Dezember 31st, 2021

Texte zur Kunst aus # 202, 2020

Posted in interview by Jan

Interview mit Isabelle Graw „Texte zur Kunst“-Herausgeberin und Professorin für Kunsttheorie und Kunstgeschichte an der Städelschule in Frankfurt am Main

Die „Texte zur Kunst“ (TzK) ist eine Kunstzeitschrift, die 1990 in Köln von Leuten u.a. aus dem damaligem Spex-Poplinke-Umfeld (wie zum Beispiel Diedrich Diederichsen, Jutta Koether und Tom Holert) initiiert wurde. Gegründet wurde die Zeitschrift von Isabelle Graw und Stefan Germer. Seit dessen Tod im Jahre 1998 fungiert Isabelle Graw als alleinige Herausgeberin und Geschäftsführerin der Zeitschrift.

Seit 2000 wird aus Berlin publiziert. Jede Nummer dreht sich um ein Schwerpunkt-Thema; einige neuere Topics lauteten zum Beispiel „Identitätspolitik heute“, „Die Neue Neue Linke“, „Das Individuum“ oder „Poesie“ (für den vollständigen Überblick siehe die Backissues-Liste online auf der Seite der TzK). Seit 2006 erscheint die Zeitschrift auf Deutsch und Englisch.

Interessant ist auch das Konzept der Editionen. Zu jeder Ausgabe kann man limitierte Editionen von Künstler/innen kaufen, die ihre Werke exklusiv für die Texte zur Kunst angefertigt haben. Da waren schon Artefakte von Gerhard Richter, Daniel Richter, Raymond Pettibon, Mike Kelly oder Jeff Koons dabei (für einen vollständigen Überblick über alle Editionen siehe ebenfalls Homepage der TzK). Die Editionen sind neben den Anzeigen und dem normalen Abverkauf der Publikation ein wichtiges Standbein der Finanzierung der Zeitschrift.

Schwerpunkte in den Texten zur Kunst sind, neben Berichten über relevante Ausstellungen, Essays, Interviews, Gesprächsrunden und Artikel, in denen aktuelle Kunst, Film, Bücher, Musik, Mode, Theorie-Modelle und Design diskutiert werden.

Mir gefällt die Zeitschrift total gut und ich finde die kritische Attitüde (auch deutlich in Bezug auf den Mythos des männlichen Künstlergenies) klasse. Ja ok, die Inhalte sind durchaus auf gehobenerem akademischen Niveau angesiedelt. Die Lektüre ist fordernd, es kommen gerne Verweise auf Adorno, den französischen Soziologen Luc Boltanksi, die französische Wirtschaftswissenschaftlerin Ève Chiapello, die israelische Soziologin Eva Illouz und den italienischen Philosoph der Postmoderne, Paolo Virno. Der französische Poststrukturalismus sowie Gender Studies sind keine Tabus.

Oft werden die Texte zur Kunst (Tzk) deshalb als zu akademisch-verkopft bewertet. Ich verstehe als interessierter Kunst-Laie auch nur maximal die Hälfte, aber mal ehrlich, komplexe Zusammenhänge lassen sich meist nicht in einfachen Worten darstellen. Die regelmäßige Leserschaft weiß damit um zu gehen.

Die TzK erscheint vierteljährlich in einer 5000er-Auflage auf ca. 300 Seiten. Im redaktionellen Beirat der Zeitschrift sitzen u.a. Diedrich Diederichsen, Jutta Koether, Dirk von Lowtzow (von Tocotronic) und Juliane Rebentisch (Professorin für Philosophie und Ästhetik an der Hochschule für Gestaltung Offenbach am Main).

October
Im Historienkontext der TzK sollte nicht unerwähnt bleiben, dass diese zu Beginn deutlich von der amerikanischen Kunstzeitschrift „October“ beeinflusst wurde. „October“ wiederum entstand 1976 als ein progressives Organ für die Kritik zeitgenössischer Kunst und populärer Kultur, gegründet von der amerikanischen Kunstkritikerin Rosalind Krauss. In einem Gespräch der Zeitschrift „Monopol“ mit den TzK-Verantwortlichen kam daher die Frage auf, inwiefern die TzK immer noch vom cultural-studies-Import von „October“ bestimmt wird. Dazu die Antwort: „Gerade in der Anfangszeit von TzK sind einige Beiträge aus „October“ erstmals in deutscher Übersetzung in unserem Magazin erschienen. Dieser Schritt war damals wichtig, um die in den USA geführten Diskurse über Kunst und Theoriebildung nach Deutschland zu tragen. Komplette Essays würden wir aus „October“ schon lange nicht mehr veröffentlichen, aber Autoren und Autorinnen wie Benjamin H. D. Buchloh, die dort publizieren, schreiben auch für uns“.

