Dezember 31st, 2024

Dividing Lines (#223, 2023)

Posted in interview by Jan

Dividing Lines aus Leipzig feiern dieses Jahr nicht nur ihr 10-jähriges Jubiläum, sondern veröffentlichen auch noch ihre erste LP seit 5 Jahren. Dass sich die vergleichsweise lange Zeit aber scheinbar gelohnt hat, lassen bereits die ersten veröffentlichten Songs von „Waiting for Life“ vermuten. Und dass sie was von ihrem Handwerk verstehen, lässt sich nicht nur gut heraushören, sondern wird auch deutlich wenn sie über ihre Musik sprechen. Wir unterhielten uns aber nicht nur über das neue Album, sondern auch über Nomophobie (Hände hoch wer den Begriff so kannte), Medien und Bands im Allgemeineren, Touren und mehr.

Hi Dividing Lines, danke dass ihr euch die Zeit nehmt!
DL: Huhu! Wir danken dir für die Intervieweinladung!

Lasst uns mit eurem neuen Album „Waiting for life“ starten, das ihr – zum Zeitpunkt des Interviews – in Kürze veröffentlicht. Mal ganz oberflächlich verspricht das ja doch recht düster zu werden. Das ist jetzt nichts wahnsinnig Überraschendes bei euch, aber Titel wie „die alone“, „gravedigger“, „apathy“, auch das Artwork lassen da ja schon eine gewisse Richtung erahnen. Erstmal: Stimmt dieser Eindruck überhaupt? Und wenn ja, habt ihr euch das explizit so vorgenommen oder entstand das einfach im Prozess?
Dein Eindruck täuscht dich nicht, wir waren, sind und werden wahrscheinlich immer etwas düster sein. Manchmal mit Absicht und oft ganz von selbst. Wir stehen alle auf düstere Musik. Das musikalische Schaffen ist ja immer ein Prozess und für uns war es in dieser Konstellation natürlich sehr spannend, da wir das erste Mal zusammen ein Album geschrieben haben und keiner wusste wohin es in gewissen Details gehen würde. Klar steht der grobe Weg fest, aber die kleinen Nuancen haben diesen auf jeden Fall noch weitläufiger gewürzt. Explizite Gründe gibt es natürlich! Man kann sagen, dass unser Symbiose genau ein Grund für dieses Album ist, wo natürlich auch Vergangenes und Verarbeitungsmechanismen Teil des Ganzen sind und dazu beigetragen haben.

Was können wir thematisch vom Album erwarten? Angesichts mehrerer sich überlappender Krisen momentan und in letzter Zeit gibt es ja genügend Düsteres. Lässt sich dafür vielleicht auch in gewisser Weise Kraft schöpfen, wenn man das musikalisch verarbeitet?
Die meisten Inhalte unserer Texte beruhen eher auf persönlichen Erfahrungen. Während der Covid – Pandemie entstand der Song „Gravedigger“, welcher sich mit unserer irdischen Vergänglichkeit auseinandersetzt. Da unsere Texte größtenteils persönliche Dinge die wir erlebt haben aufgreift lässt sich hier natürlich Kraft daraus ziehen. Erfahrungen aufzuschreiben und rauszuschreien kann sehr befreiend sein.

Ihr habt auch einen schon vorab veröffentlichten Song auf dem Album namens Nomophobia, „No-Mobile-Phone-Phobia“. Ich kannte den Ausdruck bis dato ehrlich gesagt gar nicht. Seid ihr davon selber betroffen? Und gehört ihr zu den 80% aller Europäer*innen, die ihr Handy immer in direkter Reichweite haben?
Es ist einfach erschreckend, wie sehr das Handy zu unserem Leben gehört. Wenn du dich mal umsiehst, hat fast jede/r zweite ihr/sein Telefon in der Hand. In der Straßenbahn, auf der Straße, auf der Arbeit und sogar auf den Konzerten. Wir sind natürlich genauso davon betroffen… schön ist das allerdings nicht. Versucht doch mal euer Handy zwei Tage am Stück zu Hause zu lassen und schon stellt sich ein komisches Gefühl ein. Die Köpfe sind nach unten geneigt, ins Handydisplay vertieft. Zwischenmenschlich eine Katastrophe. Durch Rückzug in soziale Medien wird eine Parallelwelt geschaffen, die nach künstlicher Anerkennung strebt und im wahren Leben Scheue und Isolation schafft. Davon handelt der Song. Wenn du nervös wirst, weil du dein Telefon vergessen hast, oder es gar zur Sucht wird, dann ist das alles andere als gut. Wir sind froh, in der spannendsten Zeit ohne Handy aufgewachsen zu sein.

