Staaten hilft es auf jeden Fall. Außerhalb von Washington bringt es einem schon eine gewisse Aufmerksamkeit, ohne dass ich jetzt sagen würde, dass es Mengen an Konzertbesuchern bedeutet. Wir sind darüber natürlich sehr froh. Die Leute kennen halt Dischord und Fugazi. Und wer diese Sachen mag, ist schon mal interessiert an uns. Es ist besser, als auf irgendeinem Label oder irgendeine Band aus DC zu sein. Man hat einen gewissen Vorteil.

Beeinflusst Dischord denn eure eigene Bandpolitik?

Wir haben ähnliche Ideen, wie Konzerte laufen sollen oder was eine Band macht. Aber wir sind eben ohnehin in DC aufgewachsen, und das färbt natürlich immer ab. Also, wir haben schon gemeinsame Ideale: ein niedriger Eintrittspreis, All-Ages-Shows und so weiter. Wir möchten Sachen machen, die für ins Ordnung scheinen. Klar hat das was mit Dischord zu tun, aber ich finde, dass man als menschliches Wesen eben so leben sollte. Wir leben von der Band ja auch nicht. Als man uns bei Dischord sagte, dass wir Tantiemen bekommen, war ich ziemlich überrascht. Mir war noch nie die Idee gekommen, dass wir dafür Geld bekommen sollen, dass wir Musik machen. Ich finde es nicht falsch, aber ich habe da eben vorher nie drüber nachgedacht. Wir kriegen Geld für die Konzerte, aber das geht natürlich alles gleich zurück in die Band. Wir haben noch nie selbst Geld genommen. Klar wäre es nett, von der Musik leben zu können. Aber das ist nicht mal annähernd auf unserem Radarschirm.

Ich bin überzeugt davon, dass Musik wie eure mittlerweile mehr Aufmerksamkeit bekommt. Ich sehe schon eine Verbindung zwischen euch und At The Drive-In, die mittlerweile ja ziemlich groß sind.

Kann ich nachvollziehen, auch wenn sie natürlich um einiges populärer als wir sind. Beide Bands sind sehr jung, wir versuchen, unsere Gruppen bewusster zu organisieren, und wollen nicht einfach nur Geld verdienen.

Aber ich würde auch die Musik als Verbindung ansehen. Die Energie, das Songwriting und so weiter. Ich denke, sie könnten euch einige Türen öffnen.

Ja, möglich wäre das schon. Ich denke auch, dass sie jungen Bands ein gutes Beispiel geben, und ich nehme an, dass es bald viele Gruppen gibt, die At The Drive-In als Vorbild sehen.

An eurer Musik gefällt mir, dass sie einerseits sehr melodisch ist, es aber andererseits keine Melodien, keine Hooklines gibt.

Ja, es ist sehr catchy und melodisch, ohne dass wir den standardisierten Ideen, wie Melodien sein sollen, folgen. Es gibt natürlich Bands, die das vorher gemacht haben, ohne dass ich schon wieder Fugazi nennen möchte. Jawbox haben das getan, At The Drive-In machen es heute und wir auch.

Aber diese Technik wird sehr selten genutzt, obwohl es doch eigentlich ziemlich interessant ist.

Stimmt, ja. Wir schreiben halt die Lieder zusammen. Irgendjemand hat eine Idee, mit der wir herumspielen. Jeder spielt sein eigenes Zeugs, und dann versuchen wir, das zusammenzubringen.

Deswegen klingt die Platte oft auch so, als wären es nicht elf verschiedene Songs, sondern eine große Collage mit verschiedenen Themen.

Ich mag diese Vorstellung. Wir wollten schon eine zusammenhängende Platte und nicht nur eine Menge von Songs. Es ist mehr wie ein Buch mit elf Kapiteln. Sie gehören zusammen, um ein Buch zu geben. Wir sind wohl alle froh, dass Du das so interpretierst, denn das ist genau das, was wir erreichen wollen.

Was ich nicht verstehe, sind die Texte, und ich bezweifle, dass das an meinem Englisch liegt. Das fängt ja schon mit dem Albumtitel oder dem Bandnamen an.

Wir werden deswegen auch ständig gefragt, was der Name der Band oder der Platte und die Texte bedeuten. Ich denke, wir haben viele Leute verwirrt. Das kann ich nachvollziehen, aber wir wollen es lieber den Hörern überlassen, das heraus zu finden. Es gibt so viele Bands, die alles so offensichtlich machen. Eigentlich würdigt das doch den Hörer ab, und es nimmt ein bisschen auch den Spaß und die Geheimnisse, die darin versteckt sind. Ich finde es gut, was machen zu können, was etwas wage oder voller Codizes ist. Vielleicht findet ja jemand heraus, was wir meinen, oder er hat eine eigene Idee. Die Texte haben aber definitiv eine Bedeutung, auch wenn sie schwierig zu sein scheinen. Sie sind kein Unsinn. Chris, der die meisten Lieder singt und schreibt, war schon ein bisschen verunsichert, ob er vielleicht besser einfachere Texte schreiben soll. Aber wir werden sehen. Ich verstehe die Texte, aber ich kenne auch Chris und seine Ideen.

