April 6th, 2020

Wenn Gott das wüsste, würde er sich im Grab umdrehen: Wie Theologen den Allmächtigen verteidigen. – Texte zum Thema Religion Teil 2 Andreas Müller aus #133, 2008

Posted in artikel by Jan

(hpd) Lieber Gott: Bitte rette uns vor deinen Anhängern! Danke und Amen.    (Teil 3)

8. Die Neuen Atheisten sind Antisemiten

Ein typisch deutscher Vorwurf, würde man meinen, doch kommt er in amerikanischen und britischen Debatten ebenso vor. Wobei Dawkins in einem Interview sagte, er wäre in Deutschland besonders unfreundlich aufgenommen worden und in der Tat hat man ihm hierzulande öfter Antisemitismus unterstellt, oder auf ähnliche Weise die Gürtellinie unterschritten. Der Vorwurf lautet: Die Neuen Atheisten, vor allem Richard Dawkins, haben ein Problem mit Juden als Volk, nicht als Religion. Die Logik hinter der Anschuldigung: Atheisten nehmen uns zahlende Gläubige weg und deshalb diffamieren wir sie mit allen Mitteln.

Ein gewisser „kamenin“ geht in seinem Blog auf einen aktuellen Vorwurf dieser Art aus der FAS ein. So wie in diesem Fall funktioniert die Strategie immer: Man zitiert einen der Neuen Atheisten aus dem Zusammenhang, verwendet tausendmal Begriffe wie „judenfeindlich“ und „antisemitisch“ und meint, damit irgendetwas bewiesen zu haben.

Verteidigt wird Dawkins zum Beispiel vom Israel Network, also direkt von denjenigen, die sich für den allerbilligsten Angriff auf die Neuen Atheisten missbrauchen lassen müssen. Einen weiteren Konter findet man beim Skepticker, diesmal mit Bezug auf einen Artikel der SZ. Auch Alan Posener von der Welt geht auf das Thema ein.

Soll sich auf diese Weise das Christentum aus unserer Kultur verabschieden? Indem seine Vertreter selbstgerecht ihre Gegner „Antisemiten“ schimpfen? Vor allem, wo doch das Christentum mit seinen Jahrtausende andauernden Fantasien über Juden – sie trinken das Blut christlicher Kinder, vergiften Brunnen, schänden Kekse – viel mehr zum europäischen Antisemitismus beigetragen hat, als alle anderen Weltanschauungen.

Die leichtfertige Unterstellung von Antisemitismus ist eigentlich selbst antisemitisch. Das Thema wird benutzt, als wäre es nicht sonderlich wichtig, als könnte man einfach jeden, den man nicht leiden kann, statt „Idiot“ einfach „Antisemit“ nennen. Wenn sich jemand beim Bäcker vordrängelt, dann unterstellt man ihm bald einfach, er habe den Holocaust geleugnet. Wenn jemand im Kino sein Handy nicht ausstellt, war sein Vater im KZ für Verbrennungen zuständig. Wenn jemand die Geschichte von der Sintflut nicht mag, ist er ein Feind des jüdischen Volkes (genau das hatten wir ja schon im Falle des Indizierungsantrags für das Ferkelbuch). Und am Ende sind alle Antisemiten, vor allem die Juden selbst.

9. Nicht mein Gott

„Es ist nicht mein Gott, den Sie da kritisieren.“ Ein Ausweichmanöver, das auch bei weltlichen Themen vorkommt, wenn liebgewonnene Ansichten verteidigt werden: Man behauptet, dass die von der Gegenseite geäußerte Kritik an der Sache vorbeigehe, obwohl dies keineswegs der Fall ist.

