AUSTIN LUCAS (#166, 2014)
„Punk und Country handeln von der Realität“
Es ist eine echt ganz schön lange Geschichte, deren Anfänge, um der Wahrheit die Ehre zu geben, durchaus mit kindlicher Cowboy-Romantik meinerseits zu tun haben. Wir hatten ja nichts, damals, Geld für Schallplatten beispielsweise, und im Radio lief auch nichts Gescheites aus dieser Richtung, außer man drehte so lange und zu den richtigen Zeiten am Radio herum, bis man im Besatzerradio fündig wurde.
Bis dahin wurde eben dann und wann Johnny Cash gehört, den gab’s sogar mal bei „Wetten dass?“, und eine Zeitlang, da waren wir aber auch wirklich noch sehr jung, freuten wir uns auch über Gunter Gabriel. Und ein paar alte Western mit Roy Rogers liefen auch immer mal wieder, auch wenn das natürlich eigentlich nur sehr bedingt was mit einander zu tun hat, Wildwest-Verklärung und ländliche amerikanische Musik.
So viel Beichte muss reichen. Irgendwann traten mit der Pubertät dann andere Interessen ins Leben, die nach ein bisschen mehr Rock’n’Roll verlangten. So landete ich dann bei den Byrds, „Sweetheart Of The Rodeo“, Figuren wie Emmylou Harris, Waylon Jennings und Willie Nelson und pfiff mir auch ein wenig Bluegrass ein, ab und an sogar live bei einem Festival in einem Örtchen namens Neusüdende in der Nähe von Oldenburg.
Dann hörte ich das erste Mal die Ramones und für lange Jahre war Country nicht mehr ganz so wichtig, außer natürlich in Kombination mit Punk, wie bei Blood On The Saddle und den Meat Puppets.
Ich weiß gar nicht mehr so genau, wann ich dann wieder intensiver begann, mich mit Country, Bluegrass und derlei Dingen zu beschäftigen. Es ist jedenfalls schon wieder eine ganze Weile her. Es hat zumindest wenig mit dem Spätwerk von Johnny Cash zu tun, über das wir uns hier wirklich nicht streiten müssen. Aber mir bedeutete es nicht so viel.
Wahrscheinlich war es nicht zuletzt mein alter Freund Felix, der mich darauf brachte, mich beispielsweise ins Oeuvre von Gram Parsons zu vertiefen. Eine Zeitlang wollten wir sogar mal eine einschlägige Band zusammen machen.
Es gab damals offenbar einen Zeitgeist, der das alles begünstigte. Uncle Tupelo, wichtig für den damals neuesten Flirt von Country und Punk und das, was man später Alternative Country nannte, hatten sich zwar schon wieder aufgelöst, Jay Farrar und Jeff Tweedy hatten aber schon wieder neue Bands, die schöne Platten machten. Von letzterem gibt es in der englischsprachigen Wikipedie übrigens ein schönes Zitat aus Uncle-Tupelo-Zeiten zu lesen: „To us, hard-core punk is also folk music. We draw a close parallel between the two. We’ll play both in the same set if we get a chance.“
Womit wir eigentlich schon mitten im Thema sind. In den Themen vielleicht eher? Austin Lucas steht in diesem Zusammenhang für eine Verhältnis von Country und Punk-Rock, das nicht gänzlich anders ist als beispielsweise das von Neko Case, nur dass der kleine Austin den reinen Stoff schon mit der Muttermilch aufgesogen hat, wie wir gleich sehen werden.
Weniger politisch als Case, steht er zumindest für einen Brückenschlag zwischen musikalischer Tradition und Subkultur, wie ihn um 1970 herum Typen wie eben Gram Parsons und die Byrds, aber auch Jerry Garcia pflegten, letzterer mit einer ausgesprochenen Liebe für Bluegrass, später dann die so genannten Cow-Punks, die Meat Puppets, Gun Club.
Wie geht das zusammen? Die nicht selten zu Recht als konservativ verschriene Country-Welt und die Bilderstürmer? Das ist die eine zentrale Fragestellung für ein Projekt, für das dieses Interview mit Austin Lucas der Auftakt ist – und keine Bange, ihr werdet im TRUST in den nächsten Ausgaben neben dem Afrika-Schwerpunkt im Review-Teil ansonsten nicht nur noch über ländliche amerikanische Musik lesen.
Und andererseits landet vielleicht auch dieses Interview nicht wirklich in den Resultaten unseres Vorhabens. Es litt unter den Umständen, weil die Band erst mit mehrstündiger Verspätung in Hannover ankam, aufbauen und soundchecken musste, sodass wenig Muße herrschte, um sich in Ruhe mit der Materie zu befassen.
