SLOW WORRIES (#189, 2018)
Das seltene Glück eher zufällig über aktuelle Bands zu stolpern die dann auch noch so zu begeistern wissen, dass sie einen mehr oder weniger seit der Entdeckung begleiten, bereiten mir seit einiger Zeit SLOW WORRIES aus Amsterdam. Ob auf dem Heimweg nach einem nervigen Arbeitstag oder Zuhause im warmen Nest sind die Songs von rauher Schönheit ein konstanter Soundtrack der mich in jeglicher Gefühlslage mit vielfältigem Songwriting, einer gewissen Reife und wunderbaren (Dis)Harmonien mitreißen kann. Dass die vier ProtagonistInnen in hiesigen Gefilden noch viel zu wenig Aufmerksamkeit genießen, nahm ich zum Anlass für ein Gespräch über Gestern, Heute, Morgen und so manches Andere.
Zu Beginn gebt mal einen kurzen Abriss zu eurer Bandgeschichte, wer seid ihr, wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin?
Wir sind Gijs, Nora, Maaike und Liu aus Amsterdam. Wir haben 2014 in dieser Besetzung angefangen, kennen uns aber ewig und haben schon vorher in verschiedenen Formationen zusammengespielt. Gerade schreiben wir neue Songs und planen diese dann sehr bald aufzunehmen.
Eure Platte erinnert mich in Teilen sowohl stark an Dinosaur Jr und frühe Superchunk als auch an diverse (andere) Dischord Bands. Ihr verpackt Momente der 80er und 90er im aktuellen Gewand und liefert die musikalische Definition des Begriffes „Bittersweet“…. Soweit meine gewagte These. Kommen wir da zusammen oder erzähle ich kompletten Stuß?
Wir sind mit 90ies Indie und Post- Hardcore aufgewachsen. Gijs` erste musikalische Erinnerung ist der Erwerb einer Dinosaur Jr Platte, seine ersten Worte waren angeblich „Freak Scene“. Maaike hatte ihren ersten Kuss bei Jennifer Paige’s „Crush“, was sie sehr stark in ihrer musikalischen Entwicklung geprägt hat. Liu wollte immer Gitarre bei den Yeah Yeah Yeahs spielen und Nora hatte ihre erste Schlagzeugstunde beim Drummer von Beef, einer bekannten holländischen Reggae Band. 90ies indie und Pop waren berühmt-berüchtigt für ihren groben fuzzy sound kombiniert mit melodischen Vocals und davon fühlen wir uns grundsätzlich angezogen!
Ihr arbeitet mit Contraszt Records, Graanrepubliek Records und Adagio830 zusammen, allesamt Labels mit gewissem Stand und, meiner Meinung nach, verlässliche Garanten für Releases mit Qualität. Wie läuft das Zusammenspiel?
Es ist super mit Menschen zu arbeiten die scheinbar einen unfehlbaren Geschmack haben. Wir waren sehr happy als Mark von Graanrepubliek auf uns zukam, er verstand von vorn herein wie wir ticken und was wir wollen und holte dann sogar noch Adagio830 und Contraszt mit ins Boot. Besonders herausragend für uns war die DIY Mentalität der Labels und der Fakt das sie größtenteils Platten von Bands veröffentlichen die eher „heavy“ unterwegs sind. Vielleicht sind wir ihr heimliches Laster, „ a guilty pleasure“ sozusagen. Alle Labels haben auf jeden Fall Platten rausgebracht die wir lieben und es fühlte sich von vorn herein sehr passend an, diesen Menschen unsere Sache anzuvertrauen.
Wo seht ihr in diesem Zusammenhang Vor- und Nachteile von Label-Split- Releases?
Da die Labels jeweils weniger finanzielle Mittel aufwenden müssen gibt’s an deren Stelle keinen Nachteil, für die Bands ist es super mit wenig Aufwand einen größeren Radius abdecken zu können um die Platte zu „streuen“. Außerdem hat man gleich drei coole Leute mehr dabei die im Schaffensprozess mit involviert sind.
Wie lief die Platte bis jetzt? Wie haben die Leute sie angenommen?
Bald sind die letzten Exemplare weg! „Sold out“, wir werten das mal als gutes Zeichen.
Bis jetzt gibt’s die selftitled Platte mit 5 Songs und einen Demosong seid ihr angefangen habt. Bedeutet SLOW WORRIES „slow movement“ oder habt ihr ganz bewusst Entschleunigung gegen Schnelllebigkeit eingetauscht?
