Juni 24th, 2020

JOINT D≠ (#189, 2018)

Posted in interview by Thorsten

Ich kann mich nicht daran erinnern, das mich in den letzten ein, zwei Jahren eine neuere Hardcorepunkband mehr weggeblasen hatte, als JOINT D≠ aus North Carolina. Was nicht heißen soll, das die sonstigen, aktuelleren Hardcorepunk-Releases nur zweit oder drittklassig gewesen wären. Auf keinen Fall, denn es gab zahlreiche Veröffentlichungen, die ich in großen bis überschwänglichen Tönen oder Gesten abfeierte. Aber JOINT D≠ setzen eben noch einen drauf und klingen in meinen Ohren noch ein Stück gespitzter und intensiver. Ihr Sound ist so unglaublich tight, dicht und kompakt gespielt und hat trotz des ganzen überwältigenden Zorns, noch genügend Melodien und zerschneidende High-Energy-Gitarrenriffs, sowie einen Sänger der sich inbrünstig, seines Frusts entledigt. Es scheint für mich beinahe unmöglich zu sein, JOINT D≠ nur so nebenbei zu hören, lege ich ihre letzte Platte „Intelligence“ von 2016 auf, bin ich wie auf Knopfdruck in ihren Bann gerissen. Aber auch ihre früheren Werke „Satan Is Real Again …“ (2013) und „Strike Gently“ (2012) besitzen ein überaus hohes Potential, wo ich mich bei jedem Hördurchgang von neuem Frage, weshalb diese begnadete Band bisher so wenige Aufmerksamkeit bekommen hat? Um dies zu ändern, interviewte ich kurzerhand JOINT D≠, und sprach mit ihrem Sänger Nick Goode, über seine intelligenten, lyrischen Texte, ihre Musik, über Satan, der Szene von North Carolina und Atlanta, über Trump und dem derzeitigen, linkspolitischen Movement der USA.

Erzählt uns doch mal in welchen Bands ihr zuvor gespielt habt und wie der Wechsel zu JOINT D≠ zu Stande kam?

Ich war zuvor und auch gleichzeitig bei BRAIN F≠ und LOGIC PROBLEM aktiv, Thomas spielte bei YARDWORK und SOFT PARTS, während Michael bei HOMBRINUS DUDES und GREAT ARCHITECT involviert war. So richtig angefangen haben wir 2010, als wir herausgefunden haben, dass wir alle TOTALITÄR mögen.

Es heißt, dass ihr euch aus rechtlichen Konsequenzen von JOINT DAMAGE in JOINT D≠ umbenannt habt. Was waren das genau für rechtliche Konsequenzen?

Es gibt eine Goatee-Metal-Rap-Pseudo-Juggalo Band aus Rhode Island, die ein US-Patent auf den Namen beantragt hat, nachdem wir unser Demo veröffentlicht und die “Strike Gently” LP angekündigt hatten. Wir haben einen Unterlassungsbrief von ihrem Anwalt am selben Tag bekommen, wie die Platten aus dem Presswerk geliefert wurden. Wir haben Kopien von diesem Brief der ersten Pressung, der Platte beigefügt.

Seid ihr leidenschaftliche Kiffer oder findet ihr den Bandnamen JOINT D≠ einfach nur für gelungen?

Zusammengenommen haben wir drei einen durchschnittlichen Marihuanakonsum. Der Name sollte eigentlich nichts mit Kiffen zu tun haben, wir dachten da mehr an den mechanischen/physikalischen Begriff.

Eines eurer Alben heißt: „ Satan Is Real Again, Again, Or: Feeling Good About Feeling Good About Bad Thoughts”. Was für ein Gedanke steckt hinter dieser Aussage?

Ich bin ein großer Fan von Ben Wallers/Country Teasers und habe seinen Hang zu guten Titeln und seine Fähigkeit, Titel und Texte anderer Bands umzudeuten, schon immer bewundert. Während das Album wenig bis gar nicht musikalisch von ihm beeinflusst ist (und sein Witz in den Texten gar nicht vorkommt), schien uns der Titel dennoch passend.

Der Begriff „Satan“ kommt öfters in euren Songtiteln oder Texten vor, was verbindet du genau mit dem Teufel und in welchen Dingen oder Themen steckt der Teufel am meisten im Detail?

Nachdem ich Filme gesehen und Bücher über Donald Rumsfeld (Anm. Ehem. Politiker der Republikaner und Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten) gelesen hatte, war ich überzeugt davon, dass das Böse eine sehr reale und aktive Kraft in dieser Welt spielt. Desweiterem führte ich mir auch noch Bücher und Filme von Dick Cheney (Anm. 46. Vizepräsident der Vereinigten Staaten) und Henry Kissinger (Anm. US-amerikanischer Politikwissenschaftler und Politiker) zu Gemüte und kam zu dem Entschluss, dass Satan tatsächlich existiert. Oder es ist einfach eine große und plumpe Metapher für das, was reiche, weiße Leute in diesem Land anbeten und arbeiten, und zulassen, dass es sie auffrisst.

