Dezember 12th, 2019

UNFRIESIRT (122, 2007)

Posted in interview by Thorsten

Mit dem Drummer Dirk Tassilo Hettich hing ich zufälligerweise auf einer Party des evangelischen Stifts in Tübingen ab. Wir haben genüsslich mehrere Bierflaschen geleert und ich habe im alkoholbeflissenen Gespräch herausgefunden, dass hinter diesem Mann die Band „unfriesirt“ (Melodic Punkcore) aus Sindelfingen steht. Mazze, sein pöbelnder Bandkollege, versuchte im Halbdelirium den anwesenden Partygästen zu verklickern, er sei katholischer Theologe und wie schwierig es sein im Zölibat zu leben. Wir haben uns im Hintergrund krumm gelacht. Jedenfalls dachte ich eine ganze Weile, diese rotzfrechen jungen Männer hätte keine Punkattitude und „unfriesirt“ sei eine weitere Gruppe, die sich mit all den Äußerlichkeiten „Des Punks“(erschlagt mich bitte nicht für diesen allumfassenden Begriff) schmückt. Darin habe ich mich aber schwer getäuscht. Diese Band vertritt tatsächlich interessante Ansichten. In einem spontanen Gespräch plauderte Dirk von seinen Vorstellungen was eine Punkband ausmacht und ich griff, ohne ihn vorzuwarnen, überrascht zum AufnahmegerätSeit wann gibt es Euch denn genau?

Uns gibt es seit dem 7.1.2003

Ihr wurdet ja recht früh als Supportband angefragt, wie verlief Eure bisherige „Karriere“?

Das hat zu Beginn relativ lange gedauert Das war recht lustig, wir hatten 2003 drei Auftritte, 2004 waren’s dann vier, 2005 waren es dann plötzlich über 10 Auftritte. 2006 gab’s dann noch mehr. Wir mussten uns anfangs übel den Arsch aufreißen, dass wir überhaupt irgendwo spielen durften und unser erstes Konzert dann in einer Konzerthalle auf Europaletten. Das werde ich, glaube ich zumindest, nie vergessen.

Ihr habt ja schon mit ein paar renommierteren Bands gespielt wie „Normahl“. Kannst du mir weitere nennen?

Also da gibt es Aurora, die älteste Punkband Ungarns. Wir haben mit denen in Romeos Kiste in Stuttgart gespielt. Dann hatten wir einen Gig mit den Daily Terrorists und zusätzlich noch mit Normahl auf einem WM-Eröffnungsfestival.

Wie erklärst Du dir das, dass ihr schon vor so „bekannten“ Bands spielen durftet? Euch gib es ja erst seit 2003.

Das hängt mit der Einstellung unserer Band zusammen. Die Leute haben einfach gemerkt, dass wir hinter dem was wir machen auch wirklich stehen. Wir versuchen nicht auf der Bühne anders zu sein, als wir im echten Leben auch sind. Das haben natürlich auch die Menschen gemerkt, die uns an Bookingagenturen weitervermittelt haben. Ohne die läuft ja nichts. Es sind immer mehr neue Leute auf unsere Konzerte gekommen und wir haben immer mehr Anfragen erhalten.

Du hast mir gegenüber mal angedeutet, dass ihr eine eher chaotische Struktur in der Band habt. Was meintest Du eigentlich damit?

Wir sind zu fünft. Wir haben `nen Sänger, zwei Gitarristen, einen der Bass spielt und einen Schlagzeuger. Bei uns in der Band gib es niemanden, der wirklich das Sagen hat. Wir sind nur Anarchisten in der Band. Es gab mal die Regel, dass wenn jemand was sagen will, dann sind die Anderen ruhig. Das hat dann aber auch nicht funktioniert. Das stört allerdings nicht wirklich, weil wir trotzdem was auf die Reihe bekommen. Der Sänger schreibt ´nen Text, danach treffen wir uns im Proberaum und Jagen ordentlich und der Sänger versucht was drauf zu singen. So entwickelt sich der Track Stück für Stück. Dann hat man plötzlich `ne Idee, die wird dann immer besser und man versucht nen Refrain draus zu machen.

Du meintest auch mal keiner Eurer Songs würde zweimal gespielt werden. Warum?

Die Songs werden natürlich immer wieder gespielt, aber sie können nie identisch klingen. Noten schreiben wir nicht auf. Wir haben das alles im Kopf (den Ablauf) und geben das dann so ungefähr auf der Bühne wieder. Dabei entsteht ein gewisses unfriesirttypisches Feeling. Deswegen kann ich mir auch nicht vorstellen, dass es uns mit einem anderen Stil geben könnte, unter dem gleichen Namen unfriesirt.