Im gleichem Gespräch wird auch die TzK-Leserschaft wie folgt bestimmt: „TzK ist erst einmal ein Fachmagazin, das sich generell an alle Kunst- und Kulturinteressierte wendet. Das können Künstler genauso gut sein wie Kunstwissenschaftler, aber auch Laien. Seit einigen Jahren besitzt TzK zudem eine englische Sektion, die uns zu eine der wenigen Zeitschriften im deutschsprachigen Raum macht, die international ausgerichtet ist. Dadurch verfügen wir über eine große Leserschaft etwa in den USA“. Für die „taz“ steht TzK als „Kreuzungspunkt aller Diskurse zur visuellen Kultur“, denn „in einer Zeit, wo das Kunstsystem zu einem Derivat des globalisierten Turbokapitalismus geworden ist, ist das frühe Selbstverständnis ihrer Gründer von den „Entmystifizierern“ und „Transparenz machen der Produktionsbedingungen“ von Kunst aktueller denn je“.

Von New York über Frankfurt an der Oder hin zu Frankfurt am Main
Kommen wir aber nun zu meiner Interview-Partnerin, Isabelle Graw. Sie studierte Politikwissenschaften in Paris, hielt sich in den 80er länger in New York auf, zog dann nach Köln, promovierte und wohnt jetzt in Berlin. Sie lehrt in Frankfurt am Main als Professorin für Kunsttheorie und Kunstgeschichte an der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste (Städelschule). Diese wiederum „ist eine Hochschule für Bildende Künste in Frankfurt am Main. Seit 1817 verpflichtet sie sich der gleichberechtigten, internationalen, experimentierfreudigen und unabhängigen künstlerischen Bildung. Sie ist eine der renommiertesten Kunstakademien der Welt“, so die Selbstauskunft auf staedelschule.de/de/information.

An eben jener Hochschule hat Isabelle Graw im Sommer 2003 mit Daniel Birnbaum, ehemals Rektor der Städelschule das „Institut für Kunstkritik“ Frankfurt, gegründet. Hier setzt man sich mit der Praxis der Kunstkritik und deren disziplinären Bezügen auseinander.

Wichtige Bücher von Isabelle Graw sind zum Beispiel „Silberblick. Texte zu Kunst und Politik“ (1999), „Die bessere Hälfte. Künstlerinnen im 20. und 21. Jahrhundert,“ (2003), „Der große Preis. Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur“ (2008) und „Texte zur Kunst. Essays, Rezensionen, Gespräche“ (2011). Um einen Einstieg in die TzK zu finden bietet sich ein klasse „best-of“-Werk an und zwar das zweibändige „Erste Wahl. 20 Jahre „Texte zur Kunst“ (2011), hier fungierte Isabelle Graw auch als Herausgeberin.

Als Einstieg in das folgende Interview mit Isabelle Graw hier noch ihr Statement in einem Gespräch mit dem tip-Magazin auf die alte Frage, in was genau denn eigentlich die große Anziehungskraft der bildenden Kunst auf Menschen besteht, die reich sind: „Kunstwerke verfügen über ein „Je ne sais quoi“, das kein Luxusartikel aufweist. Von einer Rolex-Uhr würde zum Beispiel niemand erwarten, dass sie bestimmte Einsichten und Erkenntnisgewinne mit sich bringt – und genau das leistet die bildende Kunst. Auch die Zugehörigkeit zum Kunstmilieu – einer kulturellen Elite – erscheint dem, der schon alles hat, viel versprechend. Zuletzt konnte man zum Beispiel in Gazetten wie „Gala“ oder „Bunte“ anlässlich von Heidi Klums Liason mit dem Sohn von Julian Schnabel lesen, dass sie jetzt an der Spitze der Gesellschaft angekommen sei. Dass die Kunstwelt diesen Ruf hat, ist natürlich auch Folge der zahlreichen Auktionsrekorde, über die man regelmäßig lesen kann. Kunstwerke werden ja nicht als solche ästhetisch erfahren – jedes Produkt verweist auf die Person seines Urhebers, und das Wissen um dessen Status reicht in das ästhetische Erlebnis hinein“.

