Disgusting News aus #201, 2020
Gute Nachrichten aus Bielefeld
Interview mit Disgusting News
Während ich diese Zeilen schreibe, bin ich aufgeregt. So aufgeregt wie man es ist, wenn man in seinen Teenagerjahren auf dem Dorf endlich die Chance hatte, eine coole Band live zu sehen. Wo man wochenlang daraufhin fieberte dort abzuhängen, wo die coolen älteren Kids rauchend und trinkend rumhingen. Wo man sie heimlich beobachten konnte, wie sie so rumschlurften in ihren Ringelpullis und Flanellhemden mit ihren zotteligen Frisuren. Wo man dann versuchte das Schlurfen zu imitieren, dabei möglichst lässig an der Zigarette zu nuckeln und sich anschließend daheim weigerte, weiterhin eine Haarbürste zu benutzen. Man hatte so eine Vorstellung davon dazu zu gehören, zu den coolen Kids. In der Zukunft. Man war aufgeregt als würde eine gute Zeit kommen.
Damals auf dem Dorf in den späten 90er Jahren, da wollte ich so wie die älteren Typen sein. Wenn eine Band spielte, dann standen immer nur Typen auf der Bühne. Die Veranstalter, die DJs. Die Verkäufer im Plattenladen. Überall nur Typen. Ich wollte eine Band, ich wollte auflegen, Shows machen, Schallplatten kaufen. Ich wollte all das. Also musste ich so sein wie die Typen.
Heute bin ich um zahlreiche Erfahrungen reicher und will nicht mehr so sein wie irgendwelche Typen. Ich will immer noch alles ausprobieren. Und selbst mehr als 20 Jahre später stehen bei den meisten Shows fast ausschließlich Typen auf der Bühne. Das ist normal. Wenn man als Frau auf der Bühne steht, dann ist es etwas Besonderes. Es ist so besonders, dass man Begriffe dafür braucht wie „Female Fronted“. Wenn ich jetzt darüber schreibe, dann mache ich das auch zu etwas besonderem. Eigentlich sollte es so normal sein, dass wir nicht mehr darüber schreiben.
Aber erst einmal müssen wir noch viel mehr darüber schreiben, Frauen eine Bühne geben, ein Mikro geben, sie erzählen lassen, Ihnen zuhören. Seit einiger Zeit habe ich das Gefühl, dass sich innerhalb der deutschen Hardcore- und Punklandschaft etwas bewegt. Bands wie Svffer, Weak Ties, Swoon, Rauchen, Deutsche Laichen und Disgusting News, einige davon aus Bielefeld, lassen mich auf eine gute Zeit in der Zukunft hoffen, in der es normal ist als Frau Teil einer Punkband zu sein, ohne dass wir darüber schreiben müssen. Ohne, dass wir dafür Begriffe brauchen. Und das finde ich total aufregend.
Disgusting News, das sind Vanessa (Gesang), Manuel (Bass), Patrick (Schlagzeug/Gesang) und Jan (Gitarre/Gesang). Sie kommen aus Bielefeld. Disgusting News machen schrammeligen, getriebenen Punk, der in manchen Momenten an Ceremony erinnert, in anderen wiederum an Düsenjäger. Ihre Texte sind deutsch und englisch und vor allem eins: Voller Wut. Der Gesang von Sängerin Vanessa ist entsprechend angepisst und rotzig und eins ist mir beim Hören klar: Das macht live sicher unfassbaren Spaß.
Ich freue mich, dass ich Euch für ein Interview gewinnen konnte. Was waren die letzten `disgusting news`, die Euch erreicht haben?
Patrick: Hallo Claude, die Freude ist ganz auf unserer Seite. Es gibt im Moment leider so viele schlechte Nachrichten und Berichte über das Klima, die AFD, Massentierhaltung, Krieg, et cetera, dass es mir schwer fällt zu sagen, was ich am widerlichsten finde.
Manuel: Dass es den Faschos erlaubt wurde ausgerechnet heute (9.11) durch Bielefeld zu laufen und sie freies Geleit von den Bullen bekommen haben.
Vanessa: Ich schließe mich an. Der antisemitische Anschlag in Halle und dem späteren Umgang damit war so furchtbar, dass das auch noch genannt werden muss. Ziemlich viele ekelhafte Nachrichten zur Zeit.
Ja true! Und was war der Grund Euch Disgusting News zu nennen?
