November 20th, 2022

Ronja vom Plastic Bomb Fanzine (#207, 2021)

Posted in interview by Jan

Ich denke, die meisten kennen das Plastic Bomb Zine und wissen auch, dass sich in den letzten Jahren durch Ronja viel verändert hat. Dazu hat sie schon viele Interviews gegeben, warum sie welche Dinge neu überdacht hat. Auch in ihren Kolumnen reflektierte sie immer wieder die Reaktionen der Leserschaft und Kunden. Kurz gesagt kann man sagen, dass es keine pay-to-play CD mehr gibt, besseres Papier wurde sich gegönnt, Sven Bock ist wieder dabei, Helge Schreiber ist schon vor einiger Zeit ausgestiegen, es gibt neue Mitstreiter_innen, durchaus andere Musik, zum Beispiel Bands aus dem Wave-Bereich…

Für detaillierte Infos muss ich euch auf das Netz verweisen, wir werden das hier nicht nochmal durchkauen. Leicht zu finden sind folgende Sachen aus den letzten Jahren: Ronja bei Ril Rec-TV, das online-Zine Polytox führte ein langes Interview mit Ronja anlässlich 100 Ausgaben PB und nochmal eines zu den Neuerungen danach, das Punkrockers Radio machte mit ihr eine schöne Sendung, ebenso wie Mini vom Kamikaze Radio es auf ramtatta.de erledigte. Dann gibt es auf tonguesofdestruction.de ein Interview mit der Chefin, auf awayfromlife.com erklärt Ronja ihre Labelpolitik und finally plauderte sie neulich in dem Tod Steine Scherben – Podcast u.a. über das Heft. Mitte 2020 wurde Ronja auch ausführlich zum Thema „Frauen im Musikbusiness“ auf vinyl-keks.eu interviewt und war später Gast auf dem ruhrpodcast.de als „Unternehmerin in Sachen Punk“. Letzten Sommer gab es noch ein Interview mit ihr bei Radio Blau und vor ein paar Wochen zum Schwerpunktthema #punktoo (Sexismus muss sterben) ein Interview, das ihr hier hören könnt: rdl.de/beitrag/sexismus-der-punkszene

„Plastic bomb, plastic smile. Fake commitment, blood soaked style“
Ich finde das Heft cool, ich lese es seit circa 1994/1995 regelmäßig, hatte es lange im Abo, Helge rezensierte 1998 unser erstes John Hillerman-Banddemotape legendär mit dem Fazit „Schlechter als ein Leertape“, da verliebte ich mich endgültig in das Heft und besprach es 15 Jahre fürs Trust. Ich mag die alte Crew gerne und bin auch Fan von Ronja, ich schreibe für ein Fanzine, deshalb nun dieses Gespräch. Vielleicht ist ja auch noch dies ein euch interessierendes Detail, um zu verstehen, wie die Bombe tickt: ich fing an, die Bombe circa 2004 fürs Trust zu besprechen. Die Reviews waren ungewohnt lang, durchaus kritisch, aber eben auch lobend. Sven Bock meinte dann damals, dass ich als Dank das Heft nun immer für umme direkt bekommen werde, nicht „obwohl“ Kritik drin ist, sondern weil – und weil die Mühe doch belohnt werden soll. Cool! Ronja laufe ich erfreulicherweise ab und an live über den Weg, zuletzt beim Au-Fest in Frankfurt und finde es immer inspirierend, zu hören, was sie gerade so treibt. Scheisse, wie viele Frauen waren an der Spitze von Punk Zines in 40 Jahren Punk? Hudley vom Flipside, Ute beim Plot, Uschi beim Ox am Anfang, aber sonst so, also als (Mit-) Chefin? Ja gut, Anne früher beim Trust, aber sonst… wir kommen drauf zu sprechen!

Kurz zur Person
Ronja kommt aus Bayern und war nach ihrem Umzug in den Ruhrpott 2003 ein paar Jahre als Dekorateurin bei H&M tätig. Seit 2007 schreibt sie fürs Plastic Bomb Fanzine, hat seit 2009 eine Lohnarbeitsstelle beim Mailorder und hat die Firma 2015 übernommen.

Zum Interview
Stellt euch einfach ein längeres Gespräch über ernste aber auch lustige Dinge bei ein paar Bier am Tresen vor. Ich habe versucht, eine Mischung aus Standard-Fragen und eben denjenigen Aspekten, die mich interessieren, zu finden, viel Spaß jetzt mit Ronja!

