März 11th, 2007

SOPHIA (#64, 06-1997)

Posted in interview by jörg

…und die Reise ins Ich

Lang ist es her, dass wir uns richtig unterhalten haben. Dass wir über unsere ängste und über unsere Wünsche sprachen, über all das, was dort tief in uns schlummert…

Vielleicht war es irgendwann in der Schulzeit, denn normalerweise haben wir dazu überhaupt keine Zeit mehr. Sind eingeschlossen im Treiben des Lebens, mit dem täglichen Stress und mit all den Problemchen, die da jeden Tag vor unserer Tür stehen und uns begrüssen wie alte Freunde. Manchmal jedoch schlägt uns das Schicksal eine Kerbe in unser stinknormales Dasein. Wie schlimm dieses auch sein mag, oder auch wie umwerfend schön, wir beginnen wieder zu leben.

1994 starb der Bassist der Band THE GOD MACHINE und hinterliess Verzweiflung und Ratlosigkeit. Robin Proper-Sheppard, Sänger und Gitarrist bei THE GOD MACHINE, hat fast drei Jahre gebraucht, um wieder leben zu können, um all das zu verarbeiten, was das Schicksal ihm schenkte, und was es ihm nahm. Es war die Liebe, die Unterstützung seiner Freunde und nicht zuletzt auch die Musik, die ihm dabei half. Und es war die Musik, mit der alles begann…

1984, San Diego, CA. Als sich Ron Austin, Albert Amman und Jimmy Fernandez nach einem Sänger für ihre High School Band SOCIETY LINE umschauen, stossen sie durch Zufall auf Robin Proper-Sheppard. Die vier werden Freunde und verbringen viel Zeit miteinander. Selbst zu diesem Zeitpunkt ahnt Robin schon, dass er irgendwie nicht in diese Stadt gehört.

***

So geht er bald nach New York, und irgendwann entschliessen sich Austin und Jimmy, ihm zu folgen. So beginnt die Geschichte einer Band… in diesem Fall die von THE GOD MACHINE. Ihr harter und dennoch sehnsuchtsvoller Sound ist das ideale Sprachrohr für Robins Frust auf das ganze Leben:

“Ich sah damals nirgendwo etwas Gutes drin. Unsere Band THE GOD MACHINE beschäftigte sich immer mit diesen riesigen Themen wie Schicksal, Gott und Liebe. Aber wir versuchten, nichts zu erklären, ich könnte es auch niemals irgendwie erklären…“

Vielleicht ist es auch diese innere Unruhe, die Robin immer befällt, wenn er über längere Zeit an einem Ort weilt. Deshalb, oder weil sie sich im musikalischem Sammelbecken der Queenstadt besser durchschlagen können, ziehen sie bald darauf nach London.

Ihr Idealismus, ihre Geduld und ihr individueller Charakter oder vielleicht auch das Schicksal bringt ihnen 1991 einen Plattenvertrag mit Fiction Re-cords/Polygram ein, und sie veröffentlichen das erste GOD MACHINE – Album “Scenes From The Second Storey. Es ist gut, etwas Geld zu haben, um leben zu können und auf Tour zu gehen, aber der Leistungsdruck des Majors belastet die drei:

“Diese ganze Major-Mentalität und die ganze Atmosphäre, in der du kreativ sein sollst und in der du Musik machen willst, ist so bedrückend. Auch wenn dir das Label nicht direkt vorschreibt, was du zu tun hast, die Dinge sind grundsätzlich unbeeinflussbar. Sie entscheiden, wann immer sie wollen, eine Platte zurückzuhalten, oder sie entscheiden irgendetwas anderes…es sind einfach diese ganzen kleinen Dinge, die da zusammenkommen, und die rauben dir so viel Zeit und Energie.