Kommt das vor, dass ein Bandmitglied völlig aus der Reihe tanzt und was völlig Unerwartetes macht?

Natürlich. Das ist schon öfters mal vorgekommen. Entweder man hat ne gute Monitoranlage und hört was die Anderen machen oder man spielt eben „blind“. So wie es eben manchmal vorkommt. Aber eigentlich versuchen wir große Neurungen wie Stimmlagenwechsel nur in der Probe vorzunehmen und während dem Konzert ein halbwegs gewohntes Programm zu bieten.

Ihr tretet ja schon relativ viel in Jugendhäusern auf oder auch schon mehr an kommerziellen Veranstaltungsorten?

So wie das Universum in Stuttgart, oder so? Jugendhäuser sind einfach gute Locations und auch solche Bars wie Romeos Kiste. Da gehen halt immer Punkrockkonzerte. Das ist einfach schon attraktiv. Ich will gar nicht in so einer großen Halle, wie in der Liederhalle in Stuttgart, spielen. Das ist mir zu groß.

Warum?

Das ist voll unpersönlich. Wenn man in so einen kleinen Schuppen geht, in den nicht so viele Leute passen, dann ist das irgendwie gemütlicher. Es ist ein bisschen überschaubar und so und man hat einen besseren Draht zum Publikum. Wir wollen ja, dass die mit uns den Abend verbringen und mit uns gemeinsam Spaß haben.

Ich hab mitbekommen, dass ihr auch politisch engagiert seid. So in Richtung Jugend- und Sozialarbeit?

Ja, Sozialarbeit liegt mir sehr am Herzen. In Sindelfingen, wo wir herkommen, kürzt die Politik da an den falschen Ecken, meiner Meinung nach. Eine Person ist für die Leitung von drei Jugendhäusern zuständig. Wir wollen die Leute dafür sensibilisieren, dass dies der falsche Weg ist mit der Jugend umzugehen. Schließlich geht es ja um die Zukunft der jetzigen Generation, den Eltern und den zukünftigen Rentnern.

Was ist das Worst Case Szenario, dass Du Dir dazu im Kopf ausmalst.

Worst Case geht dann wahrscheinlich so in Richtung Frankreich. Schau mal was da passiert ist in den Banlieus.

Wie setzt Ihr das konkret um?

Darf ich mich jetzt vor Dir ausziehen?
(ich werde rot und fange verlegen an zu kichern)…
O.k., dass wird dann aber auch abgedruckt.
Warum willst Du Dich ausziehen?

Darf ich Dich ausziehen danach?

Was macht Ihr konkret denn? Ihr tretet in Jugendhäusern auf. Veranstaltet Ihr selber auch Konzerte?

Ja, das machen wir auch. Aber, wir sind in letzter Zeit sehr oft gefragt worden, ob wir nicht selbst auftreten wollen. Wir sind eingeladen worden irgendwo zu spielen. Es geht auch nicht darum jetzt irgendwie viel Geld zu verdienen, sondern einfach darum dass unsere Unkosten (Sprit und 2 Kisten Bier) gedeckt sind. Wenn aber andere Bands als Coheadliner 500 am Abend verdienen und wir dann aber nur 50 verdienen, dann fühlen wir uns schon auf den Schlips getreten. Wie dem auch sei, Musik soll also in aller erster Linie Spaß bleiben und wir haben den ja auch. Das Publikum soll Spaß haben. Warum sollen wir dafür Geld bekommen? Wir haben ja schließlich was von der Stimmung.

Glaubst du, dass Du in 3 Jahren immer noch so denken wirst?

Denke schon, ja. Musik ist für mich schon mehr als ein Hobby, aber es ist auch nicht mein Beruf. Es soll auch nicht mein Beruf werden, sondern das ist mein Ausgleich zum Alltag oder mehr als das: es ist mein Lebensgefühl. Ich kann nicht ohne Musik leben. Mit der Musik kann ich was ausdrücken, was verändern. Glaube ich…warum lachst Du denn jetzt so. Ist Dir das zu weich für Punkrock?

Ich finde Dein Antworten cool.

Du kannst auch gehen, wenn es Dir nicht gefällt.

Ne, ich denke so ähnlich übers Auflegen. Ich denke, wenn man davon lebt, dass man dazu tendiert in der Routine immer einförmiger und langweiliger zu werden. Es geht dann in erster Linie darum das Publikum zu halten, und die Spontanität und geht dann dabei vielleicht ein stückweit verloren.