Christopher Hitchens hat das Problem auf den Punkt gebracht: „Ich hätte für jeden Gläubigen ein eigenes Buch schreiben müssen.“ Der Religionskritiker muss immer verallgemeinern. Jeder muss immer verallgemeinern. Ansonsten bräuchten wir für jeden Sachverhalt, den wir aussprechen, 100 Jahre. Zum Beispiel: „Äpfel sind grün.“ Dabei sind aber nicht alle Äpfel grün. Müssen sich nun rote oder gelbe Äpfel hintergangen fühlen? Oder dürfen sie sich freuen? Und was ist mit verschimmelten Äpfeln? Dasselbe gilt für Religionskritik: „Christen glauben, dass Jesus Gottes Sohn ist.“ Es gibt jedoch auch „Christen“, die meinen, Jesus sei nur ein Mensch gewesen und ein gutes moralisches Vorbild. Gott sei derweil das ultimativ Gute, Schöne und Perfekte, aber keine Person. Für viele Menschen ist diese Interpretation hinreichend, um sich „Christen“ zu nennen, selbst wenn man sie noch vor 300 Jahren wegen Häresie für diese eigenwillige Deutung verbrannt hätte.

Jedoch haben Religionskritiker klare Bezugspunkte: Den Katechechismus der katholischen Kirche, das apostolische Glaubensbekenntnis, Studien, Umfragen, heilige Bücher aller Art. Wer meint, er wäre ein Christ, glaubt aber nicht, dass Jesus Gottes Sohn war, der ist kein Christ. Streng genommen ist niemand, der den Papst für fehlbar hält, ein Katholik. Schließlich ist die katholische Kirche der Urheber des Katholizismus und darf ihn definieren, wie sie will. Wenn Gläubige schlampig mit ihrem Glauben umgehen, dann ist das nicht die Schuld von Religionskritikern. Mit dem selben Recht, mit dem sich manche Leute „Katholiken“ nennen, könnte auch ein Gärtner behaupten, seine Berufsbezeichnung lautete eigentlich „Maurer“.

Oftmals stimmt die Behauptung zudem nicht einmal, das kritisiere Gottesbild wäre nicht das Gottesbild des jeweiligen Gläubigen. Es ist ein scheinbar bequemer Weg aus der Schusslinie der Vernunft.

10. Gott ist unfassbar und unwiderlegbar

In der Tat ist es unfassbar, dass noch immer Menschen an Gott glauben. Die allgemeine Gottes-Unfassbarkeit, die unter Theologen verbreitet ist, hat ihren Ursprung meist in deren Unwillen, etwas Konkretes über Gott auszusagen. Würden sie das, käme schnell ans Licht, dass an ihrem Gott nicht viel dran ist. Oder sie wissen selbst nicht mehr, was sie eigentlich glauben. So ist Gott, der einstige Schwarzenegger der Wolken, nur noch ein „Sein im Seienden“, oder das „Eine, das ist“, oder das Absolute, das so absolut ist, dass es niemand anständig definieren kann. Oder das Gute, aber nicht das Gute selbst, sondern das Gute, das über uns ist, oder, wie Christopher Hitchens es ausdrückte: „Weißes Rauschen.“

Aber unwiderlegbar ist „Gott“ keineswegs. Man bekommt von Theologen oft zu hören, Gott gehöre zum Reich des Transzendenten, des Übernatürlichen, und wäre deshalb von uns nicht erfassbar. Weder können wir seine Existenz belegen, noch können wir sie widerlegen. Diese Haltung wird auch von vielen Wissenschaftlern, etwa von der GWUP (Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften e.V.) geteilt. Ferner könne die Naturwissenschaft überhaupt nichts zur Gottesfrage aussagen, weil es nicht ihr Aufgabenbereich sei. Dass dies offensichtlich falsch ist, scheint fast niemanden sonderlich zu stören.

Rein erkenntnistheoretisch ist diese Aussage zwar korrekt, aber nur, wenn wir 1. alles vergessen, was wir sonst noch über das Universum wissen und/oder 2. von einem Gottesbild ausgehen, das kein Mensch vertritt – es sei denn, wir kaufen Theologen ihre „Das Eine, das ist“-Story ab. Der Umstand, dass man die Nichtexistenz „Gottes“ oder des unsichtbaren, rosafarbenen Einhorns nicht beweisen kann, ist unwichtig.

