Dezember 31st, 2023

Arctic Rodeo (#211, 2021)

Posted in interview by Thorsten

Was zur Hölle ist eigentlich Emo?

Ein Gespräch mit Frederic von Arctic Rodeo Recordings über THE NEW RISING SONS, CHAMBERLAIN und IN THE PINES.

Die goldene Zeit für alles, was unter dem Begriff Emo zusammengefasst wurde, liegt für mich in den wenigen Jahren zwischen Mitte der 90er und den ganz frühen 2000ern. Natürlich gab es davor bereits tolle Bands, (JAWBREAKER, SUNNY DAY REAL ESTATE, MINERAL – und all diese Bands hatten ebenfalls Vorbilder) später dann allerdings nur noch wenige Neue. Für mich persönlich – da werden die Geschmäcker unterschiedlich sein und ich verstehe wirklich alle, die das anders sehen, objektiv betrachtet wahrscheinlich sogar zu Recht – aber für mich liegt der absolute Höhepunkt noch eher am Ende dieser Zeit. Und zwar rund um das Jahr 2000, mit Platten wie „Something To Write Home About“ von den GET UP KIDS, „Clarity“ von JIMMY EAT WORLD, „ASTRAY“ von SAMIAM, natürlich „Left And Leaving“ von den WEAKERTHANS, obwohl über dieses Album gestritten werden kann, ob das noch Emo im weiteren Sinne ist, oder eher Indie-Rock, oder was auch immer. Da das hier mein Text ist, zähle ich das Album einfach dazu. Berührt hat es mich damals und die Übergänge im Genre Emo waren eh immer fließend – von Punk und Hardcore über Indie bis Postrock, mal leise, mal laut – unterschiedlicher geht es kaum, aber stets gab es eine Gemeinsamkeit hinsichtlich der Herangehensweise an die Musik und der Haltung dahinter. Trotzdem wollte sich keine Band unter dem Begriff in eine Schublade stecken lassen, zu unterschiedlich und nicht vergleichbar war die Musik der Gruppen. 
Das letzte „große“ Album aus dieser Zeit ist dann wohl „Bleed American“ von JIMMY EAT WORLD aus dem Jahr 2001, mit dem Hit aus der TV-Serie. Höhepunkt und Kippmoment gleichermaßen. Auf dieses Album konnten sich vor 20 Jahren alle einigen, die Indie-Kids und Metalheads, Punker*innen und Normalos. Besser sollte es niemals mehr werden. Wenn ich heute im App des Streaming Dienstes sehe, welche Bands von Hörer*innen dieses Albums noch gespielt werden, fällt eine große Diskrepanz zwischen den hier genannten Bands und dem Algorithmus des Unternehmens auf. Für mich haben diese Drecksbands, die das allgemeine Meinungsbild vom Genre vor allem hinsichtlich (modischen) Style bis heute prägen, nichts mit der Musik zu tun, die ich meine und von der hier gesprochen werden soll. 
Der Höhepunkt dieser Musikrichtung ist nun also 20 Jahre her. Nur ein paar Jahre jünger ist das Label ARCTIC RODEO RECORDINGS, welches vor zwei Jahren das Debüt und nun das letzte Werk „Demo To Demolition“ von THE NEW RISING SONS, um die es unter anderem gehen soll, veröffentlicht. Nicht als Wiederveröffentlichung, sondern zum ersten Mal überhaupt, denn im Original stammen die Aufnahmen beider Alben aus eben jener Zeit am Ende der 90er. Damals wurde der Band vom Label Virgin die Crème de la Crème für die Aufnahmen, das Mastering und Mixing zur Verfügung gestellt. Doch im Jahr 1999 war der Emozug für die Plattenfirmen abgefahren und die Aufnahmen verschwanden in irgendeinem Tresor. Dieser Schritt verwundert auch noch Jahre später, denn immerhin handelte es sich bei der New Yorker Band um den Frontmann Garrett Klahn, der wenige Jahre zuvor mit mit TEXAS IS THE REASON den Szenemeilenstein „Do You Know Who You Are“ aufgenommen hatte. Eine Referenzplatte, die inhaltlich und ästhetisch für alles seht, was dieses Genre (in meinen Augen) ausgemacht hat. Außerdem waren noch Drew Thomas (u.a. INTO ANOTHER, BOLD), Gitarrist/Songwriter Kevin McGinnis und Bassist Scotty Beschta (THE PROMISE RING) in der Band aktiv. Nun aber Schluss mit dem ganzen Namedropping und hin zu den harten Fakten. Das kleine Label ARCTIC RODEO RECORDINGS hat nun die Stücke, die mal das zweite Album mit dem Titel „Demo To Demolition“ werden sollte, um die Debüt E.P. der Band, die damals zum Major Vertrag führte erweitert und nun verfügbar gemacht. 
THE NEW RISING SONS existieren trotzdem nicht mehr, oder gar wieder. Deswegen folgt ein Gespräch mit Frederic von ARCTIC RODEO RECORDINGS über THE NEW RISING SONS, aber auch über das Label, die Vergangenheit und die Zukunft, garantiert mit noch mehr Namedropping.