Letzter Nachtrag
Ronja beteiligt sich an der #Punktoo-Kampagne. Dazu heißt es offiziell: „Unter diesem Hashtag und Schlachtruf formiert sich aktuell die längst überfällige Diskussion über Sexismus in der deutschen Punkszene. Viele haben sich vielleicht schon einmal die Frage gestellt, warum es „so wenige Frauen auf der Bühne gibt“. Oder im Publikum. Viele waren aber vielleicht auch schon selbst von Sexismus und von Übergriffen auf Konzerten oder in Onlinediskussionen betroffen. Ein Erklärungsansatz ist, dass es zu wenig sichtbare Rolemodels gibt. Ein Anderer, dass die Punkszene doch nicht so aufgeklärt und offen gegenüber FLINT* (Frauen, Lesben, Inter-, Nicht-Binäre, Transmenschen) ist, wie sie sich gerne selbst sieht. Und dass sich die Szene mit ihren patriarchalen Strukturen auseinandersetzen muss, um die dadurch entstandenen Hierarchien nicht weiter zu reproduzieren. Wir möchten diese und weitere Punkte und Ansätze öffentlich mit euch diskutieren. Außerdem wollen wir ein Klima schaffen, in dem sich FLINT* Punx aufgefordert fühlen, ein aktiver Teil der Szene zu werden“.

Hey Ronja, schön, dass du Zeit für unser Gespräch hast. Sag mal, eure Neu-Entdeckung auf eurem Label, Totenwald aus Leipzig, die sind echt geil. Wie habt ihr die ausfindig gemacht, sind die live auch so klasse wie auf Platte?
Hey Jan! Schön, dass du dir so schöne lange Fragen ausgedacht hast, haha. Die erste Totenwald-Lp hab ich 2018 veröffentlicht, also ist die Entdeckung nicht mehr ganz neu. Die Band kommt aus Berlin, Dividing Lines sind aus Leipzig, aber danke, dass du mir die Möglichkeit gibst, gleich für beide Werbung zu machen 🙂 Jap, live sind die wirklich sehr gut, vor allem, seit Ruby (die Saxophonistin) das Mikrofon für sich entdeckt hat und ein paar Gesangsparts übernimmt. Die Videoshow, die die Band anfangs auf die Bühnenrückwand projiziert hat, wurde zwar abgeschafft, aber dafür sind ja jetzt 4 Leute auf der Bühne. Dazu kommt, dass die ja alle großen Wert auf ihre Garderobe legen, das kann man sich dann natürlich auch noch gut reinziehen. Ich hab die Band vor ein paar Jahren live gesehen und angequatscht…das ist meine übliche Herangehensweise an solche Sachen.

Es gibt viele Interviews mit dir online, was immer etwas unter den Tisch zu fallen scheint: was hörst du selber eigentlich persönlich für Musik am liebsten? Die Lieblingsband von dir war doch Schleimkeim? Aber wenn ich mich nicht täusche, bist du allerdings auch gerne im Wave-Bereich unterwegs, reden wir da über Dead Can Dance und Bauhaus oder eher dann dieser Death-Rock-Goth-Punk á la Christian Death? Poison Idea ist gar nicht sooo sehr deine Band oder? Vielleicht sollte das Plastic Bomb sich in Bela Lugosi umbennen, haha. Von Metal und Hip-Hop warst du hingegen auch eher nur mit Iron Maiden und dem „Zecken-Rap“ angetan, right und du scheinst jedoch den Horror-Punk zu mögen?
Ich höre wirklich sehr gern Deutschpunk und da bin ich tatsächlich ein bisschen hängen geblieben. Ja, Schleim Keim war in Prinzip die erste wichtige Punkband für mich, ich steh total auf Fuckin Faces, Vorkriegsjugend, Scattergun, Müllstation, Razzia, Neurotic Arseholes, the Crowds, A+P, Vorsicht Glas, Fluchtweg, Auweia! usw. Mit den etwas aktuelleren Deuschpunkbands (also aus diesem Jahrhundert) wie Abfukk, Kotzreiz, Anschlag oder Alarmsignal kann ich nicht so viel anfangen. Ich mag Wave-, Postpunk und Gothrock, die alten und die aktuellen Bands: Horror Vacui, Christian Death (“Only theatre of pain” und “Catastrophe Ballet”), Siouxsie and the Banshees, the Cure, Alien Sex Fiend, DAF, the Wipers, Bauhaus, Killing Joke, Laibach, Sisters of Mercy, Sex Gang Children, She Past Away, Di Unruh, ich liebe aber auch die 2nd Empire Justice von Blitz.

Mit 80s Hardcore-Sache konnte ich noch nie sooo viel anfangen, was nicht heißt, dass ich die musikhistorische Relevanz nicht auf dem Schirm hätte. Adolescents, The Freeze, Poison Idea, Reagan Youth und Gang Green hör ich auch zu Hause, aber Circle Jerks, Dead Kennedys und Black Flag haben einfach nie mein Herz erreicht, ich habs wirklich versucht!! Ich mag auch Bikini Kill nicht, wo ich schon mal beim Seelen-Striptease bin.

Die HC-Welle der letzten Jahre hab ich natürlich mit Sniffing Glue, Dean Dirg, Brat Pack, Gewapend Beton usw. mitgenommen, aber wie gesagt, war jetzt nicht so sehr meine Mucke, das mag ich in erster Linie live. Horrorpunk fand ich mit 20 mal ganz gut, hat sich dann aber mit dem Abgesang der Rock’n’Roll Punk Welle für mich auch irgendwie zu Tode gehört. Ich hab total viele Platten aus der 2000er People Like You Ära, aber die stehen bei mir ganz oben im Regal, wo ich mir nen Hocker holen müsste, um dran zu kommen.

