Dezember 31st, 2020

Trust Rückblick Teil 1 aus #201, 2020

Posted in artikel by Jan

Rückblick Teil I, die Hefte #178 – #189 

Andere würden diesen Rückblick anders schreiben. Damit es ein lesbarer und nicht nur aus Stichpunkten bestehender Text wird, ist er subjektiv. Eine unkommentierte Inhaltsangabe ist mir zu langweilig. Deshalb also von mir vollkommen nach meinem persönlichen Geschmack ausgesuchte Highlights aus den Trust-Heften der letzten fünf Jahre und der Hinweis darauf, dass viele der hier nur in Spiegelstrichen genannten Artikel ja entweder mittlerweile online verfügbar sind oder es demnächst sein werden sowie, dass von einigen Heften noch Restexemplare verfügbar sind.

Immerhin werden die allermeisten interviewten Bands mindestens genannt. So ein Rückblick bringt natürlich auch Verantwortung mit sich, denn das lakonische Kommentieren von Texten, also die extrem verknappende Zusammenfassung umfangreicher Gedanken und Meinungen anderer, kann dazu führen, dass man sich in seiner von oben herabschauenden Position allzu gemütlich einrichtet. Ich hoffe, das ist mir nicht allzu oft passiert. Es begab sich weiterhin, dass ich die Hefte beim (Wieder-)lesen von vorne nach hinten las und meine Eindrücke in dieser Reihe notierte. Das umzustellen im Sinne einer textlichen Auflockerung wäre bürgerliche Kunstscheiße.

#178 Juni/Juli 2016
Das fängt ja gut an! Schon der allererste Text aus dem Heft #178 zieht eine Metaebene in diesen Rückblick ein, die ich eigentlich gar nicht betreten wollte. Dolf reflektiert nämlich in seiner Kolumne sein Tippen auf Tastaturen in den letzten 30 Jahren und zitiert ausführlich aus seinem Text von 2002, in dem es um die rassistische Kennzeichnung Beschuldigter in den Medien geht und kommt zu dem Schluss, dass sich seitdem scheinbar nichts geändert hat. Das war 2016. Jetzt, 2020, ist es ja in Wirklichkeit alles nur noch viel schlimmer geworden.

Nach Halle, nach Thüringen, nach Hanau, nach dieser ganzen AfD-Scheiße überhaupt, die die Grenzen des rassistisch Sagbaren in den Massenmedien noch ein ganzes Stück weiter nach rechts verschoben hat, liest sich das noch mal ganz anders. Jan Röhlk mäandert diesmal recht politisch durch die Welt der Statistik, Jan Tölva schreibt übers Wetter und Bela einen Schwank aus seiner Jugend. Überhaupt ist diese Ausgabe sehr politisch. Teil II eines fetten Features, eigentlich wohl eher einer Seminararbeit zum Thema, warum ethischer Konsum eben auch keine Lösung ist, nimmt einen großen Teil des Heftes ein. Mikas Interview mit der philippinischen Band Thought kreist naheliegend um Gedankenfreiheit und die Szene auf Cebu.

Dann kommt der Rückblick auf die damals letzten 5 Jahre, da schreibe ich jetzt mal nix drüber, sonst schmelzen euch angesichts dieser Vermischung von Zeitebenen die Synapsen. Das phantastische Foto des Against Me!-Bassisten aus der folgenden Fotostrecke würde ich mir gerahmt an die Wand hängen, obwohl die Band bislang komplett an mir vorbeigegangen ist. Dann noch ein Interview von Jan Röhlk über die Siebdruck-Firma Bad Press von den Scheisse Minelli-Leuten und dann war es das auch schon mit Artikeln für diese Ausgabe. Neue Platten u.a. von The Dicks, Turbostaat und Terrorgruppe.

