Mai 27th, 2020

THOUGHT (#178, 2016)

Posted in interview by Thorsten

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Bei unserem Besuch in Cebu im Januar 2014, hatten wir das große Glück, eine Show von Struggle for Radical Action (SRA) beizuwohnen. SRA ist eine Konzertgruppe in Cebu, die leider immer seltener Konzerte in der philippinischen Millionenstadt organisiert. In dieser Gruppe ist u.a. die Sängerin von Thought, Gray Gonzales, aktiv. Gefühlt zwei Dutzend Bands sind damals aufgetreten und am Ende des Abends konnte ich nur den wenigsten Bandnamen noch einen Sound zuordnen (s. auch Trust #165). Hängen geblieben sind auf jeden Fall Tiger Pussy (s. Trust #170), Gardo und Thought! Während Tiger Pussy großartigen Riot Grrrl Punk spielen, spielen Gardo und Thought modernen Hardcore. Gardo gelten dazu als Begründer der Hardcore-Szene der Stadt in den 1990ern.
Als Kollektiv veröffentlicht SRA auch lokale Bands, zumeist auf CD bzw. CDr, so auch die Vorgängerband von Thought namens No! Deren CD „No Means No!“ enthält zehn schnelle, kurze Hardcore-Songs, die selten über eine Minute Zeit in Anspruch nehmen. Ich hatte Gray daher angeschrieben, ob sie nicht auch mit einem Song auf der Alleiner Threat Compilation „No Future Sa Pader“ vertreten sein wollten und sie schickte mir stattdessen einige Songs von Thought. Deren Songs sind zwar etwas länger, musikalisch abwechslungsreicher, weniger herunter geprügelt, doch die aggressive, rauchige Stimme von Gray ist weiterhin unverkennbar. Auf Anhieb war ich begeistert! Im Jahr 2015 haben sie neben der Compilation auch eine Split 7“ mit Pushed Aside veröffentlicht, die ebenfalls eine gute Hardcore-Band aus den Philippinen sind.
Auf dem Konzert 2014 hatten wir die Gelegenheit kurz zu quatschen und die Idee für ein Interview im Trust entstand. Gray selbst hat längere Zeit in Europa gelebt und gearbeitet, ihr hatte ich ursprünglich die Fragen zugeschickt. Sie hat diese an ihre Band weitergeleitet und so sind die Antworten am Ende hauptsächlich vom Gitarristen Weigner. Checkt die Band unbedingt auf Bandcamp an und besorgt euch die Single!

Liebe Gray, lieber Weigner, bitte stellt doch Eure Band und Eure Bandmitglieder kurz vor. Wer ist Thought?

Weigner / Gray: Thought sind Gray Gonzales, Weigner Co, Mark Anajao, Romel Bacalan und Kyle Rolloque.

Wie würdet ihr die Musik von Thought beschreiben?

Weigner: Vom Sound her sind wir sehr stark beeinflusst von Comeback Kid und Champion. Also wirst Du sehr wahrscheinlich einige bekannte Sequenzen in unseren Songs erkennen.

Es gibt ein deutsches Sprichwort, dass da sagt: “Die Gedanken sind frei”, weil sie nicht zu kontrollieren seien. Gibt es eine ähnliche Redewendung in Tagalog oder Cebuano? Wie wichtig ist für Euch die Freiheit der Gedanken?

Weigner: Mir fällt gerade kein vergleichbares Sprichwort ein. Aber ja, die Gelegenheit zu haben, frei zu denken, ist sicherlich, was wir als Band versuchen zu vermitteln. Zum kritischen Denken zu ermutigen, steht sicherlich über allem anderen.

Die Gedankenpolizei („Thoughtpolice“) ist eine fiktionale Polizei in dem Buch “1984” von George Orwell. Ihr nutzt einige Verweise auf dieses Buch in Eurem Facebook- und Bandcamp-Account. Habt ihr als Band eine bestimmte Verbindung zu dem Buch?

Weigner: Ja, es ist tatsächlich so! Der Name der Band ist sehr stark beeinflusst von diesem Buch! Es ist erstaunlich, dass dieses Werk vor 60 Jahren geschrieben worden ist, aber sein Inhalt und die Message bis in die heutige Zeit nichts an Aktualität eingebüßt hat. Und ich kann immer noch nicht glauben, dass ich dieses Buch zum ersten Mal im letzten Jahr gelesen habe, haha!