Ich mag viel Crust- und auch ein paar Eurocrust-Bands, Wolfbrigade ist eine meiner Lieblingsbands, Victims, Disfear, Patsy O’Hara oder Cwill find ich super, auch Fall Of Falafel und Besthöven haben auch große Relevanz für mich und Tragedy find ich mit etwas Abstand zum „Mitte der 2000er Hype“ heute sogar noch geiler. Da waren auch immer unglaublich viele Frauen dabei, Shades of Grey, Witch Hunt, To what End? Assassinators…alles großartige Bands mit großem Identifikationspotenzial für mich! Iron Maiden find ich unerträglich, vor allem das Bruce-gedudel. Motörhead wird immer die „Was nehm ich auf die einsame Insel mit?“-Band für mich sein, gibt echt keine Band, die ich so intensiv inhaliert habe. Es gibt auch ne Reihe Metalbands, alte wie aktuelle, die ich auf Lp und live mag und auch gern daheim auf Platte höre. Bei HipHop und Zeckenrap bin ich weitestgehend raus. Auch da kann ich die Relvanz von Sookee, Egotronic und ein paar der früheren Bands anerkennen, das einzige Album, das ich aus der Ecke aber wirklich abfeiere ist die „Hurra die Welt geht unter“ von KIZ und das auch eher inhaltlich.
Genres, die ich komplett verachte: Ska, Jazz, Funk und das „weinerliche, junge weiße Männer Gewinsel“, das grade so angesagt ist, also zweite und dritte Welle Emo-Punk.

Stell uns doch mal das aktuelle Bomben-Team 2021 vor. Was ist eigentlich aus Stanley Head, der mit der Ska-Ecke, geworden? Von den Schreibern pre-Ronja-Chefin ist eigentlich nur noch Chris Scholz und Dirk übrig oder spinne ich da?
Skinhead-Basti war auch schon vor meinem Einstieg bei der Bombe da, genau wie Dirk, Häktor und Chris Scholz. Philipp, Roger und Pascal sind die Hauptstadt-Korrespondenten, die tragen Interviews, Rezis und Politartikel zum Heft bei. Schlossi, die ja beim Mailorder die Buchhaltung macht, schreibt Rezensionen, genau wie Moron Dan, Uwe und Nille. Irrerweise schreibt für’s Heft ja noch eine Ronja, die kümmert sich um szenerelevante Leipziger Stadtgeschichte. Und dann gibt’s noch ein paar Backup-Menschen, die je nach Motivation und Tagesfreizeit mit eingespannt werden können.

Ich find´s ziemlich cool, transparent und sehr selbstbewusst, wie du Kritik am Heft immer in deinen Kolumnen wiederspiegelst und reflektierst. Ich fass es echt immer nicht, wie dreist manche Kunden sich bei euch beschweren, du schreibst das ja immer mal wieder in deiner Kolumne, echt krass.
Also, da sind schon immer ganz schön seltsame Fragen dabei. ABER ich möchte mal sagen, seit ich so oft und so ausschweifend darüber berichtet habe, dass die Leute aufhören sollen, ihren Amazon-Maßstab beim Plastic Bomb Mailorder anzusetzen, ist der Ton viel freundlicher geworden. Also ich scheine die Leute irgendwie zu erreichen. Ich hab auch gar kein Problem, Fragen zu Bestellungen und auch zu Lieferzeiten zu beantworten. Aber wer Samstagabend bestellt hat, braucht mich nicht Montags Vormittags zu nerven, ob das Paket schon unterwegs ist. Corona hat uns da auch nochmal richtig hart Stöcke zwischen die Hufe geworfen.

Die Lieferketten sind total gestört, es kommt kaum Ware aus „Übersee“ an, es gibt keine zuverlässigen Infos, wann was kommt. Und als im Februar in NRW auch noch 3 Flocken Schnee gefallen sind (ich komm aus einem Bundesland, wo man einen routinierteren Umgang mit Schnee hat) ist hier Wochenlang alles zusammen gebrochen, DPD und DHL waren komplett überfordert. Also DANKE nochmal an alle für die Geduld und das Vertrauen, dass wir euch nicht ärgern wollen, sondern tun, was wir können.

Was ich immer mal wissen wollte: ihr verkauft da auch Handschellen, deutet das gewisse erotische Spielrichtungen an, haha?
Äääääh…ja. Trag ich zusammen mit den Cargohosen, den Männer-Hoodies und den Army-Parkern auf Fetischpartys. Was ist das denn bitte für eine beknackte Frage Jan?!