Austin, was ist deine Geschichte mit Country?
Austin Lucas: Ich wuchs in einer Familie auf, in der Bluegrass und Old Time Music gespielt wurde. Und viel Country.
Wo bist du aufgewachsen?
Im Süden von Indiana. Im Grunde genommen stieß mir Country sehr früh in meinem Leben zu. Als ich Teenager wurde, kam ich zum Punk-Rock. Das verfolgte ich, bis ich in meinen frühen Zwanzigern war. Ich hörte viel Country, als ich in der High School war, bevor ich versuchte, diese Musik zu spielen. Ich bin mein ganzes Leben lang Sänger, ich habe in der Familie gesungen, aber auch im Chor und in der Oper.
Du hast eine klassische Ausbildung?
Ja. Meine Eltern wollten, dass ich im Chor singe. Mein Vater hatte in der Kirche singen gelernt. Meine Mutter ist Jüdin und mein Vater Christ. Sie wollten mich nicht in eine Richtung drängen, weshalb sie mich säkular im Kinderprogramm der Universität ausbilden ließen.
Country war also Teil deiner Kindheit?
Ja, eher Bluegrass und Old Time Music.
Ist dein Vater professioneller Musiker?
Ja. Ich hatte Glück, dass es immer um mich herum war. Ich musste nur darauf zurückgreifen.
Diese Punk Rock Sache…
Als Teenager rebellierst du natürlich. Ich weiß nicht, wogegen ich rebellieren musste. Meine Eltern waren sehr intelligente, eher linke, freidenkende Menschen. Ich hatte nicht viel, wogegen ich rebellieren musste. Aber die Musik um mich herum war Punk, alle Kids spielten in Punk-Bands, das war die örtliche Szene. Dazu kommt, dass mein Bruder sieben Jahre älter ist als ich, und Punk das war, worauf er stand. Bei allem, was ich gemacht habe, hat jemand den Weg für mich geebnet.
Man ist ja nie der Erste…
Ich bin immerhin definitiv der erste in meiner Familie, der Punk gespielt hat. Aber ich kam auf Sachen, weil Leute sie mir nahebrachten. Und was ich mochte, hab ich mir angehört.
Gab es andere Sachen, die du verfolgt hast? Oper vielleicht?
Ich höre nicht viel klassische Musik, ein bisschen schon. Ich bin an vielen Dingen interessiert, vor allem an altem Rock’n’Roll. Aber ich höre vor allem Country. Wenn du mich fragst, wie viel Punk ich höre, würde ich sagen: eine Platte von hundert.
Was war die letzte?
(überlegt recht lange) Die Ramones habe ich neulich gehört. Das geht immer. Die letzte Hot Water Music habe ich neulich gehört. Tragedy. Ich höre immer noch ein bisschen Punk und Hardcore, aber ich bin mehr an Country und Songwritern interessiert.
Aber du arbeitest ja immer noch in Punk-Zusammenhängen.
Ja, aber es wird immer weniger. Ich liebe die Punk-Szene, aber sie hat mich nie vollständig aufgenommen, seit ich Country und Folk spiele. Ich bin eher ein Traditionalist, auch wenn ich die Dinge pushe. Aber vor allem wenn ich akustisch spiele, ist nichts von Punk darin zu hören. Und das Punk-Publikum will lieber ein bisschen Punk-Kante haben, wenn du eher einen traditionellen Ansatz hast, mögen viele Punks das nicht. Ich hatte nie eine Gefolgschaft wie Chuck Ragan. Es ist eine Minderheit in der Punk-Szene, die traditionelle Musik hören will. Ich war immer zweite Garnitur in dieser Szene.
Du hattest keine bekannte Band wie Chuck…
Genau. Ich hatte einige Punk-Bands, aber keine die so bekannt gewesen wäre, dass sie ein Sprungbrett wäre.
Aber es scheint eine Offenheit gegenüber Country in der Szene zu geben…
Absolut, und das ist seit den 70ern so.
Spielst du in Amerika in ähnlichen Clubs wie in Deutschland?
Deutschland ist der einzige Ort, wo ich ein Punk-Publikum habe. Ein paar gibt es auch in anderen Ländern, aber dass sie die Mehrheit darstellen, ist nur hier so. In Schweden und England sind es eher die, die sich vor allem mit Americana beschäftigen.
Woran könnte das liegen?
