The Raws aus aus #198, 2019
Ein Einblick in die türkische Undergroundszene mit The RAWS
The RAWS aus Instanbul sind nicht nur die einzige Punkband die ich aus der Türkei kenne, sondern es ist auch die erste türkische Band, die im Trust interviewt wird! Weil für mich der türkische Underground, abgesehen von dem Film „Crossing The Bridge – The Sound of Istanbul“ von Fatih Akin und Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten) aus dem Jahre 2005, ein unbekanntes Terrain ist, sprudelten die Fragen nur so über. Hinzu kommt die beschwerliche, politische Situation, dass in der Türkei unter der Machtopposition von Erdogan, sich vieles zum negativen gewendet hat und Systemkritiker mit Knast oder anderen willkürlichen Repressionen zu rechnen haben.
Ohne ein Blatt vor dem Mund zu nehmen, beziehen The RAWS diesbezüglich eine klare Stellung und geben zudem einen interessanten Einblick in die eigene Bandgeschichte, sowie der Undergroundszene der Türkei. Musikalisch sind The RAWS im wilden Garagepunk mit leichten Surfanleihen beheimatet und halten damit leicht den Standard internationaler Bands. Denn ihr Sound treibt gut nach vorne und eignet sich bestens, für überdrehte und exzessive Garage-Rock´n´Roll-Partys. 2019 erschien ihr aktueller Longplayer „Bat Bat Bat“, der von der ersten Minute an, bestens nach vorne knallt und einfach nur Spaß macht. The RAWS planen im kommenden Herbst und Winter durch Europa zu touren. Falls Interesse besteht, meldet euch doch einfach mal bei der Band.
Beginnen wir mit eurer Biographie. Wie und wann kam es zur Bandgründung?
THE RAWS wurden 2007 in Istanbul als Garage-Trash-Punk Band gegründet, um die Lücke in diesem Genre zu schließen. Wir waren von dieser Art von Musik total fasziniert und verrückt nach diesen wilden Klängen. Wir hörten 2010 auf und haben 2015 mit einem neuen Gitarristen wieder angefangen. Unsere ersten Konzerte nach der fünfjährigen Pause haben wir in Griechenland gespielt, wo wir u.a. auf dem We Are Loud Festival aufgetreten sind.
Wie kann man sich die Underground-Musikszene in Istanbul vorstellen? Wie groß ist die Szene? In was für Läden spielt ihr?
Die Punkszene ist in den letzten Jahren gewachsen. Punk ist immer noch nicht sonderlich beliebt in der Türkei, aber es gibt viele junge, wütende Menschen, die sich ihren Frust gerne von der Seele schreien und sich nicht um die Realität in der Türkei kümmern. Viele Veranstaltungsorte interessieren sich nicht für diese Art von Musik, da sie nur am Geld interessiert sind. In Istanbul ist es relativ schwierig ein Punkkonzert zu veranstalten, da es nur wenige Konzertlokale und ein paar wenige unabhängige Räume gibt.
Wie sieht es außerhalb von Istanbul aus? Ist Istanbul die Hochburg des Undergrounds oder gibt es auch andere Städte, wo es geile Läden, Bands oder Leute gibt? Und spielt ihr auch regelmäßig Konzerte außerhalb von Istanbul?
Istanbul ist das Zentrum für alle subkulturellen Bands der Türkei. Ankara und Izmir haben auch kleinere subkulturelle Szenen. Es gibt noch andere Grossstädte in der Türkei, aber dort passiert nicht viel. Wir haben 2010 einmal in Ankara gespielt und im Mai 2019 in Izmir.
Welche Bands könnt ihr uns aus dem türkischen Underground empfehlen?
Hört euch mal POSTERITI, PROJECT YOUTH, CRUDEZ oder TEMBEL CIZIRTI an.
Von welchen Bands seht ihr euch beeinflusst?
Als wir angefangen haben, wurden wir von den BACK FROM THE GRAVE und KILLED BY DEATH Compilations völlig weggeblassen. Bands der 60er Jahre wie THE MONKS oder MC5, sowie Garage-Psych Bands wie THE SEEDS oder 13TH FLOOR ELEVATORS waren und sind sehr grosse Einflüsse für uns.
In Deutschland teilen sich die Szenen oft auf in Punk, Hardcore, Garage, Emo, Rock´n´Roll, Metal usw… Gibt es diese Szeneaufteilung auch in der Türkei oder kommen bei euch all diese Szenen zusammen? Und welche dieser Musikrichtungen finden an meisten und welche am wenigsten Fans?
