Juni 1st, 2020

Sebadoh aus aus #201, 2020

Posted in interview by Jan

Sebadoh: „Ich habe alles verschenkt“

Sebadoh gibt es tatsächlich schon ziemlich genau so lange wie das TRUST. Wobei ich sie allerdings erst etwas später kennenlernte. Ich erinnere mich noch an einen Hinweis (wahrscheinlich) in einer Rezension der „Spex“, Sebadoh klinge wie die beiden letzten Stücke auf „You’re Living All Over Me“, dem zweiten Album von Dinosaur jr., das ich sehr schätze. Ein Konzert im „Musik & Freden“ in Berlin im September nutzten wir, um ein Interview zu verabreden. Mit Sebadoh. Wie selbstverständlich saß dann Lou Barlow allein bereit, um mit uns zu sprechen. Der Rest der Band hat offensichtlich entweder nichts zu sagen oder keine Lust dazu.

Wir haben lange nichts von euch gehört…
Wirklich? Ihr nicht, aber ich habe viel von mir gehört. Ich bin ständig auf Tour, ich habe in den letzten drei Jahren vier oder fünf Platten veröffentlicht.

Ich meinte eigentlich Sebadoh…
Sebadoh! Ja, das ist eine Weile her. Als du „You“ sagtest, dachte ich, du meinst mich. Das war sehr egoistisch von mir, tut mir leid. Extrem narzisstisch. Aber es stimmt, es ist eine Weile her, dass wir eine Platte gemacht haben.

Und zwischen dem vorletzten, „The Sebadoh“ (1999) und dem letzten, „Defend Yourself“ (2013) gab es auch eine längere Pause.Wir kam es zu diesen Unterbrechungen?
Wir veröffentlichten 2013 eine Platte, die nicht besonders gut lief. Die Tour dazu war gut, aber sehr schwierig. Ich zog von Los Angeles nach Massachussets zurück. Die Bedingung war, dass die Band aus New York zu mir kommen musste, um aufzunehmen, und das wollten sie nicht. Ich toure die ganze Zeit mit Dinosaur jr, und die Vorstellung, nach New York zu gehen, um eine Platte zu machen, schien völlig unmöglich. New York ist die verrückteste und frustrierendste Stadt in Nordamerika. Ich kann das nicht tun. Also musste die Band zu mir kommen, und bis letztes Jahr schienen sie das nicht zu wollen. Letztes Jahr brachte ich zwei Soloalben heraus und ging auf Tour. Und als meine Bandkollegen das mitkriegten, meldeten sie sich und sagten: Lass uns eine Platte machen. Ich war überrascht und sagte: Ihr müsst zu mir kommen, hier werden wir aufnehmen. Sie kamen vorbei, und am Ende des Jahres hatten wir eine Platte gemacht. Und ich war sehr glücklich damit.

Wie war der Aufnahmeprozess – habt ihr alles selbst gemacht?
Wir hatten das beim letzten Mal gemacht, und um ehrlich zu sein, glaube ich nicht, dass es so gut funktioniert hat. Jason sollte das Album aufnehmen und abmischen, aber dann gab es Deadlines und er sagte, er könne die Platte nicht mischen. Ich musste also einige andere Dinge tun, um das Album fertigzustellen, mit denen ich nicht sehr glücklich war. Deswegen dachte ich, wir sollten dieses Mal mit jemandem arbeiten, der das Album produziert. Das war eine weitere Bedingung, schätze ich, damit wir uns mehr auf die Musik konzentrieren konnten als auf den Aufnahmeprozess.

Das fand ich wichtig. Und das war dann auch der Fall. Der Mann, den ich ausgesucht hatte, würde, das wusste ich, sehr gut mit Sebadoh funktionieren. Justin (Pizzoferatto) ist seit langem Toningenieur bei Dinosaur jr.

Als Band so lange zusammen zu arbeiten und dann nach fünf Jahren Pause – wie fühlt sich das an?
Wie Dinosaur jr ist Sebadoh eine Band, die ich gegründet habe, als ich sehr jung war. Das steckt uns im Blut. Und Bob D’Amico ist seit 2011 dabei und wir haben zusammen getourt. Wir sind zu einer Band verschmolzen. Wir halten die Dinge simpel. Es ist keine höhere Wissenschaft, nach einer Pause wieder zusammen zu spielen. Aber es erfordert Gefühl, und das haben wir uns erarbeitet.

Als ihr anfingt, waren nicht nur die Songs simpel, sondern auch die technischen Mittel. Heute arbeitet niemand mehr so.
Jeder nimmt heute zuhause auf.