Der Hintergrund für dieses Interview: ich bin interessierter Fan des TzK-Graw-Komplexes und von ihrem kreativem Schaffen sehr angetan, obwohl ich bei Kunst halt auch nur Amateur bin. Aber genau um mehr zu erfahren führt man ja Interviews!

Finalemente möchte ich noch der TzK sehr danken, denn ich wollte mir immer mal just for fun Vorlesungen an der Uni Frankfurt in Kunstgeschichte anhören. Nur hatte ich leider null Plan, wer gut im Sinne von progressiv ist (auf Vorlesungen zur Kirchenfenster-Malerei im 13. Jarhundert hatte ich dann nicht so Lust). Kürzlich jedoch rezensierte ich eine TzK-Ausgabe fürs Trust und da gab es einen guten Text von Regine Pranger (hinten in der TzK stehen ja immer die Autoren/innen-Infos drin). Cool, sie lehrt also Kunst an der Uni Frankfurt, ich schaute mir dann ihre Homepage an und besuchte darauf hin im Wintersemester 2018/2019 ihre Vorlesung „Der Streit um den Realismus in der Kunst. Debatten des 19., 20. und 21. Jahrhunderts“ – YES, danke! Und nun ein Einblick in die Welt von Isabelle Graw!

***

Isabelle, willkommen zum Interview, schön, dass es geklappt hat. Und erst mal nachträglich noch Gratulation zu eurer hundertsten Jubiläumsnummer (2015) und mehr als 25 Jahre Publikation der TzK. Erfreulicherweise steht ja bald das 30jährige Jubiläum an, bist du „stolz“ auf das erreichte?
„Stolz auf das Erreichte“ zu sein ist ein Gefühl, das sich bei mir nur selten einstellt. Ich tendiere eher zu einem Fokus auf Defizite und fortdauernde Probleme: wie können Texte noch zugänglicher geschrieben werden und zugleich systematisch und historisch fundiert argumentieren? Und wie stellen wir uns dem Problem, dass die politischen und künstlerischen Frontlinien heute ganz anders verlaufen als noch in den 1990er Jahren, den Gründungsjahren von „Texte zur Kunst“? Vor diesem Hintergrund diskutieren wir zum Beispiel im Moment viel darüber, welche Position die Zeitschrift angesichts eines allgemeinen und auch in unserem Milieu spürbaren Rechtsrucks und gestiegener Fremdenfeindlichkeit einnehmen kann, ohne dass die Ausschlüsse und Diskriminierungen, die von der Kunstkritik eben auch ausgehen, mit Stillschweigen übergangen werden. Erschwerend kommt hinzu, dass wir Teil einer Welt sind – der Kunstwelt – wo einerseits inzwischen auf institutioneller Ebene zum Glück Diversität groß geschrieben wird. Andererseits ist die Marktsphäre, die mit der Welt der Institutionen zahlreiche Schnittmengen bildet, seit jeher politisch konservativ gewesen und weist heute zudem häufig personelle Überschneidungen mit der Trump-Welt auf. Die Künstlerin Andrea Fraser hat ja kürzlich recherchiert, dass 30 Prozent der Museumstrustees in Amerika die Wahlkampagne von Trump unterstützt haben. Dass wir innerhalb dieser Kunstwelt situiert sind, ist mithin ein Problem. Angesichts derartiger Schwierigkeiten habe ich kaum die Muße, zufrieden auf das Erreichte zurück zu blicken. Dass es diese Zeitschrift schon seit nunmehr 28 Jahren gibt, kommt mir vielmehr sehr abstrakt vor: So lange machen wir das schon? Natürlich bin ich gelegentlich auch stolz darauf, dass wir über Jahrzehnte hinweg durchgehalten haben. Mehr noch: ich bin froh darüber, dass es „Texte zur Kunst“ als kunstkritisches Forum immer noch gibt.

Es gab die Veröffentlichungen der zwei tollen „Erste Wahl“-Bänder zu eurem zwanzigstem Jubiläum, plant ihr ähnliches für den 30sten Geburtstag?
Bisher ist nur klar, dass das 30. Jubiläum von „Texte zur Kunst“ im Jahr 2020 um das Thema „Freundschaft“ kreisen wird. Es wird dabei zum Beispiel um jene Freundschaften mit instrumentellem Zug gehen, wie sie für moderne Künstler*innen charakteristisch waren und sind. Aber auch in der heutigen Ökonomie sind die Übergänge zwischen Freund*in und nützlichem Kontakt bekanntlich fließend geworden. Was aus dem Prinzip Freundschaft wird, wenn Kooperationen nahtlos in Konkurrenzverhältnisse übergehen, wird uns dabei ebenso interessieren, wie die Aktualität dekonstruktiver Freundschaftskonzepte, wie sie etwa Derrida formulierte, der gegenseitige Verkennung zur Grundlage von Freundschaft erklärt hat. In gesellschafts-theoretischer Hinsicht werden wir uns zudem mit Freundschaft im Sinne von Gastfreundschaft befassen.