Ich empfinde euren Sound als wahnsinnig energisch und voluminös. Gibt es Bands mit denen ihr euch gerne vergleicht?

Erst einmal ist unser Stil ganz klar zwischen dem kratzig/kantigen Punk von MISSION OF BURMA und den Melodien und langen Intros von DEATH SIDE zu verorten. Wir klingen überhaupt nicht danach und ich würde uns auch nicht mit diesen Bands vergleichen (!), aber das ist die vage, rätselhafte Richtung in die wir gehen wollten.

Zwischen euren Platten sind immer ein paar Jahre Pause, kommt ihr so wenig zum Proben oder seid ihr so perfektionistisch eingestellt, das sich der Schaffensprozess so sehr in die Länge zieht? Und wann kommt endlich die nächste Platte von euch heraus? Kann es kaum erwarten 😉

Seit 2014 leben wir alle in unterschiedlichen Städten und Staaten. Das ist der Grund für die lange Zeit zwischen dem zweiten und dritten Album. Ich kann nicht definitiv sagen, dass es noch mehr Alben geben wird, aber wir sind da optimistisch.

Ihr stammt aus North Carolina, wo auch CROSS LAWS, LOGIC PROBLEM und die wohl bekannteste Band DOUBLE NEGATIVE herkommen. Was hat die Szene in North Carolina ansonsten zu bieten, oder was zeichnet sie aus?

North Carolina und insbesondere Charlotte, wo wir leben, ist musikalisch gesehen sehr breit gefächert. Also ist es nicht verwunderlich, dass du Konzerte buchst, auf denen Bands aus verschiedenen Genres und mit verschiedenen Hintergründen zu sehen sind. Das hat den Vorteil, dass du vor Leuten spielst, die auch mal über den Tellerrand schauen und verschiedene demographische Hintergründe haben. So entsteht eine einzigartige und warme Subkultur. In Raleigh muss etwas im Wasser sein, dass dort immer so großartige Bands hervorkommen. Da Sorry State Records tief in der Stadt verwurzelt ist, können wir mit gutem HC aus Raleigh rechnen. Meine Lieblingsbands aus North Carolina sind aktuell PATOIS COUNSELORS und TKO FAITH HEALER aus Charlotte und BODYKIT aus Raleigh.

Gibt es derzeit in Amerika diverse Metropolen, wo besonders viele Punkbands, Labels, Zines, Veranstaltungsorte hervorkommen? Und wie empfindest du die aktuelle Hardcoreszene?

Ich lebe jetzt in Atlanta, wo tatsächlich viel los ist. Es gibt ein ziemlich großes Zine-Fest, das Atlanta Zine Fest, das im Eyedrum, Mammal and Murmur Gallerien-Komplex stattfindet. DROPPINGS ist ein gutes, wenn auch unregelmäßig veröffentlichtes Zine, das von den Jungs hinter SCAVENGER OF DEATH Records gemacht wird. Es gibt hier viele Spielarten des Punks, erwähnenswert sind: UNIFORM, irgendwo zwischen SPIKE IN VAIN und RUDIMENTARY PENI, PREDATOR – wahrscheinlich die beste Band vor Ort, die schon seit mehr als zehn Jahren existieren, MUTUAL JERK wurden von NO TREND beeinflusst und spielen einen total einzigartigen und hypnotischen HC, und HYENA, sehr aggressiver HC ohne Firlefanzen, irgendwo zwischen JERRY’S KIDS und GLOOM.

Manche Leute behaupten, dass unter politischen Missständen vermehrt gute, kämpferische und authentische Bands hervorkommen. Hast du den Eindruck, dass unter Donald Trump es zu einem politischen Wandel innerhalb der Punk/Hardcore-Community kam, oder ist alles beim alten geblieben?

Ich glaube nicht. Seit langem verändern sich der politische Stil und die Herangehensweise. Ich denke, dass die Menschen sich eher in ihrer lokalen Politik, die sie auch persönlich betrifft, engagieren. So ist der Gesellschaft auch mehr geholfen, als wenn sie Lieder über die verwerflichen Größenwahnsinnigen, die sich hier für Ämter bewerben, schreiben. Nächstes Jahr wird es aber sicher mehr Lieder über die bevorstehende nukleare Auslöschung geben.

Wie sieht es insgesamt derzeit mit der politisch Linken oder anarchistischen Bewegung innerhalb der Staaten aus? Gab es in den letzten Jahren eher einen Aufschwung oder Abschwung zu vermelden?

Es gab einen großen Zuwachs an linker Literatur, Onlinediskussionen und Podcasts/Radioshows, wie ich es zuvor noch nie gesehen habe. Es ist eine unausgesprochene Wahrheit, dass junge und gebildete Leute sozialer, demokratischer Politik und einem Sozialstaat wohlwollend gegenüberstehen. In den nächsten Jahren wird sich dahingehend auch noch einiges ändern. Anarchistische Bewegungen waren schon immer eher eine Randerscheinung, daher war es auch sehr witzig und ein bisschen komisch, dass die Idioten vom rechen Rand die Antifaschistische Aktion als die größte Bedrohung für die Menschheit darstellen.