Gedankenverbrechen („Thoughtcrime”) ist das zentrale Verbrechen in diesem Buch. Was sind Eure Gedankenverbrechen? Gibt es Gedanken, die ihr in den Philippinen besser nicht öffentlich äußern solltet?

Weigner: Wenn es eine Sache gibt, die wir hier zur Genüge haben, dann Demokratie. Ich würde mir nur wünschen, die Menschen würden weiser davon Gebrauch nehmen. Leider ist es so, dass viele Menschen eher vergleichbar mit den „Proles“ aus dem Buch sind (Anm. Mika: Die Proles stellen in „1984“ den Großteil der Bevölkerung, erhalten aber nur sehr geringe Bildung, verrichten manuelle Arbeit und leben in Armut. Ihr Widerstand gegen das System ist gering bis nicht vorhanden).

Ich würde gerne einige Zitate aus dem Buch nehmen und daraufhin Fragen zu Euren Texten stellen: “Doublethink means the power of holding two contradictory beliefs in one’s mind simultaneously, and accepting both of them.” Das passt zu Eurem Song “Version”, wo ihr singt: “two sides, two truths, none guilty”. Was hat es mit diesem Text auf sich?

Weigner: Version ist über einen gerichtlichen Konflikt aus der Sicht einer unbeteiligten, dritten Person. Es geht darum, dass alle Geschichten zwei Seiten haben. Beide Seiten haben ihre eigene Version von Wahrheit.

Einige Eure Texte wägen zwischen mehreren Alternativen ab – wie in “Dear Black”. Für mich scheint der Song über die negativen Seiten zu sein, die jede Person hat. Aber es könnte auch über Beziehungen sein, die nicht mehr wirklich funktionieren. Könnt ihr ein wenig Licht ins Dunkel bringen, wer ist Black?

Weigner: Black ist Langeweile und Leere, die mich immer wieder mal aufsuchen. Es ist ein innerer Konflikt, weil man zu bestimmten Zeiten die ruhigeren Momente alleine genießt, aber zu anderer Zeit fühlst du dich gelangweilt, als würdest du stillstehen. In diesen Momenten würdest Du am liebsten etwas Produktives über den Tag tun, aber Du findest einfach keinen Grund, dich zu bewegen.

“But if thought corrupts language, language can also corrupt thought”, ist ein weiteres Zitat von George Orwell. Sind Thought bei irgendetwas korrumpiert und wenn ja, durch was, von wem und inwiefern?

Weigner: Danke! Du hast mich von dem Zitat fasziniert und ich musste im Internet umherstreifen. Dabei habe ich herausgefunden, dass es aus einem anderen Werk von Orwell ist: „Politics and the English Language”. Wenn Du das Zitat auf Thought als Band beziehst, dann sicherlich ja! Wir alle leben in gewissen Kompromissen, aber was Du tun kannst, ist die Reichweite dieser Kompromisse zu managen.

„The choice for mankind lies between freedom and happiness and for the great bulk of mankind, happiness is better.” Eure Texte sind hingegen mehr über Schmerz, Sorgen und Verabschiedungen. Was würdet ihr wählen, die Freiheit oder das Glück?

Weigner: In gewisser Weise sind diese Songs aus tiefer Frustration entstanden. Es braucht eine gute Balance zwischen Glück und Traurigkeit. Ignoranz ist Glückseligkeit – Ich sehe viele Menschen, die mit ihrem Leben fortfahren in ihrer beschränkten Art des Glückes und die sich von der Wahrheit abschirmen. Für mich ganz persönlich: Ich würde immer die Freiheit wählen. Um eine Wahrnehmung für Dein Umfeld zu haben. Um eine größere Perspektive auf Dinge zu haben. Vergiss nicht, die Proles waren glücklich und zufrieden, weil sie nicht in der Lage waren, das ganze Bild zu sehen.

Die Philippinen sind – vor allem aus einer deutschen Perspektive – oftmals sehr mysteriös. Ein Beispiel dafür ist, dass der Sohn des ehemaligen Diktators Marcos heute einer der beliebtesten Politiker des Landes ist. Das gleiche gilt für einige Senatoren und einflussreiche Politiker/innen, die sehr stark mit der Diktatur (bis 1986) in Verbindung gebracht werden. Glaubst Du, das ist mit einem anderen Zitat von George Orwell erklärbar: “He who controls the past controls the future. He who controls the present controls the past.”