Aber nicht mit einem Vierspurtonband.
Der Computer ist die Fortsetzung davon. Und als ich damals mit Vierspur aufgenommen habe, waren die Geräte ziemlich teuer. Das konnte leicht 500 Dollar kosten. Ein digitales Studio aufzubauen, kostet heute wahrscheinlich ähnlich viel. Und ich glaube, dass es durchaus Leute gibt, die noch analog aufnehmen.

Als ihr das gemacht habt, hattet ihr allerdings keine Wahl.
Nein. Das heißt, wir hatten die Wahl. Aber die Alternative wäre gewesen, zu jemandem zu gehen, der dich aufnehmen konnte, nur dass es so grauenhaft geklungen hätte, dass man das nicht wollte. Die Ästhetik von Lo-Fi war in den 80ern nicht verbreitet. Und die meisten Rock-Bands fielen meiner Meinung nach der schrecklichen Aufnahmetechnik zum Opfer. Auch in den 90ern. Zu Anfang der 2000er-Jahre waren die Leute dann offener für die Texturen der Musik, was eine Menge Türen öffnete für Bands, die sich selbst aufnahmen. Große Indie-Bands wie Grizzly Bear und Animal Collective haben sich selbst produziert. Death Cab For Cutie auch.

Aber sie waren viel smarter als wir, anspruchsvoller. Unsere Punk-Rock-Ästhetik war so beherrschend. Wirklich anders ist, dass die Idee von Punk Rock in unserem Verständnis nicht mehr so existiert. Punk Rock zu sein, ist heute keine große Sache mehr.

Wir haben uns vor diesem Interview über Sachen unterhalten, die du neben der Musik gemacht hast. Du hast früher Leuten die Möglichkeit gegeben, auf deiner Website Demos zu hören. Das war noch, bevor Leute gebloggt haben.
Ich hatte von einem Freund ein paar Grundlagen gelernt. Und als ich meine eigene Website machte, dachte ich, das sei eine Gelegenheit, meine Ästhetik auszuleben, die im Grunde eine Fanzine-Ästhetik ist. Ich wollte kein HTML oder ähnliches machen, sondern Bilder scannen und sie auf meine Website stellen. Man konnte auf ein Stück Papier kritzeln, es auf einen Scanner legen und es unmittelbar hochladen. Ich habe das geliebt. Das habe ich gemacht, bis die Software auslief, die ich benutzte. Danach wusste ich nicht, was ich tun sollte. Also verendete meine Website. Sie ist aber immer noch da.

Ich fand die Ästhetik sehr einladend und unterhaltsam.
Ich habe es wirklich geliebt, das zu machen. Ich war an einem persönlichen und kreativen Tiefpunkt. Und ich dachte, dass es niemanden schert, was ich tue. Ich habe das für mich gemacht, um das Gefühl zu haben, etwas Schöpferisches zu tun. Ich wollte direkt kommunizieren; das war das, was mich ursprünglich an Musik interessiert hatte. Das wollte ich behalten.

Es war eine Art Social Media, bevor es so etwas gab. Funktionierte es auch so?
Wenn es für dich funktioniert hat, dann hat es funktioniert. Wenn ich es geschäftlich betrachte, war es ein völliger Fehlschlag. Aber darum ging es nicht. Ich habe eine CD gemacht mit den Songs auf der Website. Von den tausend Exemplaren verkaufe ich die letzten erst jetzt. Die, die ich an Läden verschickt hatte, kamen alle zurück. Es war ein riesiger Fehlschlag. Ich habe zwar kein Geld verloren, weil es über die Jahre zurückkam, aber es war in keinerlei Hinsicht ein Erfolg.

Das war ja vor Bandcamp, das fand ich damals interessant.
Meine Platten gehen sehr schlecht auf Bandcamp. Ich verkaufe dort eine Platte pro Monat. Ich war anfangs sehr angetan von Bandcamp. Ich mache aber auch alles frei zum Hören verfügbar, sodass niemand etwas kaufen muss. Das war bei der Webseite genauso. Ich hab alles verschenkt. Als Geschäftsding ist es wahrscheinlich für jüngere Bands gut. Es ist eine tolle Sache, aber für mich als alternden Musiker ist es nicht die Rettung.

Du lebst hauptsächlich vom Live-Spielen?
Ja.