Ein paar Monate bevor Jimmy, Austin und Robin nach Prag fliegen, um ihre zweite und letzte Platte “One Last Laugh In A Place Of Dying…aufzunehmen, verwirklicht sich Robin einen Traum und gründet sein eigenes Label, “Flower Shop Recordings”:

“Es begann alles mit der Band ELEVATE. Wir hatten das selbe Studio wie sie, und ich wollte unbedingt mit ihnen zusammenarbeiten, weil ich ihre Musik wirklich sehr schätze. Ich hatte schon immer die Idee, eine eigene Plattenfirma zu gründen, um mit unbekannten Bands zu arbeiten. Es ergab sich so, weil ich dachte, wenn ich schon in die Produktion mit einsteige, sollte ich vielleicht auch eine Single veröffentlichen. Später arbeitete ich dann mit Ligament, Rosa Mota, Swervedriver und 18th Dye, und es entwickelte sich langsam zu einem Label. Ich mag es einfach, junge, unbekannte Bands zu se-hen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Das hält mich selber jung.“

Als THE GOD MACHINE 1993 die Plattenaufnahmen beenden, soll Robin erfahren, wie wichtig es für ihn ist, diese “Flower Shop” Gemeinschaft zu haben, denn kurz darauf, am 23.Mai 1994, stirbt der Freund und Bandkamerad Jimmy Fernandez an einem Gehirntumor.

Für Austin und Robin bricht eine Welt zusammen. Sie entschliessen sich, THE GOD MACHINE zusammen mit Jimmy zu begraben. “Als Jimmy starb, war ich so negativ und so pessimistisch. Irgendetwas tief in mir kam nicht darüber hinweg. Jimmy war der positivste Mensch, den ich je kannte, und als er starb, verschwand plötzlich alles Positive aus meinem Le-ben.“ Es dauert zwei ganze Jahre, bis Robin wieder fähig ist, die Gitarre in die Hand zu nehmen und einen Song zu schreiben. ”

“So Slow` war der allererste Song, den ich schrieb seit Jimmy`s Tod, es war der erste Song, den ich überhaupt spielen konnte. Ich war so traurig und schrieb ihn von Anfang bis Ende in einem Zug. Dann schaute ich auf diesen Song und dachte “Robin, das ist genau das, was Du fühlst, das ist genau das, was Du denkst.` Und ich wusste, dass sich etwas ändern muss.“

Die Musik hilft ihm zu verstehen, hilft ihm, mit den vielen seltsamen Situationen des Lebens umzugehen, und so schreibt er weiter und entschliesst sich irgendwann ein Album unter dem Namen SOPHIA zu veröffentlichen. Den musikalischen Background bilden hierbei Musiker der Bands Ligament, Elevate, Oil Seed Rape u.a.

“Ich sehe, wie dieses Projekt sich entwickelt, es beginnt zu wachsen. Die Leute schätzen sehr, was ich tue. Die Reaktionen auf SOPHIA sind so positiv, so tief-empfunden herzlich, auch deshalb möchte ich wirklich weiter machen. Am Anfang hätte ich nie gedacht, dass ich wieder Songs schreiben, geschweige denn, dass ich CDs rausbringen werde. Es ist ein allmählicher Prozess, der in Gang gesetzt wurde durch die grosse Unterstützung all derer, die involviert sind in “Flower Shop” Recor-dings.

Ich kann aber nicht sagen, wie sich dieses SOPHIA Projekt letztendlich entwickeln wird, zumal ich auch mit so vielen verschiede-nen Leuten zusammenarbeite. Austin, Jimmy und ich lernten zu-sammen unsere Instrumente zu spielen, wir waren niemals in anderen Bands ausser THE GOD MACHINE.

Und es war anfangs sehr schwierig, sehr unsi-cher, mit völlig neuen Leuten zusammenzuarbeiten. Ich kannte meinen eige-nen Wert als Musiker nicht, ich kannte nur meinen Wert als Sänger bei THE GOD MACHINE. Aber etwas Neues zu machen, wo man all seine Energie und sein ganzes Herz einbringen kann, und Men-schen zu haben, die verstehen, was man tut, ist wirklich wundervoll. Ich produziere sehr viel, ich ma-che meine Labelarbeit und ich mache Musik mit SOPHIA. Ich brauche all diese verschiedenen Aspekte in meinem Leben, das gibt mir ein bisschen Freiheit.“

Es mutet seltsam an, dass ein Mensch, der die Gefühle einer Zeit seines Lebens, die man am liebsten vergessen würde, in Songs gekleidet hat, diese immer und immer wieder singen kann, ohne dass es einer Selbstbestrafung gleich kommt…

„Jeder fragt mich das, doch als ich diesen Song schrieb, war es für mich wie eine Wiedergeburt. Ich konnte so lange nicht darüber sprechen, ich konnte so lange mit niemanden reden, weil ich nicht wusste, was die Leute von mir er-warten und was ich von mir selbst erwarte. Alle Songs auf “Fixed Water“ sind ziemlich therapeu-tisch, aber sie helfen mir, die Dinge zu bewältigen.“

Es ist schon seltsam, welche Wege das Leben geht… Ein alter Spruch besagt, dass, wenn ein Mensch stirbt, zur selben Zeit ein neuer Mensch das Licht der Welt erblickt. Vielleicht ist es gerade dieser Aspekt, der Robin dazu bringt, mit der Geburt seiner Tochter seinen Glauben an die Welt wiederzufinden.