#179 August/September 2016
Dolf rekapituliert das 30-Jahre-Trust-Fest mit hervorragendem Lineup und beklagt leicht resigniert, dass nicht mehr alle am Heft Beteiligten sich bemüßigt fühlen, an so etwas teilzunehmen. Hier schon ein kleiner Ausblick auf das mittlerweile ja auch schon in der Vergangenheit liegende Fest zur 200. Ausgabe (war sehr nett, besonders die Joseph Boys waren toll) und auf 40 Jahre Trust in 2026. In den News wird Morrissey dafür gelobt, die Buzzcocks wegen der Zurverfügungstellung eines Songs für McDonalds kritisiert zu haben. Wer von genannten hier das wirkliche Arschloch ist, wage ich in der Rückschau mal in Zweifel zu ziehen. Die Konzertankündigungen werden von den richtig großen Bands dominiert: NOFX, DEAD KENNEDYS, DESCENDENTS, EA 80 und so…

Eine eher subjektive Auswahl der hier besprochenen Albenreviews, die auch ein paar Jahre später noch Bestand haben: Discharge interessieren mich persönlich nicht mehr so sehr, Bela lobt hier das von mir ebenfalls gefeierte „Fever Dreams“ von Don’t und wünscht sich die Band um den Wipers Schlagzeuger Sam Henry für seinen 40. Geburtstag. Die großartigen Joseph Boys sind hier mit einer ihrer frühen 7’s vertreten, ebenso wie Alvas sehr positives Review von „Saving A Sandbank“ von Saffron Meadow, der Band meines besten Freunds Christoph.

#180 Oktober/November 2016
Festivals und wie scheiße die doch sind, sind das Thema von Dolfs Kolumne. Jan referiert wortreich Pop-Trivia und rechtfertigt, was kaum zu rechtfertigen ist, nämlich seine Vorliebe für die Dire Straits. Hat ja jeder so „guilty pleasures“, vielleicht sollten die lieber im Verborgenen bleiben. Mika war auf Kaffeesuche in Ulanbaataar, wo es an jedem ersten des Monats keinen Alk gibt. Jan Tölva regt sich über christlich fundamentalistische Lebensschützer auf. Interview mit P.O.S. aus dem Doomtree-Kollektiv, ein Hip Hopper aus Minneapolis mit Wurzeln in der Punkszene von Jan, ein langer Bericht über DIY im finnischen Jyväskülä. Bela lässt dem euphorischen Review der letzten Ausgabe nun ein Interview mit den tollen Don’t folgen.

Die ansonsten grundsympathische Sängerin berichtet über die Szene in Portland und irritiert mich ein wenig mit ihrer Ignoranz Menschen gegenüber, die Songtexte nicht unmittelbar übersetzen können. Es sind ja nun mal nicht alle Muttersprachler_innen. Ansonsten noch über ihre Zweit- und Drittbands Jenny and the Spurs (ebenfalls mit Sam Henry am Schlagzeug) und den Ladies of the Night. Sam Henry stellt im Interview über seine Zeit bei den Wipers klar: „Wir waren keine Punks. Wir versuchten nur, irgendwo dazuzugehören und die Punks haben das akzeptiert.“ Und freut sich ansonsten sichtlich und absolut unprätentiös über den bleibenden Eindruck, den die Bands, an denen er beteiligt war, in der Musikgeschichte hinterlassen haben. Sonst noch: ein Interview mit Litbarski und eins mit dem Underdog Fanzine.

#181 Dezember/Januar 2016/2017
Dolf berichtet über seine Erfahrungen nach einem Jahr Smartphone-Nutzung. Da hat er mir immer noch was voraus. Stone beschäftigt sich mit dem zu diesem Zeitpunkt noch als „President elected“ firmierenden Donald Trump und fragt sich, ob die Strukturen in den USA stark genug sind, einen solchen Präsidenten auszuhalten. Das ist in gewisser Weise bis heute nicht vollständig geklärt, aber auch nicht, was es bedeuten würde, wären sie es nicht. Jan mäandert frei assoziierend durch die Welt der (Fun) Facts, Mika schon konkreter durch die Mongolei. Bela trauert um Nomeansno.