Dividing Lines wird dieses Jahr immerhin stolze 10 Jahre alt, ihr hattet ja bisher in der Band auch ein paar Line-Up Wechsel. Hat sich das auch musikalisch ausgewirkt, z.B. in Form von neuen Einflüssen? Habt ihr im Studio irgendwelche Abläufe verändert?
Vielen Dank für die interessante Frage! Natürlich bringen personelle Veränderungen auch musikalische Veränderungen mit sich. Chris kam 2019 in die Band und nutzt ein Samplepad, wo Sounds und Synthesizer live auf Klick tight abgefeuert werden. Benni kam ein Jahr später hinzu und hat einen deathrockartigen und düsteren Gitarrenstil, der durch den dynamischen Einbau von Effekten und Variationen melodiös und wuchtig in seinen Akzenten glänzt.

Wir haben uns im Studio schon immer Zeit gelassen, um eine fette und zufriedenstellende Produktion hinzubekommen. Bei der jetzigen Produktion wurde auf jeden Fall der Klang der Gitarren und der Einbau von Synthesizern genauer betrachtet und in dem Fall auch der Einbau von diesen Elementen genau abgewägt. Die Eigenkreation von Synthesizern und Flächen wurde komplett auf die Band verteilt und erhält dadurch einen jeweils individuellen Touch.

Euch scheinen Musikvideos ja durchaus wichtig zu sein, was man sowohl an Qualität, aber auch an der Quantität merkt, was ich persönlich total gut finde und mir auch gern anschaue. Es scheint ja insgesamt – zumindest in meiner Wahrnehmung, was sicherlich noch genauer zu überprüfen wäre – die Entwicklung zu geben, dass Musikvideos deutlich an Bedeutung verlieren, bzw. zumindest die „klassischen“ Konzepte – ca. 3-minütige Songs bekommen ein Video – eher allmählich weniger werden. Hin zu dem Trend: Entweder hast du kurze Tik Tok Reels auf der einen Seite, oder Bands produzieren regelrechte Kurzfilme. Seht ihr auch eine ähnliche Entwicklung? Und macht ihr euch generell Gedanken darüber, wie ihr das weiterhin handhaben wollt und was das für kreative Auswirkungen auf euch als Band haben könnte?
Unsere qualitativ hochwertigen Videos liegen ja jetzt auch schon ein paar Jahre zurück. Damals hatten wir das Glück, dass ein sehr guter Freund von Marie Film studiert hat und somit viel üben wollte. Das Video zu „house of sugar“ war sogar die Abschlussarbeit von den Film- und TonstudentInnen der SAE in Leipzig. Eine win-win-Situation für alle. Wir dachten es wäre anlässlich des neuen Albums mal wieder Zeit 1 bis 2 neue Videos zu produzieren.

Wir haben mit unserem Videomenschen Raffi auch jemanden gefunden, der mit einer unfassbaren Ruhe auf unsere Wünsche eingeht, selbst mit großartigen Ideen um die Ecke kommt und alles perfekt ins Bild packt. Er hat das aktuelle Video zu „apathy“ produziert und es wird auch noch ein weiteres Video zu einem anderen Song der aktuellen Platte folgen. Freut uns, dass es dir gefällt!

Auf den Tik Tok- Zug werden wir höchstwahrscheinlich niemals aufspringen, aber wir haben schon manchmal Spaß daran, auf Tour ein paar lustige Eindrücke unseres Tourlebens in einer „story“ zu posten.