Ich setze mich mittlerweile eh ungerne hin und lese Texte mit. Ich höre einfach zu und bekomme nach und nach mit, worüber eine Band eigentlich singt. Wobei es dann manchmal überraschend ist, wo ich etwas missinterpretiert habe. Aber das Gefühl, das ein Lied vermittelt, passt. „Hooray for Humans“ hat mich zum Beispiel an Ideen von David Lynch erinnert (oder an ein Buch, das ich erst nach dem Interview gelesen habe, „Tokio liebt uns nicht mehr“ von Ray Loriga, der über eine Vergessensdroge schreibt, wegen der der Erzähler zum Schluss jeden Tag alles vergisst, was er zuvor gemacht hat, so dass er jeden Tag alles neu kennen lernen muss). Da steht jemand Morgen für Morgen auf und hat einen anderen Haarschnitt.

Das ist ein nettes Kompliment. Chris schrieb diesen Text, und ich war ziemlich verwundert, worüber er da singt. Aber er liebt es, bestimmte Bilder zu beschreiben, die zusammen eine Idee ergeben.

Wenn man solche Texte erklärt, geht auch ein bisschen die Magie verloren. Das ist wiederum eine Idee von David Lynch, der das über „Lost Highway“ gesagt hat.

Dem kann ich nur zustimmen. Ich habe irgendwann mal Chris über die Bedeutung von Songs gefragt. Ich war total enttäuscht, als ich was anderes gedacht habe, als er meinte.

Wir haben jetzt schon über Filme geredet, und Du hast selbst Literatur erwähnt. Haben solche Dinge einen Einfluss auf die Band?

Auf jeden Fall, sogar einen sehr wichtigen. Harris interessiert sich sehr fürs Filme machen und singt darüber auch. Matt geht es ebenso. Man nimmt all diese Einflüsse – Musik, Bücher, Filme – in sich auf, man lebt es und macht daraus seine eigene Sache. Für mich sind all diese Einflüsse sehr wichtig, um daraus etwas zu erschaffen. Ich kann sowas in der Musik erkennen.

Ich denke auch, dass es bei mir eine durchgehende Linie gibt, was Musik, Bücher oder Filme angeht. Das kann nicht jeder nachvollziehen, aber für mich ergibt es einen Sinn.

Eben. Alles, was wir in unseren Leben machen, ist in der Kunst, die wir erschaffen, wiederzufinden. Und ich bin froh, dass wir genau das machen können.

Seht ihr eure Musik als „Kunst“ an? Man könnte auch sagen, dass sowas nicht nach Punk klingt.

Auf jeden Fall. Natürlich ist Musik eine Kunstform. Und auch wenn das prätentiös klingt, ich denke, unsere Musik ist Kunst. Immerhin haben wir etwas erschaffen. Aber wir sind definitiv Punk. Wenn jemand mich fragt, wie wir unsere Musik bezeichnen, dann antworte ich „Punk“. Es gibt natürlich keine richtige Definition von Punk. Aber ich sehe uns schon in einer Tradition von anderen Punkbands, auch wenn wir vielleicht nicht so klingen wie Bands vor 25 Jahren. Aber ich finde, das ist weit mehr Punk als würden wir eine Platte machen, die genau so klingt, als wäre sie 1977 entstanden.

Wir lassen die Emocore-Diskussion jetzt lieber aus.

Viele Leute bezeichnen unsere Musik so, aber ich bevorzuge das Wort Punk.

Zum Schluss musst Du mir aber noch das Cover erklären. Was bedeutet denn das?

Auf dem Cover sind viele Freunde von uns. Man sieht all die Leute auf einer Party, man sieht auch unser Equipment und wenn man genauer hinschaut auch unsere Kleidung. Aber wir sind verschwunden, so dass die Leute auf der Party gelangweilt sind, weil sie darauf warten, dass jemand spielt. Auf der Rückseite sind wir da und die Klamotten von all den Partygästen, die selbst aber verschwunden sind. Im Booklet sieht man dann tatsächlich die Party. Das hat keine besondere Bedeutung, aber wir mochten einfach die Idee.

Seid ihr denn eine Partyband?

Warum nicht? Man kann zu unserer Musik tanzen, und das tut man doch auf Partys.

Dietmar Stork

Links (2017)
Q And Not U Discography auf Discogs
Q And Not U Bandseite bei Dischord
Q And Not U auf Wikipedia

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