Die Szene in der Türkei ist schon auch gespalten, aber Punk, HC und Garage Bands organisieren oft Konzerte zusammen. Meiner Meinung nach ist dies teilweise auch nicht anders möglich, weil die jeweiligen Szenen immer noch recht klein sind. Es gibt auch nur wenige Lokale, die solche Konzerte veranstalten. Die Leute fahren mehr auf elektronische Musik oder Neo-Türkische Indie/Oriental Psychedelic Musik ab, weil sie einfacher zu bekommen und zu verkaufen ist.
Kommen wir noch auf die Undergroundgeschichte der Türkei zu sprechen. Wann gab es die ersten Punkbands?
Bis in die 90er gab es keine wirkliche Punkszene. Jedoch gab es in den 60ern und 70ern in der Türkei einige grossartige Proto-Punk und Garage-Rock Bands. In der zweiten Hälfte der 70er Jahre war Punk in Europa und den USA ein Mittel, um seine Wut herauszulassen. In der Türkei wurde die Wut mittels Strassenkämpfen, Streiks und revolutionären Aufständen herausgelassen. Der Staatsstreich des Militärs am 12.09.1980 brachte Folter, Gefangenschaft, Exekutionen, Zensur und anti-demokratische Gesetze mit sich. Das Militärregime hat die Opposition unterdrückt und mundtot gemacht, vor allem linke Kräfte. Das Erbe des Militärregimes bestand aus Apolitisierung und Entmenschlichung. Dabei wurden alle Bereiche der Gesellschaft gleichgeschaltet, auch die Universitäten und Gemeinschaften aus Künstler*innen. Ähnliches passiert in der heutigen Türkei unter der Regierung von Erdogan.
Spielen in der Türkei auch manchmal Bands aus dem Ausland?
Ja, es gibt internationale Bands die in der Türkei spielen. Die Türkei ist noch nicht auf dem Niveau von Afghanistan. Im Oktober 2018 haben wir eine Istanbul Edition des We Are Loud Festivals zusammen mit Pete von Slovenly Records organisiert, an der internationale Garage und Punk Bands aufgetreten sind.
Lasst uns auf eure Songtexte eingehen. Das einzige was ich bei dem Opener „Karanl?k ve So?uk“ – „Kalt und Dunkel“ verstehe, ist Luzifer. Um was geht es in dem Text? Und seid ihr Atheisten oder glaubt ihr an Gott?
In diesem Lied geht es darum, dass wir jeden Tag nur eine Aufgabe nach der anderen erledigen. Kaum haben wir etwas erledigt, fangen wir schon mit der nächsten Aufgabe an, wobei jede neue Aufgabe die vorherige Aufgabe aufhebt. Wir stellen all diese Aufgaben auch nie in Frage. Würden wir das machen, so würden wir feststellen, dass wir schlussendlich nur unser eigenes Grab schaufeln. Keiner von uns glaubt an Gott, wir können daher als Atheisten bezeichnet werden.
„Dilsiz Y?lan“ heißt übersetzt, „Die Schlange“, wer nimmt in dem Song, die Rolle der Schlange ein?
In Wirklichkeit sind Schlangen tolle Tiere, wir mögen sie. In diesem Lied ist die stumme Schlange (Dilsiz Yilan) blind und nett. Sie beschützt die Menschen vor schlechten Entscheidungen, die in der Natur des Menschen liegen. In diesem Fall hat die Schlange zwei Seiten, je nachdem wie man selbst das Leben sieht.
„Hala Aç?z“ heißt übersetzt „Immer noch hungrig“. Nach was seid ihr hungrig?
Wir wurden hungrig geboren und wir werden hungrig sterben. Wir haben Hunger auf Hedonismus usw.
Und wo führt die Einzelfahrkarte bei „Tek Bilet“ hin?
Ein einfaches Ticket führt dich in die Mitte von Himmel und Hölle, nach irgendwo und nirgendwo. Es ist eine Fahrt in einem schwarzen Zug in die richtige Welt.
Was hat es denn mit der Single, unter dem ulkigen Namen „Wurst Riders Are Back In Town“ auf sich bzw. was können wir uns unter einem Wurst Rider vorstellen?
Auf diese Schnapsidee kamen wir bei unserer Tour durch Deutschland, als wir nur Würste gegessen haben, wenn wir von einer Stadt zu anderen gefahren sind. In dem gleichnamigen Song, handelt es um eine Gruppe, die plötzlich verschwindet, und auf mutierten Würsten zu ihrem Stamm zurück reitet. Hört sich ziemlich dumm an, oder?
Was macht ihr beruflich?
Wir alle haben normale Jobs um unseren Lebensunterhalt zu verdienen. Wir arbeiten u.a. als Koch, Musikproduzent oder Sport-Manager.
In welcher Form wurde die Meinungsfreiheit und auch die persönliche Freiheit eingeschränkt, seit Erdogan an der Macht ist?