Du hast es mal sehr gut beschrieben, wie ihr euch 1990 in Köln im Umfeld der „Spex-Poplinken“ gegründet habt, also, man traf sich viel in Kneipen und auf Konzerten, derweil man sich heute eher auf Konferenzen, Tagungen und Ausstellungen begegnet. Vermisst du das frühere Subkultur-Leben?
Da ich keinen Alkohol trank, kam mir bei diesem „Subkultur-Leben“ der späten 1980er und -90er Jahre, wie Du es nennst, eher die Rolle einer teilnehmenden Beobachterin zu. Ich gehörte als nicht trinkende Frau nach meinem Empfinden nie wirklich dazu, wobei diese Distanz im Rückblick wahrscheinlich auch extrem hilfreich war. Ich war dabei und konnte zugleich auf Distanz zum Geschehen gehen, es analysieren. Zwar vermisse ich manchmal den intensiven und beschwingten Austausch mit Künstler*innen und Kolleg*innen in Bars, der heute aufgrund von Zeitdruck und institutionellen Verpflichtungen viel seltener stattfindet. Aber ich bin zugleich auch froh darüber, inzwischen ein „Privatleben“ zu haben, das diesen Namen (hoffentlich) auch verdient. Und ich neige ohnehin nicht dazu, melancholisch in die Vergangenheit zu blicken; ich möchte eigentlich nirgendwo hin zurück und bin froh, dass die in puncto Sexismus ja auch dunklen Kölner Jahre weit hinter mir liegen.

Ein großer Einfluss für die TzK war die amerikanische Kunst-Zeitschrift „October“. In Deutschland gab bzw. gibt es ja auch einige Buch-Zeitschriften-Projekte, waren „die Beute“ oder „testcard“ je wichtig für euch? War es die Spex (dann später auch noch bis zur Einstellung als Print-Heft Ende Dezember 2018)?
Die Zeitschrift „October“ war extrem wichtig für uns in der Gründungsphase von „Texte zur Kunst“, weil es hier erstmals eine kunsthistorisch informierte Kunstkritik mit theoretischer Ambition gab, die sich methodisch an anderen Disziplinen (wie Psychoanalyse oder Literaturwissenschaft) orientierte, dabei stets von der Kunst ausgehend. Da „October“ jedoch ein eher phobisches Verhältnis zur Populärkultur unterhielt, wurde die „Spex“ zu einem ebenso wichtigen Bezugspunkt. Ich hatte in meiner Studienzeit die Buchempfehlungen in der „Spex“ stets befolgt und als eine Art private Akademie genutzt. Als dritten Einfluss muss noch die Zeitschrift „Interfunktionen“ genannt werden, denn hier kamen auch Künstler*innen zu Wort, was uns sehr wichtig war: Künstlerinnen mit Blick auf die Errungenschaften der Conceptual Art als Diskursproduzenten anzusehen und entsprechend als Autor/innen in das Heft einzubinden.

Wie entscheidet ihr immer den thematischen Schwerpunkt jeder TzK-Ausgabe?
Es ist schwer für mich, allgemein zu beschreiben, wie Themen zustande kommen. Ein ungeschriebenes Gesetz lautet vielleicht, dass wir nicht nur auf bestehende kulturelle Debatten reagieren, sondern eigene thematische und begriffliche Setzungen machen. Jedes Thema wird auf eine möglichst originelle Fragestellung hin zugespitzt, die das Vorwort formuliert. Beispiel: Im kommenden Juni 2019 wird es zum ersten Mal ein Heft zum Thema „Literatur“ geben. Mir fiel in den letzten Jahren auf, dass ich nie zuvor so viel Gegenwartsliteratur, vor allem das sogenannte autofiktionale Genre, verschlungen habe. Wobei es vor allem Schriftstellerinnen wie Annie Ernaux oder Rachel Cusk sind, die mich begeistern. Denn ihnen gelingt es, das Persönliche mit dem Sozialen auf eine Weise zusammen zu ziehen, die mir oft mehr über die aktuellen Verhältnisse und ihre Auswirkungen auf Subjektivierung mitteilt als Arbeiten aus der bildenden Kunst.