Wie wichtig ist denn Dinosaur jr wirtschaftlich und musikalisch?
Unglaublich wichtig. Es ist meine Rettungsinsel. Sie halten mich über Wasser. Ich habe entschieden, Vater zu werden und ein Familienleben zu führen. Ich versuche als Mittelklasse-Mensch zu überleben, und das ist extrem schwierig. Wenn ich Dinosaur nicht hätte, könnte ich das nicht. Ich genieße Dinosaur sehr, die Tatsache, dass wir Erben einer amerikanischen Rock-Tradition sind, die man zu den Ramones zurückverfolgen kann oder ähnlichen Bands mit einem markanten Sound, die sich immer wieder wiederholen. Ich bin sehr stolz, dass wir so eine Band sind und fast ein Cartoon. Ich liebe diesen Aspekt davon. Und J Mascis ist jemand, bei dem ich in den letzten 14 Jahren gesehen habe, wie er sich verändert hat, seine Rolle als Musiker angenommen hat und versucht, die Hand auszustrecken so gut er kann. Und sein Publikum ist ihm wirklich wichtig. Das ist etwas, was ich nicht erwartet hätte, als ich zu Dinosaur jr zurückkam. J und die meisten Leute, mit denen ich Musik gemacht habe, hielten lieber eine Armlänge Abstand. Und ich habe gesehen, wie J sein Herz geöffnet hat und seine Stimme. Und das mag ich sehr.

Ich habe ihn über die Jahre mehrmals interviewt, und es stand nie zur Debatte, dass jemand anderes als er über Dinosaur sprechen könnte.
Es ist eine gute Idee, das zu tun. Er ist sehr passiv in einem Sinne, und er könnte da sitzen und ich rede die ganze Zeit. Er hasst es, wenn ich spreche.

Man hat aber auch den Eindruck, dass er selbst nicht gern spricht.
Das stimmt, darin ist er gefangen. Er ist jemand, der über alles Kontrolle haben will, aber nicht jemandem sagen möchte: Bitte tu das nicht. Ich kann das nachfühlen. Kontrolle anzustreben, aber nicht zu wissen, wie man sie erreicht. Es interessant anzusehen.

J sagte mal, es sei schwer, aus dir Songs herauszukriegen. Dabei schreibst du doch die ganze Zeit Songs, oder?
Mein Problem war, dass es sehr schwierig war, J und Murph zu begeistern. Wenn ich Songs schreibe und zu einer Band bringe, muss die Band mitspielen. Es war unmöglich, Murph die Songs beizubringen. Für die dritte Platte hatte ich dann die Idee, Demos mit Dale Crover aufzunehmen. Und das habe ich auch für die Platte danach gemacht. Ich muss mir überlegen, wie ich das hinkriege. J kommt mit fertigen Songs an. Ich versuche Wege zu finden, mit der Band sinnvolle Kompromisse zu finden.

Ist der kreative Prozess bei Sebadoh anders?
Ehrlich gesagt ist es nicht so viel anders. Das gute an der jetzigen Besetzung ist, dass Bob D’Amico ein sehr engagierter Schlagzeuger ist, der wirklich die interessanteste Art finden will, etwas zu spielen. Wenn ich Ideen in die Band bringe, denkt Bob wirklich darüber nach. Alle Leute, mit denen ich damals in Massachussets meine Bands gegründet habe, sind sehr störrisch. Und ich muss das einfach akzeptieren. Aber Bob ist ein Außenseiter, er kommt aus New York. Und er bringt ein Engagement mit, vor dem die meisten Leute, mit denen ich aufgewachsen bin, Angst hätten.

Woher kommt das?
Ich weiß es nicht, vielleicht bilde ich mir das auch nur ein. Ich glaube Massachussets allgemein… Ich kam mit 12 oder 13 aus dem mittleren Westen dorthin. Und ich fand die Leute in Massachussets extrem kalt, sehr schwer zu begeistern, sehr passiv-aggressiv. Es ist eine Verallgemeinerung, die ich gern mache und manchmal vielleicht gern vergessen würde.

Ich habe Sebadoh seit „The Sebadoh“ nicht gesehen. Wechselt ihr immer noch Instrumente?
Ja, alle vier oder fünf Songs. Auch wenn ich nicht denke, dass Sebadoh live je eine Ausnahmeband waren und ich alles andere als ein guter E-Gitarrist und Sänger bin, mag ich es mit der Band zu spielen. Und ich finde, wir sind eine ungewöhnliche Band. Und vielleicht sagen die Leute eines Tages: Oh, Lou Barlow spielt seine Songs auf vier Saiten, das wusste ich ja gar nicht! Wir spielen keine typischen Barre-Folk-Griffe. Wir sind sehr Post Punk. Wir sind von Gang Of Four und Devo beeinflusst und bringen alle diese Dinge in eine Art Pop-Rock. Und das lässt mich immer wieder zu Sebadoh zurückkehren.

Interview: Felix & Stone
Foto: Felix

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