Das ist mir auch schon öfters aufgefallen. Wir waren ja jetzt schon n´paar Mal unterwegs. Die Konzertveranstalter suchen sich die Bands aus, die viele Leute ziehen und mit denen sie ihre Kohlen reinbekommen. Damit kann ich aber nicht viel anfangen. Das war dann auch irgendwann bei uns der Fall, dass immer mehr und mehr Leute kamen. Es war aber nie unsere Absicht, mehr Geld zu verdienen. Deswegen schicken wir unsere Demos auch nicht an irgendwelche Labels, weil wir nicht an diese gebunden werden wollen.

Bringt Ihr auch manchmal Aktionen mit denen Ihr versucht das Publikum zu verwirren und die Erwartungen zu enttäuschen?

Prinzipiell haben die Leute, die auf unsere Konzerte kommen, keine Erwartungen. Es gab schon Abende and denen bestimmte Bandmitglieder zu besoffen waren um auf die Bühne zu gehen. Wir haben dann trotzdem ein ganzes Konzert gespielt und die Leute fanden es trotzdem geil. Ansonsten pöbeln wir ganz gerne mal Leute an und riskieren auch mal ne dicke Lippe um sie aus der Reserve zu locken. Das ist manchmal ein Bisschen krass. Unser Schlagzeuger macht das ganz gern. Zufälligerweise sitzt der hier. Ich beleidige schon ganz gerne Leute, einfach nur so.

Du meintest Euer Ziel sei es, die Leute zum Denken zu bewegen?

Ja, nur zum Denken. Hauptsache, sie denken nach über das was sie da tun. Der Rest ist dann erstmal zweitrangig. Ich habe den Eindruck, dass viele Leute nicht nachdenken. Sie lassen sich einfach fremd bestimmen und das geht eben mal gar nicht klar.

An welchem Punkt ist das am Stärksten ausgeprägt?

Im Verhalten vieler Jugendlicher. Sie lesen Zeitungen wie Glamour und Bravo. Da sind ja Tipps drin zu den Fragen: Wie ficke ich richtig? Wie lasse ich mich am besten Ficken? Oder, so in die Richtung eben. Das ist nicht der richtige Weg, glaube ich. Ich will jetzt hier aber auch nicht sagen was der richtige Weg ist. Das soll schließlich jeder für sich selbst rausfinden. Jeder soll, das ist die Hauptsache, über sich selbst nachdenken und seinen eigenen Weg gehen.

Hauptsache jeder geht seinen Weg?

Ja, Hauptsache er soll es zumindest mal versuchen. Genau das machen viele Leute ja gar nicht, weil sie sich einfach nur fremd bestimmen lassen.

Punk, was bedeutet das für dich noch?

Das ist meine Grundeinstellung, in der ich mich da ein Bisschen repräsentiert fühle. Es handelt sich dabei um Regimekritik bei der auch die Wurzel liegt um sich selber auszudrücken. Dabei ist es egal ob es schön ist oder nicht und dabei auch was zu verändern.

Was würdest Du momentan am ehesten kritisieren?

Na, die Gesamtentwicklung. Die Dekadenz, die man ja schon aus dem alten Rom kennt. Den Leuten geht es einfach oft zu gut.

Woran machst du das konkret fest? Das kann doch nur ein Stuttgarter behaupten!

An solchen Kleinigkeiten wie dass sich viele Leute nicht mehr über Kleines freuen können. Daran, dass das Geld im Vordergrund steht. Das auf so etwas wie auf einen Dank kein Wert mehr gelegt wird. Man muss nicht nur höflich sein. Man hat einfach den Blick für das Wesentliche verloren. Das Wesentliche ist so etwas wie Zwischenmenschlichkeit oder Soziales. Es geht darum dass man darauf trainiert wird seine Ellenbogen einzusetzen. Theoretisch könntest Du mein Feind sein, auf dem Weg zu einem Arbeitsplatz. Das ist ja die Grundidee des Kapitalismus. Der Konkurrenztheorie zufolge kann/darf ich ja Niemandem helfen, weil ja auch alle meine Konkurrenten auf der such nach dem Arbeitsplatz sind. Das liegt daran, dass unser System nur auf Geld ausgelegt ist.

Wann ist Euer nächster Gig?

Am zweiten Dezember in Holz Gerlingen. Es handelt sich um ein Reihe mit der Bezeichnung: If the Kids are united. Das ist ganz in unserem Sinne. Ich glaube wir sind sogar die Headliner mit noch n paar anderen coolen Bands.

Vielen herzlichen Dank für das Interview.

Schitteböhn

Interview: Annabell Weimar

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