Auch den soziologischen Gründen für diese aktuelle Konjunktur einer subjektiven Stimme, durch die gleichsam gesellschaftliche Zwänge hindurchgegangen sind, möchten wir bei dieser Gelegenheit nachgehen. Früher war es ja in unseren Kreisen verpönt, „ich“ zu sagen – man interessierte sich für gesellschaftliche Strukturen. Und jetzt realisiert man mehr denn je, dass diese Strukturen ohne den Blick auf handelnde Akteur*innen nicht zu fassen sind, weshalb der subjektive Faktor wieder verstärkt an Bedeutung gewinnt. Es fällt ja auf, dass auch zahlreiche Kunstkritiker*innen heute wieder ihr „ich“ ins Spiel bringen. Diese Tendenz muss man meines Erachtens auch mit den Effekten einer digitalen Ökonomie in einen Zusammenhang bringen, die „Leben“ abschöpft und alles und jeden personalisiert.

Du pendelst zwischen deinem Wohnort Berlin und deiner Arbeit als Kunst-Professorin an der Städelschule in Frankfurt am Main (dazu kommen wir noch), ist die Endredaktion der TzK dann viel im Zug, kriegst du am Ende nur noch das PDF zur Freigabe?
Ich habe mit dem Redaktionsalltag eigentlich kaum noch etwas zu tun – diese Arbeit machen glücklicher Weise die Redakteur*innen Colin Lang und Nadja Abt gemeinsam, oft auch in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Berater*innen aus unserem Beirat. Zwar gibt es einzelne Ausgaben, die ich mit konzipiere, zudem leihere ich Editionen an und behalte die große Linie im Auge. Auch das Cover wird von mir in meiner Funktion als Herausgeberin abgesegnet. Aber ansonsten ist es schon lange die Redaktion, die diese Arbeit des Redigierens und Bearbeitens von Texten hervorragend macht. Da ich bei der Endredaktion also grundsätzlich nicht dabei bin, kann ich im Zug sitzend andere Arbeiten (Seminarvorbereitungen, eigene Texte und Bücher schreiben) erledigen.

Es gab mal den Vorwurf bezüglich der TzK, dass ihr nicht links, sondern „neo-individual-liberal“ seid, wie gehst du mit dieser Kritik um? Die TzK tauchen ja auch abschätzig in dem „Faserland“-Roman und diesem unsäglich „Tristesse Royale: Das popkulturelle Quintett“-Buch auf…
Ich weiß jetzt gar nicht, wo dieser von Dir erwähnte Vorwurf, „Texte zur Kunst“ sei „links individual liberal“ gefallen sein soll? Und ich verstehe auch nicht genau, was damit gemeint ist? Dass „Texte zur Kunst“ individuell orientiert und kein wirkliches Kollektiv ist (was einerseits stimmt, da es klare Hierarchien gibt, andererseits wird dieses Heft aber auch von einer Gruppe von Leuten gemacht)? Oder dass wir uns nur für die individuelle Ebene interessieren (was nicht stimmt, da wir stets die strukturell-systemisch-gesellschaftliche Dimension im Blick haben)? Wenn ein solcher Vorwurf gut und überzeugend argumentiert ist, nehme ich ihn natürlich ernst und setze mich mit ihm auseinander. Selbstkritik war immer zentral für mein Kritikverständnis. Aber zugleich habe ich mir im Laufe der Jahrzehnte gegenüber Angriffen, die eher auf Unterstellungen oder Ressentiments basieren, auch eine Art Elefantenhaut zugelegt, sodass sie an mir abprallen. (Anmerkung JR: die besagte Kritik an der TzK fand ich in diesem Artikel auf berlinergazette.de/wolfgang-mueller-texte-zur-kunst-kritik/).

