IDLES (#206, 2021)
Die IDLES waren den ganzen Sommer überall auf Titelseiten, sogar von eher konservativen Zeitungen, was Leadgitarrist Bowen, mit dem ich das Interview am Telefon führe, sehr seltsam findet. „Ich kann mir das eigentlich kaum vorstellen“, sagt er, „meine Ansichten sind sehr weit links angesiedelt und ich stimme überhaupt nicht mit der Weltanschauung von Konservativen überein. Wenn diese Menschen sich aber unser Album kaufen, weil vielleicht das Laute und Aggressive sie anspricht, sich dann aber mit den Themen, über die wir schreiben, auseinandersetzen müssen, dann ist das sicherlich eine gute Sache“, überlegt Bowen.
Um ihn etwas zu beruhigen, werfe ich ein, dass die IDLES selbstverständlich auch im Kulturprogramm, in den Fanzines und den Webseiten und jetzt eben im TRUST stattfinden. Warum eigentlich erst jetzt – beschäftigen die IDLES sich doch grundsätzlich mit Themen, die auch im TRUST wichtiger Bestandteil sind? Da kommen von manchen Seiten jetzt vielleicht trotzdem die alten Fragen und Reflexe auf, kann eine Band, die im Mainstream angekommen ist, überhaupt noch gut und relevant sein? Oder ist die Gruppe alleine durch den Erfolg Teil von etwas geworden, was ursprünglich mal bekämpft wurde? Muss dem Hype misstraut werden? Nicht wirklich, denn in diesen schwierigen Zeiten gibt es weiterhin kaum eine wichtigere Band als IDLES, die auch auf ihrem UK Nummer-Eins Album „Ultra Mono“ Anklage erheben – die alten Popstars. Bowen muss über diese Bezeichnung zunächst laut lachen, ehe er wieder ernst wird, eine Grundhaltung, die er während des Gespräches nicht ablegen wird und die Klassifizierung als Popstars verneint. „Ich denke, wir konnten die Nummer eins nur erreichen, weil wir eine passionierte Fanbasis haben, die sehr aktiv ist, unsere Platten kauft und zu den Konzerten kommt. Was du als Popstars und deren Musik meinst, ist sehr viel passiver und findet sicherlich zur Hälfte auf Spotify und so weiter statt.“
Endlich gibt es eine Band, die mit ihrem Sound, der nicht anders als brutal, laut und aggressiv beschrieben werden kann, aber trotzdem stets melodiös bleibt, den Geschehnissen auf der Welt, Brexit, Trump, Neoliberalismus, toxische Männlichkeit, Chile, Hong Kong, es gibt zu viele Brandherde, um alle aufzuzählen, einen Soundtrack entgegensetzen kann, wie ein lautes Fuck You! Selbst wenn danach ein „I’m a lover“ folgt. „Ich will auch, dass meine Feinde Freude spüren können. Ich denke nicht, es gibt keinen Platz für dich in der Welt, selbst wenn du eine andere Meinung hast.“ Das ist also erst mal ein Fuck You gegen alle, die versuchen, ihre Macht und Privilegien krampfhaft zu verteidigen. Dabei merken sie, müssen es jedenfalls bemerken, dass es zu weit getrieben wurde. Bewegungen wie Black Live Matters und Friday For Future werden nicht schweigen, bis sich grundsätzlich etwas ändert. Nur mit Hass ist das allerdings nicht zu schaffen. Deswegen spielt die Liebe, das Verständnis und die Hoffnung bei den IDLES stets eine gleichberechtigte Rolle.
„Unser Ziel als Band ist es, Dinge, die um uns rum passieren, zu erkennen und einen Soundtrack zu unserem Leben zu kreieren. Wir stellen eine Polarisierung fest, wir merken es in unserem Publikum und mein Problem mit den Linken ist, wir sind noch immer zu wenige und zu unorganisiert, das muss sich ändern.“ Die Fronten sind sicherlich verhärtet, zwischen denen die (zu Recht) einen progressiven Fortschritt fordern und denen, die mit Vollgas zurück in eine Vergangenheit wollen, die nur in ihrer Vorstellung existiert und sich einzig aus guten Erinnerungen speist, aber alles negative ausblendet.