Interviews mit Nervous Mothers, Jan spricht mit Rookie-Records-Jürgen über das Labeljubiläum, viel über die Walter Elf und leider wenig über die glorreichen Kick Joneses sowie übers Labelmachen als Beruf. Besonders schön Jans Frage nach dem Umgang mit schlechten Reviews. Danach zerfaserts leider ein wenig. Mika spricht mit Jan und Tobi von Duesenjaeger über Auflösung und Reunion. Aus der Split-Single mit Iron Maiden oder Napalm Death ist dann ja leider noch nix geworden. In Häusern wohnen sie wahrscheinlich immer noch. Außerdem ein langes Interview mit Not Normal Tapes von Bela und ein kurzes von Jan mit Blank. Platten und Bücher, die bleiben: Ganz schön viele Druckerzeugnisse werden hier besprochen, darunter Christians Verriss des Damaged Goods Sammelbands. Neben zwei Pisse-Veröffentlichungen, die man ja irgendwie kennt, ist das Doppel-Album von Kick Joneses der einzige Release aus dieser Ausgabe, von dem ich behaupten kann, ihn wirklich zu kennen. Die Neu!-Seiten diesmal über aggressiven HC mit einer kritischen und trotzdem ausgewogenen Würdigung der Bad Brains.

#182 Februar/März 2017
Jan feiert in seiner Kolumne seine Beziehung mit Andrea und reflektiert seine Zeitschriften-Abos. Ich finde übrigens auch, dass ein „Blätter“-Abo für einen Politikwissenschaftler zum guten Ton gehören sollte (schönen Gruß, Herr Vogel). Mit seinem Abfeiern von Erich Fromm werde ich wohl nicht mehr warm werden. Mika reflektiert den Tape-Hype, der kurz nach dem Moment ausbrach, als wir ein neues Auto bekamen, dessen Anlage ebenjene nicht mehr abspielen konnte. Bela schreibt über den gesellschaftlichen Rechtsruck, der seitdem ja noch deutlich Fahrt aufgenommen hat. Bei den Gigterminen fällt mir auf, dass Schnipo Schranke damals selbst im Trust für relevant gehalten wurden, hat man ja gefühlt auch schon länger nix mehr von gehört.

Interviews gab’s mit Al Quint, einem Fanziner aus dem Raum Boston, quasi Zeitzeugenbefragung, dann noch die Cold Kids von Lars. Jan reflektiert in der Einleitung seines Interviews mit Ten Volt Shock die deutliche Noise Rock Schlagseite, die das Trust in den 90er Jahren hatte und wenn man die Rezis liest, bei den Schreiber_innen auch heute noch vorhanden ist. Mika ist wieder exotisch unterwegs, seine Interviews mit für meinen Horizont vollkommen abseitigen Labels und Bands lese ich tatsächlich meist als erstes. Diesmal Luk Haas von Tian An Men 89 Records.

Interessant finde ich zu lesen, was ihn bewegt, Platten mit Bands aus den aus westeuropäischer Perspektive wirklich entlegensten Weltregionen zu machen, wo hierzulande ja schon Bands aus Frankreich oder Spanien oftmals „Exotenstatus“ haben. Noch ein Interview mit Falk Fatal von Front von Jan, dann eines von Claas mit Gunnar Christiansen von Gunner Records, das ihr online nachlesen könnt. Ich mag ja auch die Fotos im Trust sehr, ist halt nur schwer, was drüber zu schreiben. Diesmal aber besonders sehenswert die Aufnahmen vom Get Lost Fest #4. Bei den besseren Releases dominieren in dieser Ausgabe die alten Hasen, Poison Idea, Discharge, Dag Nasty und die Monsters, bei den neuen alten Hasen die Joseph Boys, die wieder mit einer EP vertreten sind. Neu! diesmal vielleicht etwas verspätet mit einer Würdigung wichtiger Postpunk-Platten von Gang of Four, Wire etc.

