Dezember 31st, 2022

Dollars for Deadbeat (#209, 2021)

Posted in artikel, interview by Jan

Es gibt dieses Sprichwort, sei vorsichtig, was du dir wünscht, es könnte in Erfüllung gehen. Be careful what you wish for, klingt auf Englisch gleich viel besser. Jedenfalls lautet die erste Zeile auf dem Album „Was it a good night?“ (nur echt mit Fragezeichen) von DOLLARS FOR DEADBEATS: „Some days I’m just so sick and tired of these punk rock shows and these damn long nights.” Da liegt die Vermutung nahe, dass solche Gefühle eher vor der Corona Pandemie aufgeschrieben wurden.


Durchzechte Nächte in dunklen Bars und Clubs dürften die meisten von uns lange nicht mehr erlebt haben. Das gilt auch für Kirsty Call, Sängerin und verantwortlich für die Texte bei DOLLARS FOR DEADBEATS und somit wohl auch so was wie das Aushängeschild der Band. Diese spezielle Zeile und der Song als solches beziehen sich allerdings nicht auf eine laute Punkrockshow, wie Kirsty erzählt, sondern viel mehr auf intimere Akustikkonzerte, die die Sängerin zusammen mit ihrem Ehemann unter den Namen Kirsty & Cory Call bestreiten: „Diese Nummer wurde speziell nach eben solch einer Akustik-Tour geschrieben, als wir zahlreiche Nächte nacheinander erfahren haben, wie das Publikum laut über unser Set gesprochen hat und das Fußballspiel im Fernsehen wesentlich interessanter war als wir“, berichtet Kirsty und fügt hinzu, „es braucht doch einiges an Selbstbewusstsein, um 40 Minuten lang auf einer Bühne zu stehen und zu wissen, dass einen hier eigentlich keiner sehen möchte.

Und da kommen natürlich enorme Selbstzweifel auf und man fragt sich ultimativ, warum man sich das selbst eigentlich antut.“ Selbstzweifel und sich in dieser Welt nicht verstanden und angenommen zu fühlen, spielen in den Texten auf diesem Album eine wichtige Rolle. Ungefähr die Hälfte der Lieder beschäftigen sich direkt oder indirekt mit Depressionen und deren oftmals schmerzhaften Folgen für die eigene Person und den Freunden und der Familie. Am heftigsten wird diese Thematik in dem Stück Bathroom Tiles auf den Punkt gebracht, in dem der Albumtitel prominent im Refrain Erwähnung findet.

Allerdings in einer erweiterten Form. Implizierte der Albumtitel, unterstützt vom Cover der LP, zeigt es einen Raum nach einer Partynacht mit leeren Flaschen und den berühmten roten Bechern aus amerikanischen Collegefilmen auf dem Boden liegend, losgelöst vom Song etwas Positives, nach dem Motto, hat es sich gelohnt, etwas zu machen, ein Risiko einzugehen oder eine Entscheidung getroffen zu haben, ist die Antwort darauf – sollte die Antwort darauf wenigstens – ein ganz klares und lautes JA sein. In dem Song Bathroom Tiles ist nach dem Fragzeichen hinter dem Wort „night“, wie beim Albumtitel, die Frage aber nicht zu Ende. Denn dort heißt es nun weiter: „Was it a good night to die?” Gerade im Punkrock ist das Gefühl von Isolation oder Alleinsein, auch unter Menschen, eine wiederkehrende Thematik.

Auf dem letzten KALI MASI Album handelte ein Lied vom Selbstmord eines Freundes der Band (vgl. TRUST #207), so wie jetzt in Bathroom Tiles auch, wie Kirsty erzählt: „Der Song handelt von dem Suizid eines Freundes aus Denver, Johnny Bender von den Bands Joy Subtraction und The Gamits“, sagt sie und lässt dann folgenden Gedanken freien Lauf, die in einem Plädoyer enden, „ich muss gestehen, dass ich nur eine Handvoll mal das Glück hatte, mit Johnny abzuhängen, ehe er sich das Leben nahm. Aber das hat bei ihm schon ausgereicht, um einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Und sein Tod war dann so plötzlich und so tragisch, dass es unmöglich war, ihm nicht ein Lied zu widmen. Allerdings ist dieses Thema immer so unfassbar schwierig, in einem Song zu verarbeiten, weil das Allerletzte was ich damit bewirken will ist, Suizid zu glorifizieren.