Claas: Es erschließt sich mir absolut nicht, warum THE NEW RISING SONS nicht so groß wurden, wie die FOO FIGHTERS oder so. Die waren doch damals schon viel besser und wären es vermutlich heute erst recht.

Frederic: Ja, durchaus. Darum war das damals auch ein Majorthema. Das erste Album „Set It Right“ wurde entsprechend groß produziert und sollte tatsächlich im Mainstream einschlagen. Der Hype von TEXAS IS THE REASON und INTO ANOTHER war noch nicht verklungen, als bekannt wurde, dass es ein neues Projekt mit Leuten aus diesen Bands gab. Da hat es nicht lange gedauert, bis die großen Plattenfirmen sich für dieses Thema interessierten. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es einen Kontakt der Band zu einem A&R bei Virgin, wo sie dann schlussendlich auch landeten. Das Album wurde dann mit einem Riesenbudget aufgenommen, es gab etliche Showcases und wie es zu dieser Zeit so war, war die Person, die die Band unter Vertrag genommen hatte, irgendwann nicht mehr in der Firma und die Nachfolger interessierten sich nicht sonderlich für die Gruppe. Leider hatte Virgin sich dazu entschlossen, die Platte nicht zu veröffentlichen, hat aber gleichzeitig die Rechte nicht zurückgegeben. Ab diesem Zeitpunkt lagen die Bänder irgendwo bei Virgin rum und verstaubten, bis die Band sie Jahre später, sie hatten sich schon längst frustriert aufgelöst, zurückkaufen konnten. Ich fand es aber spannend, was du gesagt hast, weil es anfangs die Majors bewegt hat. Später habe ich mich mal mit dem Produzenten Ted Nicly unterhalten, für den ist „Set It Right“ ein Riesenalbum, an dem er mitarbeiten durfte, und er hat noch immer die Überzeugung, dass das groß werden könnte.

Claas: Das Album hätte ja ungefähr zur Jahrtausendwende rauskommen sollen und da war natürlich viel im Umbruch. TEXAS IS THE REASON war keine fünf Jahr her. Es gab aber schon diesen komischen Nu-Metal Kram auf der einen Seite, aber gerade in New York waren Sachen wie die STROKES oder YEAH, YEAH, YEAHs schon in den Startlöchern, was sehr schön in dem Buch „Meet Me In The Bathroom“ aufgearbeitet wurde, aber darin kommen Bands wie die NEW RISING SONS oder andere New Yorker Bands aus der Zeit, die irgendwie aus der sogenannten Emo Szene stammten, überhaupt nicht vor. Als wenn die völlig nebenher existierten.
Frederic: Es war ja nie ein Ziel der NEW RISING SONS, eine Emo Szene zu bedienen und ich war auch nicht überrascht, dass der Sound von der Band eher Independent ist und nicht Emo und an vielen Stellen sehr britisch klingt.

Claas: Ja!

Frederic: Man hört den Shoegaze-Einfluss, der ist total präsent. Die Jungs waren total offen für alle musikalischen Richtungen. Es wäre ja absurd gewesen, wenn Garrett in einer Band gespielt hätte, die genau so klingt wie TEXAS IS THE REASON. Das kam für ihn überhaupt nicht infrage. Und das ist das, was spannend ist. Ein Musiker will ja nicht unbedingt ein Leben lang das Gleiche machen, sondern sich entwickeln.

