Januar 22nd, 2018

TURBOSTAAT (#142, 06-2010)

Posted in interview by Jan

Im Grunde sind Turbostaat eine furchtbar langweilige Band. Zumindest auf den ersten Blick. Weder behaupten sie, ihr neues Album, „Das Island Manöver“, sei das Beste ihrer Karriere, noch gibt es irgendwelche Skandale im Bandkosmos zu verzeichnen, noch will man nun, wie es eben mode ist, mit „elektronischen Einflüssen“ experimentieren. Ganz im Gegenteil: Turbostaat sind noch immer die, die sie zu „Flamingo“ waren, sind noch immer sympathische Typen und können vor allem eins: Genial verschachtelte Texte schreiben. Alles wie immer, eben.

Die Platte ist fertig, die Tourdaten stehen. Festivals sind bestätigt. Wie fühlt ihr euch?

P: Höchst zufrieden, und voller Vorfreude auf die nächsten Monate. Wir würden gerne die Hacken in den Teer hauen und live spielen – müssen uns aber noch gedulden bis zum Releasetag am 9.4., bis es dann tatsächlich endlich losgeht.

Eigentlich wollte ich das Thema lassen, aber sogar eure Presseinfo steigt drauf ein. Majordeal. Als feststand, dass „Vormann Leiss“ auf einem Major veröffentlicht wird, wurden ja Kritikpunkte laut, dass das Ausverkauf sei etc.. Das übliche eben. Mal Hand aufs Herz: Wie standet ihr zu den Vorwürfen?

P: Es gab sie- diese Ausverkauf-Rufe, aber die kannst du an einer Hand abzählen. Es gab wesentlich mehr Für-Sprecher, ohne, dass wir darum gebeten hätten. Das machen die Leute ja alles von sich aus. Haare in der Suppe finden, die Suppe dann nicht mehr mögen. Andere löffeln sie aus und es schmeckt ihnen ganz vorzüglich.

Wenn sich das Thema in direkten Gesprächen ergab, konnte man da schon drüber reden und Standpunkte klären, aber auf Wadenbeißer haben wir gar nicht reagiert.

Inwieweit könnt ihr solche Vorwürfe nachvollziehen? Immerhin gab es bis dahin „Flamingo“ und „Schwan“ als Gratis-Download auf Eurer Homepage. Danach nichts mehr.

P: Es gab natürlich einige Veränderungen die mit dem Labelwechsel kamen – diese Gratis Geschichte gehörte dazu. Ich denke das ist auch völlig legitim. Die Sachen waren über Jahre frei zugänglich und sind es sicher auch noch für Leute, die da ihre Wege, Mittel und Tauschbörsen haben. Also das als Vorwurf gegen uns oder den Labelwechsel zu formulieren ist ja so was von lahm.

Ihr dürft mich nicht falsch verstehen, ich selbst finde solche Entwicklungen prima und habe im Grunde nichts gegen Major-Deals. Gerade in Eurem Fall ist ja im Grunde alles beim alten geblieben. Zumindest nach außen. Was hat sich denn für Euch geändert?

P: Wir verstehen da auch nichts falsch – es scheint ja immer noch Thema zu sein bei einigen Leuten. Für uns halt nicht. Wir sind seit Oktober 2006 bei same Same But Different, die wiederum zu Warner gehören. Wir arbeiten mit Leuten zusammen, mit denen wir zum Teil auch schon vorher befreundet waren. Wir müssen „professioneller“ an Sachen rangehen, haben nach wie vor bei allem Mitspracherecht und machen jetzt im Allgemeinen einfach wesentlich mehr als vorher.

Zur Platte. Ich finde textlich bewegt sich die Platte in Eurem typischen Gestus, ist nach „Vormann Leiss“ sogar wieder etwas kryptischer ausgefallen. Das Thema, dass ich bei Turbostaat immer heraushöre ist Aufbruch und Fernweh. Woher kommts?

M: Weiß ich nicht. Ist jetzt so bewusst kein Hauptthema.

Mit „Surt & Tyrann“ habt Ihr einen Song auf dem Album, der von der Lektüre „Lords Of Chaos – Satanischer Metal“ beeinflusst ist. Warum gerade von diesem Buch?