#183 April/Mai 2017
Stone denkt in seiner Kolumne weder über Trump und andere Diktatoren nach und verknüpft das mit Nachdenken über die Scheißwelt im Allgemeinen. Jan diskutiert die Unterschiede zwischen Fußballfans und Punk/HC-Fans – und macht sich da vielleicht ein bisschen was vor. Zwischen aktiven Menschen in den verschiedenen Szenen und dem doofen Rest klafft auch in eigentlich emanzipatorischen Szenen eine große Lücke. Trotzdem hat er natürlich recht, dass der Einstieg in den Aktivismus im Punkbereich recht niedrigschwellig ist (gilt das aber für Fußball nicht auch?). Mikas Kolumne ist mehr eine Reportage aus Südafrika und ebenfalls sehr lesenswert, ebenfalls wie die Überlegungen zu Konsumismus und Radikalität von Jan Tölva. Mir fällt auf, dass bei den Liveterminen jetzt mehr die undergroundigen Bands dominieren. Deutet sich da eine Trendwende im allgemeinen Reunionzirkus an oder ist das Zufall?

Die Interviews: Jan Röhlk sprach mit Larry Livermore über Lookout Records und die alten Zeiten; besonders interessant fand ich den Abschnitt über seinen Ausstieg beim MRR – Larry scheint ein netter, kluger Typ zu sein. Klaus` Interview mit dem sehr aktiven Fabian Dietz, Schlagzeuger bei Sunbather, und deren US-Tour, sowie über die ehemaligen Bands liest sich ebenfalls interessant, weil es im Mittelteil des Textes eher um allgemeine Gedanken geht. Das Konzert von Reagan Youth in der Kieler Schaubude hab ich verpasst, Jan nicht. Er sprach dort mit dem Tour-Schlagzeuger Björn, kann man im Internet nachlesen. Das Interview über Jyväskylä und die Doku Jyväskylän Meininki über die dortige Szene ist kaum zusammenzufassen, den professionell gemachten Film (glücklicherweise mit Untertiteln) kann man aber im Netz ansehen. Überhaupt wohl die meistgenannte Stadt im Trust dieser Tage. Sonst noch ein Interview mit den Feels aus LA. Die Papierrezensionen diesmal eher Fanzine-lastig. Bei den Platten nennenswert sind wie immer subjektiv die Cute Lepers und T.S.O.L. Neu! diesmal über düsteren Post-Punk à la Joy Division.

#184 Juni/Juli 2017
Dolf berichtet über seine Reise in die seit seinem letzten Besuch deutlich stärker gentrifizierte Bay Area und über die damals schon offen zu Tage tretenden Probleme des MRR; das Ende ist bekannt. Jan freut sich unter anderem über ehrliche Verrisse. Mika vergleicht die Reunion-Welle im Punk und HC mit der Erzeugung von Bio-Kraftstoffen: in kleinen Mengen vielleicht eine gute Idee, in großen Mengen extrem zerstörerisch. Nun denn. Bela macht sich Gedanken über Wut und Authentizität. Auch schon damals beherrscht das Thema Throbbleheads die News-Rubrik. Jan Röhlk interviewt MRR-Koordinatorin Grace. Daniel interviewt die Ü30er von Krank, danach wieder Jan mit No Weather Talks (da strahlt ja schon der Name eine gewisse Ernsthaftigkeit aus), die mit beeindruckenden Musikwissen aufwarten und sich als sehr genaue Beobachter_innen von Szene-Entwicklungen erweisen. Mika ist wieder exotisch unterwegs und interviewt No U Turn aus Myanmar.

