Oktober 9th, 2019

TED LEO (#125, 2007)

Posted in interview by Thorsten

Mea Culpa. Eigentlich hätte Ted Leo schon vor Jahren im Trust auftauchen müssen. Mindestens seit der zweiten Platte ‚Tyranny Of Distance‘, durch die ich zumindest vor sechs Jahren den Ex-Sänger von Chisel kennen lernte. Er hätte auftauchen müssen, weil er – und das ist im Indierock mit Pop-Appeal so selten geworden – eine Menge zu sagen hat und das in wunderbar eingängige Songs verpackt. Das gilt auch (oder gerade) für ‚Living With The Living‘, dem neuen Album Leos, auf dem wiederum persönliche und politische Themen bunt durcheinander gemischt wurden. Jetzt bestand endlich die Gelegenheit, mit dem Mann persönlich zu reden. Und weil es so viele Dinge gibt, die Leo in den 14 neuen Songs (plus Intro) anspricht, sind wir einfach mal sämtliche Lieder der Reihe nach durchgegangen. Eine Album-Besprechung mit dem Sänger persönlich sozusagen.

In ‚The Sons of Cain‘ ist mir die Textzeile ‚I’ve got to sing just to exist / And to resist‘ aufgefallen. Kann man so deine musikalische Karriere zusammenfassen?

Ich schätze mal, dass das auf irgendeine Weise geht. Ich muss dazu sagen, dass der Erzähler dieses Lieds nicht ich bin. Aber wenn ich ein Lied schreibe, in dem es um sehr ernste Dinge geht, muss man schon eine große Sympathie für seinen Erzähler hegen. Also selbst wenn ich das nicht „singe“, fühle ich mich regelmäßig so wie er.

Du kannst kein Lied singen, in dem du vollkommen konträr zum Erzähler gehst?

Keine Ahnung, ich hab das nie versucht.

Sind Widerstand und Opposition bzw. Protest wichtige Bestandteile deiner Musik?

Das sind wichtige Dinge in meinem Leben. Musik ist nur ein Ausdruck davon, wenn auch einer der wichtigsten.

Du hattest damals einen Song für die Compilation ‚Don’t Know When I’ll Be Back‘ gemacht. Mich hat das damals zunächst verwirrt, weil das eine Benefiz-Platte für Vietnam-Veteranen ist. Ich hab erst durch die CD begriffen, dass vor allem ärmere Menschen zur Armee gehen, weil sie keine andere Option haben. Handelt ‚Army Bound‘ davon?

Ja. Und es geht um die Taktik, die das Militär nutzt, um neue Leute zu rekrutieren. Das ist schon sehr zynisch, dass die Armee den Leuten ein besseres Leben verspricht, wenn sie diese Art von Dienst verrichten. Man kann Militär grundsätzlich in Frage stellen, aber das ist ein ganz anderes Thema. Hier wurde ein bestimmtes Wirtschaftssystem geschaffen, in dem es eine Klasse armer Menschen gibt, für die die Armee eine der wenigen Möglichkeiten ist, Geld für Schule und für Gesundheitsvorsorge zu bekommen und einen festen Job zu haben. Ich will nicht sagen, dass das eine gut durchdachte Verschwörung der Regierung ist. Aber dieses System funktioniert auf jeden Fall so. Das Lied geht um die Versprechungen, die jemandem gemacht werden, der in einer zu unerfreulichen Situation ist, um auf ein besseres Leben zu hoffen. Aber nicht nur, dass viele dieser Hoffnungen trügerisch sind und man nicht immer das Geld bekommt, das einem vorher versprochen wird – dann wird man auch noch in die Wüste geworfen für ein paar beschissene Lügen.

Was hältst du davon, dass die Armee auch bei der Warped-Tour rekrutiert?

Die Armee kann natürlich machen, was sie will. Wäre ich ein Organisator der Warped-Tour, würde ich sie nicht auf mein Gelände lassen. Ich kenne die Hintergründe nicht, insofern kann ich nicht mehr sagen. Aber natürlich kann die Armee erst einmal anfragen.

Hast du je bei der Tour mitgemacht?

Nein, das ist nicht mein Ding.

Ist das nicht irritierend, dass es eine Benefiz-CD gibt für Veteranen, während sich doch der Staat um die Menschen kümmern muss?

Das passiert doch noch heute. Es gab einen riesigen Skandal in den USA, weil ein großes Militär-Krankenhaus in Washington D.C., unweit vom Weißen Haus gelegen, verwundete Irak-Soldaten in dreckige Zimmer voller Ratten verlegt hat. Das ist fürchterlich. Natürlich gibt es gewalttätige Idioten in der Armee, die gibt es überall und mit Sicherheit in der Armee. Aber man muss schon eine gewisse Sympathie für diese Menschen hegen, die von der Regierung so beschissen wurden.