Obwohl die Türkei eine lange Geschichte von autoritären und zentralistischen Herrschern hat, verpflichtete sich die prä-Erdogan Türkei zu einer sekulären Politik, auf einer Linie mit den westlichen Demokratien im Allgemeinen und der EU im Speziellen. Es gibt Studien die belegen, dass in den 80ern und 90ern, die Einschränkungen der Meinungsfreiheit hauptsächlich in Form von Angriffen auf linke Politiker*innen und Journalist*innen zeigten. Es gab häufig Gerichtsprozesse, unter der Anschuldigung das Atatürk oder das „Türkisch sein“ verunglimpft wurden.
Nachdem Erdogan seine Macht gefestigt hatte und Präsident wurde, wurden körperliche Attacken durch rechtliche Attacken ersetzt. Kritiker*innen wurden mittels Verhaftungen, Prozessen und Verurteilungen basierend auf Anklagen wegen Terrorismus mundtot gemacht. Journalist*innen sind nicht die einzigen, die verhaftet wurden, weil sie der Regierung kritisch gegenüber stehen und dies auch öffentlich kundtun. Mehrere tausend Menschen in der Türkei haben wegen Posts auf den sozialen Medien, Ermittlungsverfahren am Hals oder wurden bereits verurteilt.
Die Regierung Erdogan hat auch viele Webseiten, wie z.B. Wikipedia, blockiert und Inhalte im Internet entfernt. Das harte Durchgreifen gegen die Meinungsfreiheit hat dazu geführt, dass viele Journalist*innen, Schriftsteller*innen, Denker*innen und Akademiker*innen hinter Gittern sitzen. Diese Menschen sind in einer Situation, wo jede falsche Bewegung zu einer Verhaftung oder Verurteilung führen kann.
Erdogan hat das Land gespalten. Auf der einen Seite sind die sogenannten Terrorist*innen (die Opposition), auf der anderen Seite die Menschen, die die Regierung unterstützen.
Wie hat sich die Türkei seit der Machtübergreifung von Erdogan verändert? Und was haltet ihr von Erdogan?
Wirtschaftlich und politisch ist die Türkei aktuell am Boden angelangt. Einer der Hauptgründe dafür, sind Erdogan und seine blutrünstigen, politischen Schachzüge. Der klare Sieg der Opposition bei der Wiederholung der Bürgermeisterwahl in Istanbul, hat Erdogan eine empfindliche Niederlage zugeführt und die Hoffnung für einen wirtschaftlichen und politischen Wandel geschürt. Aber das wird nicht wie von Zauberhand geschehen. Dennoch ist diese Wahl ein Hoffnungsschimmer für viele Türk*innen, die von diesem seit 25 Jahren regierenden Regime genug haben. Es gibt sehr viele Probleme, die endlich behoben werden müssen. Mal schauen, was die Zukunft für uns bringt.
Hat sich das kulturelle Undergroundgeschehen unter Erdogans Politik verändert? Besteht z.B. die Gefahr dass nun Konzertorte schließen müssen, oder mit staatlichen Repressionen zu rechnen ist?
Natürlich wurde die Untergrund Kultur stark beeinflusst. Viele Konzertlokale mussten schliessen, vor allem wegen wirtschaftlichen Gründen. Viele Menschen haben Mühe, ihren Job zu behalten oder einen neuen zu finden, was sich auch auf die Künstler*innen auswirkt. Viele Konzertlokale veranstalten kaum mehr Konzerte mit Untergrund Bands, weil sich damit nur schwer Geld verdienen lässt.
Gibt es im Bereich Punk, Hardcore, Garage usw. auch Bands, die klar und deutlich gegen die Regierung Stellung beziehen? Und wie gefährlich ist die Existenz, für kritische Musiker oder Künstler?
Es gibt subkulturelle Bands, die sich offen gegen die Regierung aussprechen. Diese Bands singen meistens auf Englisch. Ihre Wut wird als eine vorübergehende Wut der Jugend angesehen. Aber wenn du auf Kurdisch oder Türkisch singst und die Regierung kritisierst, bekommst du sehr schnell Ärger.
Habt ihr es euch schon selbst überlegt, mit euren Songtexten, gegen die Regierung Stellung zu beziehen?
Wir sind nicht wirklich eine politische Band. Wir verwenden aber politische Referenzen in unseren Texten. Wir covern eine der grössten politischen Hymnen, „Ellerinde Pankartlar“ von Ruhi Su, der wegen seiner linken Ansichten schon oft im Gefängnis war.
Wie hoch ist die Chance, dass ihr mal durch Europa tourt?
Wir haben 2008 eine Tour durch Deutschland gemacht. Daneben haben wir auch Konzerte in Kroatien, Spanien und Griechenland gespielt. Wir planen eine Europatour für den kommenden Herbst und Winter.
Einleitung, Fragen: Bela
Übersetzung: Marco Bechtinger
Bandkontakt: theraws666@gmail.com