Mal wieder sehr interessant. Lügen aus Dortmund sah ich kürzlich, wenn auch nur für einige Songs, auf dem Trust #200-Fest in Bremen; wusste gar nicht, dass die eine Supergroup aus Leuten von Bad Religion, NOFX und Bikini Kill sind. ;-). Jan nochmal, diesmal außerhalb seines sonstigen Westküstenschwerpunkts, interviewt jemand vom New Yorker „AZ“ ABC NO RIO, das damals kurz vor dem Ende stand. Auch heute gibt es noch das Projekt, die Pläne für einen Neubau sind aber bislang noch nicht verwirklicht worden. Grau hinterlegt sind im Trust ja die nach Ansicht der Rezensent_innen besten Platten der jeweiligen Ausgabe. Diesmal sind das laut Stone Mulatu Astatke mit ihrem 1971er-Album Mulatu of Ethiopia. Das spricht nicht zwangsweise für die Qualität aktueller Releases, nach kurzem Antesten auf Youtube bin ich ebenfalls von dem irgendwie cheesy klingendem Afrika-Jazz begeistert. Aber HC ist dat nich. Sonst war noch das bislang letzte Werk von Chefdenker im Angebot, das ich mit seiner thematischen Verengung auf Saufen wegen Fremdscham nun nicht mehr mitgemacht habe. Immer noch Neu!: Punk mit Frauengesang.

#185 August/September 2017
Stone denkt in seiner Kolumne über Musikkritik im Allgemeinen nach. Wenn es die Platten der Kritik schon kaum noch gibt, hilft vielleicht manchmal die Kritik an den Platten. Jan führt unter anderem seinen Gedanken über Fußballfantum und Punk im Hinblick auf den Konkurrenzgedanken weiter, Jan Tölva denkt über die Relevanz von Punk in heutiger Zeit nach. Bela macht ein Special über Punk aus Phoenix, Arizona. Feederz, Slope Records und die Exterminators werden befragt. In Anbetracht seiner intensiven Beschäftigung mit Revolutionstheorie gibt Feederz Frontmann Frank Discussion erstaunliche Plattheiten bezüglich der politischen Situation in den USA von sich. Dolf rekapituliert hier seinen Beitrag aus dem 80er Fanzine „The Scheisshaus Njus“. Damals wie heute rechnet er die Kosten eines zünftigen Punk-Outfit vor und landet bei 426,02 Euro, wobei ich die Kosten für die Filzstifte zumindest diskussionswürdig finde. Die kann man ja auch anderweitig noch verwenden. Lars interviewt die Stuttgarter Melodicpunker Hell & Back, die alle ihre Platten mit wirklich ausgesucht gutem Artwork veröffentlichen. Ausführlichst sprach Jan Röhlk mit Nuclear Cult. Alva sprach mit Donita Sparks von L7. No Comment! Bei den Reviews fällt auf, dass Kulturschock (in verschiedensten Schreibweisen) ein beliebter Bandname ist, zwei davon hier mit neuen Releases. Neu! diesmal im Zeichen des Ahorns: Punk aus Canada.

#186 Oktober/November 2017
Auf dem Cover ein beeindruckendes Foto von Penny Rimbaud, der guckt ganz schon traurig. Dolf und Jan machen sich in ihren Kolumnen beide so ihre Gedanken um den Spaß im Punk und wie sich das beim Älterwerden verändert. Jan Tölva schreibt über sexualisierte Gewalt in der HC-Szene angesichts des Falles bei Wolf Down. Interviews mit Sneeze Attack, dem US-Autor Tim Mohr, der ein Buch über DDR-Punks geschrieben hat und mit „Lebenden Toten“ aus Portland. Interessant sind hier die Vertriebswege der Band in Zeiten des Internets: „Unsere Musik ist nicht schwer zu bekommen. Du musst uns nur einen Brief schreiben – dann können wir dir Platten oder T-Shirts schicken.“ Gleichzeitig haben sie nichts dagegen, wenn Fans ihre Musik ins Netz stellen – gut so! Jan Röhlk interviewt dann ausführlich Penny Rimbaud – wow, ich neige ja nicht gerade zum Fanboytum, aber das ist irgendwie schon ein Jackpot. „Hippie“ trifft es glaube ich ziemlich genau. Statt AC/DC oder KISS? (das hat er sich nicht getraut) lautet hier die Frage „Beatles oder Stones?“ und Penny Rimbaud wirft den Stones dann kulturelle Aneignung vor, haha. Bela sprach mit Alice Bag, noch so jemand von früher, die glücklicherweise nur kurz über die Bags befragt wird, die ja auch nur vier Songs aufnahmen, bevor es um ihre aktuellen Soloaufnahmen und feministische Politik geht. Neu! diesmal über Frickelcore mit – na? – Nomeansno (aber nur zwei Releases), dafür aber auch mit den tollen Rhythm Pigs, die ich erst kürzlich für mich entdeckte. Das Backcover auch wieder mit einer schönen Crass-Hommage.