Du hast in deinem großartigem Buch „Der große Preis. Kunst zwischen Markt und Celebrity Kultur“ diese „Celebrity“-Kommerz-Kunstwelt kritisiert. Prinzipiell ist der Ansatz der TzK ja in Richtung „dekonstruktivistische (Gesellschafts-) Kritik der Kunstwelt im Spätkapitalismus“. Ist das dann nicht ein bisschen „widersprüchlich“, wenn du einerseits diese kritische Position zu dem Personenkult und Kommerz in der Kunstwelt hast und andererseits dann weltweit bekannte Künstler wie Pettibon, Richter, Kelly und Koons exklusiv mit Editionen-Werken für die TzK tätig werden?
Zunächst einmal glaube ich nicht, dass man dem Personenbezug der Kunst entkommen kann. Schon das Prinzip Autorschaft und die diese bezeugende Signatur sorgen dafür, dass künstlerische Arbeiten eng an die Namen ihrer Schöpfer*innen rückgebunden werden. Mich interessiert dabei das spannungsreiche Wechselverhältnis zwischen der Künstlerpersona und ihrem Produkt – wie wird dieses Verhältnis in der künstlerischen Arbeit gestaltet? Die Editionen waren von Anfang an die Achillesferse von „Texte zur Kunst“, da sie auf unsere Eingebundenheit in Marktverhältnisse verweisen: wir leben schlicht davon, dass markterfolgreiche Künstler*innen unsere Arbeit unterstützen. Und mich interessieren auch die Arbeiten von markterfolgreichen Künstlern wie Pettibon, Richter, Kelly und Koons sehr, wobei Du an dieser Stelle auch die Künstlerinnen erwähnen müsstest, von Trockel und Sherman bis zu Avery Singer und Jana Euler, die für uns Editionen produziert haben.

Ihr habt viel mit Fluxus-Künsterln zusammengearbeitet, reines Interesse: wenn Beuys nicht 1986 gestorben wäre, hättet ihr ihn gefragt für eine mögliche Kooperation mit TzK?
Natürlich hätten wir Beuys, wenn er noch gelebt hätte, unbedingt um eine Edition gebeten und zwar ganz am Anfang für die erste Ausgabe im November 1990.

Wie sieht eigentlich das Zeit-Verhältnis von deiner Arbeit für die TzK und deiner Professur für Kunstgeschichte und Kunstkritik an der Städelschule aus, kannst du beide Bereiche verbinden?
Da ich an einer Kunstakademie lehre, habe ich das Glück, keinem vorgegebenem Curriculum folgen zu müssen. Meine Seminare und Vorlesungen stehen deshalb immer in einem unmittelbaren Verhältnis zu dem, woran ich gerade selbst arbeite. Ich konzipiere also Vorlesungsreihen und Seminare zu Themen und Fragestellungen, die im Rahmen meiner Forschung zentral sind. Somit gehen Lehre und Forschung bei mir unmittelbar ineinander über. Ich profitiere dabei sehr von den Diskussionsbeiträgen der Studierenden, die mir oft andere Wege und Herangehensweisen aufzeigen. Auch die Heftthemen können sich auf meinen Seminarplan auswirken. So habe ich zum Beispiel ein Seminar über den inneren Zusammenhang zwischen Performance und Evaluation gemacht, das auf das gemeinsam mit Sabeth Buchmann konzipierte „Performance“-Heft von „Texte zur Kunst“ zurückging.

Ein Bekannter sah Throbbing Gristle im Städel 1979 live, der Ort ist ja eine weltweit bekannte Institution. Wolltest du explizit dahin oder wie war dein Weg zum Städel? Du hast ja u.a. in Paris, New York und Köln gelebt und dann an der Uni Frankfurt an der Oder promoviert, wieso eigentlich gerade dort?
Der damals frisch berufene Rektor Daniel Birnbaum hatte mich 2002 eingeladen, mich für die Stelle der Kunstgeschichte und Kunsttheorie an der Städelschule zu bewerben. Ich war zuvor nicht unbedingt ein Fan dieser Institution gewesen, dies auch aufgrund eines Vortrags über Feminismus und Gender Studies, den ich dort zur Rektoratszeit von Kasper König gehalten hatte. Aus dem Kollegium kamen damals unfassbare Kommentare, die allein auf mein Frau-Sein zielten. Daniel schaffte es jedoch, der Hochschule ein sehr viel fortschrittlicheres und internationales Profil zu geben.

Die Studierenden wurden entsprechend auch immer internationaler, weshalb wir alle jetzt auf Englisch unterrichten. Was ich an der Städelschule schätze, sind die extrem informierten und diskussionsbegeisterten Studierenden, sowie meine Kolleg*innen, mit denen ich in einem sehr guten inhaltlichen Austausch stehe. Ein Problem ist hingegen die große Nähe der Schule zum Marktgeschehen, die wir aber gemeinsam reflektieren, damit ihre Funktion eines relativen Schutzraumes erhalten bleibt. An der Universität Frankfurt/Oder habe ich schlicht deshalb promoviert, weil sich der damals dort lehrende Kulturwissenschaftler Anselm Haverkamp dazu bereit erklärte, mein (recht spätes) Promotionsvorhaben zu betreuen und zu unterstützen!