Wer glaubt schließlich an einen rein transzendenten Gott? An einen Gott, der sich in einer anderen Dimension befindet und nie ins Weltgefüge eingreift? Niemand. Auch Deisten glauben das nicht, denn sie nehmen an, dass Gott die Welt erschaffen, also mindestens einmal in unsere natürliche Welt eingegriffen hat. Wie bereits erläutert, würde ein Universum, das von einem intelligenten Schöpfergott erschaffen wurde, anders aussehen als das unserige. Zum Beispiel hätte am Anfang etwas passieren müssen. Die Schöpfung zum Beispiel. Wenn sich die Gesamtenergie des Universums jedoch nicht verändert hat, dann gab es so etwas nicht. Es gab nur natürliche Prozesse, Energieumwandlungen, die ohnehin jeden Tag unvorstellbar oft vorkommen. Auch der Urknall war nur eine gewaltige Verkettung von Energieumwandlungen. Ohne Schöpfung kein Schöpfer. Das erspart auch die lästige Frage, wer den Schöpfer erschaffen hat, oder wie ein ewig existenter Gott vor der Erschaffung des Universums seine Zeit vertrieb? Ohne Schafe konnte er nicht einmal Schäfchen zählen. Ist der ewige Gott also der Gott der ewigen Langeweile?

Damit wäre aber nur der Gott der Deisten (und der Gott der Theisten als Schöpfer) widerlegt, was ist mit dem christlichen Gott oder mit Allah? Beides sind Götter, die öfter ins Weltgefüge eingreifen. Laut der islamischen Theologie greift Allah sogar immer ins Weltgefüge ein, ohne dieses Eingreifen würde nichts funktionieren. Naturgesetze gibt es im Islam nicht. Alles geschieht nur, weil es der Wille Allahs ist.

Weniger radikal ist der christliche Gott, der eingreift, wenn er mit Propheten spricht oder Wunder wirkt, oder wenn er seinen Sohn von einer antiken Besatzungsmacht hinrichten lässt.

Propheten haben ihre Visionen meist zeitgleich mit ihren epileptischen Anfällen, was misstrauisch machen sollte. Auch enthalten ihre Prophezeiungen nichts, was sich nicht jeder von uns auch hätte ausdenken können.

Die Wunder der Bibel enspringen der Vorstellungswelt ihrer Urheber. Wasser in Wein verwandeln, Kranke heilen, von den Toten wieder auferstehen, Brot und Fische vermehren. Das haben schon die ägyptischen Götter gerne getan. Nichts davon ist originell oder herausragend. Sogar die gewaltige Sintflut kommt bereits im 5000 Jahre alten Epos Gilgamesh vor (daher stammt sie auch). Was wäre eines Gottes würdig gewesen? Zum Beispiel die Verwandlung eines Staubkorns in eine Atombombe. Oder die Konstruktion eines Mikrowellenherds, der Manna in einer Sekunde heiß macht.

Nirgends in der Bibel ist von einem Heilmittel gegen Krebs die Rede, von Strings und Superquanten, oder von Shakespeare (Warum hat Gott Shakespeare eigentlich zu einem besseren Schriftsteller gemacht, als er es selbst ist?). Die Bibel ist das Ergebnis ihrer Entstehungszeit und sie enthält absolut nichts, was auch nur ein Quäntchen darüber hinausragt. Gott hätte ein anderes Buch geschrieben. Ein Buch mit tiefen Einblicken in die Mathematik, Physik, Biologie. Ein Buch, das es wert ist, einem ausgewählten Volk überreicht zu werden.