Wo siehst du bei Donald Trump die größte Gefahr?

Er ist ein Ablenkungsmanöver, der uns von der totalen Abschaffung der progressiven Anteile der US-Regierung und –Politik ablenken soll. Leider ist das Ablenkungsmanöver fast so gefährlich wie das, was in der Regierung gerade abläuft. Jeder Teil von Trump, der Sexismus, der Fanatismus, das komplette Fehlen von Klasse und Anstand, spiegelt sich im Kult um seine Person wider. Propaganda über Social Media und verantwortungslose Suchalgorithmen sind für Trump das, was die Propaganda über das Radio für Mussolini war, eben Propaganda über eine neue Technologie. Ich denke, es wird alles noch viel schlimmer werden.

In Deutschland wird Trump in den Medien eher kritisiert, gedisst oder belächelt. Wie sieht es in der amerikanischen Medienlandschaft aus, sind die Medien eher Pro oder Kontra gegenüber Trump eingestellt? Und wie reagiert allgemein das Volk auf seine politischen Beschlüsse?

Er ist überall. Ein Komiker hat sein Auftauchen in allen Nachrichten, zu jeder Stunde des Tages, mit den Porträts von Kim Il-Sung in Nordkorea verglichen. Nur scheint das noch viel hässlicher. Erschöpfung setzt langsam ein.

Auch deine Texte sind sehr aussagekräftig und zugleich auch eloquent. In „Rote Atlas“ geht es über die Erfolgs-, Luxus- und Leistungsgesellschaft. Der Song wird abgeschlossen mit der Textzeile „And know that all i want is less“. Auf welchen Luxus verzichtest du und in welcher Weise unterscheidest du dich von der leistungsorientierten Gesellschaft?

In vielen Teilen der USA wirst du als Versager angesehen, wenn du kein eigenes Auto oder Haus besitzt. Dieses Konzept war früher als der „American Dream“ bekannt. Daher sind wir auch besessen von unserer Kreditwürdigkeit und benutzen Finanzdienstleistungen, um an diese Dinge zu kommen. Du merkst das, wenn du zufälligerweise jemanden triffst, den du seit der High School nicht mehr gesehen hast, und alles was sie interessiert sind materielle und finanzielle Dinge, und vielleicht noch ob du verheiratet bist. Daran wirst du gemessen.

In „Harm in my Head“ oder „Snakeskin“ lässt du keine Hoffnung aufkommen, was hat dich dazu bewegt, die beiden Texte zu schreiben?

„Harm in my Head“ hab ich geschrieben, als ein Freund in einer ziemlich hoffnungslosen Situation im Krankenhaus war. „Snakeskin“ ist etwas hoffnungsvoller.

Mir scheint es so, das deine Songtexte eher einem Gedicht ähneln. Was willst du mit deinen Lyrics ausdrücken? Was ist dir wichtig beim Schreiben eines Songtextes?

Ich kann keine fast perfekten, haiku-ähnlichen Texte schreiben (Anm. eine traditionelle japanische Gedichtform, die heute weit verbreitet ist und zu den kürzesten Gedichtformen der Welt zählt), welche die Essenz des Punks beschreiben, wie einst bei Cal von DISCHARGE. Also versuche ich mit meinen Texten eher eine Geschichte zu erzählen. Die Texte, die eher abstrakt und vage sind, geben meine Denkprozesse ziemlich gut wieder.

Laut eurer FB-Seite, wart ihr 2014 auf England-Tour. Oder habt ihr während der Tour auch außerhalb von England gespielt? Wie hast du die Tour in Erinnerung behalten? Und gibt es in Zukunft mal wieder die Chance, euch auf europäischen Boden anzutreffen?

Wir tourten durch England und Schottland und es war exzellent. Wir hatten das Glück, mit vielen unglaublich guten Bands zu spielen, u.a. SNOB, NO, PERSPEX FLESH, RETROFUTURE, PERSONNEL. Wir hatten auch das große Glück, dass wir Freunde haben, die das für uns möglich gemacht haben. Wir würden jederzeit diese Tour wiederholen und gerne auch außerhalb von England auftreten.

Was mich noch interessieren würde. Als außenstehender Europäer, habe ich den Eindruck, das Rap seit einigen Jahren der große Renner und Verkaufsschlager in den Staaten ist? Wieso denkt ihr das Rap solch eine große Rolle spielt? Und welche kommerziellen, popkulturellen Entwicklungen stechen sich ansonsten hervor?

Rap ist tatsächlich sehr beliebt. Es ist die letzte Grenze guter, beliebter amerikanischer Musik. Lang lebe Kool Keith.

Hast du noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto?

Verschwende deine Jugend, solang du nur noch jung bist. Danke für das Interview.

Einleitung / Überarbeitung: Bela
Übersetzung: Marco Bechtiger

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