Mai 27th, 2020

P.O.S/DOOMTREE (#180, 2016)

Posted in interview by Thorsten

Zum ersten Mal von P.O.S gehört habe ich vor ein paar Jahren, als er bei uns im Hausprojekt im Keller gespielt hat. Heute ist es relativ alltäglich, dass Hip-Hop-Künstler_innen in Zeckenläden spielen. Damals war es hingegen noch ziemlich selten. Trotzdem passte Stefon Alexander alias P.O.S sehr gut in unseren Keller – mal abgesehen davon, dass er deutlich größere Bühne verdient hätte und heutzutage oft auch bekommt. Seine Musik wich in erfrischender Weise von gängigen Hip-Hop-Standards ab, klang aber gleichzeitig deutlich mehr nach Rap als vieles, was sonst so unter dem Ausdruck Alternative Hip Hop zusammengefasst wurde. Später fand ich heraus, dass P.O.S einerseits Teil des Labels und Kollektivs Doomtree ist, andererseits aber auch bei Rhymesayers unter Vertrag steht, einem Label, das genau wie er und Doomtree aus Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota stammt und bei dem mit Athmosphere ein weiterer meiner Lieblings-Hip-Hop-Acts seine Platten veröffentlicht. Mein Interesse war geweckt und blieb auch über die kommenden Jahre hellwach. Vor ein paar Monaten dann war P.O.S mal wieder in Berlin, um dort ein paar Tage abzuhängen und ein Konzert zu spielen. Tags darauf trafen wir uns in einem Café im Bergmannkiez und redeten über all das und noch ein wenig mehr.

Wie ist Minneapolis so als Stadt?

Minneapolis ist eine wirklich schöne, angenehme und sehr liberale Stadt. Sie ist eher mittelgroß, aber sie hat eine riesige Musik-, Theater- und Kunstszene. Alles, was du an Kultur in New York, Los Angeles oder Chicago finden kannst, gibt es dort auch – zumindest in Ansätzen. Es gibt dort allerdings keinerlei wirklich große Namen, also keine Major Labels oder superbekannte Theater oder so. Es kommt daher ganz auf die Community selbst an, die immer wieder versuchen muss, sich selbst zu übertreffen. Ich denke, Minneapolis ist ein wichtiger Grund dafür, dass ich so geworden bin, wie ich bin. Ich habe zum Beispiel nie wirklich Radio gehört. Ich habe Bands gehört, die auf Tour dort vorbeikamen. Ansonsten habe ich für die längste Zeit meines Teenagerdaseins fast ausschließlich Bands aus Minneapolis selbst gehört. Wenn deine Band also nicht aus meiner Stadt war oder dort vorbeigeschaut hat, dann hatte ich höchstwahrscheinlich nie von ihr gehört.

Kommen da denn überhaupt so viele Bands vorbei? Wenn ich mir die Tourpläne von HC/Punk-Bands anschaue, dann spielen sie meist die Ost- oder die Westküste rauf und runter, aber sehr wenig irgendwo dazwischen.

Das ist sicher ein Problem, aber nur solange, bis sie das erste Mal eine größere Band supporten, die überall hinkommt. Aber das ist ja vor allem ihr Problem. Wenn du nur an der Ost- und der Westküste tourst, dann werden sehr viele Menschen nie von dir hören. Die Menschen haben die Mitte Amerikas lange schlichtweg übersehen. Aber seit das Internet alles etwas offener und transparenter gemacht hat, wissen die Leute, dass in Minneapolis eine Show auf sie wartet. Natürlich gibt es die üblichen Dürremonate im Sommer, aber zumindest in den Monaten, in denen Bands hauptsächlich auf Tour gehen, kommen eigentlich alle Bands, die mich interessieren in die Stadt oder zumindest in die Nähe.

Zumindest gemessen an europäischen Standards wirken die Twin Cities wie eine Art Insel mitten im Nichts. Hatte diese relative Isolation einen Einfluss auf die Leute und die Szene dort?