Fazit: Bestimmte Eigenschaften eines Gottes, der in die Welt eingreift, können widerlegt werden (insofern man überhaupt etwas widerlegen kann). Und zwar so lange, bis von diesem Gott nichts Interessantes mehr übrig bleibt. Ein Gottesbild, das sich selbst widerspricht, ist logisch widerlegt (z.B. Die einfältige Dreifaltigkeit). Die Naturwissenschaften können über einen rein transzendenten Gott nichts aussagen. Da niemand an einen solchen Gott glaubt, ist dieser Umständ irrelevant. Alle relevanten Götter können teils oder ganz auf ihren Einfluss in der Welt untersucht werden. Und dies ist bereits in einem Ausmaß geschehen, dass vom großen, allmächtigen Mann im Himmel nur noch ein Lückenbüßer-Gott übrig geblieben ist.

Und bald wird auch dieser verschwinden.

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Ausblick: Die „Religion in der Defensive“-Reihe endet zunächst mit diesem Teil. Die restlichen Argumente der Bodyguards des Allmächtigen sollen auch noch eine Antwort erhalten. Diese sind zwar nicht besser, aber weiter verbreitet und etablierter als einige der bislang genannten Argumente, weshalb ihnen ein eigener Artikel gewidmet wird. Dazu gehören: „Keine Moral ohne Gott“ und das auch bei vielen Atheisten beliebte, aber haarsträubende Argument „Religiöse Gewalt hat nichts mit Religion zu tun“. Bis dahin bieten wir neue übersetzte Texte von den Brights und von den Neuen Atheisten an.

Andreas Müller

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Über freischwebende Intelligenzen und höhere Mächte    

Laut der Shell Jugendstudie von 2006 glauben 19% der Jugendlichen an eine unpersönliche höhere Macht. Dieser Glaube nimmt mit dem Alter zu. Für die Religionskritik spielte dieser eigenartige Glaube bislang kaum eine Rolle. Er scheint auf den ersten Blick keinen sonderlichen Schaden anzurichten. Wegen „Irgendetwas Höherem“ werden keine Ungläubigen geköpft.

Das ist wohl auch durchaus richtig. Dennoch stimmt auch mit dieser Form von Religiösität etwas nicht. Wer meint, dass es da draußen irgendetwas Höheres geben müsse, der scheint sich nicht ernsthaft mit Gott und der Welt befassen zu wollen oder zu können. Ferner zeugt eine solche Haltung von einem sehr nebulösen und somit unklaren Denken. Bekanntlich steht weit oben auf dem Programm der Aufklärung die gedankliche Klarheit.

Daniel Dennett bezeichnet Anhänger einer Version dieses Glaubens als „Murkies“. Murkies sind nicht wirklich religiös. Sie glauben nicht an jemanden, der ihre Gebete erhört und der die Welt erschaffen hat. Sie glauben nur an ein „höheres Prinzip“, an eine „tiefere Wahrheit“ und natürlich an die allseits beliebten „Geheimnisse des Universums“ und sie können es gar nicht leiden, wenn ihnen jemand diesen „Glauben“ nehmen will. Das ist schon überaus seltsam. Denn wer an „irgendetwas“ glaubt, der weiß gar nicht, woran er glaubt, tut das aber trotzdem unter Umständen mit einiger Überzeugung.

Es gibt in diesem Fall scheinbar keine klaren Anhaltspunkte für Kritik, keine haarsträubenden Dogmen um Kekse und Jungfrauen, keine Kartenspieler-Wunder oder unfähige Propheten. Jedoch existiert eine Fassung dieser Haltung (oder sind es verschiedene?), zu der sich schon mehr aussagen lässt: „Es gibt irgendwo da draußen eine höhere Intelligenz.“