Claas: Genau was du sagst, die Stimme ist natürlich da und so ganz konträr zu den vergangenen Bands ist das ja auch nicht, was ja gar nicht vermeidbar ist, wenn du in einer Rockband gespielt hast und dann mit einer anderen Rockband weitermachst. Du sagst, da sind Shoegaze-Element drin, ich höre da auch eine Menge OASIS raus, die damals noch riesig waren. Aber nicht den Breitwand-Brit-Pop, den OASIS damals machten – sondern so, wie OASIS erst später klangen, nachdem die Musiker durchgetauscht wurden. THE NEW RISING SONS klangen eigentlich wie OASIS, bevor OASIS selber so klangen, wie sie am Ende eben klangen.

Frederic: Oh ja. Das OASIS so einen Schritt gegangen sind, wenn ich richtig informiert bin, lag auch an dem Produzenten des letzten Albums – Dave Sardy, der mit BARMARKET damals schon eine ganz andere Richtung einschlug. Aber klar, den OASIS Bezug habe ich bei THE NEW RISING SONS auch immer ganz klar gehört. Dass die Band sich von den Acts, mit denen sie allgemein assoziiert worden entfernt hatten, war, glaube ich, ganz klar.

Claas: Das Cover von „Set It Right“, wie die Jungs selber aussehen, die Fotos da drin, der ganze Style, da bin ich wieder voll bei diesem STROKES Teil: Lederjacken, enge Jeans, das war damals vielleicht so, aber die Parallelen sind doch auffällig.

Frederic: Ja, voll.

Claas: Und was du dann eben noch gesagt hast, ich finde es toll, wenn ich mit Bands mitwachsen kann. Ich will ja nicht dieselbe Musik, die ich mit 20 gehört habe, immer wieder hören. Dann kann ich die alten Platten auflegen. Das mache ich auch gerne und habe manchmal ein Nostalgie-Gefühl dabei. Das kann etwas Schönes sein. Aber ich will nicht die gleiche Platte ein zweites oder drittes Mal präsentiert bekommen. Gleichzeitig will ich aber auch nicht etwas komplett Konträres haben, sondern eine Entwicklung. Etwas, dass mich als Hörer fordert.

Frederic: Das finde ich ein superspannendes Thema. Es gibt Bands, die bleiben bei ihrem Stil und ihrem Sound.

Claas: Oasis.

Frederic: Zum Beispiel, da bin ich kein großer Fan von. Sehr wohl aber seit meiner Kindheit von AC/DC und da gibt es genügend Leute, die sagen, die spielen immer den einen gleichen Song. Von so einer Band würde ich nichts andres erwarten. Es gibt aber auch Beispiele von Musiker*innen, die sich über die Jahre verändern, wo das Publikum es mal mehr, mal weniger akzeptiert und ich neugierig bin, diese Schritte mitzugehen. Ich bin bekanntermaßen ein großer Fan von Walter Schreifels, dessen Soloalbum wir veröffentlicht haben. Was sich da getan hat von YOUTH OF TODAY, über GORILLA BISCUITS und QUICKSAND bis RIVAL SCHOOLS und WALKING CONCERT, die wir auch machen durften, das ist eine Entwicklung, die mache ich wahnsinnig gerne mit.

Claas: RAMONES, BAD RELIGION, AC/DC, auch OASIS, da erwartest du etwas Bestimmtes und die Erwartung muss auch bedient werden. Das sind alles Bands, die einen Trademark-Sound entwickelt oder sich zusammengeklaut haben. Aber das ist ja nicht der Normalzustand – oder sollte es zumindest nicht sein. Ganz anderes ist es dann ja zum Beispiel bei einer Platte, die ihr letztes Jahr rausgebracht habt: Bei CHAMBERLAIN. Da sind zwar 20 Jahre zwischen dem letzten Album und „Red Weather“ vergangen, aber da liegen ja Welten zwischen dem, wie sie angefangen haben, wie sie zwischenzeitlich klangen und wo sie jetzt sind. So will ich Musik hören und erleben.