Mit der Trauer kommen gleichermaßen auch Wut und der Wunsch, man könnte etwas rückgängig machen und vielleicht mehr auf die Signale hören, die offensichtlich übersehen wurden. Und gleichermaßen hoffe ich, dass vielleicht jemand der ähnliche Gedanken hat, erkennt wie viel Schmerz Johnny angerichtet hat, und dass es nie zu spät ist und sich niemand schämen muss, nach Hilfe zu fragen.“

Wenn allerdings Punkrock eine Flucht vor der Gesellschaft oder gar einem Leben ist, das nicht geführt werden will, dann schlägt die Gesellschaft wohl immer wieder zurück oder besser gesagt, holt jeden von uns wohl immer wieder ein. Es ist nur zu erahnen, was in den dunkelsten Stunden in einem Menschen vor sich geht. Nur eins weiß ich sicher, vielleicht, weil ich Bremer bin, und ich denke, Kirsty wird diese Meinung als Münchnerin ebenfalls teilen, frei nach den Bremer Stadtmusikanten, etwas Besseres als den Tod kann immer gefunden werden. Es ist der Zustand, nie das Leben, der beendet werden muss. (Wer dafür Unterstützung braucht, kann jeder Zeit und anonym unter der Telefonnummer 0800 1110111 Hilfe erhalten!) Was schon nach wenigen Augenblicken beim Schreiben (und hoffentlich auch beim Lesen) dieses Textes auffällt, ist Kirsty’s direkte Art, nicht nur in den von ihr verfassten Texten auf dem Album, sondern auch in den Antworten zu meinen Fragen kommt das deutlich zum Vorschein. Neben dieser Direktheit steht gleichberechtigt eine Offenheit auch auf die Gefahr, sich verletzlich zu zeigen.

In letzter Konsequenz ist diese Ehrlichkeit alles, was Punkrock ausmacht und gleichzeitig kann auch diese Szene, mit allem wofür sie steht, aber auch Anforderungen, wie etwas zu sein hat, bei einzelnen Menschen für ein großes Unwohlsein sorgen. Anders lassen sich Ereignisse, wie sie unter anderem im Song Bathroom Tiles beschrieben werden, nicht erklären. „Das frage ich mich seit Jahren!“, stimmt Kirsty meinen Gedanken zu, „macht Punkrock depressiv oder ist Punkrock einfach ein sicherer Hafen für alle, die sich sonst von der Gesellschaft ausgestoßen fühlen? Ich denke eine sanfte Mischung aus beiden, aber definitiv mehr vom Zweiten! Meine Theorie ist einfach.

Dass uns allen immer noch von klein auf eingetrichtert wird, dass wir bestimmte Ziele zu einem bestimmten Zeitpunkt erreichen müssen und beruflicher Erfolg oberste Priorität für ein ‚erfolgreiches‘ Leben bedeutet. Und ein Großteil der Bevölkerung stimmt dem zu und dann gibt es eben uns, die solch ein Leben nicht leben wollen und sich dadurch missverstanden oder fehl am Platz fühlen. Was immer es auch ist, dass uns alle zu einer großen Familie macht, ich bin dankbar, dass ich dazu gehören darf.“
Zum Glück besteht aber weder das Leben noch „Was it a good night?“ nur aus Finsternis.

Lebensbejahende und melancholische Songs wechseln sich auf dem Album gleichberechtigt ab. Anders als das Eröffnungsstück vermuten lässt, wird im folgendem unter anderem das Tourleben (Fünf Freunde unterwegs) glorifiziert und ganz allgemein festgestellt, dass das Leben manchmal ganz gut sein kann. Als Texterin unterstelle ich Kirsty, dass sie sich selber zwischen den zwei Polen aus himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt bewegt und sie stimmt dem zu: „Absolut! Ich sollte aber wohl an dieser Stelle hervorheben, dass diese Songs aufgrund von Besetzungswechsel und so weiter in einem Abstand von ca. fünf Jahren geschrieben wurden. Also genügend Zeit, um absolute Hochs und Tiefs zu erleben. Ich selbst würde mich eigentlich schon eher als extrovertiert und glücklich beschreiben, aber das bedeutet nicht, dass man nicht trotzdem abgrundtief traurig sein kann. Den Song ‚I should’ve just gone home‘ habe ich zum Beispiel um meinen 30en Geburtstag rum geschrieben.