Vanessa: Die Idee zum Namen kommt aus dem Song The Pathos von Ceremony. Mit der Änderung von Disgusting Use zu Disgusting News.
Ah interessant! Wie habt ihr Euch eigentlich zusammen gefunden und wie ist die Idee der Band entstanden?
Manuel: Vanessa und ich haben uns vor drei Jahren auf einem Düsenjaeger-Konzert kennen gelernt. Einige Zeit später hatten wir die Idee eine Band zu gründen und haben uns auf die Suche nach Leuten und einem Raum gemacht. Hat etwas gedauert, aber Disgusting News gibt es im Januar dann auch schon zwei Jahre.
Vanessa: Gestartet hat es dann noch mit Jan am Schlagzeug und Linda, einer Freundin von uns, an der Gitarre. Weil Linda aus zeitlichen Gründen die Band aufgeben musste, mussten wir nochmal umstrukturieren und so kam Patrick dazu.
Patrick: Vanessa hat mich gefragt, ob ich Bock hätte mitzumachen. Da ich schon lange arbeitslos und absolut nicht ausgelastet war, hab ich zugesagt.
Apropos nicht ausgelastet. Was geht eigentlich so in Bielefeld?
Vanessa: In Bielefeld gibt es das allerschönste AZ in ganz Deutschland. Das sage ich, weil ich ganz bestimmt schon drei gesehen habe! Da kann man öfter Konzerte anschauen. Das Potemkin ist die allerschönste Kneipe, in der man sich oft Konzerte anschauen kann. Und wir haben den allergrößten Pudding.
Jan: Die DIY-Szene ist natürlich schon überschaubar. Man kennt sich. Die Anzahl an Menschen, die den Wunsch haben Musik zu machen, egal welcher Art, scheint dagegen recht hoch. Das Angebot an kleinen und großen Konzerten, Open Airs oder in WGs ist vor allem im Sommer ziemlich gut.
Patrick: Ich hab das Gefühl, dass dieses Jahr weniger geht als sonst. Vor allem im D.I.Y.-Bereich.
Und wie ist die Musikszene dort? Ich habe übrigens Abstand von klassischen Bielefeld-Witzen genommen, weil ich war schon mal dort und kann es bestätigen: Bielefeld gibt es tatsächlich und das AZ ist wirklich schön.
Jan: Gefühlt gründen sich im AJZ mittlerweile wöchentlich neue Bands. Dort eher Punk und Hardcore. Im Frühjahr hatten wir ein großes Local Band-Festival hier mit 37 Bands aus Bielefeld und das waren bei weitem nicht alle aus dem Genre.
Manuel: Weak Ties, Ruins, Gloomsleeper, Sickmark, Primetime Failure, Mayak, Organa… usw usw.
Ich habe von außen betrachtet den Eindruck, dass rund um das AJZ in Bielefeld viele Frauen, mehr als in vergleichbaren Städten, in der Szene aktiv sind. Wie seht ihr das?
Vanessa: Uh, schwierig zu sagen. Ich kenne noch zu wenig Bands um eine Einschätzung zu geben. Wäre mir auch egal. Wichtig ist nur, dass Frauen* Bands gründen, wenn die Bock haben.
Patrick: Bei den Auftritten in den vergangenen eineinhalb Jahren ist mir nicht aufgefallen, dass es in anderen Städten weniger in der Szene aktive Frauen gibt. Eher noch mehr.
Und was hört ihr für Musik? Was rotiert bei Euch aktuell auf dem Plattenteller?
Vanessa: Zur Zeit wieder die alten Sachen von Messer. Dieses Jahr hab ich Idles, Blueprint und Amyl and the Sniffers für mich entdeckt. Von Nick Cave & the Bad Seeds höre ich wieder das Album Push the Sky Away in Dauerschleife. Durch das Rumfahren mit der Band hab ich aber auch super geile Bands live gesehen. Z.B Tot, Pogendroblem, Fatigue und Dismal Fucker. Weak Ties laufen aber auch in Dauerschleife. Düsenjäger sind für immer in meiner Heavy Rotation. Ich könnte noch viel mehr aufzählen und werde wahrscheinlich direkt bereuen irgendeine supergeile Band nicht genannt zu haben.
Jan: Puh, da kann ich mich grad gar nicht so festlegen. Twin Pigs haben mich zuletzt total umgehauen, vor allem wegen der Live Performance.