‚Who Do You Love?‘ scheint ein sehr frustrierter Song zu sein.

So kann man das sagen. Das ist für eine Person gewidmet, die ihr ganzes Leben damit verbracht, hart zu arbeiten – ob im Job oder für andere Dinge. Manchmal ist man damit so beschäftigt, dass man vergisst, warum man arbeitet. Wenn man sich zu sehr mit den Nachrichten beschäftigt, ist man so gefangen in den düsteren Seiten der Welt, dass man vergisst, dass es ein Licht am Ende des Tunnel ist. In dem Lied konkrekt heißt das, dass jemand die menschlichen Beziehungen vergisst – Freunde und so.

Ich lasse ‚Colleen‘ mal aus.

Das ist auch ein sehr einfacher Song, der einem Menschen gewidmet ist, der ein hartes Leben hatte, aber immer weiter macht.

Ich habe gedacht, dass Leo ein italienischer Name ist…

…ist er auch.

‚A Bottle Of Buckie‘ klingt aber sehr schottisch oder irisch.

Ich bin italienischer und irischer Herkunft. ‚A Bottle Of Buckie‘ ist allerdings ein sehr fiktionalisierter Song über etwas, was in Glasgow, also Schottland, passiert ist.

Wie wichtig ist deine Herkunft für deine Musik?

Auf einer bewussten Ebene ist sie nicht so wichtig. Aber ich fühle mich der keltischen Musik sehr verbunden.

Was ist ein Buckie?

Ein billiger, schlechter Wein, den die Kids in Schottland und Nordirland trinken. ‚Buck Fast 45‘ ist der richtige Name.

In den USA hab ich dieses ‚Mad Dog 20/20‘ gesehen.

Das funktioniert ganz ähnlich.

Ich habe dich des öfteren mit Conflict-Shirts gesehen, jetzt trägst du einen Crass-Anstecker. Waren solche Bands der Einfluss für das sehr aggressive, direkte ‚Bomb. Repeat. Bomb‘?

Auf jeden Fall. Man geht im Leben ja durch verschiedene Musik-Phasen – zum Beispiel sechs Monate lang Soul und dann plötzlich wieder AC/DC und so. Ich habe aber nie aufgehört, die ganzen Achtzigerjahre-Anarchopunk-Bands zu hören – Oi Polloi, Conflict, Crass, Rudimentary Peni, Discharge und so. Ich habe auch solche Musik gemacht – vor langer Zeit. Es war schön, mal wieder ein Lied in diesem Stil zu schreiben.

Haben diese Bands deine politischen Vorstellungen beeinflusst?

Natürlich. Ich war damals 13, als ich das gehört habe – 1983.

‚Bomb. Repeat. Bomb‘ ist ein Anti-Armee-Lied.

Es geht aber nicht um den Irak, wie viele Leute glauben, sondern um den Staatsstreich 1959 in Guatemala, an dem der CIA beteiligt war. Die haben damals Bomben abgeworfen, um die Regierung zu destabilisieren. Die Regierung war kaum sozialistisch, wurde aber als kommunistisch beschimpft.

Da war doch die United Fruit Company beteiligt, die wir heute als Chiquita kennen.

Genau darum geht es. Und natürlich ist das Lied angelegt, um Parallelen zu ziehen. Aber ich möchte auch sagen, dass die Probleme, mit denen wir uns heute beschäftigen, schon viel länger existieren. Und nur wenn wir uns tiefergehend mit internationaler Politik beschäftigen, wird es eine Veränderung geben. Es muss eine deutliche Neubewertung der internationalen Beziehungen geben – und besonders natürlich, wie die USA auf Bedrohungen antwortet.

Es sieht nicht so aus, als ob das jemals passiert.

Vielleicht nicht. Aber was will man machen?

‚La Costa Brava‘ erinnerte mich sehr an Paul Weller. Er ist ein offensichtlicher Einfluss auf deine Musik, denke ich.

Ich will meine Bewunderung für ihn nicht klein reden, aber ich denke, dass ich grundsätzlich versuche, ihn nicht nachzuahmen. Aber ich möchte Punk-Musik schreiben, die durch Soul beeinflusst ist. Insofern haben wir beide sehr viele Gemeinsamkeiten.

Beim Songtitel dachte ich spontan an The Clash. Aber dieses Lied ist das am wenigsten politische Lied auf dem Album.