Du hast an der Städelschule das Institut für Kunstkritik mitgegründet, auf deiner Webseite heißt es dazu, dass „das komplexe Verhältnis zwischen Kunstkritik und künstlerischer Praxis für die Städelschule, die für die Experimentierfreude ihrer Studierenden bekannt ist, von besonderem Belang“ ist. Könntest du uns das etwas näher erläutern, wie die akademische Kunstkritik und die künstlerische Praxis in dem Institut verzahnt sind?
Für mich zeichnet sich das Verhältnis zwischen akademischer Kunstkritik und künstlerischer Praxis dadurch aus, dass sie nicht 1:1 ineinander übersetzbar sind. Das heißt: Studierende werden von mir nicht dazu ermuntert, theoretische Einsichten unmittelbar anzuwenden und in ihre künstlerischen Arbeiten einzuspeisen. Und dennoch ist es natürlich wichtig, über die eigene Arbeit auch in theoretischen Begriffen nachdenken und sprechen zu können. Ich biete zu diesem Zweck einen recht beliebten Workshop namens „How to speak about my work“an, in dem das Sprechen über die eigene Arbeit experimentell erprobt und kritische Argumente für und gegen bestimmte künstlerische Verfahren gemeinsam entwickelt werden.

Kann man es so sagen, dass „früher“ viele Kunst-Studenten häufig „Bohème“-Vertreter waren und das man heute durchaus auch mal feststellt, dass dem nicht mehr zwingend so ist?
Ich würde nicht sagen, dass die Studierenden keine Bohème-Hintergrund mehr haben. Es sind immer noch zahlreiche Bohème-Hipster unter ihnen. Entscheidender ist für mich die Beobachtung, dass es im Unterschied zu den 80er und 90er Jahren heute weniger Studierende mit Working Class-Hintergrund gibt. Sie stammen heute in der Mehrheit aus bürgerlichen Familien und haben Eltern, die ihre Entscheidung, Künstler*innen werden zu wollen, wohlwollend unterstützen. Das war früher bekanntlich anders und dieses neue Wohlwollen hat sicherlich auch mit dem jüngsten Aufstieg der „Gegenwartskunst“ an die Spitze der kulturellen Hierarchie zu tun.

Zu deinem jüngsten Buch „Die Liebe zur Malerei. Genealogie einer Sonderstellung“ wurde im Deutschlandfunk gesagt, dass du eine „theoriegestählte Expertin“ bist und dich in dem Buch mit Künstlern wie Martin Kippenberger, Jutta Koether oder Sigmar Polke beschäftigst, derweil in der „taz“ stand, dass du einerseits von dem „Tafelbild als belächelnswerter Dinosaurier der Kunstgeschichte“ sprichst, aber andererseits die immer noch währende Aktualität des Bildes betonst, ganz besonders angesichts der virtuellen Welt. Das fand ich klasse, magst du uns diesen Doppelcharakter der Malerei nochmal erläutern?
Lustigerweise wird mein Buch oft als eine Art Liebeserklärung an die Malerei missverstanden oder als Ehrenrettung dieser Kunstform interpretiert. Mir ging es hingegen eher darum, den Gründen für die Erfolgsgeschichte dieses Mediums seit der frühen Neuzeit nachzugehen. Für mich sind gemalte Bilder zunächst einmal materielle Unikate, die aufgrund ihrer spezifischen Materialität und aufgrund der Besonderheiten von künstlerisch-malerischer Arbeit gerade heute, unter den Bedingungen einer digitalen Ökonomie, über eine besondere Faszinationskraft verfügen.

Gemalte Bilder waren beispielsweise immer schon gut darin, die von mir so genannten vitalistischen Phantasien anzustoßen – Vorstellungen wie die also, dass sie irgendwie lebendig wären oder dass die Arbeit der Malerin in ihnen gespeichert worden sei. Das sind Phantasmen, die von der Malerei aber auch materiell veranlasst werden und von daher auch eine gewisse Berechtigung haben. In dem Buch beschäftige ich mich vor diesem Hintergrund vor allem mit jenen Künstler*innen, die dieses vitalistische Potenzial der Malerei ausreizen, aber auch untergraben, indem sie sich beispielsweise in ihren Bildern darüber lustig machen.