Was heulen eigentlich Bands und Labels immer rum, wenn sie scheisse besprochen werden? Ein geiler Verriss ist doch lustig und eine Auszeichnung! Klar, es steckt Geld, Zeit und Liebe in einer Platte, aber man muss doch auch Kritik aushalten können.
Also, wenn man in die Runde fragt bzw. das Feedback auswertet, ist die „Führerecke“ (unsere Platten-Verriss-Seite) neben den Vorworten die beliebteste Rubrik im Heft. Jede_r will’s lesen, jeder will Blut sehen. Aber niemand will betroffen sein. Wir haben die Rubrik aus Mangel an Content auch mal für ne Heftausgabe ausgesetzt, da hat direkt jemand gedroht, sein Abo zu kündigen, wenn in der nächsten Ausgabe wieder keine Führerecke ist. Und gleichzeitig hatten wir schon Anrufe, wo uns Leute bedroht haben, weil wir ihre Band oder die Band ihrer Kumpels verrissen haben.

Und im aktuellen Heft #114 habe ich ein Fotobuch verrissen, daraufhin gab es einen richtigen Shitstorm, in dem es Beleidigungen nur so gehagelt hat. Abgesehen davon, dass die Leute mein Urteilsvermögen und meine Integrität in Frage gestellt haben, wurde ich auch mit richtig hart sexistischen Beleidigungen angegangen. Und das für eine subjektive Rezension, also die Äußerung einer Meinung. Das ist schon immer ne harte Nummer. Einerseits wollen die Leute Gossip und da können die Formulierungen nicht dreist genug sein, auf der anderen Seite kann’s dir halt passieren, dass du richtig Stress kriegst, wenn du’s dann machst.

Wie stark sind die wirtschaftlichen Zwänge, in diesen Zeiten noch ein Print-Fanzine zu machen, Teil euer alltäglichen Arbeit? Ich meine so Angebote von außen wie „Titelbild/Titelstory, gutes Review, gewogenes Interview gegen Anzeige?“. Ich finde es immer so schön, dass ihr mit der Bombe weiterhin den old school Fanzine-Spirit hochhaltet, das, was eure Schreiber drin haben wollen, das kommt rein und nicht das „aktuelle Thema“ der Plattenfirmen, zumindest empfinde ich es so.
Wir sind natürlich nicht komplett frei von Entscheidungen, die aufgrund aktueller Veröffentlichungen getroffen werden. Aber unser riesen Vorteil ist, dass die Redaktion so groß ist, dass du immer jemanden findest, die/der grade Bock hat, eine bestimmte Band zu interviewen. Natürlich sind wir drauf angewiesen, über eine Band zu berichten, für die sich einfach grade viele Leute interessieren. Aber wir sind ja auch frei, „andere“ und vielleicht bessere Fragen zu stellen als die Kollegen. Aktuell zum Beispiel war klar, dass Fat Mike die Interviewrunde durch alle Fanzines dreht. Dann haben wir uns entschlossen ihn nur Dinge zu fragen, die ihn niemand anderer fragen wird. Hat geklappt!

Der Kauf einer Werbeanzeige steht bei uns in keinem Zusammenhang mit einem Interview oder einer wohlwollenden Rezension. Das kapieren viele Bands und Promoter_innen nicht. Und das Cover verkaufen wir auch nicht, auch wenn’s schon öfter Angebote gab, mit deren Erlös wir ein paar Monate die Büromiete hätten zahlen können. Aber das wollte ich nicht.

Man ist ja doch Punk-Fan geworden, weil man einerseits vom Mainstream angepisst, aber eben auch nicht mit allen Fraktionen der Punk-Szene zufrieden war, Dummheit, Prolligkeit, Machotum etc. Wie siehst du das, Stichwort „deine Szene-Identifikation früher und heute“?
Ich bin Punk geworden, WEIL ich mit der Szene unzufrieden war? Neee, so war das nicht. Am Anfang hab ich gedacht, ich bin in das gebenedeite Land geraten, das Punkrock-Szene-Wunderland, wo alle alles dürfen, alle gleich viel wert sind und alle die gleichen Probleme haben. Ein Trugschluss, wie sich schnell heraus stellte. Das hätte mich zu einigen Zeitpunkten fast dazu veranlasst, mich von der Szene wieder abzuwenden, aber dann ist mir aufgefallen, dass alles andere ja genauso scheiße ist. Also, ich hab heute auch nicht den Anspruch, dass Punkrock das Hippie-Wunderland sein muss. Aber in vielen Themen, z.B. Gleichberechtigung zwischen Frauen und Männern, sexueller Orientierung und vor allem Diversität hängt Punk der normalen Gesellschaft inzwischen hinterher!

Ich hab oft den Eindruck, gegen eine Armee von weißen Boomern ohne Internetführerschein anzukämpfen, während selbst die Tagesschau ihre Sprache gendert. Netflix und die SPD achten auf die Frauenquote, nur in der Punkszene muss man sich noch anhören, dass „die weibliche Stimme halt nicht für Punksongs geeignet ist“ (Zitat Fat Mike im Ox Februar 2021…oder im Mittelalter, weiß ich nicht mehr). Ist dann auch unkommentiert so abgedruckt worden und ich würde sagen „schweigen bedeutet Zustimmung“.