Das war einfach eine Zeit, zu der ich mich völlig nutzlos gefühlt habe, so als hätte ich meine Zeit vergeudet und nichts geleistet oder erreicht, was ich bis dahin erreichen wollte.“ Wer hat das schon, möchte ich hier einwerfen, aber Kirsty ist noch nicht fertig und fährt fort: „Den Song mag ich weitaus am wenigsten auf dem ganzen Album und hätte ihn am liebsten nie veröffentlicht, weil er mich einfach an eine Zeit und einer Version von mir erinnert, an die ich nicht gerne zurückdenke. Trotzdem habe ich darauf bestanden, dass er aufs Album kommt, weil ich auch weiß, dass es so vielen Leuten da draußen eben ganz genau so geht und wenn auch nur eine Person den Song hört und sich dadurch weniger allein fühlt, dann hat es sich schon gelohnt.“

Zumindest scheint Kirsty sich aktuell gefunden zu haben, denn in dem Liebeslied CBD bietet sie ihrem Mann die eigene Schulter zum Anlehnen, Ausruhen und Bestärken an, ist also die Starke in der Beziehung (oder eine von zwei starken Personen?) „Der Song basiert auf einem großen Geben und Nehmen“, wird meine zweite Annahme bestätigt. „Das Lied handelt davon, wie Cory und ich uns kennengelernt haben. Er ist genau zum ‚I should’ve just gone home‘ Zeitpunkt in mein Leben getreten. Zu der Zeit, in der ich bereit war, alles hinzuschmeißen und aufzugeben. Er war an einem ähnlichen Punkt. Und ich hoffe, dass der Song vermittelt, dass es auch in der dunkelsten Zeit immer Hoffnung gibt. Das muss auch gar nicht, wie in unserem Fall ein neuer Partner sein, dass kann alles Mögliche, von neuem Job, Wohnung, Hund, Band, Freundschaft sein, was einen aus einem Tief rausholt und dem Leben neuen Sinn verleiht. Und in meiner Erfahrung passiert es genau dann, wenn du es am wenigsten erwartest, also durchhalten!“

Das wäre eigentlich schon ein schönes Schlusswort, wenn da nicht die jeweils am Ende einer LP Seite prominent positioniert Songs wären, die unter der Überschrift „politisch“ fallen können. Da wäre zu einem ein Lied über den weiter andauernden Krieg in Syrien und der Abschlusssong „White Rose“, der wohl für eine Band aus München für sich steht. „Ja klar, also ‚Dancing in Syria‘ ist vom Titel her eine kleine Anlehnung an ‚Holiday in Cambodia‘ von den Dead Kennedys. Inhaltlich handelt das Stück natürlich vom Krieg in Syrien aus der Perspektive einer Person geschrieben, die alles verloren hat. Es ist, denke ich, für uns so einfach den Fernseher abzuschalten und wegzusehen oder vielleicht auch einfach mit dem Schwall an Informationen so überfordert zu sein, dass vergessen wird, dass das alles Einzelschicksale sind. Jeder Kriegstote erzählt eine Geschichte, hatte ein Leben, eine Familie, die trauern.

Und ich finde das sind Sachen, die man sich immer wieder vor Augen halten muss und das wegsehen keine Option ist. Und ‚White Roses‘ sollte ursprünglich eigentlich gar kein politischer Song werden, das hat sich dann irgendwie eingeschlichen und es hat super zum Feeling gepasst. Wenn man in München groß wird, ist die Weiße Rose natürlich allgegenwärtig, da fand ich’s auch sehr passend, ihnen ein Lied zu widmen und daran zu erinnern, dass wir auch heute noch gegen jegliche Form des Faschismus ankämpfen müssen!“ Auch das ist ein gutes Schlusswort, finde ich.

Text & Interview: Claas Reiners

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