Da wir alle noch in anderen Bands spielen und sich dort die Termine teilweise überschnitten, konnten wir im Zuge der Platte nicht so viel spielen wie wir wollten. Wir hoffen dass wir das in Zukunft ändern können. Beim Songwriting an sich sind wir tatsächlich eher schnell. Sobald wir alle in einem Raum sind, laufen die Dinge recht fix.
Soweit ich weiß seid ihr alte Szenehasen. Wie ist es für euch älter zu werden und zu wachsen in einem Mikrokosmos der einen subversiven Charakter und auch eine gewisse Jugendlichkeit für sich beansprucht?
Das Ideal der Jugendlichkeit gilt unserer Ansicht nach eher für Popmusik, wir kommen mit Fragen wie diesen in unserem Erleben der Szene(n) in denen wir uns bewegen eher nicht in Berührung. Wir spielen in Bands seit wir Teenager sind und waren oft umgeben von Leuten die älter waren als wir. Alter ist weder ein Faktor ob man in Bands sein will oder nicht noch ausschlaggebend dafür Bands zu mögen oder nicht.
Ergeben sich bei euch irgendwelche Reibungen zwischen eurem Alltagsleben mit seinen Herausforderungen und eurer Rolle als Mitglied einer Punkband? Oder gießen derlei Konflikte oder gar Widersprüche textlich und musikalisch Öl ins Feuer?
Wir schätzen uns glücklich Jobs zu haben die uns terminlichen Spielraum und eine gewisse Freiheit geben und sind auch privat von Leuten umgeben die dieselben Ideen und Ideale teilen. Aber uns ist durchaus bewusst, dass etwas was uns und unseren Freunden sehr viel bedeutet, manchmal außerhalb unserer Blase gar keine Relevanz hat.
Amsterdam scheint ein hartes Pflaster zu sein, wenn es um bezahlbaren Wohnraum, oder gar Wohnraum an sich geht. Wie sind da eure persönlichen Erfahrungen?
Das ist definitiv so! Nur so viel: wir haben uns gegenseitig schon unzählige Male bei unseren Umzügen geholfen….
Die Niederlande haben eine bewegte Geschichte, was Squatting angeht, vom Straßenkampf zwischen militanter Szene und der Polizei in den 80ern zu legalisierten Hausbesetzungen in den 90ern. Bis 2010 erstritten zahlreiche AktivistInnen Mietverträge, erhielten so bedeutsame Gebäude und schafften offene und subversive Freiräume bevor die holländische Regierung offiziell Hausbesetzungen verbot. Trotz allem feierte das OCII in Amsterdam, beherbergt in einer alten Tramstation, 2017 seinen 25sten Geburtstag. Was, abgesehen davon, ist geblieben und wie sind eure persönlichen Prognosen und Erwartungen hinsichtlich alternativer Wohnformen und dem initiieren von unabhängigen Orten kulturellen Lebens für die nahe Zukunft?
Wir haben auf dem von dir erwähnten Geburtstag gespielt. Das OCII ist ein bedeutsamer und uns sehr lieb gewonnener Ort in dem wir schon früher aktiv waren. Die Hausbesetzerszene hat harte Schläge einstecken müssen aber trotz des Verbots machen sich noch immer viele Leute den Leerstand zu eigen um neues zu erschaffen. Wir haben hier auch weiterhin viele Orte die aus Hausbesetzungen hervorgegangen sind, deren räumliche Nutzung heute legal ist, die aber dennoch nicht ihre Ideale und ihren DIY Spirit verloren haben. Zu nennen sind hier z.B. De Nieuwe Anita, OT301 und Vrankrijk. Hier finden regelmäßig Shows statt. Eine entscheidende Auswirkung des Gesetzes von 2010 ist aber, das neu besetzte Gebäude leichter und schneller zu räumen sind. Daher sind aktuell entstehende gemeinschaftliche Räume sehr knapp. Abgesehen davon stellt die neoliberale Politik der Stadtverwaltung Amsterdam eine konstante Bedrohung für die existierenden Venues und Orte dar. Nicht zuletzt deshalb müssen wir alle unser Bestes tun um Orte wie diese zu erhalten.
Zurück zu euch, was wird 2018 bringen. Neue Platte, Touren etc.?
Wir haben 2017 eine kleine Deutschlandtour mit unseren Freunden von CUSACK gemacht (super Band, checkt die aus). Wir schreiben neue Songs, wollen diese dann wie schon gesagt im Frühjahr aufnehmen und hoffen im Anschluss an das neue Release wieder nach Deutschland kommen zu können!
Zum Ende, letzte Worte für die geneigten LeserInnen?
Kraken gaat door!
Vielen Dank für das Gespräch und eure Zeit!
Text und Interview: Jöran Krause
slowworries.bandcamp.com