Auf jeden Fall. Es sorgt zum Beispiel dafür, dass Menschen dort ihre eigenen Plattenlabels gründen. [lacht] Außerdem ist es auch eine Stadt mit sehr langen, kalten Wintern. Für fast ein halbes Jahr am Stück sind alle entweder durchgehend besoffen und schlecht drauf oder aber sie machen sich an die Arbeit und erschaffen irgendeine Art von Kunst. Es ist ähnlich wie Portland oder Seattle eine Stadt, in der es okay ist, wenn du mit 45 immer noch als Barkeeper arbeitest, aber es ist auch eine Stadt, wo die Leute wissen, dass, wenn sie etwas machen wollen, sie sich mit ihren Freund_innen zusammen tun und etwas starten müssen. Entweder hängst du den Winter über in Bars oder halt im Proberaum. Eins von beidem.

Hat Minneapolis eine große, eine gute Punkszene?

Ich würde sagen, ja, auch wenn ich nicht mehr so stark in diese Szene involviert bin, wie ich es mal war. Von 14 bis vielleicht so 23 war ich wirklich ständig auf irgendwelchen Basement oder All-Ages-Shows und habe auch viele größere Bands gesehen oder Bands, die später groß wurden. Ich habe zum Beispiel The Get Up Kids und At The Drive-In auf einer Mini-Mini-Show an Halloween gesehen, bevor sie wirklich bekannt wurden. Bands, die viel touren, wissen einfach, dass, egal was für Musik sie machen, in Minneapolis eine gute Show auf sie wartet. Dillinger Four, Hüsker Dü und The Replacements haben da auch sicher zum guten Ruf der Stadt beigetragen. Es war wirklich einfach für mich damals, ausschließlich Bands zu hören, die ich von Shows in meiner Stadt kannte.

Und wie passt Rap da ins Bild?

Ich denke, Punk hat Rap in Minneapolis durchaus beeinflusst. Die Acts auf Rhymesayers, die ganz am Anfang und lange vor mir dabei waren, sind durch Amerika getourt genau wie Bands wie Dillinger Four. Sobald sie Geld genug für einen Van hatten, sind sie erst kreuz und quer durch den Mittleren Westen getourt und dann immer ein Stückchen weiter. Die Grundlagen dafür haben die Punkbands gelegt, die genau das Gleiche vor ihnen getan haben. Oft sind sie sogar in genau den gleichen Kellern und Venues aufgetreten. Es ist alles Teil der selben Underground-Musikszene.

Würdest du sagen, Rhymesayers und Doomtree sind mehr Punk als der Rest der Hip-Hop-Szene?

Definitiv! Das ist überhaupt keine Frage. Es sind sicher nicht alle, die bei Doomtree oder Rhymesayers dabei sind, Punks oder hören Punk, aber die Art und Weise, wie wir die Dinge in Minneapolis machen, haben ganz einfach ihre Wurzeln im Punk. Shows selber Buchen, Shirts selber Drucken, deine Platten selber Rausbringen, statt dein Demo irgendwo hinzuschicken und zu hoffen. All das halt.

Hattet ihr die Idee für Doomtree von den D.I.Y.- und Indielabels im HC/Punk?

Ehrlich gesagt glaube ich nicht, dass da wirklich so etwas wie eine Idee war. Es war eher so, dass ich und die anderen, die am Anfang dabei waren, uns überlegt haben, wer was kann, und dann wurde halt beschlossen, wer die Beats macht, wer die Shows bucht, wer rappt und so weiter. Wenn wir an einen Punkt kamen, wo wir etwas selbst nicht hinbekommen haben, haben wir geguckt, wer es kann und, wenn es gepasst hat, wurde die Person Teil der Crew. Die letzten, die offiziell zu Doomtree gestoßen sind, sind Sims und Dessa. Dessa macht jetzt die Pressearbeit und Sims kümmert sich unter anderem um das Set Design. Ich denke, dass dieser D.I.Y.-Gedanke, der ja schon sehr Punk ist, viel wichtiger ist für uns als irgendwelche Musikstile. Und bei Rhymesayers war es ähnlich. Einer der wichtigsten Gründe für den Erfolg des Labels war, dass die Künstler_innen überall, wo sie hinkamen, die E-Mail-Adressen der Leute gesammelt haben. So hat Rhymesayers einen riesiges Netzwerk an Leuten geschaffen, die Bock auf deren Art Musik haben und das hat super funktioniert.

