Dezember 4th, 2019

Vom Imperiengeschäft – Konzerte – Festivals – Soziales: Wie Großkonzerne die kulturelle Vielfalt zerstören, Berthold Seliger

Posted in bücher by Dolf

edition Tiamat, Verlag Klaus Bittermann, Grimmstrasse 26, 10967 Berlin, www.edition-tiamat.de

In diesem Buch spannt der Autor einen großen Bogen, von der aktuellen Situation in der globalen Konzertlandschaft, wo eine Komplettkommerzialisierung zusammen mit einer beinahe Monopolisierung stattfindet bzw. gefunden hat, und schafft es einen sehr guten Einblick zu gewähren (die Weltbeherrschenden Giganten sind AEG, CTS Eventim und Live Nation). Er erzählt die Geschichte der Musikfestivals, der kalifornischen Ideologie der Hippies und was das alles mit dem Silicon Valley zu tun hat. Er beschreibt städteplanerische Entwicklungen am Beispiel von Immobilienverwertung und dem Umgang mit Kulturorten im öffentlichen Raum.

Und geht dann auch noch auf die konkrete soziale Situation von MusikerInnen und KulturarbeiterInnen ein. Das ist eine ganze Menge und wenn man überhaupt von einem roten Faden sprechen kann ist es Seligers Überzeugung das es nicht gut ist wenn sich die Kunst dem Kapitalismus unterwirft und dieser letztendlich in seiner ausgeprägten Form allen Menschen schadet. Ansonsten muss man die Themen vielleicht eher isoliert sehen und nicht zwingend als zusammenhängend im Sinne eines Buchs. Nichtsdestotrotz, was der Autor hier sagt hat Hand und Fuß und meist kann man ihm auch nur nickend zustimmen. Im ersten Kapitel – Imperiengeschäfte – wird man erst mal mit Fakten und Zahlen zum Thema überrollt, der Autor erklärt wer mit wem unter eine Decke steckt. Welche Geschichten die einzelnen Akteure haben und wir groß die Firmen geworden sind die sich um die Belange von bestimmten Künstlern kümmern. Beeindruckend. Des weiteren geht es um das Geschäft mit dem Ticketing und wie daraus in Deutschland faktisch ein Duopol geworden ist. Auch hier kann man nicht nach mehr Information verlangen. Sponsoring, Advertising, alles wird angesprochen, erklärt und vor allem auch entlarvt als das was es ist – moderne Schraubstöcke die mit allen möglichen und unmöglichen Tricks versuchen immer mehr aus den Konsumenten zu pressen. Die Kultur wird hier nur als Mittel zum Zweck missbraucht, was zwar nichts neues ist, aber eben immer wieder erwähnt werden muss. Streckenweise lesen sich die Texte wie wirtschaftliche Abhandlungen, so viel Zahlen und Fakten sind hier verarbeitet, das ist hin und wieder ein wenig zu viel und schmälert den Lesefluss, zeigt aber auch wie fleißig der Autor recherchiert hat. Ansonsten fordert Seliger, unter anderem, die Zerschlagung und Entflechtung der Konzertkonzerne – das ist zu unterstützen. Im zweiten Teil taucht Seliger in die Geschichte der Festivals ein und erzählt von Monterey Pop, Woodstock und beschreibt auch an dem Beispiel vom Burning Man Festival wie die Kommerzialisierung dort voll zugeschlagen hat. Alles sehr detailliert und faktenreich erzählt, so das es nie langweilig wird. Im dritten Kapitel geht es dann um Clubs, Wohnungen, Gentrifizierung und was da sonst noch so alles falsch läuft in den Großstädten und den nicht ganz so großen. Auch hier das gleiche Bild, Konzerne monetarisieren Kultur, Wohnraum, Freizeit ohne Rücksicht auf die Menschen. Es ist zum kotzen und macht wütend. Im letzten Kapitel geht der Autor dann noch auf die Situation von Kulturschaffenden und Musikern ein, die oftmals in selbst ausbeuterischen, prekären Verhältnissen ihrer Leidenschaft nachgehen. Dies muss sich ändern, fordert Seliger und dem ist zuzustimmen. Nach all der Zustimmung muss hier aber natürlich auch gesagt sein das Berthold Seliger seine ganz eigene Sicht der Dinge hat. Zum einen ist da mal diese Doppelmoral die hin und wieder aus den Zeilen trieft zum anderen ist da seine totale Ignoranz gegenüber Punk/Hardcore/DIY-Musik und Kultur. Diese ist wirklich schon beachtlich und man könnte sich fragen warum die so ausgeprägt ist? Neid? Zugangsprobleme? Man weiß es nicht. Aber wenn man der Meinung ist, nur selbst die Deutungshoheit darüber zu haben was gute Kunst/Musik ist und was weg kann. Und somit natürlich auch genau weiß wer aus welchem Grund welche Bezahlung bekommen soll und was die jeweiligen Personengruppen dafür qualifiziert um in den Genuss des Verdiensts zu kommen – dann ist das vielleicht kein Wunder. Dennoch schmälert diese Unerfreulichkeit keineswegs das hier sehr viel richtiges und wahres gesagt wird. Jeder der sich für Kultur und vor allem das Geschäft damit oder dem Geschäft dahinter interessiert, sollte dieses Buch lesen. Auch wenn es natürlich nicht erklärt warum die ganzen KünstlerInnen und KonsumentInnen diesen ganzen Kapitalismus-Wahnsinn mitmachen. Broschiert, 300 Seiten. 20,00 Euro (dolf)

Isbn 978-3893202416

[Trust # 198 Oktober 2019]

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