Frederic: Das ist für mich auch ein sehr gutes Beispiel. Wer von CHAMBERLAIN das Gegenteil erwartet hat, der hat die Band nicht begriffen. SPLIT LIP haben damals ein raues Debütalbum veröffentlicht, dann „Fate’s Got A Driver“ in neuer Variante wiederveröffentlicht, weil sie gemerkt haben, dass sie an einem Scheidepunkt waren, benannten sich in CHAMBERLAIN um, haben dann wiederum beim Nachfolger gemerkt, dass sie sich verändern wollen. Obwohl „My Moon My Saddle“ schon einige Gänge zurückgeschaltet war, wenn so eine Band jahrelang pausiert, älter wird, die Mitglieder Familien gründen, dann wäre es absurd zu glauben, dass die ein Punk-Album aufnehmen. Deswegen fand ich die Diskussion auch ziemlich leidlich. Ich habe viele Mails und Kommentare bekommen, in denen es hieß, hoffentlich klingen die wieder wie bei „Fate’s Got A Driver“. Da habe ich gedacht: Das Album wird dir nicht gefallen. Es ist nicht angemessen, von einer Band zu verlangen, zu klingen, wie sie mit 19 Jahren klangen. Es gab sowohl Fans als auch Journalisten, die gesagt haben, das sind nicht die CHAMBERLAIN, die ich kenne. Da kann ich nur sagen, dass stimmt nicht, die wollten schon immer exakt so klingen, wie sie es auf „Red Weather“ nun tun. Die haben es früher nur in einem anderen Sound gepackt. Wenn die in zwei Jahren ein neues Album machen sollten, wird das nicht noch mal bahnbrechend anders werden und das ist auch nicht schlimm. Wen es trotzdem so sein sollte, dann ist das auch okay. Als Fan muss ich einer Band einen Vertrauensvorschuss geben.

Claas: Das wäre ja auch traurig, als Musiker*innen nur noch Musik zu machen, um einer Szene oder bestimmten Leuten zu gefallen. Ich bin ja etwas später zu CHAMBERLAIN gekommen, weil ich das früher tendenziell zu stadionrockmäßig fand. „My Moon My Saddle“ war mir damals irgendwie nicht Emo genug, das habe ich einfach nicht verstanden, das kam erst später. Nun habt ihr auf euren Social Media Seiten letztens das Cover vom Debüt gepostet. Da ahne ich doch was.

Frederic: Das ist halt ein Gefühl von dir. (lacht) Ich darf da leider nicht drüber sprechen, du merkst das vielleicht.

Claas: Das merke ich – ja, aber wir sind ja unter uns. Außerdem bis das gedruckt wird, vergeht noch etwas Zeit. Also raus mit der Sprache.

Frederic: Es ist das zweite Album. „Fate’s Got A Driver“ ist schon längere Zeit vergriffen und feiert dieses Jahr sein 25-Jubiläum. Da stand die Idee einer Wiederveröffentlichung im Raum und die wird auch sehr geil werden, so viel kann ich schon versprechen. Das wird alles noch etwas dauern und war nur ein erster Wink mit dem Zaunpfahl, als wir das Posting gemacht haben. Es wird ein paar Bonustracks geben und eine schöne Verpackung, aber das wird noch alles etwas dauern und es gibt kein konkretes Datum, weil es ein Mangel an Rohstoffen und Kapazitäten in den Presswerken gibt.

Claas: Das wird gerade überall gesagt. Auf der einen Seite wird immer vom Vinylhype gesprochen und dann hast du den Record Store Day, auf dem es Madonna oder Phil Collins Platten auf 6000 Stück limitiert gibt, die es auf jeden Flohmarkt für zwei Euro in der Grabbelkiste gibt, da rennen dann alle hin. Auf der anderen Seite gibt es Labels wie das eure, die Auflagen von 200 oder 300 Stück haben. Ich frage mich dann immer, wo soll dieser Hype dann sitzen. Und was macht das überhaupt mit euch, wenn ihr selbst so eine Kleinstauflage nicht los bekommt und die Platten bei euch wie Blei in den Regalen stehen. Das ist dann völlig unverhältnismäßig. Wir sprachen anfangs darüber, warum THE NEW RISING SONS heute nicht in Stadien spielen. Ich stelle mir das hart vor, wenn sich noch nicht mal die verkauft.