Ich glaube Chuck Ragan hat viel dazu beigetragen. Aber Deutschland hat keine echte Americana-Szene wie viele andere Länder. Es gibt eine, aber sie ist anders. Es gibt immer Leute, die kommerziellere Country-Musik hören, aber es gibt nicht überall so viele Leute, die die „coolen“ Sachen hören, die weniger diese kommerziellen Sachen hören, wo es um Trucks und Lagerfeuer geht. Das gibt es auch in Deutschland, Tschechien oder Österreich. Aber nicht notwendig das, was ich „legitime“ Singer-Songwriter nenne. Es wächst langsam, was toll ist. Aber in Schweden, den Niederlanden oder Großbritannien gibt es das schon, weshalb ich dort auch häufiger bin als hier.
In den USA gibt es doch bestimmt auch die Vorstellung, dass Country konservativ, irgendwie dubios ist.
Definitiv. Und es gibt ja auch sehr viel davon. Ohne Zweifel. Du musst die Künstler finden, die nicht wie diese Shitheads sind, denn die gibt es. Aber es gibt in den Staaten auch so viele tolle Künstler, die nicht so sind. Du musst dir klar darüber sein, was du hörst – oder du genießt den anderen Kram und lachst einfach über den zweifelhaften Scheiß, den es auch gibt. Ich bin Country-Fan, und ich höre nicht viel Redneck-Zeug. Ich weiß, was ich mir anhören muss. Ich liebe Country-Musik einfach. Deswegen habe ich mich damit gründlich auseinandergesetzt.
Wonach suchst du in dieser Musik und denkst du, es gibt Schnittstellen zu Punk?
Natürlich gibt es die und gab es die immer. Country war immer die Musik armer Leute. Und es waren immer echte Geschichten. Es ist nicht so selbstverliebt. Punk kam auf, weil Rock zu selbstbezogen wurde, damals in den 70ern, zu aufgebläht, einfach Bullshit. Deswegen kam Punk. Und es gibt viel üble Country-Musik, aber lange Zeit war es vor allem ein „real place“, „real people“ die „real stories“ erzählen. Punk und Country haben vor allem eines gemeinsam: Sie sagen die Wahrheit, sie handeln von der Realität. Heavy Metal handelt nicht von der Realität. Viel Rock’n’Roll sagt: Schau mich an, ich bin bigger than life. Country geht es nicht darum, und Punk auch nicht. Deswegen haben sich Punk und Country von Anfang an miteinander vermischt. Wenn Leute mich fragen, was Punk und Country gemeinsam haben, sage ich: What isn’t the connection? Schon in den frühen Achtzigern: Was wir heute Alternative Country und Americana nennen, kam von ein paar Punks, die Cow-Punk spielten.
Blood On the Saddle, Gun Club…
Es gibt eine Million Bands, weshalb ich immer lache, wenn mich jemand fragt, was die Verbindung ist. Spinnst du? Es war immer da.
Aber das Publikum mischt sich nicht allzu sehr, oder?
Es geht auf und ab. Im Moment geht’s bergauf, Punk setzt seinen Fuß in Country, viele Fans fangen an, sich dafür interessieren, und ich finde das sehr schön. Auch wenn ich mich nicht notwendig als Country-Punk- oder Folk-Punk-Musiker sehe, auch wenn ich aus der Punk-Szene komme. Ich mache einfach Musik. Ich mag Country, ich mag Rock’n’Roll, ich mag Bluegrass, und ich hab Spaß damit. Ich denke, es versetzt mich in eine komische Position, weil ich nicht Teil einer Bewegung bin. Ich bin einfach ein Typ, der Songs schreibt und singt, so gut er kann.
Ist es einfacher in Europa?
Europa ist immer einfacher. Europa ist ein Ort, an den ich jedes Jahr komme und mich besser fühle. Es erlaubt mir, die Wirklichkeit der USA besser zu ertragen, die sehr harsch ist und nicht einfach für einen Musiker.
Wo lebst du heute?
In Nashville.
Was ist das für ein Ort für einen wie dich?
Ein perfekter Ort. Es gibt Country-Musik, es gibt alle Arten von Rock’n’Roll dort, es gibt eine Punk-Szene. Ehrlich gesagt, es ist unglaublich, ein toller Ort, und ich bin stolz, es mein Zuhause nennen zu können.
Träumst du davon in der Opry zu spielen (legendäre Radio-Sendung, der heilige Gral der Country-Welt, mittlerweile nicht mehr ganz so bedeutend wie in der Zeit zwischen 1943 und 1974, als die Sendung aus dem Ryman Auditorium ausgestrahlt wurde)?
Natürlich. Aber noch mehr träume ich davon, im Ryman Auditorium zu spielen.
Text, Fragen, Übersetzung: stone / Foto: Katharina