Diese Intelligenz stellt man sich als körperloses, unpersönliches und freischwebendes Etwas vor, das zudem noch unsichtbar ist, aber dennoch sehr intelligent. Und irgendwie steckt es hinter dem Universum und dem ganzen Rest, ist vielleicht die Grundlage der Naturgesetze. Womöglich handelt es sich bei dieser Haltung um eine Spielart des so genannten „Panentheismus“, nicht zu verwechseln mit dem „Pantheismus“, der jedoch ebenso einige Fassungen dieses „Irgendwas-ismus“ bezeichnen könnte. Dabei geht es um eine Wesenheit, die in und über, aber nicht außerhalb des Universums steht, die gleichzeitig immanent und trotz allem transzendent ist, wobei dieses Wesen alles umfasst. Einen logisch nachvollziehbaren Sinn ergibt dieses Konzept wahrlich nicht. Vielleicht erklärt es sich ja durch ein panentheistisches religiöses Gefühl, dem diese eigenartige Sichtweise entstammt.

Ferner gibt es einige Probleme mit dem Konzept einer freischwebenden Intelligenz. Intelligenz ist immer an einen Körper gebunden. Nur ein Körper hat Bedürfnisse und Wünsche. Er will zum Beispiel essen, schlafen und einen Mercedes. Seine Intelligenz verwendet er darauf, seine Bedürfnisse und Wünsche zu befriedigen. Was jedoch sind die Bedürfnisse einer körperlosen Intelligenz? Warum sollte sie überhaupt irgendetwas wollen? Essen und schlafen muss sie nicht und mit einem Mercedes kann sie nichts anfangen. Ist sie vielleicht besonders selbstlos, weil sie keine eigenen Wünsche hat? Wohl kaum, jedenfalls nicht im Bezug auf Menschen, die dem Wesen einer solchen Intelligenz vollkommen fremd wären, sondern höchstens in Bezug auf andere freischwebende, intelligente Existenzen. Dann wieder haben diese anderen Intelligenzen keine eigenen Wünsche, benötigen also niemanden, der für sie altruistisch handelt. Man braucht kaum zu erwähnen, dass es für diese intelligenten Freischweber keinerlei Belege gibt.

Und dieser Glaube nimmt mit dem Alter zu. Die Betroffenen glauben also immer stärker an etwas, von dem sie keine Ahnung haben, was es ist. Zu allem Überfluss sind viele Vertreter dieser Gattung überheblich gegenüber Menschen, die nicht an „irgendetwas“ glauben, denn „an irgendetwas muss man doch glauben“. Und wenn man das nicht tut, dann ist man „materialistisch“ oder „oberflächlich“ und hat kein „Gespür für die tieferen Geheimnisse des Universums“. Denn jeder Mensch braucht doch „einen Halt“ und etwas, das „über ihm“ steht.

Berühmt ist inzwischen die Antwort des Schriftstellers Douglas Adams auf die große Frage nach dem Universum und dem ganzen Rest, nach eben jenen „tiefen Geheimnissen des Universums“. Sie lautet „42“. Die Frage ist nur, wie die Frage lautete. Es handelt sich dabei um einen Aufruf zur gedanklichen Klarheit. Das bloße Gefühl, man müsse etwas in Erfahrung bringen, was man noch nicht weiß, genügt nicht. In der Tat besteht die große Aufgabe der Philosophie traditionell darin, die richtigen Fragen zu stellen.

Und nun wird es auch noch moralisch, wenn solche Menschen sagen, dass es „Hybris“ wäre, zu glauben, dass man selbst „das Höchste auf der Welt“ sei. In der Tat benötigt das Konzept der Hybris irgendeine Art von Göttern. Schließlich besagt es, dass man sich widerrechtlich in den Bereich des Göttlichen hineingewagt hat und nun dafür bestraft werden wird. Beliebtestes Beispiel für Hybris war der Glaube an die Unsinkbarkeit der Titantic, mit dem man die Götter herausforderte. Das haben sie nun davon… dass sie zu schnell gefahren sind und nicht genügend Rettungsboote auf dem Schiff montierten. Mit einem Eingriff in das Göttliche hatte der Untergang der Titanic nichts zu tun, sondern einfach nur mit Selbstüberschätzung und einer ordentlichen Portion Pech.