Du kriegst ja gehörig viel von Punk hinter den Kulissen mit, das kann ja manchmal sehr frustrierend sein, manchmal sagen Bands auf der Bühne das eine, „politische Botschaften sind uns SEHR wichtig“, hinter der Bühne merkt man an deren Dialogen und Verhalten, dass denen alles total latte ist und nur die Kohle zählt – wie behältst du dir deinen Sprit aufrecht?
Das mit der Kohle ist für mich gar nicht so die ganz große Kritik. Ich hab die Diskussion über Eintritts- und Plattenpreise oft genug geführt. Was mich mehr enttäuscht, sind die politischen Differenzen zwischen der Aussage, dass man sich gegen das spießige Dasein und die bürgerliche Bequemlichkeit wehren soll…und dann fährt die Band nach dem Gig im SUV in ihr Einfamilienhaus zurück, Montag wieder Maloche, um den Wohlstand zu sichern. Und die Platten werden bei Amazon bestellt, dann aber ungeöffnet in den Schrank gestellt, weil’s ja nur ein Sammlerstück aka Statussymbol ist. Um sich selbst zu beweisen, dass man noch dazu gehört und noch was anderes hat als den Job, die Kredittilgung, die Bälger und das Warten auf den Tod. Gilt für Bands und Publikum.

Vermisst du das schöne Bayern, deine Heimat? Frauen in Dirndl und Typen in Lederhosen. Und das leckere Essen. Das tolle Bier.
Ach ja…ne. Eigentlich nicht. Ich wohne jetzt seit 18 Jahren hier im Pott, das reicht zum Ankommen. Ich finde es faszinierend, wie Bayern sich seit langem das Image eines grünen Bundeslands mit viel Natur und fröhlichen Kühen aufrechterhalten kann. Und in Wahrheit ein Hochleistungsmotor in der Wirtschaft ist und Flächenfraß ohne Ende betreibt.

Deine Lieblingsstadt in Deutschland ist aber eigentlich Leipzig oder? Eigentlich lustig, weil du bist ja extra wegen Punkszene in den Ruhrpott gezogen. Denkst du, du kennst jetzt mittlerweile alles im Pott?
Das würde ja heißen, dass es nix Neues mehr gibt. Also abgesehen von Corona gibt es hier immer mal wieder was Neues zu entdecken, aber das liegt auch an meinem Horizont. Ich geh auch gern zu Metal-Shows oder lass mich zu Partys mitschleppen. Im Rahmen der #punktoo Diskussion im Web hab ich jetzt erst geschnallt, dass viele der Frauen, die in der Gruppe sehr aktiv sind, im Pott wohnen und so konnte ich mich nochmal ganz neu vernetzen! Ich hab Bock, mir neue Sachen anzuschauen, neue Leute kennen zu lernen und ich hab natürlich auch Bock zu reisen. Leipzig ist super, aber was mich da halt richtig hin zieht sind meine Freund_innen. Ist mit Berlin das Gleiche, das ist schon lange kein Sehnsuchtsziel mehr, weil die Stadt so toll wäre, denn das ist sie schon lang nicht mehr. Aber meine Freund_innen wohnen dort.

Ist das nicht manchmal ambivalent, in der Punk-Szene professionell beruflich unterwegs zu sein? Dauernd wollen Leute Business-mäßig was von dir „privat“ auf Gigs, du wirst erkannt und vollgelabert. Wie schaltest du dann wirklich mal ab, schön Samstagabend alleine zulaufen lassen zu Hause und Sonntags Pizza und TV-Party? Hobbys jenseits von Punk pflegen? Oder lebst du wirklich Punk 24/7 fulltime?
Ich muss tatsächlich sagen, dass ich keine Hobbys oder Interessen habe, die nichts mit Musik und Szene zu tun haben. Ich kenn auch keine Leute, die nicht auch zu Shows gehen. Mit Corona haben ja alle so Freizeitaktivitäten entwickelt wie wandern, Fahrrad fahren und Onlinemeetings, das interessiert mich alles nicht. Ich entdecke, kaufe und höre Musik, ich rede gern über Musik, glotz gern Serien und trinke gerne. Ich bin politisch sehr interessiert und konsumiere Informationen in der Glotze, im Web und bei WDR 5. Und seit kurzem ist ja diese #punktoo Sache richtig ins Rollen gekommen. Menschen vernetzten sich, um endlich dafür zu sorgen, dass im Punkrock mehr aktive und sichtbare Frauen auftauchen. Wir unterstützen uns gegenseitig, bündeln Ideen, tauschen uns aus. Und supporten uns gegenseitig, wenn wir (teilweise echt harten) Gegenwind kriegen.

Was liest du neben Fanzines noch so für Zeitschriften? Waren Spex und intro (deren ex-Chef Linus ja eine Zeitlang bei euch kolumnierte und nun das Kaputt-Online-Mag macht) was für dich?
Aaaach, als es noch ein Kneipenleben gab, hab ich mir schon aus Interesse diese ganzen Umsonst-Musik-Magazine mitgenommen und ein bisschen überflogen. An Fanzines lese ich: Plastic Bomb (also die Artikel meiner Kolleg_innen), Okapi Riot, Human Parasit, Ox, Trust, die Vogue und manchmal Cosmopolitan. Und online das Bierschinken-Zine.