Ist das der Grund, warum Doomtree heute ein Kollektiv ist?

Es gab nie eine bewusste Entscheidung darüber. Ehrlich gesagt waren es anfangs eher fünf Solo-Rapper, die solo Musik machen wollten. Wenn du dir das erste Doomtree-Album anhörst, dann ist es eigentlich eine Compilation. Von all den Songs sind gerade einmal zwei echte Kollaborationen. Wir haben einfach alles zusammengehauen, was wir hatten. Beim nächsten Anlauf zwei, drei Jahre später haben wir uns dann mehr darüber Gedanken gemacht, wie wir die Platte zu einem zusammenhängenden Ganzen machen und sicherstellen können, dass alle adäquat repräsentiert werden. Was dieses Kollektiv-Ding angeht, fühlt es sich für mich immer noch so an, als wenn ich eigentlich nur eine Platte machen wollte und plötzlich sind 15 Jahre vergangen. Es sollte nie unser thing sein. Ich glaube, es ist ohnehin am besten, wenn du dir nicht zu viele Gedanken machst und alles planst, sondern die Dinge sich einfach ganz natürlich entwickeln lässt.

Hast du eine grobe Ahnung, wie viele Shows du schon gespielt hast?

Ich weiß, dass ich alleine 2009, als „Never Better“ rauskam, 225 Solo-Shows gespielt habe, aber da kamen dann auch noch Shows mit Doomtree dazu. Immer kurz zuhause und wieder los, kurz zuhause und wieder los. Das hat mich fast um den Verstand gebracht damals. Das muss ich echt nicht nochmal haben… Ich glaube, insgesamt habe ich locker über tausend Shows gespielt. Locker! Meine erste Tour durch den Mittleren Westen habe ich mit 13 gemacht mit der Melodic-Hardcore- oder Pop-Punk-Band, die ich damals hatte, und seitdem habe ich eigentlich nie wirklich dauerhaft damit aufgehört.

Kannst du etwas zu dem Verhältnis zwischen Doomtree und Rhymesayers sagen?

Das Verhältnis ist grundlegend gut und hilft beiden Seiten, aber es hat natürlich auch schon mal Spannungen gegeben. Doomtree ist Doomtree und das sind zur Zeit sieben Leute. Von denen bin ich der einzige, der bei Rhymesayers unter Vertrag steht. Es gibt viele Leute, die Doomtree als Teil von Rhymesayers wahrnehmen, aber das stimmt nicht. Als ich bei Rhymesayers unterschrieben habe, war Doomtree noch gar kein wirkliches Label. Inzwischen ist das anders. Über die Jahre hat Doomtree sich entwickelt und heute haben haben wir einen vernünftigen Vertrieb und alles, und wir versuchen, möglichst bei nichts von Rhymesayers abhängig zu sein. Aber sicher hat die Aufmerksamkeit, die ich durch Rhymesayers bekommen habe, auch geholfen Doomtree bekannt zu machen. Das steht außer Frage.

Es gibt ja auch schlimmere Labels, mit denen du es zu tun haben könntest…

Absolut. Rhymesayers und Epitaph waren für mich immer die einzigen Labels, von denen ich mir vorstellen konnte, bei ihnen Platten zu veröffentlichen. Ich meine, zu Zeiten von „Punk-o-rama 2“ gab es für mich überhaupt kein anderes Label als Epitaph. Natürlich habe ich davon geträumt, da Platten rauszubringen.

Rhymesayers und Doomtree werden ja beide oft und gerne in die Schublade „Alternative Hip Hop“ gesteckt. Kannst du mit diesem Label etwas anfangen?

Ich weiß nicht. Ich mag Hip Hop nicht oder zumindest 99 Prozent davon. Egal ob Mainstream- oder Underground-Hip-Hop – beide sind totaler Müll, wenn auch auf unterschiedliche Weise. Die meisten, die rappen, können es nicht und sollten es nicht, aber machen es trotzdem. Ich bin einfach sehr wählerisch, wenn es darum geht, welche Musik ich höre. Aber gleichzeitig helfen solche Namen und Schubladen halt auch Menschen, das zu finden, wonach sie suchen. Eine Zeit lang wurde alles auf Rhymesayers oder auch Leute wie Sage Francis „Emo Rap“ genannt. Heute ist vieles an Mainstream-Hip-Hop wie zum Beispiel Drake oder so viel mehr Emo, als wir es jemals waren. Ich selbst habe nur einen einzigen echten Lovesong auf meinen Platten. Das ist doch mal gar nicht Emo. Ich mag diese Schubladen nicht, aber wenn sie Leuten helfen, dann meinetwegen.