Konsequenterweise sollten wir auf die Hybris verzichten. Das „Hinausragen ins Göttliche“, auch als „Gott spielen“ bekannt, ist eine völlig willkürliche moralische Kategorie und somit wertlos. Spielen wir nicht schon Gott, seitdem wir Landwirtschaft betreiben? Ist nicht die Züchtung von Haus- und Nutztieren mit ihrer gezielten gentechnischen Veränderung, die heutzutage Hybris sein soll, identisch, nur eben langsamer? War Höhlenmalerei bereits Hybris, wo doch andere Tiere nicht malen?

In dem Spielfilm Jurassic Park 3 gibt es eine Szene, in welcher der Paläontologe Alan Grant seinen Wissenschaftlerkollegen vorwirft, „Gott zu spielen“, als er Behälter für Dinosaurierföten entdeckt. Doch ist die künstliche Erhaltung von beispielsweise Wildpferden nicht auch Hybris, wenn sie doch eigentlich aussterben müssten? Wäre die genetische Erschaffung von Dodos, die technisch vielleicht bald möglich ist, ebenfalls Hybris? Nicht, dass irgendjemand Dodos bräuchte. Kurz gesagt: Die Idee einer „Hybris“ ist sinnlos und sollte ersetzt werden durch vernünftige moralische Konzepte, welche die wirklichen Kosten und Nutzen menschlicher Handlungen im Auge haben.

Wir brauchen schlichtweg keine Gottheiten, egal wie wenige Eigenschaften sie haben und wie nebulös und unfassbar man sie sich vorstellt. Vor allem, wenn man auch noch moralische Ansichten mit einem solchen Wischiwaschi-Glauben verbindet.

Andreas Müller

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INDIEN. (gwup) Im Westen gilt Tantra gemeinhin als Synonym für ausdauernde Sexualpraktiken. Im Ursprungsland Indien könne Tantra aber noch viel bewirken, heißt es. Manche behaupten sogar, mit Tantra Menschen schaden, ja töten zu können. Nein, nicht auf die ausdauernde Sex-Art mit viel Körpereinsatz – sondern mit Zaubersprüchen.

Sanal Edamaruku, Präsident von Rationalist International, blieb skeptisch. Am 3. März forderte er im indischen Fernsehen den vorgeblich mächtigsten Tantrik des Landes heraus, seine Kräfte zu beweisen: Pandit Surinder Sharma. Der selbsternannte Schwarzmagier hatte zuvor behauptet, im Auftrag hochrangiger Politiker zu stehen und für sie zu zaubern. Als er auch noch meinte, jeden beliebigen Menschen innerhalb von drei Minuten durch schwarze Magie töten zu können, wollte der Skeptiker Sanal einen Beweis sehen – und bot sich selbst als Testperson an.

Aus drei Minuten wurden zwei Stunden. Die Live-Sendung hatte längst den Zeitrahmen gesprengt. Doch Sanal Edamaruku lebte immer noch, wirkte sogar sehr amüsiert. Der Moderator brach das Experiment schließlich ab – und erklärte den Magier zum Verlierer. Dieser versuchte es mit der Ausrede, Sanal stehe unter dem Schutz eines sehr starken Gottes. Sanal wiederum erwiderte: „Ich bin Atheist.“

Revanche beim „Tantra der absoluten Zerstörung“
Auftakt zur zweiten Runde! Noch in der Nacht gewährte Sanal dem Schwarzmagier eine letzte Revanche beim „Tantra der absoluten Zerstörung“. Erneut laborierte Pandit Surinder Sharma stundenlang unter viel Hokuspokus an dem Skeptiker herum: mit steigender Vehemenz und – wohl mangels Erfolg – teilweise körperlicher Gewalt …

Inzwischen sahen mehrere Millionen Menschen die kurios-morbide Live-Sendung, die immerhin darin hätte gipfeln können, dass jemand wahnsinnig, schreiend und unter Todeskrämpfen verschied – so zumindest die spektakuläre Ankündigung des Magiers. Doch niemand starb. Stattdessen wurden die Zuschauer Zeugen, als der Tantra-Scharlatan nach drei weiteren Stunden vom Moderator ausgezählt wurde – und erneut als Verlierer vom Altar trat.