Hast du eigentlich so eine Art „Lieblingsbild“, schwarzes Quadrat, Warhol-Dosen, Sonic Youth-Richter-Kerze…?
Ich habe kein Lieblingsbild, eher zahlreiche Lieblingsbilder-und -arbeiten, die hier aufzuführen zu weit führen würde!

Was war das tollste bzw. aufregendste Interview, das du für die TzK bzw. deine Bücher gemacht hast?
Das tollste und für mich inhaltlich ertragreichste Interview war mein erstes Gespräch mit Pierre Bourdieu.

Du hast dich selber mal als „zwanghaft pünktlich und verantwortungsbewusst“ im Gegensatz zum legendären nicht-planendem männlichem Künstler-Genie charakterisiert. Ist dem immer noch so, also dieser Gegensatz der „Kunst-Geschlechter“? Ich fand das eine sehr gute Feststellung, das trifft auch ganz besonders auf Musiker und Musikerinnen zu, wie ich finde.
Den Gegensatz zwischen der verantwortungsbewussten, überpünktlichen Frau und ihrem kaum emails beantwortenden männlichen Kollegen beobachte ich auch im akademischen Feld, wo die Frauen zuverlässig und brav ihre Arbeit machen, während die Männer Deadlines grundsätzlich nicht ernst nehmen und sich hinter Abwesenheitsmails verschanzen. Aber es gibt natürlich auch Ausnahmen von dieser Regel, die ich ohnehin absichtlich polemisch zugespitzt habe. Ich selbst muss mich jedenfalls in zahlreichen Situationen auch heute noch dazu zwingen, mich nicht für alles verantwortlich zu fühlen.

Boltanksi und Chiapello haben festgestellt, dass die frühere Künstler-Kritik an der entfremdeten Arbeit zunehmend in Unternehmensstrategien integriert wurde. Impliziert Kunst für dich trotzdem immer noch „ein Aufscheinen von Utopie“?
Ich glaube nicht an Vereinnahmungsszenarien, die immer einen totalisierenden Zug haben. Zwar stimmt es, dass die Künstlerkritik inzwischen zu einem unternehmerischen Ideal aufgestiegen ist. Aber deshalb geht die Kunst noch lange nicht im Ökonomischen auf. Hinzu kommt, dass es neben der auf Authentizität zielenden „Künstlerkritik“ im Sinne Boltanskis/Chiapellos auch zahlreiche Künstler*innen im 20. Jahrhundert gegeben hat, die eher Entfremdung groß geschrieben haben – so etwa Dada oder später die Pop Art. Man muss also zwischen unterschiedlichen Typen der Künstlerkritik historisch differenzieren. Für mich ist Kunst zwar grundsätzlich in die Wertsphäre eingebunden, aber sie kann andere Wertformen, Waren der besonderen Art produzieren, die jedoch mit der bestehenden Wertsphäre und gewöhnlichen Waren in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Den Utopiebegriff würde ich an dieser Stelle nicht verwenden, eher vielleicht das Konzept eines imaginären Trance-Outside, wie es Merlin Carpenter in seinem Buch „The Outside Can´t Go Outside“ entwickelt hat.

Abschließend noch: welches Buch von dir wäre für den interessierte Laien an deinen Werken ein guter Einstieg?
Ich würde zum Einstieg und auch vor dem aktuellen #metoo-Hintergrund mein Buch: „Die bessere Hälfte. Künstlerinnen im 20. und 21. Jahrhundert“ (2003) empfehlen.

Hast du einen guten Buchtipp (natürlich neben deinen Büchern) bezüglich der Geschichte der zeitgenössischen Kunst?
Als guten Einstieg in die zeitgenössische Kunst empfehle ich die „Ästhetik der Installation“ von Juliane Rebentisch.

Gibt es für dich so ein „Lieblings-Museum“ weltweit? Dali-Haus, Giger-Museum…?
Mein Lieblingsmuseum ist das Matisse-Museum in Nizza.

Letzte Frage: hast du „drei für die Insel“-Lieblingsplatten?
Juan Atkins & Moritz von Oswald – Concave 2, Mozart – Requiem und The best of Earth Wind & Fire Vol 1.

Ich danke dir sehr für deine Zeit.

Interview: Jan Röhlk
Kontakt: textezurkunst.de, die TzK sind auch auf Twitter, Facebook und Instagram

 

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