Die Gesellschaft des Zorns – Rechtspopulismus im globalen Zeitalter, Cornelia Koppetsch
transcipt Verlag, Hermannstraße 26, 33602 Bielefeld, www.transcript-verlag.de
Das hier ist wirklich eine tolle Analyse warum die Situation in Deutschland, und nicht nur hier, so ist wie sie ist. Will heißen, warum Rechts-Parteien seit einiger Zeit so viel Zuspruch bekommen. Laut der Autorin begann das alles in den 1960er Jahren und nun haben wir den Salat. Denn, viele der Menschen die „für“ die Rechten sind, sind eigentlich gar nicht klassisch rechts, sondern fühlen sich viel mehr abgehängt oder zumindest nicht mehr mitgenommen von dieser Gesellschaft. Sie können den Epochenbruch der Globalisierung mit seinen einhergehenden wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Grenzöffnungen nicht verkraften und empfinden einen Kontrollverlust.
Aber der Reihe nach: Nach einer ausführlichen Einleitung, die auch ein Wegweiser für das Buch ist und wo erklärt wird wie gegen die Folgen der Globalisierung mobilisiert wird, gibt es auch noch eine Dialektik der Protestbewegungen. Kapitel 1 nennt sich „Eine andere soziale Frage. Rechtspopulismus als gesellschaftliche Protestbewegung“ Nach einer Erklärung wie Protestbewegungen entstehen und was sie erfolgreich macht werden aktuelle Protestbewegungen mit 1968 verglichen und die Wurzeln des Rechtspopulismus aufgedeckt. Die „Schubumkehr“ wird erklärt, nämlich Veränderungen der Tiefenstruktur der Gesellschaft. Im zweiten Kapitel „Die Neuordnung des politischen Raums“ geht es um politische und kulturelle Paradigmenwechsel, die Geschichte der Globalisierung sowie der globalen Transformation und die damit einhergehenden neuen Konfliktlinien (National vs. Postnational) welche zu einem Wandel in der Parteienlandschaft geführt haben. Der gesellschaftliche Wandel dahinter wird ebenso beleuchtet wie die linke Globalisierungskritik und das postindustrielle Bürgertum was zu dem Fazit führt das Rechtspopulismus ein sinnstiftendes Narrativ ist. Im dritten Kapitel „Die neuen Trennlinien. Zur Transnationalisierung des Sozialraums“ erklärt die Autorin wer die AfD Wähler sind, stellt die ökonomische Globalisierungsverlierer-Hypothese sowie die kulturelle Backlash-These vor. Erklärt zusammengesetzte Konfliktlinien sowie die neuen Trennlinien durch die Transnationalisierung des Sozialraums. Sowie die neue horizontale Konfliktlinie – Konservative gegen Kosmopoliten. Das vierte Kapitel „Herrschaftskonflikte: Eine Koalition der Deklassierten“ beschäftigt sich mit Klassen- und Machtkämpfen zwischen dem vermeintlich guten Kulturliberalismus und dem `bösen` Neoliberalismus sowie den Milieus der Anhängerschaft im Spiegel der Islam- und Migrationspolitik. Außerdem wird festgestellt, dass für viele der Rechtspopulismus eine Therapie ist. Im fünften Kapitel: „Emotionen und Identitäten. Der Aufstieg der (Neo-) Gemeinschaften“ geht es um die Politik der Gefühle und Ethnonationale Grenzziehungen welche ein System der abgestuften Außenseiter schaffen. „Dialektik der Globalisierung. Ein neues Imaginarium sozialer Zugehörigkeit?“ nennt sich das nächste Kapitel, es beschreibt wie der Preis der Globalisierung die Fragmentierung der Mittelschicht ist und wie sich die Privilegierten abspalten und sozialräumlich Trennen, wodurch ethnische und soziale Ungerechtigkeiten entstehen. Das siebte Kapitel trägt den sperrigen Titel: „Neuer Bürgerlichkeit und die illiberale Gesellschaft: Eine historische Perspektive auf (De-) Zivilisierungsprozesse“ Hier werden distinktive Lebensführung, postindustrielle Bürgerlichkeit, Spaltungen sowie vermeintlich hilfreiche „Phantasiepanzer“ gegen die Deklassierung sowie die damit einhergehende De-Zivilisierung erörtert. Im achten Kapitel „In Deutschland daheim – in der Welt zu Hause. Alte Privilegien und neue Spaltungen“ geht es um Heimat und den Machtkonflikt der Eingeborenen und Zugewanderten. Zum Schluss „Von der Therapiekultur zur Demokratieangst: Neue deutsche Ängste“ wird erklärt was die gesellschaftlichen Gründe für den politischen Rechtsschwenk sind, wie auf Rechtspopulismus reagiert werden kann, welche Irrtümer dabei entstehen können und wie man mit der AfD umgehen könnte.
