April 1st, 2020

TIGER PUSSY (#170, 2015)

Posted in interview by Thorsten

It’s empowering to witness empowerment

Dieser eine Moment, wo eine Band mich in den Bann zieht, ist immer wieder besonders. Natürlich kommt er ab einem gewissen Alter nicht mehr so häufig vor und dennoch bin ich glücklich, wenn es passiert. Auf einer Show in Cebu, Philippinen, habe ich Anfang 2014 das erste Mal Tiger Pussy gesehen. Sie spielten ein recht kurzes Set von ca. fünf bis sieben Songs. Doch sie stachen aus der Masse an Hardcore und Punkbands heraus. Tiger Pussy gefielen mir im Grunde vom ersten Moment an mit ihrer Mischung aus Riot-Grrrl und modernem Punkrock. Im Anschluss erwarb ich ihr Album „People You Hate“ für mich und einen Freund in Manila. Es dauerte noch ca. zwei Wochen, bis ich es dann endlich zu Hause hören konnte. Und die Euphorie von dem Livekonzert konnte sich konservieren. „People You Hate“ lief im Anschluss wochenlang in diversen Playern. Das Bass-Intro zu „Mind of Your Own“, der angepisste Gesang, die guten Texte. Was liegt also näher, diese großartige Band mal einem europäischen Publikum vorzustellen?! Das Interview ist mit der Sängerin Jan via Chat geführt worden.

Hallo Jan, wie geht es dir? Meine ersten Fragen sind eher die Klassiker. Stell dich bitte kurz vor. Wann habt ihr mit Tiger Pussy begonnen? Was war der Grund?

Hey! Ich bin Jan Sunday, die Stimme von Tiger Pussy. Ganz genau kann ich mich nicht mehr daran erinnern, wie damals alles anfing, aber es war im Jahr 2007. Ich bin immer am produktivsten, wenn ich deprimiert bin und zu dieser Zeit war ich das. Ich brauchte ein Ventil. Ich musste mit meinen inneren Dämonen umgehen. Das war halt so für mich. Als wir damals mit den Original-Mitgliedern angefangen haben, kannten wir uns nicht wirklich sehr gut. Aber als wir unsere ersten Songs gemacht haben, bemerkten wir, dass es für etwas gut sein wird. Es war wie ein Schmelztiegel aus Frustration, aber auch aus verschiedenen Einflüssen.

Wie spiegelt sich dieses Gefühl in Deinen Texten wider? Und wie hast Du die anderen in der Band kennen gelernt?

Das erste Album – All The Way – war jung, wütend und gehässig. Das zweite Album – People You Hate – auch wenn es mehr Aggression hat, ist reifer und beschaulicher. Es geht näher auf Erwachsen-Werden, Selbstwert und die Auswirkungen ein. Ich sehe dieses Album als eine Art Tagebuch der Gedanken. Shak, unser Bassist, hat auch einen Song dazu beigetragen. Es ist der Track I’ve had people. Dies ist einer meiner Lieblingssongs. Es geht darum, dass Vertrautheit Verachtung erzeugt. Als Sephai (Bass) und KBOI (Schlagzeug) eine Auszeit von der Band nahmen, war das genau die Zeit, als die Bandmitglieder eine Verschnaufpause von einander brauchten. Shak und ich sind wirklich gute Freunde und sie spielte vorher Bass in einer meiner lokalen Lieblingsbands. King und ich kennen uns seit 2006 und ich habe immer seine Fähigkeiten und seine Musik bewundert. Banjo kam im Jahr 2009 zu Tiger Pussy, er ersetzte Willow an der Gitarre und entschied schließlich, dass es ihm bei uns gefällt. Tiger Pussy sind jetzt im Grunde eine neue Band mit einer alten Seele. Eine neue Haut. Eine Narbe, die sticht!

Du hast die Änderungen zwischen den Alben erwähnt, die Umbesetzungen. Euer zweites Album – das einzige, das ich kenne – erinnert mich sehr an progressive Bands. Als wäre es eine 2014er-Version von Bikini Kill meets Discount. War oder ist Riot-Grrrrl eine Inspiration für Dich?

Obwohl wir viele Inspirationen aus unserem Kollektiv an Einflüssen ziehen können, wird Riot Grrrl immer eine Konstante bei Tiger Pussy sein.