Frederic: Das ist wahnsinnig hart und frustrierend. Ich war schon oft an dem Punkt, an dem ich gesagt habe, es reicht dann jetzt vielleicht auch. Sich immer wieder neu zu motivieren ist nicht einfach. Aber wie es so ist. Dann kommt eine Band mit einem neuen Projekt und ich finde das geil und das muss ja jemand machen. Und wenn wir das machen dürfen, dann setzten wir das mit Freuden um. Es hat aber dazu geführt, dass wir deutlich weniger machen als früher. Ein gutes Beispiel ist das Album von IN THE PINES. Das ist extrem unrockig, eher düsterer Folk. Das sind so tolle Leute, ich weiß nicht, ob das jemanden interessiert, aber wir machen die jetzt. Wir machen nur 300 Stück und ich sag mal, die Vorbestellungen könnten besser laufen. Was machst du damit jetzt? Das ist etwas bitter. War es ein Fehler das zu machen? Für mich nicht, das sind nette Leute und die haben ein tolles Album gemacht. Wenn wir aber irgendwann an den Punkt kommen, wo uns die Ideen ausgehen, dann werden wir das Label nicht mit der Brechstange weiterführen. Es gibt noch ein paar Ideen, die ich wahnsinnig gerne umsetzten möchte, aber das sind echt nicht viele. Irgendwann geht uns vielleicht einfach die Puste aus. Solange sich Bands wie THE NEW RISING SONS melden und sagen, wir haben eine Platte, hast du nicht Bock? Ist die Antwort: Klar, auf jeden Fall.

Claas: Das ist, glaube ich, ein guter Punkt, um den Bogen zu schließen. Wie stehst du zu dem Begriff Emo? Und wie hast du das damals in den Mid- und End 90‘ wahrgenommen?

Frederic: Zu einem muss ich sagen, es war schon etwas früher, als ich das wahrgenommen habe, trotzdem war ich ein ziemlicher Spätzünder. Die Bands, über die wir jetzt gesprochen haben, habe ich schon in ganz frühen Jahren kennengelernt, aber es gibt noch mal Gruppen, auf die ich erst aufmerksam geworden bin, als diese nicht mehr existierten. Ich habe die Szene damals aber als wahnsinnig erfrischend wahrgenommen. Für mich gab es damals eine Punkszene, die fand ich entweder prollig oder asselig oder albern. Und dann gab es da eine Szene, die mich sehr angesprochen hat, das war die ganze DC-Schiene, FUGAZI und so weiter. Emo war für mich dann die Quintessenz aus allem davon, nur ohne Prollfaktor, mit einem schönen Popappeal, mit einer gewissen Melancholie, die mir sehr gut gefallen hat. Das Tempo war etwas rausgenommen und alles klang nach ein paar Straight Edge Hardcore Kids, die etwas älter geworden sind. Ich fand das toll. Es war eine gewisse Zeit, als das TEXAS IS THE REASON Album rauskam und SAMIAM auf dem Höhepunkt waren. Da gab es ganz viel tolle Musik, die mich sehr geprägt hat und die meisten Sachen mag ich auch heute noch sehr gerne. Aber irgendwann hat sich das in eine Richtung entwickelt, die mir nicht mehr gefallen hat. Was ich toll fand, war die Bescheidenheit. Die Bands sind bescheiden aufgetreten und das es nicht so eindeutig war, was Emo überhaupt sein soll. Ich habe mich mal mit Page Hamilton von HELMET unterhalten. Der erzähle, dass sie in den USA mit QUICKSAND touren und gut befreundet sind und QUICKSAND waren immer eng verbandelt mit der Emo Szene und die waren immer in alle Richtungen offen. Niemand wäre auf die Idee gekommen, sich als Emo zu bezeichnen. Ich verstehe das heute noch nicht. THE PROMISE RING hätten doch nie gesagt, sie seien eine Emo-Band. Es kam, wie es kommen musste, es wurde ausgeschlachtet und als dann Bands wie MY CHEMICAL ROMANCE oder FALL OUT BOY auftauchten und als Emo galten, wurde der Kajalstift wichtiger als die Akkorde, da war es für mich vorbei.

Claas: Für mich auch.

Nun konnten wir zwar immer noch nicht klären, was Emo genau ist. Aber das ist auch egal. Ich habe das Gefühl, Frederic und ich haben eine ähnliche Vorstellung davon und solange es Menschen gibt, die so enthusiastisch für Musik brennen, förmlich aufblühen, wenn sie darüber reden, Erinnerungen teilen und Anekdoten erzählen können, ist das alles egal. Am Ende sind es lediglich Schubladen, mit deren Hilfe eine Haltung und vielleicht auch bestimmte Werte, die damit in Verbindung stehen, zusammengefasst werden können. Und darum geht es doch in einer Szene – um Haltung und gemeinsame Werte, ohne zu moralisieren. Und um die Töne, um die Musik.

Text und Interview: Claas Reiners

Mitarbeit: Jens Fömpe

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