Dazu noch: mir fällt bei vielen Musikzeitschriften immer wieder auf, dass die erst dann über neue Bands berichten, wenn diese Bands schon die AZs ausverkaufen, aber fast nie vorher, wenn die noch relativ klein waren. Fuckt doch oder spinn ich?
Hm, ne, fuckt mich nicht ab. Aber ich finde die Entwicklung interessant: Früher, also bis in die späten 90er, wollten die Leute das, was populär ist, das, was grade angesagt ist. Und dann hat der Mainstream den Underground für sich entdeckt. Spätestens mit diesem Internet war’s plötzlich viel spannender, die Geheimtipps für sich zu entdecken, das, was noch nicht jede_r kennt. Das Vice Magazin hat das dann kultiviert. Daher ist mein Eindruck, dass Musikmagazine auch gern über Sachen berichten, die vielleicht mal groß werden. Ob das dann für die Bands/Projekte hilfreich ist, weiß ich nicht. Will ja auch gar nicht jede Band berühmt werden… Aber ich kenne natürlich auch diese Aussagen: „Alle großen Fanzines haben ein Baboon Show Interview, aber niemand interviewt meine kleine Punkband“. Also grade das Ox ist doch eine Maschine für Neuentdeckungen, die machen so viele kleine oberflächliche Bandvorstellungen, dass ich kaum mehr mitkomme. Wir berichten über alles, für das sich die Redaktion interessiert.

Du hast mal Thorsten von THE OTHER interviewt, da ging´s auch um Pornos, weil er ja früher der Happy Weekend-Chefredakteur war, das fand ich auch ein gutes Interview. Ihr hattet auch vor einiger Zeit mal ein Special zu feministischen Pornos im Heft. Fand ich beides ziemlich interessant, weil es so schön divers war, so von wegen „Mainstream-Erotik-Szene“ versus „progressive Szene“. Wie ist die Lage – das interessiert uns von der Presse natürlich unheimlich haha – in der Plastic Bomb-Redaktion, mehr Fans von den speziell feministischen Filmen, mehr Standard, spielt alles keine Rolle?
Was weiß ich denn, was meine Redaktionskolleg_innen für Porno-Präferenzen haben?! Das musst du die schon selbst fragen. Mein Interview mit Thorsten ist ungefähr 12 Jahre her. Ich würde viele Fragen heute anders stellen, kritischer, eindringlicher, mit mehr Hintergrundrecherche. Damals war das von meiner Seite her eher oberflächlich und er hat viele unterhaltsame Internas erzählt. Heute würde ich das eher von einer selbstbewussteren, feministischen Seite her angehen…und ich weiß gar nicht, ob er da so der beste Interviewpartner wäre, keine Ahnung. Das Special, über das du schreibst, hat Lars damals gemacht, weil er sich an dieser Porn-Yes Kampagne beteiligt hat, fand ich auch ganz spannend zu lesen.

Es gibt immer so den Spruch „un-PC-Witze gehen okay, wenn es unter Leuten gemacht wird, die einen kennen und verstehen, dass man gerade Lust hat, mal einen dummen Witz zu reißen“. Ich hab eher, auch bei mir selber natürlich, den Eindruck, dass es eigentlich völlig egal ist, unter welchen Leuten man sich befindet: nach Pils 8 reden fast alle etwas derber, haha. Ziehst du irgendwie ne Grenze für dich, wann was zu weit verbal geht, ich finds immer nicht unkniffelig.
Gar nicht kniffelig: Achte darauf, ob du mit deinen Worten bzw. deinen Witzen die Leute, die um dich rum stehen, beleidigst oder schlecht-fühlend machst. Oft halten die Leute sowas aus, weil sie denken, sie müssen das aushalten, trauen sich nicht, den Mund aufzumachen, wollen kein Spielverderber sein. Das muss man im Auge behalten! Einfach mal nicht davon ausgehen, dass man als weißer Mann den Humor für sich gepachtet hat. Siehe Thomas Gottschalk in der elenden Talkshow im WDR Fernsehen.

Nicht DU entscheidest, was „geht“ und was „nicht geht“, sondern die betroffenen Personen und die Leute, die dir zuhören. Wenn ich mir absolut sicher bin, dass das in dem Kreis in dem ich grade Witze reiße, niemanden stört, kann ich weiter gehen, als wenn da ne Horde fremder Menschen um mich rum steht, schon klar. Aber nochmal Jan: Die Zeiten, wo du einfach mal drauf los bölken kannst und von deinem Umfeld erwartest, dass das alles unter nem „die wissen ja alle, wie ich das meine“ gedeckelt wird, sind jetzt echt mal vorbei.