Wann bist du eigentlich das erste Mal auf die Idee gekommen, dass Rapper Sein vielleicht eine Karriereoption für dich sein könnte?

In der fünften Klasse, als ich das Video von „Paradise City“ von Guns’n’Roses auf MTV gesehen habe. In dem Video wird in einer Art Zeitraffer gezeigt, wie eine Stadionshow von denen vorbereitet wird, und da habe ich begriffen, dass das tatsächlich ein echter Job ist. Und als ich wußte, dass das ein Job ist, hatte ich immer im Hinterkopf, dass es ja auch mein Job sein könnte. Als ich dann fertig war mit der High School, hatte ich schon zwei, drei Jahre lang Geld verdient damit, Shows zu spielen. Da musste ich gar nicht mehr groß darüber nachdenken, was ich jetzt mache. Ich hatte ja quasi schon einen Job.

Und würdest du sagen, es hat geklappt mit der Musikkarriere?

Bis jetzt durchaus. Ich meine, ich hatte schon ein paar Jobs zwischendurch, aber seit 2004 hatte ich keinen regulären Job mehr. Damals habe ich alles hingeschmissen und bin mit Athmosphere auf Tour gegangen und hab Merch verkauft. Seither bin ich nie wieder wirklich ins bürgerliche Leben zurückgekehrt.

Beeinflusst die Tatsache, dass du ökonomisch davon abhängig bist, dass sich deine Musik verkauft, deine Kunst?

Ein bisschen sicher. Aber wenn ich das wirklich machen würde, um reich zu werden, würde ich da ganz anders rangehen. Ich würde alle eineinhalb Jahre ein Album auf den Markt bringen und Lieder schreiben, auch wenn ich nichts zu sagen habe. Ich bringe aber nur alle drei, vier Jahre eine Platte raus, weil ich will, dass das meine Platten auch wirklich gut sind, und weil ich meine Fans nicht enttäuschen möchte. Ich will nicht einfach nur angesagte popkulturelle Referenzen über angesagte Beats labern, sondern wirklich was erzählen.

Das ist ein typisches Rap-Problem, oder? Viele Rapper_innen bringen ein Album nach dem anderen heraus, aber auf jedem sind nur ein paar gute Songs. Der Rest ist Füllmaterial.

Auf jeden Fall. Als Lil Wayne seine kurze Erfolgsphase hatte, hat er alle eineinhalb Monate einen neuen Song rausgebracht. Viele davon waren überhaupt nicht gut, aber sie haben ihn im Gespräch gehalten und darum ging es. So etwas zu machen, habe ich keinen Bock.

Vor vier Jahren hattest du mit ernsthaften Gesundheitsproblemen, genauer mit akutem Nierenversagen, zu kämpfen. Du konntest keine Shows mehr spielen, und das hat sich sicher negativ auf deine Einkommenssituation ausgewirkt. Hat das deinen Blick auf Musik als Karriere verändert?

Ich habe mir sicher Gedanken gemacht, aber ich habe das Ganze nie in Frage gestellt. Gleich als klar war, was Sache ist, hat meine Crew angefangen, Geld zu sammeln, damit ich nicht in Krankenhausrechnungen ertrinke und viele meiner Fans haben Geld gespendet – manche fünf manche fünftausend Dollar. Was mir auch geholfen hat, ist, dass mir der öffentlich-rechtliche Radiosender NPR angeboten hat, eine Radiosendung zu machen. Das habe ich dann auch für ein Jahr gemacht, und ich habe die Einladung, jederzeit wiederzukommen, wenn ich will. Aber aktuell arbeite ich an neuer Musik und das ist auch ein wirklich zeitraubender Job.