Rationalist International schreibt auf seiner Webseite (Bulletin 171): „Sanal war sehr lebendig. Die Macht des Tantra hatte kläglich versagt. Tantriks schaffen eine solch furchterregende Atmosphäre, dass selbst Leute, die wissen, dass nichts dran ist an schwarzer Magie, aus Angst zusammenbrechen können, kommentierte ein Wissenschaftler in der Sendung. Es verlangt enormen Mut und starkes Selbstvertrauen, sie herauszufordern, indem man tatsächlich sein Leben aufs Spiel setzt, sagte er. Indem er das getan hat, hat Sanal den Bann gebrochen und denen, die seinen Triumph erlebt haben, viel von ihrer Angst genommen. In dieser Nacht erlitt einer der gefährlichsten und in ganz Indien verbreiteten Aberglauben einen schweren Schlag.“

Aufklärung, die Angst nimmt
Wir beglückwünschen Rationalist International und Sanal Edamaruku für diese so eindrucksvolle wie auch publikumswirksame Demonstration unbeugsamen kritischen Denkens und schließen uns dem Lob von Skeptiker-Urgestein James Randi an: „Eins zu Null für die Vernunft!“

Humbug statt Hypnose
Sanal Edamaruku ist am 15. März wieder aktiv geworden und hat die angeblichen Hypnose-Kräfte eines New-Age-Gurus als Humbug entlarvt. Dieser hatte in einer indischen TV-Show behauptet, die geistige und körperliche Stärke seiner Klienten durch Hypnose in Sekundenschnelle erhöhen zu können.
Nach etwas Hokuspokus, bei dem Guru Sivanand einige Freiwillige (angeblich ihm unbekannte Personen) in vermeintlichen Schlaf versetzt hatte, wählte er eine junge Frau aus dem Publikum fürs große Finale: Ihr befahl er unter Hypnose, sich „stark wie Metall“ zu fühlen, legte dann ihren Körper auf zwei Sessel (ungefähr so, dass ihre Mitte ohne Stütze war) – und ließ einen Jugendlichen darüberlaufen. Das, so Sivanand, sei nur durch seine Hypnose möglich, die der Frau die nötige Stärke verlieh …

Auftritt Sanal Edamaruku: Der Skeptiker fackelte nicht lange. Er wählte eine andere Person aus dem Publikum, verzichtete auf pseudo-hypnotisches Brimborium, bettete den Mann ebenfalls zwischen zwei Sessel und stellte denselben Jugendlichen auf dessen schwebende Körpermitte. Der Mann fühlte sich dabei bestens – und auch er brach unter dem Gewicht des Jungen nicht zusammen. Ohne Hypnose oder New-Age-Bohei. „Etwas Selbstvertrauen und die ganz natürliche Stärke des menschlichen Körpers genügen dazu absolut“, erklärte Sanal. Ein alter Trick, kein übernatürliches oder auf Hynosekräfte beschränktes Phänomen.

Der als Scharlatan entlarvte Guru, der ohne jede medizinische und psychologische Ausbildung seit Jahren an tausenden Patienten herumquacksalbert, schwieg betreten. Und wie sich später noch herausstellte, war die angeblich zufällig gewählte Frau, die Sivanand in Metall „verwandelt“ hatte, genau dafür von ihm angeheuert worden: Mehrere Zeugen hatten vor der Live-Show gehört, wie die angehende Schauspielerin einigen Freunden am Telefon ihren baldigen Auftritt angekündigte …

„Autor: Stefan Kirsch. Der Artikel erschien erstmalig in http://blog.gwup.net.“

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