Der Opener des Albums – Mind of your own – beschäftigt sich mit Machismus und Sexismus. Beruht er auf eigenen Erfahrungen? Denkst Du, dass es in Cebu für Frauen schwieriger ist als in anderen Regionen, da Cebu doch sehr katholisch geprägt ist? [Anm.: Cebu ist im Vergleich zu den sehr katholischen Philippinen, noch einmal eine Hochburg der Religion, wie mir scheint. Bischöfe aus Cebu sind noch konservativer, lokale Politiker/innen suchen noch stärker die Nähe zur Kirche als im übrigen Land. Sowas wie das Münsterland oder Paderborn, oder Bayern … der Philippinen, könnte man anmerken …] Und siehst Du die gleichen Probleme in der lokalen Punk-/Alternative „Szene“? Ich hatte das Gefühl, dass in Cebu viel mehr aktive Frauen in der Szene sind im Vergleich zu Manila, oder irre ich mich da?

Ich bin nicht religiös und ich habe nichts gegen die Religiösen. Es stört mich allerdings, wie einfach es ist, Frauen zu beschämen, wenn diese offen und befreit denken. Fast so als wäre es kein Teil des Fortschritts der Menschheit, einen freien Zugang zu Bildung haben. Frauen sind doch nicht nur die Kinderausträger für die Männer oder deren persönliche Vertraute. Frauen sind Menschen! Der gleiche Zeigefinger ist in jeder Kultur, unabhängig von der Religion, vorhanden. Frauen werden als die kleinere Gefahr betrachtet, es sei denn, sie wird mit jemandem in Verbindung gesetzt oder führt eine Beziehung mit jemand Einflussreichen. Ich finde es sehr traurig, wie einige Männer ihre Partnerinnen einkleiden und mit ihren Idealen und Interesse füttern. Warum kann sie nicht sein, wer sie ist? Sie ist gut so wie sie ist, auch wenn sie deine Playlist nicht teilt, oder?
Cebu ist sehr klein im Vergleich zu der ganzen Szene in Luzon [Anm.: Luzon bezeichnet die nördliche Region der Philippinen mit der Hauptinsel, auf der sich die Hauptstadt Manila befindet]. Es gibt eine Vielzahl von Städten und Gemeinden mit einer aktiven Punk- oder Subkulturen. Es gibt so viele wunderbare Frauen in der Szene, die ständig Revolutionärinnen auf ihre eigene Art sind.
Entschuldige bitte die sehr langen Antworten!

Vielen Dank für die langen und vor allem interessanten Antworten! Ja, Du hast vollkommen Recht. Das skizziert auch ziemlich gut, worum es in dem Song Trophy geht, oder? Die Philippinen haben so viele inspirierende Frauen – vor allem in der NGO-Szene – und sogar zwei Präsidentinnen (nicht wirklich progressive Politikerinnen, muss ich zugeben – aber wir haben mit Merkel ja ähnliche Erfahrungen). Wenn es um Gender-Gleichstellung geht, bekommen die Philippinen immer gute Ratings, sind immer in den Top 20, manchmal in den Top fünf. Glaubst Du, dass sich die Dinge ändern, zum Besseren? Wie siehst Du das Verhältnis von jungen Frauen zu einer feministischen Haltung? Bekommt ihr dahingehend auch Rückmeldungen zu euren Texten?

Ich schöpfe sehr viel Kraft daraus zu sehen, wie Frauen ausgehen und etwas aus ihrem Leben machen, vor allem bei Filipinas. It’s empowering to witness empowerment. Obwohl immer mehr Frauen die Bedeutung von Feminismus erkennen und sich gegen sexistische Dinge stellen, denke ich, dass sich erstmal nur das Umfeld verändert hat. Das Internet ist zum Beispiel ein wunderbares Medium um sich selbst auszudrücken, zu verwirklichen, aber es macht es auch einfacher für die Welt dich lächerlich zu machen, zu objektivieren, dich zu richten, zu verurteilen und zu verletzen. Das gilt natürlich für alle Geschlechter und nicht nur für Frauen.
Eines der Ziele der Band, abgesehen davon ein Ventil für Frustrationen und Schmerzen zu sein, ist es, etwas Positives aus all dem zu schaffen. Viele Frauen sind auf uns zu gekommen (einige hinterließen Nachrichten) und erzählten uns, wie sehr unsere Musik sie inspiriert hat. Ich habe bei einigen beobachtet, wie sie danach eine dickere Panzerung angelegt haben. Es ist cool, wirklich. Für viele Männer ist es eher so, dass sie staunen, wie eine female-fronted Rockband klingen kann, nämlich nicht nach dem typischen Knurren oder Jammern. Ich bin mir allerdings immer noch nicht sicher, ob das nun ein Kompliment ist oder nicht. Ich empfehle allen sich die Zeit zu nehmen, um den Sound und die Texte zu verdauen. Es geht nicht nur um Frauen, worüber wir über singen.

„Es geht nicht nur um Frauen, worüber wir über singen.“ – Ich denke, das ist die gleiche Fehlinterpretation, dass „Feminismus“ nur etwas für Frauen ist, oder?!