Wo du gerade davon sprichst. Einiges von deiner neuen Musik hast du auch gestern Abend live gespielt. Vieles davon wirkte auf mich sehr politisch. Es scheint so, als wenn dich die aktuellen Entwicklungen in den USA sehr beschäftigen…

Das tun sie immer. Ich schreibe zwar selten etwas zu einem bestimmten Ereignis, aber ich mache mir meine Gedanken dazu und merke sie mir und, wenn ich dann einen Song über sagen wir mal Polizeigewalt mache, dann packe ich all das rein, was sich bei mir über die Zeit an Gedanken zu dem Thema angesammelt hat und vielleicht geht es am Ende dann doch nicht einmal wirklich um Polizeigewalt. Macklemore zum Beispiel scheint das anders zu machen. Er nimmt sich vor, ein Lied über Thrift Shops zu machen und dann schreibt er drei Strophen und einen Refrain über Thrift Shops. So linear zu denken, war noch nie mein Ding. Wenn ich einen Song über Thrift Shops machen wollen würde, würde ich wahrscheinlich über alles mögliche rappen – über Politik, über kein Kind, über was weiß ich – und das würde ich dann irgendwie lose an das Thema Thrift Shops koppeln.

Hast du persönlich Erfahrungen mit Polizeigewalt?

Ja, habe ich. Ich war 14, als mir das erste Mal ein Bulle eine Knarre ins Gesicht gehalten hat. Das war das erste, aber nicht das letzte Mal. Ich habe das drei oder vier Mal erlebt. Ich werde auch ständig von den Bullen angehalten, wenn ich mit dem Auto unterwegs bin, und dann fragen sie mich, was in so einer weißen Gegend will. Ich erzähle ihnen dann, dass ich da schlicht und einfach wohne… Ich denke, ich bin auch ein wenig eine Anomalie. Ich bin auf sehr weiße Schulen gegangen und habe dort gesehen, wie das Leben der weißen Kids war und wie im Vergleich mein Leben war. Da gab es wirklich gehörige Unterschiede. Als damals zum ersten Mal ein Bulle mit einer Pistole auf mich gezielt hat, war ich mit drei weißen Jungen und einem weißen Mädchen unterwegs und wir haben Graffiti gesprüht. Wir haben versucht, uns zu verdrücken, als die Bullen kamen, aber irgendwann haben sie uns einkreist. Und auf wen haben sie ihre Knarren gerichtet? Auf mich natürlich. Und auf niemand anderen.

Das ist alles so schwer vorstellbar für mich, weil ich so etwas noch nicht mal im Ansatz erlebt habe.

Ich denke, die Jahrhunderte der Sklaverei wirken da wohl noch immer nach. Ich meine wenn du einen Hund die ganze Zeit schlägst und irgendwann hörst du auf damit und lässt ihn endlich ins Wohnzimmer, dann hast du immer noch Angst, dass er irgendwann zurückbeißen könnte, wenn du verstehst, was ich meine.

Glaubst du, die Tatsache, dass in in einem eher weißen Umfeld aufgewachsen bist, hat dazu beigetragen, dass du zum Punk gekommen bist?

Wahrscheinlich ja. Ich meine, Punk ist für Außenseiter_innen und ich war ein Außenseiter. Ich habe in der sechsten Klasse angefangen zu skaten und damals gab es kaum schwarze Skater_innen. Also bin ich mit weißen Kids skaten gewesen, die auch alle drei, vier Jahre älter waren als ich. Die haben mir dann Tapes gegeben mit Black Flag und so drauf und auch ein bisschen Grass… Ich denke, wenn du die Leute, mit denen du skatest anguckst und die sind alle weiß und damit anders als du und dann gehst du zu deinem Cousin nach Hause und da sind alle schwarz, aber trotzdem anders als du in dem Sinne, dass die nicht skaten oder Punk hören, dann ist es ein Leichtes zu sagen, okay ich mache mir jetzt auch noch Tattoos und einen Iro und bin anders als alle anderen. Ich meine, so verrückt wie ich aussah, wußte ich wenigstens, warum die Leute mich anstarrten. Vorher musste ich immer raten.