#187 Dezember/Januar 2017/2018
Tolles Cover, das ich mir erst noch mal eine Weile anschauen musste, um den Blickwinkel zu verstehen. Bei den Kolumnen ist nach längerer Zeit mal wieder Stone am Start, der in einer melancholischen Stimmung die Todesfälle der letzten Zeit rekapituliert, während Mika einen Schwibbogen (ihr wisst schon, diese Kerzentreppen für`s Fenster) nach Nordkorea spannt, wo solche Teile von Gehörlosen gebaut werden, und beschreibt, wie es über ein Projekt der Stiftung Umverteilen! dazu kam. Jan Tölva schreibt seine letzte Kolumne und verabschiedet sich scheint es nicht nur aus dem Trust, während Bela seinen 40. Geburtstag ohne Don’t, dafür aber mit ein paar anderen Bands gefeiert hat und plaudert ein bisschen aus den alten Zeiten. Die News machen mit dem Hinweis auf die Uploads der ersten zehn Trust-Ausgaben auf, inzwischen sind es schon 30 Ausgaben, die als PDFs zum Download bereitstehen und die Zahl der hochgeladenen Interviews ist mittlerweile auch sehr beachtlich. Interviews mit Look Ma, No Cavities! und Crucial Response Records sowie den tollen Mobina Galore.

Es folgt eine Seltenheit im Trust: Zwei(!) Fotos innerhalb eines einzigen Textes und auf einem davon quasi ein Erinnerungsschnappschuss mit lächelnden Menschen. Thema ist übrigens das Festival zum 30jährigen Bestehen von Revelation Records, das Christian besucht hat. Auch schön die Einleitung von Mika zu seinem Tiny Ghosts-Interview, in der er die Quote von wirklichen Perlen bei der eigenen Reviewtätigkeit für`s Trust reflektiert. Noch ein Interview mit 100Blumen. Höhepunkt der Neuerscheinungen waren sicherlich die ewigen EA80, bei Neu! wird’s sehr abseitig mit japanischem Noise und Jazzcore, so Trust-Schreiber_innen-Musik halt.

#188 Februar/März 2018
Dolf hält am liebsten geheim, was es gerade besonders gerne mag, damit der Kapitalismus es nicht wieder kaputt macht, ähnlich Mika, der sich über die vermeintliche Passgenauigkeit algorithmenbasierter Playlists aufregt um dann aber doch noch die Kurve Richtung Asien zu kriegen. Auch die anderen Kolumnisten beschäftigen sich im weitesten Sinnen mit digitalen oder analogen Playlists. Zufall oder abgesprochen? Wer weiß. Interviews in dieser Ausgabe mit den selbstbetitelten Gymnasiasten-Punks von Quest for Rescue, die Jan noch aus den 90er Jahren kennt. Dolf interviewt die O-Ton Shows-Konzertgruppe, die immer noch regelmäßig HC-Konzerte in Bremen veranstalten. Das ist interessant, kann man aber nicht kurz rekapitulieren. Das nächste Interview mit Wolf Mountains aus Stuttgart kommt weniger verspult daher als die Musik. Jan sprach dann noch mit Ralf, der das sehr löbliche (weil DIY und politisch) Label und den Mailorder Kink Records betreibt. Schön, dass Leute nach so vielen Jahren noch so enthusiastisch unterwegs sind! Die TICS aus Köln, die auch selber finden, dass sie wie die upgedateten Minutemen klingen. Das ist zwar nicht neu, aber geil. Claas sprach mit der Bremer Band Stun und interessiert sich hierbei besonders für den Produktionsprozess der letzten Aufnahmen mit Kurt Ebelhäuser.