Manuel: Nest von Brutus läuft bei mir derzeit hoch und runter, ansonsten waren Twin Pigs, die neue von Clowns und Archivist wohl meine Top drei dieses Jahr.
Patrick: Ist bei mir grad sehr momentabhängig. Unterwegs höre ich grad viel Turnstile, Kids Insane und so Kram. Zuhause oft auch Dave Matthews oder The Police. Neulich hab ich mega Bock auf Sugarbabes gehabt und hab die Scheibe drei Mal durchgehört.
Habt ihr Lust mal etwas mehr über eure Songs zu erzählen? Panic Attack z.B. Geht es da um persönliche Erfahrungen oder Beobachtungen eures Umfelds? Und wie entstehen eure Texte?
Jan: Diese Frage kann tatsächlich nur Vanessa beantworten. Wir haben unsere Kompetenzen klar verteilt.
Vanessa: Mir fällt es am leichtesten über Dinge zu schreiben, die mich wütend machen. Wut geht immer leicht von den Lippen. Wahrscheinlich weil man sich dann mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten nicht beschäftigen muss. Das dient natürlich auch als Ventil um endlich mal Luft abzulassen. Einige der Texte wie Panic Attack und Weights beruhen auf meinen eigenen Erfahrungen. Natürlich aber sehr allgemein gehalten, damit sich vielleicht auch jeder ein Teil damit auseinandersetzen oder darin wiedererkennen kann.
Die Texte entstehen dann oft aus einzelnen Wortfetzen, die mir durch den Kopf gehen. Manchmal dauert es ein paar Wochen bis einer fertig ist, manche sind in 5 Minuten fertig. Manchmal schicke ich Patrick oder Manuel per WhatsApp grobe Ideen und so entsteht dann auch was. Ein neuer Song, den man bis jetzt nur live hören kann, entstand zum Beispiel im Austausch mit Patrick. „Rundes Grab“ heißt der. Wasted entstand auf dem Balkon bei Manuel, während wir in der Sonne ein Bier getrunken haben. Zur Zeit schreib ich aber eher alleine.
Wie ist es für Euch live zu spielen?
Patrick: Grundsätzlich macht es natürlich mega viel Spaß live zu spielen. Natürlich gibt es Auftritte, die nicht so gelingen wie man es sich gewünscht hätte. Aber wir funktionieren immer besser zusammen auf der Bühne und am Ende hat es immer Bock gemacht. Es passiert auch mal, dass die Zusammenstellung der Bands so unpassend ist, dass z.B. nur Metal-Fans vor der Bühne stehen und nur wenige sich die Show bis zum Ende angucken, was auch total okay ist. Aber dazu gehört ja auch immer die Vorfreude, die Anreise und ein meistens sehr schöner Abend.
Manuel: Für mich ist live spielen der Grund, warum man das ganze eigentlich macht. Es gibt einfach nichts besseres als die 25 Minuten, in denen man seinen Kram dem Publikum vorspielt. Bisher hatten wir eigentlich auch immer das Glück, dass es den Leuten gefallen hat.
Vanessa: Es macht unglaublich viel Spaß. Für mich kommt zum Spielen noch dazu, dass wir vor Ort immer liebe Menschen treffen. Die Konzertgruppen und Menschen, die sich das Konzert angucken, machen viel davon aus. Es ist verrückt, wie schnell man dadurch neue Freunde kennen lernt. Man sieht sich ständig irgendwo wieder. Auch schön ist es, wenn alle Bands nach dem Konzert aufeinander zugehen und zueinander sagen wie geil es war.
Was ist von Euch als nächstes zu erwarten?
Patrick: Wir werden natürlich weiterhin Shows spielen. Und wir werden neue Songs aufnehmen und überlegen noch, wie wir die dann rausbringen. Hängt auch davon ab, wie viele es werden.
Abschließend noch die Frage. Was hat es mit dem allergrößten Pudding auf sich?
Patrick: Der Pudding ist ein kläglicher Versuch der Firma Dr. Oetker, endlich etwas zu haben, wofür man von außerhalb nach Bielefeld kommen könnte.
Vanessa: Der große Pudding ist ein großer, nicht essbarer Pudding in der Eingangshalle von Dr. Oetker.
Patrick: Und er ist gelb. Unappetitlich gelb.
Lieben Dank!
Kontakt: disgustingnews.bandcamp.com/ disgustingnews@web.de
Fotos: Danny Köter, Cabot Pictures, Disgusting News
Interview: Claude Müller