Ohne euch zu sehr auf Genres wie Post-Punk o.ä. festnageln zu wollen: Es gibt ja in der breiteren Popkultur vom Mainstream bis in die Indie-Gefilden in den letzten Jahren ein großes 80’s Revival (wenn auch die 00er Jahre gleichzeitig wieder stark vertreten sind). Das mag einerseits an erfolgreichen Serien wie Stranger Things liegen, andererseits sich auch in musikalischen Entwicklungen wie der Neuen Neuen Deutschen Welle ausdrücken. Passiert euch das häufiger, dass ihr auch in diesen großen Topf mit reingeschmissen werdet, nur weil ihr Synthies nutzt? Und wie genervt seid/wärt ihr davon? Oder ist das wirklich auch kulturell das, was euch geprägt hat und es noch immer tut?
Wir haben bisher nicht die Erfahrung gemacht, dass wir in einen Topf geschmissen werden, da unsere Musik vielschichtig und individuell interpretiert wird. Scheinbar finden sich die meisten Hörerinnen in unseren Klängen wieder.

Wenn man sich die Liste eurer gespielten Auftritte ansieht fällt auf, dass ihr in eurer bisherigen Bandlaufbahn „klassische“ Open Air Festivals eher zu meiden scheint (sofern die Liste vollständig ist?). Ist das eine bewusste Entscheidung eurerseits? Und wenn ja, warum?
Das ist eine interessante Frage. Vielen Dank dafür! Wir spielen generell alle Festivals und Veranstaltungen, die für uns politisch cool sind. Wir legen sehr viel Wert auf ein harmonisches, tolerantes und offenes Miteinander. Klar haben wir hin und wieder auch schon negative Erfahrungen machen müssen, genau wie auch VeranstalterInnen, aber da hat uns oft ein Statement vor Ort und der gegenseitige Austausch mit den VeranstalterInnen geholfen, so dass es für alle Seiten im Endeffekt konstruktiv war. Ein Veranstaltungsort soll ja nicht nur ein Platz für Party und Spaß, sondern auch ein Safe-Space sein, wo sich jede Person sicher fühlen kann und soll. Außerdem sind wir nicht der Typ Band, welche sich gern anbietet. Der einfachste Grund, warum wir also noch nicht auf so „vielen“ Festivals gespielt haben, ist, weil wir sehnlichst auf „klassische“ Einladungen warten. (Zwinker-Smiley)

Weiterhin fällt dabei auf, dass es euch beim Touren, wenn ihr mal nicht im deutschsprachigen Raum spielt, eher nach Osteuropa zieht (von Finnland mal abgesehen). Wie kam es dazu? Gab es da Kontakte hin, gibt es in der Szene dort vielleicht für Bands wie euch, die musikalisch in diese Richtung gehen, eine besondere Affinität?
Ganz so stimmt das nicht. Gefühlt hab wir auch z.B. schon zwanzig mal in der Schweiz gespielt :). Erich hat durch seine zig anderen Kapellen im Laufe der Jahre ordentlich Kontakte zu coolen Leuten sammeln können. Das macht das Touren einfacher wenn Mensch private Kontakte hat und nicht über die jeweiligen Clubs die Mails verfassen muss. Wir sind auf alle Fälle gern auf längeren Touren, man bekommt da einfach die Möglichkeit weiter weg zu gelangen andere Länder und Szenen kennen zu lernen.

Ihr wart in den letzten Jahren zudem oft mit [di:unru:] unterwegs, u.a. in Finnland, habt auch ein Split Tape aufgenommen, seid bald wieder zusammen auf Tour. Was verbindet euch mit der Band, und wie ist diese Verbindung zustande gekommen?
Wir haben [di:unru:] irgendwann mal Live gesehen und waren hin und weg von ihrem Sound, haben sie dann etwas später gefragt ob sie denn Lust hätten mit uns ein paar gemeinsame Konzerte zu spielen und so kam das dann. Mittlerweile sind wir richtig gute Freunde fast schon Familie geworden und fahren im September auf unsere vierte gemeinsame Tour. Die drei Finnen sind die entspanntesten Menschen die wir je kennen lernen durften und es ist jedes mal ein Fest mit ihnen unterwegs zu sein. Beste Grüße an dieser Stelle. Ach und hör dir mal ihre Scheibe „ Misophonia“ an… richtig gut!

Interview: Nils Donhauser

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