M: Auf irgendeiner Tour hat sich die halbe Band dieses Buch gekauft, da wir generell alle möglichen Bücher über Musik lesen. Dieses Bekennerschreiben war so schräg, dass wir uns darüber tierisch kaputtgelacht haben. Das hat aber nicht den Song beeinflusst. Der hat nur den Titel. Der Text geht um etwas ganz anderes.

Worum dann?

M: Es geht um schwule Jugendliche in einem erzkatholischen, spanischen Dorf.

Ich finde es bemerkenswert wie Euer Album eine Stimmungsschwankung hervorruft. Habt ihr den Kontrast Schweden / Sumatra bewusst gewählt? Die Kälte, Dunkelheit und Ungemütlichkeit am Anfang und am Ende dann eben die bloße Erwähnung von Sumatra, womit man ja allgemein eher das Gegenteil verbindet.

M: Nein, das sind ja zwei verschiedene Lieder. Das Schloss in Schweden bei Kussmaul sollte eigentlich eine Anspielung auf Tucholski sein, der dort im Exil gestorben ist. Sumatra ist in erster Linie ein exotischer Ort an dem es laut Duschgel viel regnet, also ein Paradies mit Makel.

Paradies mit Makel ist eine tolle Beschreibung. Angenommen es gäbe etwas „paradiesisches“, denkst Du, es käme ohne Makel nicht aus?

M: Schwer vorstellbar. Aber man würde wohl verrückt werden.

Einer der schönsten Songs auf Eurem Album ist „Pennen Bei Glufke (Wie soll denn sowas gehen)“. Wie kamt ihr auf die Idee, diesen herzerwärmenden Chor einzubauen?

M: Der Refrain sollte wie so eine Demonstration der Depressiven sein und wir haben ein bisschen rumprobiert. Irgendwie funktionierte der Refrain nachher am besten als der Chor sehr laut und dominant war.

Ich schäme mich ein bisschen das jetzt zu sagen, aber ich muss gestehen, dass ich aus irgendwelchen Gründen beim Titeltrack an gute NDW Songs denken muss. Also „Eisbär“ oder so. Auch toll: „Fünfwürstchengriff“. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie ist das so. Könnt ihr so ein empfinden nachvollziehen?

P: Ich jetzt nicht richtig… aber gegen gute NDW-Songs gibt es ja nichts zu sagen

Könnte ich sowas vielleicht sogar auf die Interpretationsfreiheit des Hörers schieben?

P: Der Hörer entscheidet ja immer. Wir haben ja selber fünf verschiedene Auffassungen von den Songs, die wir dann zusammenbringen – oder auch nicht. Der Eine hört das raus, der andere das.

Hört ihr eigentlich oft, dass verschiedene Hörer verschiedene Szenarien/Geschichten mit euren Songs verbinden? Oder werdet ihr eher selten auf Texte und das Drumherum angesprochen?

M: Es hält sich eigentlich in Grenzen. Manchmal hört man schon abenteuerliche Dinge, aber meistens wissen doch die meisten Leute worum es im Kern geht. Aber ich finde andere Interpretationen auch interessant.

Erzähl mir doch etwas über Moses Schneider. Von den Beatsteaks über die Fehlfarben bis zu euch packt der Kerl nur Hits an. Was ist das besondere an seiner Arbeit?

M: Moses möchte nie dasselbe machen. Er denkt sich für jede Platte, die er macht, immer etwas Neues aus. Bei der Vormann Leiss hat er einen großen Kassettenrecorder gebaut, jetzt hat er einen Kunstkopf und Autolautsprecher ins Zentrum der Band gestellt. Ich finde das ganz wichtig, dass Leute nicht nur ihre Stiefel runterreißen, sondern immer weiter auf der Suche sind. Und das ist er.

Genau so, könnte man denken, wie auch Turbostaat. Von denen standen mir Rede und Antwort übrigens Peter und Marten, die trotz müßigem und sperrlichen E-Mail Verkehr nie die Geduld verloren. Danke und Entschuldigung dafür, nochmal an dieser Stelle.

Interview: Raphael Schmidt

Links (2018):
Turbostaat Homepage
Turbostaat auf Discogs
Turbostaat auf Twitter

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