“Ich kann wieder etwas Posi-tives in meinem Leben sehen. Ich habe in den letzten Jahren so viel über mich selbst nachgedacht, doch nun sehe ich auch wieder, was um mich herum pas-siert. Eine Sache, die ich von Jimmy lernte, ist diese Beziehung zu haben zu den Dingen, die um Dich herum sind. Das ist besser, als ständig in sich hinein-zublicken. Aber ich glaube auch an das Schicksal, dass der kleinste Funke das grösste Feuer auslösen kann. Wenn du an das Schicksal glaubst, bist du ziem-lich hilf-los, weil du es niemals kontrollieren kannst.

Da ist es egal, was die Leute dir erzählen oder was dir irgendeine Religion erzählen will, du kannst dein ganzes Leben lang schuften, und am Ende bläst dich das Schicksal weg wie eine Feder. Es gibt nichts, was du dagegen tun kannst. Ich habe in den letzten drei Jahren mehr Dinge erkannt als in den ganzen 25 Jahren meines Lebens davor und möchte einfach nicht mehr dasitzen und darüber nach-denken, wie schlecht die Welt ist.

Es gibt eine Menge schrecklicher Dinge auf dieser Welt, aber deine persönliche Aufgabe ist auch, dass du ein Kind zu-rückhälst, was auf die Strasse rennt, oder ein Spiel mit Deiner Mutter spielst oder vielleicht auch nur dich an etwas Schönem erfreust… Ich denke, diese kleinen Dinge verbessern mehr, als wenn man ständig nur das Negative in allem sucht.“

Eines dieser kleiner Dinge, die dazu beitragen, das Leben lebenswerter zu machen, die eigene kleine Welt zu formen und trotzdem die grosse reale Welt nicht zu ver-gessen, ist mit Sicherheit die Musik. Es ist erstaun-lich, welche Macht Musik haben kann…sie kann dich zum Weinen bringen, sie kann dich aufregen, sie kann dich in eine Situation hinein- und sie kann dich auch aus einer Situation herausziehen…

„Nehmen wir mal an, du hast ein Zimmer, das durch eine unsichtbare Wand geteilt ist. Du sitzt auf der einen Seite und schreibst Schreibma-schine, und auf der anderen Seite steht ein CD-Player, und es läuft Mu-sik. Die Musik kann es schaffen, dich von deiner Schreibmaschine wegzuziehen. Weisst Du, was ich meine? Ich lege ein Patti Smith-Album auf, und ich bin völlig davon verein-nahmt.

Ich kann wirklich nur dasitzen und ihr zuhören… Seit ich hier in Brüssel bin, habe ich ziemlich viele verschiedene Sachen gehört. Ich habe mir gerade vor ein paar Tagen ein Radio gekauft, ich habe ewig kein Radio ge-hört. Ich liebe eine Menge verschiedener Arten von Musik, aber Patti Smith ist zur Zeit eine meiner Lieblingskünstlerinnen. Aber ich mag zum Beispiel auch Nick Cave und Neil Young und verschiedene andere Sa-chen. Ein Freund von mir hat mir letztens das neue Sepultura-Album mitgebracht, und es ist wirklich grossartig.