Für mich ist der Song das Herzstück der Platte. Es geht nämlich genau darum, was ich auch schon bei ‚Who Do You Love‘ angerissen habe. Nur kommt das hier stärker raus. Nach ‚Shake The Sheets‘ war ich andauernd auf Tour. Das war ich eigentlich schon seit dem Jahr 2000. Ich habe die Lieder mit so viel Energie und Seele gespielt wie möglich. Ich war völlig erschöpft, ideologisch wie körperlich. Man haut einfach nur alles raus, aber die Sachen werden nicht nur nicht besser, sie werden sogar schlechter. Wir haben dann ein Festival an der Costa Brava gespielt und hatten ein paar Tage frei. Das war genau das, was ich brauchte. Man vergisst, warum man etwas tut, weil man so in etwas aufgeht. Man brennt einfach aus. Man muss immer mal wieder links und rechts gucken, die Sonne genießen, die Menschen bemerken, die man mag. Es gibt Aspekte im Leben, die in Ordnung sind. Man muss sich auch mal aufladen.

‚Annunciation Day‘ könnte dir Probleme bei der religiösen Rechten in de USA einbringen.

Das hat mir schon Probleme bei meinen eigenen Fans eingebracht. Ein paar Leute haben mir sehr verärgert und aufgebracht gemailt. Manche Kritiken konnte ich nachvollziehen, einige hielt ich für überzogen. Einige fanden, dass das Lied ein sehr billiger Angriff auf religiöse Ikonen sei. Andere haben mehr nachgedacht und mich gefragt, warum ich über bestimmte Dinge so denke. Ich bin ganz einfach Religion leid, Christen, Muslime, Hindus – einfach alle. Es wird Zeit, dass das aufhört. Ich glaube nicht mehr an Gott, auch wenn ich sehr christlich aufgewachsen bin. Kulturell ist Religion durchaus noch wichtig für mich, religiöse Kunst bewegt mich sehr, Reggae, Bilder. Mich bewegt auch der Wunsch der Menschen, eine Verbindung zu etwas außerhalb von ihnen zu suchen. Das ist der Wunsch, der zu Religion führt. Ich denke aber, dass sich die Menschheit nur entwickeln kann, wenn Religion verschwinden.

Aber religiöser Extremismus wird immer stärker – auch in den USA.

Das ist aber ein bisschen übertrieben in den USA. Das bringt Aufmerksamkeit in den Medien. Religiöse Rechte sind in den USA eine starke Kraft, aber nicht so stark wie behauptet wird. George Bush wurde nicht von religiösen Extremisten wiedergewählt, sondern von faulen, verängstigten Menschen.

‚The Unwanted Things‘ ist kein Punkrock-Song, aber das Lied, das mich am meisten an The Clash erinnert hat.

Was so besonders an dem Lied ist: Bisher habe ich zu viele Einflüsse in einen Song gepackt. Das hab ich sehr häufig gemacht. Viele Lieder sind Punk-Songs mit einem Soul-Anteil, die einen Folk- oder Reggae-Part haben. Dieses Lied habe ich nur aus Spaß als Reggae-Song geschrieben, ohne dass ich geplant hatte, ihn für die Band zu benutzen. aber ich mochte den Song und nahm ihn mit. Früher hätte ich wohl einen „punky Reggae-Song“ daraus gemacht, sozusagen wie The Clash, bevor sie echte Reggae-Sachen gemacht haben. Aber diesmal fühlten wir alle, dass das Lied gut atmen kann. Es wollte ein Reggae-Song sein, warum also daran rummachen?

Wirst du also in Zukunft dein Spektrum erweitern?

Keine Ahnung, das wird sich zeigen.

Ist das Album so lang, weil du so viele unterschiedliche Sachen gemacht hast?

Ja. Und auch, weil ich so lange brauchte, all die Texte zu schreiben. Als ich fertig war, hatte ich so hart an ihnen gearbeitet, dass ich keinen auslassen wollte. Sie gehörten einfach zusammen.

Das führt mich zur nächsten Frage: ‚Every little memory has a song‘ singst du in ‚The Lost Brigade‘. Es muss also noch eine Menge unveröffentlichter Songs geben.

Der Satz gilt aber auch umgekehrt. Es geht nicht nur um Lieder, die ich geschrieben habe, sondern auch um die Songs anderer Leute, mit denen sich bestimmte Augenblicke verbinden.

Wie lange hast du denn für all die Lieder gebraucht?

‚La Costa Brava‘ und ‚The Sons Of Cain‘ waren die ersten beiden Lieder, die ich geschrieben habe. Das war im September 2005. Der letzte Song war ‚Annunciation Day‘, den ich im Studio fertig stellte. Das war im Oktober 2006. 13 Monate also insgesamt.