#189 April/Mail 2018
Jan vergleicht in seiner Kolumne ein gutes Gitarrenriff, sagen wir von Highway to Hell, mit der durch Übung erworbenen Fähigkeit, einen pointierten und knapp formulierten Satz bzw. Text schreiben zu können. Da habe ich so noch nicht drüber nachgedacht und ich bin mir auch nicht ganz sicher, ob das stimmt. Trotzdem gefällt mir der Gedanke für den Tag ganz gut. Mika historisiert philippinische Fanzines, da wird es mir dann doch mal zu speziell. Lars Schubach beschäftigt sich mit der Überheblichkeit von Straight Edgern, besonders der frisch konvertierten. Trifft meiner Meinung nach noch viel besser auf die Antispe-Szene zu. Frisch gestorben war zum Erscheinen dieser Ausgabe Mark E. Smith, über dessen Leben und Tod ich, auch ohne allzu großer The Fall Fan zu sein, länger nachgedacht hatte. Jan hält sein Interview mit Human Abfall für das beste Gespräch aller Zeiten.

Das weiß ich nun nicht, aber Sätze wie: „Ich glaube zum Beispiel im Fall von Punk […], dass aus der Distinktion einer Retrosubkultur, die sich immer nur selbst zitiert, selten mehr als ein schlaffer Soundtrack zum Bier trinken hervortritt. Die meisten Kids of Today picken sich aus verschiedensten Genres ihren individuellen Kanon heraus, was gut für die Kids ist, aber Gift für Subkulturen.“ Sowas musste erstmal spontan raushauen! Nach so einem Satz kann in der Tat nicht mehr viel kommen. Hier kommen allerdings noch ein paar Interviews: mit den texanischen Offenders, mit den Holländerinnen (in den Niederlanden darf man das ja nicht mehr sagen) von Slow Worries, und – wiederum eher arty-Indie-lastig mit Nosehole. Claas schreibt über Containern, Lebensmittelverschwendung und Food Sharing. Zum Schluss dann wieder zurück zum Hardcore mit einem Interview mit Joint D?. Neu! übrigens mit einem Special über Finnencore, was ganz Feines, wie ich finde!

„Ein bunter Strauß“ muss nicht immer „von jedem Dorf ein Hund“ heißen. Erstere Redewendung passt finde ich ausgezeichnet auf die zwölf hier besprochenen Trust-Ausgaben. Da waren jede Menge Perlen dabei und auch, wenn dem Heft des Öfteren vorgeworfen wird, an den eigenen vermeintlich viel zu hohen Ansprüchen zu scheitern, wird manchmal erst bei so einer konzentrierten Lektüre vieler Ausgaben hintereinander klar, wo einzelne Autor_innen mit ihren Interviews hinwollen. Und klappt die Umsetzung beim ersten Mal nicht, dann vielleicht im nächsten Interview. Das liest sich allemal spannender als das tausendste „unsere neue Platte ist die beste, die wir je gemacht haben, denn zum ersten Mal sind wir mit unseren Songs so richtig zufrieden.“ Diese Lüge wirkt doch in Zeiten, in denen sich jede_r mit zwei Clicks unmittelbar vom Gegenteil überzeugen kann, ein wenig angestaubt. Hohes Niveau zweifellos, aber trotzdem war in den ersten zwölf Ausgaben, meiner Wahrnehmung nach, keine Band und kein Album des Jahrzehnts dabei. Dabei hat sich das Trust doch oft genug schon als Trüffelschwein erwiesen. Bestimmt kommt das noch bis zur #200.

Text: Thorsten Harbeke

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