Weigner: Definitiv! Der politische Zirkus in den Philippinen ist in unermesslichem Ausmaß entmutigend. Es sieht so aus, als würden wir nicht lernen und wir hören nicht auf, diese Personen zurück in ihre politischen Positionen zu heben. Verdammte Proles, haha!

Ihr habt bisher eine Split Single mit Pushed Aside veröffentlicht. Warum eine Split-Single und warum mit Pushed Aside?

Weigner: Das liegt daran, dass wir nur ein paar Songs fertigstellen konnten und wir brauchten jemanden, mit dem wir die Kosten teilen konnten, um diese auf Vinyl veröffentlichen zu können. Und Pushed Aside haben mit den gleichen Herausforderungen zu kämpfen gehabt.

Ihr wart vorher mit No! Aktiv. Ebenfalls einer Hardcore-Band aus Cebu. Was sind die Unterschiede zwischen beiden Bands?

Weigner: Um es einfach auszudrücken: NO! war unsere rebellische Teenager-Zeit, Thought ist unser gereiftes, mittel-altes Individuum.

Thought kommen aus Cebu. Wie ist die Szene in Cebu? Soweit ich weiß kommen viele großartige Bands aus der Stadt und viele haben weibliche Bandmitglieder, wie Tiger Pussy, Thought, No!, Toxic Orgasm. Ist die Szene progressiver – was das anbelangt – als in Manila?

Weigner: Persönlich nehme ich es wahr, dass die stärker progressiven Bands aus Manila kommen. Aber hin und wieder kommt dann doch mal eine außergewöhnliche Band aus Cebu und schockiert die Hauptstadtregion.

Was passiert sonst noch in Cebu? Gibt es weitere, großartige Bands, die wir unbedingt antesten sollten?

Weigner: Ich habe in letzter Zeit weniger Kontakt zu den Leuten, daher kann ich Dir keine wirkliche Antwort geben, sorry!
Gray: Im Jahr 2015 ist die Szene etwas ruhiger geworden, da nur zwei Bands eine Platte veröffentlicht haben. Ich weiß aber, dass SRA weiterhin Punk Shows organisieren. FFH (FriendsFunHardcore) veranstalten darüber hinaus HxC Shows, aber ich merke schon, dass es nicht mehr so ist, wie Anfang der 2000er Jahre. Das Ziel ist daher, mehr Shows zu organisieren und mehr neue Bands einzuladen, zu uns zu kommen und zu spielen. Danach sollte man sie motivieren, Platten zu veröffentlichen. Zwei meiner momentanen Lieblingsbands hier in Cebu sind: Gardo und Battle the Hardship. Ich hoffe, beide werden bald ihr Album veröffentlichen. Von Gardo weiß ich, dass sie gerade ihre Songs neu aufnehmen und ich habe ebenfalls vernommen, dass auch Battle the Hardship im Studio rumhängen. Das ist schon mal ein bisschen was.
Weigner: Ja, Struggle for Radical Action ist immer noch irgendwie aktiv. Ansonsten fühlt es sich aber ein wenig so an, als wäre die lokale Szene etwas ausgebrannt.

Okay, letzte Fragen: Was war der netteste Gedanke, den Du in den letzten Tagen hattest?

Weigner: Keinen spezifischen, aber in den besten Momenten gehe ich in die „Zone“ mit meiner Musik und habe etwas zu tun; egal ob es das Schreiben von Texten oder etwas anderes ist, Hauptsache ich bin produktiv.

Und was war der schlimmste Gedanke, den Du die letzten Tage hattest?

Weigner: Langeweile! Gerade erst gestern bin ich aufgewacht und wusste nichts mit mir anzufangen. Der schlimmste Gedanke aber ist der Nicht-Gedanke („unthought“) – und natürlich irgendwann zu sterben, ohne irgendeine Kerbe zu hinterlassen, also einfach nur von der Welt zu verschwinden.

Vielen Dank für die spannenden Antworten!

Nein, vielen Dank Dir! Die Fragen waren nicht die üblichen Fragen, die wir gestellt bekommen. Wir haben das sehr genossen. Danke!

https://www.facebook.com/thoughtPH
https://thoughtph.bandcamp.com/
Text/Interview: Mika Reckinnen

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