Hast du dir so viel Zeit genommen, weil du wusstest, du hast sie wegen des Label-Wechsels?

Nein. Wir waren so viel auf Tour, und ich kann dann nicht schreiben. Das Label hatte damit nichts zu tun. Als wir wussten, dass wir mit Touch And Go arbeiten würden, buchte ich ein Studio. Das mussten wir dann aus persönlichen Gründen absagen und die Aufnahmen auf den Herbst verschieben. Die Platte wäre damals aber eine völlig andere geworden, weil ich viele Sachen erst im Laufe des Sommers beendete.

Touch And Go war eine leichte Entscheidung?

Es war nur deswegen nicht so einfach, weil einige der anderen Labels, mit denen wir geredet haben, ebenso cool sind und ich viel Respekt vor ihnen haben. Wir haben vor einer Weile eine Grundsatzentscheidung getroffen, nicht auf ein Majorlabel zu gehen. Aber wir haben im Prinzip mit allen größeren Indies geredet. Ich denke, jede Entscheidung wäre gut gewesen. Wir wollen nur herausfinden, welche Entscheidung die beste sein würde.

Auf ‚The World Stops Turning‘ gibt es dieses Gitarrensolo, das ein bisschen Thin Lizzy klingst. Benutzt du solche Referenzen auch mal bewusst?

Weißt du, ich mache das nicht bewusst. Aber ich stoppe auch nicht, wenn ich merke, etwas geht in eine bestimmte Richtung. Ich kenne meine Plattensammlung. Aber wenn es nicht exakt kopiert klingt, hab ich kein Angst davor.

Dieses Lied ist sehr düster, aber auch sehr poppig. Magst du, wenn Leute mitsingen?

Absolut.

Bei ‚Some Beginner’s Mind‘ ist mir auch keine Frage eingefallen.

Das ist einer meiner persönlichsten Lieder auf dem Album. Da geht es um das Musikgeschäft und all die Sachen, die man neben der Musik machen muss. Man muss auf den Boden zurück. Das ist ein fernöstliches Konzept, dass man alle Dinge so angehen soll, als wären sie neu.

Vielleicht passt meine Frage da ja: Du hattest sehr viele Bandmitglieder im Laufe der Jahre – Amy Farina von den Warmers bzw. Evens, James Canty von Make-Up und so weiter. Sind die Pharmacists eine richtige Band?

Eine Zeitlang war mein Konzept, dass die Pharmacists offener sind und keine richtige Band. Aber die Besetzung steht nun schon sieben Jahre, was schon sehr fest ist. Ich schreibe die meisten Lieder alleine und gebe sie der Band, aber wenn ich jetzt was mit anderen Leuten aufnehmen würde, wären das nicht die Pharmacists. Wir drei sind Ted Leo And The Pharmacists.

Ich habe mal gehört, dass James Canty die Band verlassen haben soll, weil er nicht genug Einfluss auf das Songwriting hätte.

Er wollte nicht mehr Einfluss auf unser Songwriting haben, sondern er wollte sein eigenes Ding machen. Das ist ein kleiner Unterschied. Es hat noch nie jemand die Band in Unfrieden verlassen. James spielt übrigens wieder mit uns.

‚The Toro And The Toreador‘. Wie siehst du dich selber – als Stier oder als Stierkämpfer? Und was findest du cooler?

Den Stier natürlich, auch wenn er am Ende stirbt. Natürlich würde ich mich lieber als Stier sehen.

Du bist Veganer, fällt mir dabei ein. Wie wichtig ist dir das?

Es ist sehr wichtig, auch wenn ich das zuletzt nicht mehr so oft in meinen Songs erwähnt habe. Ich hab früher ein paar Lieder darüber geschrieben. Wenn ich darüber rede, bin ich da offener. Ich bin Vegetarier seit 20 Jahren und Veganer seit zehn. Das ist einfach ein Teil des Lebens.

Der letzte Song heißt ‚C.I.A.‘, womit die Platte abgerundet wird – das Intro heißt ja ‚Fourth World War‘, dann kommt ‚Songs of Cain‘. Ist die CIA einer der Gründe für die Probleme in der Politik?

Sie ist nicht der Grund des Problems. Der Grund ist die Mentalität, die es einer Organisation erlaubt, sich so zu verhalten, wie es die CIA in der Vergangenheit getan hat. Das Verhalten der CIA wäre nicht akzeptabel, wenn es das Licht des Tages sehen würde.

Interview & Fotos: Dietmar Stork

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