Da braucht es eine Band, die den Kampf annimmt und kompromisslos voranschreitet, ohne Rücksicht auf Verluste. Das letzte Album hieß „Joy as an act of resistance“ und war die wohl erste Weiterentwicklung von Punk, weg von drei Akkorden, „brüllen, zertrümmern und weg“, in mindestens zwanzig Jahren. Gleichzeitig war das wichtige Wort im Albumtitel „joy“ und eben nicht „resistance“, behaupte ich und Bowen stimmt sofort erfreut zu: „Das ist richtig! Katharsis ist für uns sehr wichtig. Bei unserem ersten Album ging es um unsere seelische Läuterung. Während wir bei Joy diese Erfahrung teilen wollten und Ultra Mono ist eine Art Post-Katharsis, die Klarheit, die du bekommen kannst, wenn du laufen warst oder ein tolles Konzert gesehen hast. Wenn alles von dir abfällt und du mit dir für einen Moment im reinen bist.“ Bei den IDLES schreit deshalb niemand nach Anarchie, sondern nach Freude, Zusammenhalt, Veränderung und schließlich wird: „True love will find you in the end“ skandiert, jedenfalls ist das auf „Ultra Mono“ der Fall.
Viel zu lange hat Punk sich auf Sounds, Klischees, Muster und Abziehbilder verlassen, immer schön gepaart mit dem Bewusstsein, irgendwie anders und dagegen zu sein, sich aber keinesfalls selber und die eigenen Privilegien infrage gestellt. Im Punkrock und Underground mag das hierzulande noch halbwegs stattfinden, aber solche Themen ein größeres Publikum zu präsentieren, schaffen dann immer noch nur die Toten Hosen oder die Ärzte.
„Viele Bands in Großbritannien haben mittlerweile Statements in ihrer Musik integriert. Ein paar Jahre zuvor ging es in der Industrie nur um Downloads und Streams und Songs, die im Radio ein Wohlfühlgefühl auslösten. Vielleicht kann es auch Bands in Deutschland inspirieren, wenn eine Band wie wir mit anderer Musik erfolgreich sind. Viele Bands, die sich als links beschreiben, trauen sich nicht aus ihrer Szene heraus. Aber nur so kann sich etwas verändern. Auch Bands müssen über den Tellerrand schauen.“ Tatsächlich trauen die IDLES sich ihre eigene Szene und deren Rollenmodele anzugreifen. „Joy“ setzte sich stark mit (toxischer) Männlichkeit auseinander und was das mit der Gesellschaft, der Szene und nicht zuletzt den Männern selber macht. Es ist ein Kampf, der jeden Tag aufs Neue ausgetragen werden muss. Vielleicht heißt deswegen nicht ohne Grund das Eröffnungsstück auf dem neuen Album „War“ und beinhaltet an einer prominenten Stelle die Zeile: „This means war.“
Ist das eine Kriegserklärung an die Menschen, die sich dem Fortschritt entgegenstellen, will ich wissen. „Da steckt viel drin“, erläutert Bowen, „zunächst einmal ist es ein Anti-Kriegs-Lied. Das kannst du wörtlich nehmen. Es geht aber auch um einen Krieg, der in dir drinnen herrschen kann, wenn du bei einer Sache nicht sicher bist, ob das nun richtig oder falsch wäre. Wir sind alles Männer in den 30er und lange nicht perfekt, versuchen aber den guten Kampf auszutragen. Und dann kann das auch eine Kriegserklärung sein…. Es ist auch eine Erklärung gegen unsere Kritiker, verbunden mit der Ansage, wir werden weiter machen, was wir bisher gemacht haben.“
Trotz des Kampfes, des Dagegensein, das Aufregen über politischen Stillstand und den kleinen und großen privaten Tragödien, schwingt in den Texten der IDLES stets eine große Portion Hoffnung mit. Das ist auf „Ultra Mono“ immer noch so, bleibt im Punkrock aber eher ungewohnt, wird die Musik, Szene, Einstellung häufig als destruktiv wahrgenommen und mit dem Slogan „No Future“ verbunden.
„Ganz genau. Darum mögen wir es auch nicht besonders, als Punkband bezeichnet zu werden“, erklärt Bowen. Und tatsächlich möchte der moderne Punkrock gestalten und verändern. Veganismus, Feminismus und Umweltschutz stehen an dieser Stelle stellvertretend für eine bessere Zukunft. Das gelingt nur denjenigen, die mit sich selber im Reinen sind. Folgerichtig hieß es auf dem letzten Album: „I love myself and I want to try”, in Anlehnung an einer Band, die vor beinahe dreißig Jahren, auf ähnliche Weise einen Soundtrack für die Jugend geliefert hat, wie die IDLES es mittlerweile schaffen.