Was du erzählst erinnert mich sehr an die Doku „Afro Punk“…

Ich kenne den Film und auch den Typen, der ihn gemacht hat, und ich war zwar nicht wirklich beeinflusst von dem Film, aber er hat mich doch sehr bewegt, weil mir so vieles bekannt vorkam. Meine Band Building Better Bombs hat auch die ersten drei oder vier Jahre auf dem Afro Punk Fest gespielt, als es noch nicht so groß war.

Während in Hardcore und Punk Schwarze und People of Color deutlich in der Unterzahl sind, ist es bei Alternative Hip Hop eher anders herum. Dort gibt es im Vergleich zu anderem Hip Hop sehr viel mehr Weiße. Hast du dafür eine Erklärung?

Ehrlich gesagt nicht wirklich. Aber ich habe den Eindruck, dass in den USA Schwarze oft eher erfolgreiche Musik hören, also Musik, die im Radio läuft. Wenn du auf ein Konzert einer erfolgreichen Band gehst, ist das halbe Publikum schwarz. Bei kleineren Bands ist das nicht so. Ich war zum Beispiel mit der Band Gym Class Heroes auf Tour, die viel Airplay bekommen, und da waren sehr viele Schwarze im Publikum, was sehr cool war. Zu ein Konzert von Athmosphere würden die meisten von denen nicht kommen. Ich denke aber auch, es ändert sich da einiges. Als ich jung war, gab es Leute wie Pharrell Williams oder Tyler, The Creator noch nicht. Es gab keine alternativen Formen schwarzer Männlichkeit, die du dir zum Vorbild nehmen konntest. Entweder warst du ein Nerd, oder ein Gangster. Oder der schwule Schwarze aus „Revenge of the Nerds“. Heute gibt es da eine größere Auswahl. Das ist besser für alle, denke ich.

Wo wir gerade von größerer Auswahl sprechen, bekommt ihr in den USA eigentlich auch etwas von nicht englischsprachigem Rap mit?

Naja, MC Solaar ist ziemlich bekannt und NTM vielleicht auch noch. Die haben es auch schon mal rüber geschafft. Die meisten Leute in den USA sprechen halt höchstens Englisch oder Spanisch oder beides. Da ist dann halt immer eine Sprachbarriere. Ich und Mike Mictlan von Doomtree gehen in den letzten Jahren aber ziemlich steil auf koreanischen und japanischen Rap. Was uns daran gefällt, ist, dass die Musik fast so klingt wie US-Mainstream-Rap, aber wir verstehen nicht, was für einen Scheiß die da labern. Das ist sehr angenehm.

Ich persönlich habe das Gefühl, das zumindest in ihrer jeweiligen Frühphase Punk und Rap sich ziemlich ähnlich waren, nur dass eines für Weiße und das andere für Schwarze war. Siehst du das ähnlich?

Ich glaube, es ging dabei weniger um Schwarz und Weiß, auch wenn es da große Überschneidungen gab. Ich denke, es war eher so, dass Rap die Langeweile und die Probleme der Innenstädte repräsentierte und Punk die Langeweile und die Probleme der Vororte. In den Innenstädten hattest du einfach keine Zugang zu Gitarren. An einen Plattenspieler hingegen, mit dem du die geilen 20 Sekunden eines Songs immer und immer wieder abspielen konntest, kamst du viel leichter ran.

Oder wenn du keinen Plattenspieler hast, kannst du immer noch beatboxen.

Ja, genau.

Das ist doch eigentlich sehr nahe dran an der Idee von Punk, dass jede_r Musik machen kann. Näher sogar als bei Punk selbst, denn da brauchst du Gitarren für.

Das stimmt. Ich denke, es geht auch mehr um den Vibe. Der Schlagzeuger von Rancid zum Beispiel kam von Operation Ivy und konnte überhaupt nicht Schlagzeug spielen. Er wurde erst mit der Zeit besser. Und um in einer Punkband zu singen, brauchst du auch keine schöne Stimme.

Und jede beschissene Punkband kann immer noch diesen einen guten Song haben…

Exakt. Kennst du Funeral Oration? Ich hasse diese Band, aber einen ihrer Songs, „I Fall Harder“, liebe ich mehr als fast jeden anderen Pop-Punk-Song. Er ist sooo kitschig, aber auch sooo gut.

Werde ich mir mal anhören. Danke für das Interview!

Interview/Text: Jan Tölva

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0