Dann war ich vor ein paar Monaten bei Ben Folds Five, und das war ein ziemlich beeindruckender Abend. Ausserdem liebe ich Hank Williams und Willy Nelson… Wichtig für mich ist nur, dass ich eine emotionale Beziehung zu der Musik habe. Das gleiche gilt für Filme. Ich liebe Filme mit Bruce Willis oder Sylvester Stallone, diese riesigen Kommerz-Action-Sachen. Ich weiss, sie sind völlig stumpfsinnig, aber da ist so viel Leben drin. Auf der an-deren Seite gucke ich mir sehr gerne sehr ernste, gefühlsstarke Filme an, wie Schindlers Liste oder Filme von Mike Leigh oder Kieslowski. Sie bringen Dich zum Nachdenken. Und das ist genau das selbe mit der Musik.“

Diese emotionale Beziehung ist genau der Kern der Musik, er macht den Unterschied, warum jemand diese Musik mag und der andere jene. Es gibt so viele verschiedene Arten von Musik, und es gibt immer Menschen, die sie lieben. Um so grässlicher ist es, wenn um des Geldes wegen versucht wird, jemanden eine Musik aufzuzwingen.

Wenn von Marketingfirmen durch Analysen und Marktbefragungen künstlich Pseudo-Idole kreiert werden, nur um möglichst viel Umsatz zu machen. Oder aber, wenn bemerkt wird, dass die breite Masse sich für einen bestimmten Typ Band begeistert, dass sofort die Marketingchefs der grossen Plattenfirmen bereit ste-hen und daraus künstlich einen neuen Hype entwickeln.

“Wenn zum Beispiel in England ein bestimmter Musikstil populär wird, dann geraten all die anderen Arten von Musik plötzlich in Vergessenheit. Wenn eine neue Modeerscheinung da ist, gibt es nichts anderes mehr. Und genauso schnell, wie sie entwickelt wird, wird sie hinterher auch wieder totgesagt.

In England sind z.B. eine Menge Bands einfach deswegen populär, weil sie Brit Pop ma-chen. Aber genauso sagen viele Leute, dass sie schlecht sind, nur eben, weil sie Brit Pop machen, ohne das sie jemals die jeweilige Musik überhaupt gehört haben. Aber trotz allem, ich finde, es gibt wirklich eine Menge guter Bands in England. Ich denke nicht, dass man mit Hilfe von Geld die Menschen dazu bringen kann, eine Musik zu mögen. Es muss immer eine gewisse Beziehung da sein. Denken wir nur mal an diese wirklich grässlich schlechten, aber popu-lären Popbands.

Sie sind nicht nur gross, weil da so viel Geld reingesteckt wird, nein, sie sind so gross, weil es viele Leute gibt, die daran glauben, was diese Bands ihnen zu verstehen geben. Da spielt es keine Rolle, wie dumm oder wie verwerflich das ist. Weisst Du, was ich meine? Jeder Mensch kann zu einem noch so schlechten Liebeslied eine Beziehung aufbauen, denn es ist ein universelles Medium. Ich kann es zum Beispiel niemanden vorwerfen, wenn er meine Musik nicht mag, und ich kann auch niemanden vorwerfen, dass er meinetwegen Cher mag.

Es gibt viele Menschen, die sie mögen, die so sein wollen wie sie. Da gibt es bestimmt eine Menge biertrinkender Bauarbeiter, die finden, dass Cher eine wunderbare Frau ist. Die Leute glauben an das, an das sie glauben wollen. Wahrscheinlich ist das auch gut so. Musik scheint eine Charaktereigen-schaft zu sein. Wir sind so verschieden, und genauso verschieden ist auch unser Musikge-schmack. Wichtig ist, dass man etwas zurückbekommt, wenn man “seine“ Musik hört, dass man inspiriert wird. Vielleicht zu einem Gespräch mit einem Freund…

***

Discographie:

The God Machine “Purity EP 1991

“Desert Song EP 1992 “Ego EP 1992

“Scenes From The Second Storey 1993 “Home EP

7,12 1993 “One Last Laugh In A Place Of Dying… 1994

SOPHIA “Fixed Water1996

“The Flower Shop Recordings” Limited Edition Series 7″ (only 1000, hand stamped and numbered)

Elevate : Judas / Red (Flower001) Rosa Mota : Spanish Fly Club (Flower002)

Ligament : Thank You For My Pumping Heart (Flower003)

Swervedriver : My Zephyr (Flower004)

Elevate : Bronzee (Flowcd001) Nov 94

Elevate : The Architect (Flowcd002) Mar 96

Sophia : Fixed Water (Flowcd004) Nov 96

Thanx to Robin for that talk, it gives me more than all other interviews I ever did.

Interview/Text: Angela Hollstein

Links (2015):
Wikipedia
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Discogs

 

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