Und auf “Ultra Mono”, welches übrigens als Untertitel „Momentary aceptance of the self” heißt, singt Joe Talbot selbstbewusst “I will kill them with kindness” „Wenn du mit jemanden eine Meinungsverschiedenheit hast, ist der beste Weg, die Diskussion zu gewinnen, die andere Person anzulächeln. Zuhören ist ebenfalls sehr wichtig. Normalerweise erwartet jemand, der mit dir diskutiert, dass du dieselbe Energie zurückgibst, die er selber aufbringt. Wenn du aber mit einer positiven Energie antwortest, befindest du dich in einer besseren Position – auch für dich selber, weil es dich glücklicher macht.“
So viel Verständnis bringt die Band im Lied „Modern Village“ allerdings nicht auf und Talbot wird konkret, wenn er vom spießigen Vorstadtleben singt, wo es eh nur Rassisten gibt. Vielleicht liegt es an spezifische britische Gegebenheiten, warum die Band so ein Hass entwickelt. So ganz gerecht und sinnvoll erscheint es mir nicht zu sein, propagandiert und fördert die Einstellung, dass alle über einen Kamm scheren, doch gerade eine Verhärtung der Fronten. Es gibt dann nur die coolen Städter auf der einen Seite und die uncoolen, weil rassistischen, Frauen unterdrückende, weltausbeutenden Vorstädter in hübschen Reihenhäusern mit Rosengarten auf der anderen Seite. Ich verstehe schon, dass ein stereotypisches Bild in dem Song gezeichnet werden soll. Dabei verliert das Stück die ansonsten vorhandene Ironie.
Und womöglich trifft eine Pauschalisierung (auch) die Falschen. Schließlich muss sich überall gewehrt werden, um etwas zu verändern und nicht nur in den (meistens eh schon offeneren Gesellschaften in den) Städten. In den Vororten wurden sowohl der Brexit herbeigefügt, als auch 2016 Donald Trump zum Präsidenten gewählt. Gerade deswegen müssen die Menschen dort auf die andere Seite gezogen werden, statt sie pauschal zu verunglimpfen oder eben mit „kindness“ überzeugt werden. Sinnvoller wäre an dieser Stelle eine Kritik an die Gesellschaft in Gänze gewesen. Oder war das gar so gemeint?
„Ich höre da mehr Nuancen in dem Song. Ich glaube, du hast den Text zu wörtlich und ernst genommen“, erklärt Bowen mir und ich bin auf die Erläuterung gespannt. Das ist nämlich das Tolle an Interviews, dass die eigenen Fragen, die einen beschäftigen, an die Verfasser eines Werkes gerichtet werden können. „Natürlich haben wir mit Klischees gespielt, aber das Lied macht sich auch über die Menschen lustig, die so etwas wirklich denken. Wir richten den Finger auf Menschen, die zu kurz denken und nur von ihrer Sichtweise überzeugt sind. Für mich ist ein Dorf fast so was wie die Sozialen Medien, ein in sich geschlossener Raum, in dessen Kosmos wenige eindringen können. Joe hätte dazu wahrscheinlich gesagt: only joking!“
Es bleibt dabei, die IDLES sind die Band der Stunde, fast wie die SLEAFORD MODS vor einigen Jahren. Ganz unähnlich sind die Bands sich nicht, verfeinern die IDLES ihre Rhythmussektion nur mit Gitarren und Bass- und Drumsound kommen nicht aus dem Laptop, sind ansonsten ähnlich nahe am Hip-Hop angesiedelt. Das heißt aber noch lange nicht, dass sich beide Bands mögen.
Vor allem die SLEAFORD MODS waren schnell dabei, den IDLES einen fehlenden Working Class Backround vorzuwerfen, was in Großbritannien eine durchaus größere Relevanz besitzt als hierzulande. Dementsprechend hart muss die Kritik Talbot getroffen haben, der zumindest bis dahin ein Fan der MODs war. Zumal er seine Herkunft nie verschwiegen hatte und zu Recht erwiderte, niemand müsse aus der Arbeiterklasse kommen, um soziale Ungerechtigkeiten anzusprechen.
Allerdings beinhaltet der Vorwurf der MODS die gleiche Pauschalisierung, die ich fälschlicherweise dem Song „Model Village“ beigemessen habe. Es geht am Ende aber doch darum, so viele Menschen auf seine Seite zu bekommen, um Veränderungen bewirken zu können. Die Zeiten sind zu Ernst, um Selektion betreiben zu können, die im Übrigen nie gut ausgegangen ist. Aber wie sähe es aus, wenn diese Welt eine ganz andere wäre, eine gerechtere und bessere, wenn die Missstände, die die IDLES in ihren Songs ansprechen, behoben wären – würden die IDLES dann überhaupt existieren?
„Uns würde es trotzdem geben. Klar hat die Band einen großen politischen Unterbau, aber noch mehr geht es um unseren Seelenfrieden. Selbst wenn ich ein wundervolles und vollständiges Leben führen würde, bräuchte ich einen Ausgleich. Darum geht es in der Band. Den Schmerz und Ärger nehmen und daraus etwas positives, freundliches formen und heilen. Das wird immer gebraucht.“
Text & Interview: Claas Reiners