Du machst das echt so super mit „den Bombe-Laden schmeißen“, einzige echte Kritik: sehr schade, dass du nicht so einen lustigen Nachnamen hast wie „die alten Herren“ früher, halt der Michael, der gerne Will, der Helge, der Schreiber und der Swen, der Bock hat, haha. Dein Vorname ist echt wirklich wegen Ronja Räubertochter oder?
Jaaa, meine Eltern sind echt Hippies. Ich heiße sogar Ronja Annika. Mehr kann ich grade nicht für dich tun in dieser Angelegenheit.

Du hattest ja im PB früher die Herstory-Rubrik übernommen und dann irgendwann abgeschlossen. Diese Debatte, ob man Frauen in der Szene exotisieren sollte, um sie sichtbarer zu machen, ist ja immer aktuell. Ich finde es am Ende doch richtig, „female fronted“ dazu zu schreiben, weil, ja, es SOLLTE NICHT so sein, aber es IST eben noch nicht so normal, wie es schon längst sein sollte…
Ich bin mit der Debatte an sich auch noch nicht fertig. Sollte man darauf hinweisen, dass da eine Frau in der Band ist? Oder eben nicht? Ich denke, das ist eher nebensächlich, wichtiger ist, dass man die Band erst mal bookt. Oder interviewt. Oder aufs Label holt. Oder über sie berichtet. Ob die Band das mit der Female-Bezeichnung dann jeweils wünscht, kann man im Zweifel auch einfach kurz mit der Band absprechen. Bzw. nachschauen, ob die Band das selbst als „Schlachtbegriff“ nutzt oder nicht. Also die Band einfach selbst entscheiden lassen. Ich hab auch überlegt, ob ich mich demnächst mal „Female Fronted Mailorder“ in der Werbung nenne…ich probier’s aus und informiere dich über das Feedback.

Es gab jetzt die Kritik von Linus „intro“ Volkmann am Booking vieler großer Festivals, das dort nur Männer-Bands spielen.
Linus Volkmann hat unter anderem das Hurricane Festival 2019 kritisiert. Ich weiß nicht genau, wie das für ihn digital ausging. Aber Sabrina von der Band „Lügen“ hat das Ruhrpott Rodeo 2020 bzw. die Bandauswahl im Livestream kritisiert. Und was sie online als Reaktion kassiert hat, hat sie selbst im Nachhinein vollkommen zurecht als „Gewalterfahrung“ bezeichnet. In Sabrinas Fall wurden verschiedene Fässer aufgemacht. Ihr wurde unterstellt, dass sie mit einem Typen aus einer der Bands, die sie wegen sexistischen Texten kritisiert hat, „was hatte“ und damit ja nur die eifersüchtige Exfreundin wäre. Also alles „eine persönliche Sache wäre“.

Ihr wurde unterstellt, dass sie „nur neidisch wäre, dass ihre Band nicht gebookt wurde“. Ihr wurde das Gefühl gegeben, dass ihre Kritik nicht berechtigt sei, weil „da doch auch Frauen auf der Bühne waren“. Und alle diese Aussagen wurden nicht höflich geäußert, sondern in einem Ton, den man durchaus als „Gewalterfahrung“ bezeichnen darf. Öffentliche Demütigungen, Infragestellung ihrer Integrität, Andichten von Unwahrheiten, Beleidigungen. DAS blüht dir als Frau, wenn du es wagst, darauf hin zu weisen, dass eines der wichtigsten Punkfestivals der BRD kaum Frauen auf die Bühne stellt, kein Awareness-Konzept hat und offensiv sexistische Tendenzen fördert. Ist alles bis heute online nachzulesen.

Die Punk-Fanzine-Szene war und ist sehr stark von Typen durchsetzt, manchmal auch schon deutlich Ältere… Wirst du von denen (jetzt) ernst(er) genommen? Das kann ja auch einschüchternd auf einen selber wirken, ohne das die erst mal was dafür können, weil da sind dann eben die ü-50jährigen, die alles gesehen und erlebt haben.
Ach Jan, keine Angst, haha. Also ich hab da jetzt echt viele Jahre mit Beobachten verbracht. Als ich kleiner war und bei der Bombe angefangen hab (2007, glaub ich) haben mich die Wenigsten ernst genommen. Die Klassiker-Fragen, ob ich die neue Freundin von Micha oder Swen wäre, ob ich für die „Frauen-Themen“ dazu geholt wurde usw.

Ich sag euch das nur ungern, aber seit ein paar Jahren beobachte ich das gleiche Phänomen wie in der normalen Gesellschaft. Ältere Typen, die eh nicht mehr so genau wissen, wo ihr Platz ist und ob ihre alten Kriegsgeschichten von Black Flag 1903 noch jemand hören will. Die fühlen sich halt jetzt in vielen Bereichen verunsichert. Einmal, weil sich das mit dem Feminismus und den Forderungen der Frauen nach mehr „Raum“ doch langsam durchzusetzen scheint, dass die Kritik an Herrenwitzen und Männerklüngeln auch von vielen männlichen Punks mitgetragen wird und dass sich die Welt einfach weiter dreht und sie nicht mehr so richtig mitkommen.