Ja, das ist wahr. Es geht nicht darum Männer zu hassen oder sich über Männer zu stellen.

Du erwähntest, dass ihr mit der Band und durch das Reden über die Texte in Kontakt mit anderen kommt. Fühlst Du manchmal eine gewisse Verantwortung gegenüber den Leuten? Wenn ihr ernste Themen aufgreift, sei es die schlechte Behandlung von Frauen (Trophy), Begegnungen mit beschissenen Menschen (I’ve had people) oder verletzt worden zu sein (Stockholm), übertragen das viele auf ihr eigenes Leben. Bekommt ihr Rückmeldungen in diese Richtung? Ist Musik Eure Art der Therapie, damit umzugehen?

Verantwortung? Im Sinne von ein Vorbild sein? Ich kann nicht sagen, dass ich das bin. Alles ist immer im Wandel, eine Metamorphose, und Du kannst nur hoffen, dass du das Glück hast lebend raus zu kommen und ein besserer Mensch im Anschluss zu sein. Wir können niemanden dazu drängen, sich über Nacht zu ändern, aber unsere Songs sind vielleicht der perfekte Begleiter für diesen bestimmten Moment im Leben, wo Du dein eigener, schlimmster Feind bist. Also in dem Sinne, ja, die Musik oder Kunst ist irgendwie wie eine Therapie. Sie ist ein/e Freund/in. Sie war es für mich und für viele von uns in der Vergangenheit.

Du selbst arbeitest als Web-Designer. Ich vermute, dass auch die anderen Bandkollegen reguläre Arbeit haben. Wie viel Zeit hast Du für Musik? Wie und wann bleibt die Zeit zum Songs und Texte schreiben? Wie oft könnte ihr live spielen?

Ja, älter und beschäftigter sind wir sicherlich heute. Wir haben kaum Zeit um zu proben. Zeit für Songs schreiben? Die gute Sache daran, sich nicht die ganze Zeit zu treffen, ist, dass sich viele Ideen ansammeln und darauf warten ausprobiert und ausgeführt zu werden. Wir haben gerade vor ein paar Wochen einen neuen Song geschrieben. Es ist der erste, seitdem wir das Album im September 2013 veröffentlicht haben. Ich habe eine Menge von Wörtern, Sätzen auf Lager, vor allem als Gedichte oder Essays. Jetzt müssen wir nur auf die Melodien warten.

Wie oft schafft ihr es in Cebu zu proben?

Proben? Wir schaffen es ca. ein- bis zweimal im Monat. Cebu ist relative klein und wir haben nicht so weit zu reisen. Es liegt eher daran, dass wir so beschäftigt sind.

Ich dachte auch eher an die Situation für Euch als Band. Verglichen mit anderen Städten in der Region, ist es einfach in Cebu?

Ich weiß es ehrlich gesagt nicht, wie es für andere Bands ist. Aber ich denke, am Ende läuft alles auf das Engagement und den Antrieb einer Band hinaus.

Hier habt in letzter Zeit mit einigen internationalen Bands gespielt; Lemuria, Taking Back Sunday, Saves The Day, Vokadin. Wie kam es dazu und wie war es für Euch?

Also, für mich war es als würde ein Traum wahr werden als wir mit Taking Back Sunday spielten. Ich bin aufgewachsen damit ihre Musik zu hören. Es machte uns nichts aus, dass wir als Einpeitscher ganz am Anfang für alle diese Bands spielen mussten, wir waren einfach nur glücklich die Chance zu haben, sie live zu sehen. Einige von ihnen gaben uns sehr positives Feedback, was uns sehr inspiriert und motiviert hat. Ernsthaft! Wir sind wirklich glücklich sie gesehen zu haben.

Was ist der Unterschied zu Konzerten mit lokalen Bands?

Wir versuchen immer 110 Prozent zu geben, egal ob es jetzt ein kleiner Gig ist oder ein großer Event. Das Gefühl für uns und für die Leute wäre nicht das gleiche, wenn wir weniger geben würden. Aber … ja … ich muss zugeben, die Taking Back Sunday/Saves The Day Show hat uns schon ein wenig nervös gemacht.

Gibt es Pläne selbst im Ausland zu spielen?

Ja! Wir planen eine Südostasien Tour im Jahr 2015! Wir sparen dafür gerade noch. Und denken darüber nach, wen wir dafür kontaktieren könnten …

Habt ihr irgendwelche Zukunftspläne? Ich habe gesehen, dass ihr neue Songs gepostet habt?!

Yup, im Jahr 2015 soll ein neues Album kommen. Es wird wesentlich ernster und düsterer sein.

Weitere Infos und Musik leider nur über diese Seite:

https://www.facebook.com/tigerpussey

Mika Reckordt

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