Soviel zum ungefähren Inhalt. Eines sein vorweg genommen, es handelt sich hier um ein sehr gutes Buch mit erleuchtenden und sehr tief gehenden wissenschaftlichen Überlegungen zu Analyse der Situation. In großen Teile ist das Geschriebene gut lesbar und verständlich, leider kippt das aber auch mehr als einmal und man merkt dem Buch an das es am großen Fremdwörtergeschwür leidet, das ist schade, aber wahrscheinlich kann die Autorin, welche Professorin für Soziologie ist, nicht anders. Das ist wieder ein anderes Thema. Bleiben wir bei diesem schon mehr als umfangreichen des Buches – vereinfacht gesagt ändert sich grade alles global und zwar in einem Ausmaß das viele einfach nicht mehr mitkommen. Die sehnen sich dann nicht nach einer spannenden Zukunft (Utopie) sondern wünschen sich die vermeintlich gute alte Zeit (Retopie) wieder. Diese wird den abgehängten, welche es in allen sozialen Schichten gibt, von den Rechtspopulisten geboten, nicht im Sinne von Problemlösungen sondern dadurch das ihre Gefühle befriedigt werden. Einige bis vor kurzem noch von einer Minderheit geforderten Änderungen – Stichworte: Gender, Ernährungsgewohnheiten, Umweltschutz, Gleichberechtigung, Migration… sind mittlerweile zum Teil in der vermeintlichen Mitte der Gesellschaft angekommen, sind sie aber eben nicht, sondern nur in dem bürgerlich kosmopolitisch lebenden Teil. Dort werden sie selbstverständlich teilweise gelebt aber auch sofort ökonomisiert. Damit haben viele andere Menschen ein ziemliches Problem weil sie sich in ihrer Identität angegriffen fühlen… dies ist auch verständlich aber eben gleichzeitig nur schwer nachvollziehbar. Diese emotionale Schwäche wird von den Rechten genutzt um unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen unter sich zu versammeln und zu einer vermeintlich homogenen Neo-Protestgruppe zusammenzuschließen. Wie man sieht, klappt das ja nicht ganz schlecht. Teilweise hat man den Eindruck ein großer Teil des Problems ist das jetzt endlich viele Menschen eine offenere Lebensweise bevorzugen und dies dazu führt das sich andere abgehängt fühlen – dies ist aber nicht das Problem sondern die damit einhergehende vermarktwirtschaftung von notwendigen Änderungen. Oder anders gesagt, wenn Teile der Gesellschaft Probleme damit haben mit notwendigen Änderungen klar zu kommen so ist das erst mal zu akzeptieren, es darf aber nicht bedeuten das man aus Rücksichtnahme diese noch weiter verschiebt. Viel mehr ist Teil des Problems das die „Kosmopoliten“ mit den Änderungen auch noch sehr viel Geld machen. Aber das nur am Rande. Was also ist zu tun? Die Autorin meint eine vernünftige Zukunftspolitik der etablieren Parteien würde helfen, sieht konfliktreiche und zugleich reinigende Zeiten auf uns zukommen aber gleichzeitig keinen wirklich strukturierten Wandel durch die Rechten, also kein 4. Reich in Sicht. Hoffen wir sie behält recht. In so einer Rezension kann man einem solchen Buch natürlich nicht gerecht werden, weil so viele interessante, wahre und erkenntnisreiche Punkte daraus nicht behandelt oder diskutiert werden. Böse Zungen behaupten ja Soziologie ist Wissenschaft, von der nichts mehr übrig bleibt, wenn man sie ihres Vokabulars beraubt, das weiß ich nicht, aber weniger wäre in diesem Fall auf jeden Fall mehr gewesen. Und trotzdem sei das Buch jedem empfohlen der sich von der akademischen Schreibweise nicht abschrecken lässt – es lohnt sich. Oder man könnte abschließend auch sagen: We are fucked. 288 Seiten, Taschenbuch, 19,99 Euro (dolf)
Isbn 978-3837648386
[Trust # 198 Oktober 2019]