Das kann aber keine Entschuldigung dafür sein, Frauen nicht ernst zu nehmen, sie zu übergehen, zu übersehen und immer nur männliche Maßstäbe anzulegen. Aller-spätestens jetzt wäre ein guter Zeitpunkt, sich mal ernsthaft damit auseinander zu setzen, warum es nicht cool ist, eine nackte Frau als Werbung fürs Ruhrpott Rode zu verwenden. Oder ein komplettes Musikmagazin /ein komplettes Festivalbooking ohne Frauenbands durch zu ziehen. Einfach immer weiter zu behaupten, dass es „ja keine Bands mit Frauen gäbe“ oder dass die „nicht die gewünschte Besucherzahl ziehen“.

Ich kann all diesen Typen nur raten, mal neugierig, interessiert und aufgeschlossen zu sein und zu schnallen, dass man eine größere Chance hat, sich selbst weiter aktiv im Szenegeschehen wohl zu fühlen, wenn man diese Feminisierung ernsthaft zulässt und mitträgt, statt sich weiter zu verschließen. Und sich hinter Aussagen wie „Distillers ist ja auch ne große Band“ zu verstecken. Heute hat mich ein Kerl im Büro angerufen und hat mir seinen neuen Sampler, den er mit seinem Label gemacht hat, im Großhandel angeboten. Geplant war seiner Erzählung nach, dass mindestens die Hälfte aller Bands mit weiblicher Beteiligung sein sollten.

Jetzt sind statt 14 nur 2 Bands mit Frauen auf dem Sampler, weil man ja sooo viele Bands angeschrieben hätte, die aber alle nicht reagiert haben. Ok, traurige Geschichte, was soll ich dazu sagen? Das Label Fire & Flames hat es grade geschafft, auf dem Girlz Disorder Volume 1 LP Sampler gleich 24 All-Female-Bands zusammen zu führen… Kann natürlich ein riesen Zufall sein. Kann aber auch sein, dass die Männer, die sich immer so schwer tun, Frauen für ihre Projekte zu kriegen, einfach eine Herangehensweise haben, die eher zu männlichen Bands passt.

Ich kenn das aus der Redaktion: Wenn ich neue Frauen überreden will, mal was fürs Heft zu machen, muss ich 2-3 mal fragen, genau erklären, was ich mir vorstelle, muss die Frau überzeugen, dass das, was sie schreiben will, sicher interessant und lesenswert wird. Typen sind da oft selbstsicherer. Frauen sind AUFGRUND der ganzen Scheiße da manchmal total unsicher. Frauen wollen aus nachvollziehbaren Gründen oft ganz genau wissen, wer sie bookt, mit wem sie spielen oder auf einem Sampler sein sollen, wie das Artwork oder der Flyer aussehen soll oder was das Label sonst so raus bringt.

Du hast das sicher mitbekommen, dass das MRR online nun People of Colour bevorzugt schreiben lässt, was hälst du von so was, böse Zungen sagten, das wäre ja wieder beinahe „positiver Rassismus“? Oder sind die da in Kalifornien einfach wieder weiter als wir?
Ich denke, dass weiße Männer so unglaublich viele Privilegien und Vorteile haben, dass sie ruhig mal ne Zeit lang die Klappe halten können, um ALLEN ANDEREN mal die Chance zu geben, ein kleines bisschen aufzuholen. Fühlt ihr euch echt jetzt schon ausgeschlossen? Lest doch einfach mal, was andere Menschen zu sagen haben. Und versucht wenigstens mal, euch für andere, nicht weiße, nicht männliche Menschen zu interessieren.

Sind für dich eigentlich die ganzen akademischen Feministen wichtig gewesen, Donna Harroway oder Judith Butler?
Nein. Also nicht direkt. Vielleicht mal als Beispiele und Zitate im Rahmen von Vorträgen in AZs oder Antifa-Camps. Aber nicht als Buch.

Wenn man danach gehen würde zu sagen, dass in derjenigen Musik-Szene, in der am meisten Frauen sind, auch am meisten „die Rechte für Frauen verwirklicht sind“, dann müsste man ja zu dem Schluss kommen, dass Britney Spears, Lady Gaga oder anderer Disco-Mainstream am fortschrittlichsten ist oder?
Keine Ahnung, ich kenne ja deren Verträge nicht. Verdienen die so viel Kohle und dürfen die so viel mitbestimmen wie vergleichbare männliche Künstler? Oder ihre Manager? Haha, Nina Simone hat ihren Plattenboss deswegen angeschossen, oder? Also nur weil da viele sind, heißt das nicht, dass die auch alle gleichberechtigt sind. Ich glaub, wenn du da sicher gehen willst, musst du dir als Künstlerin ein Label / Magazin / Management suchen, wo extra auf sowas geachtet wird. Was unsere Szene betrifft gibt’s zum Beispiel das Label „Fauchkrampf!“, die vor allem Bands mit (rein) weiblicher Beteiligung pushen wollen, grade UM diesem Argument, es gäbe kaum Frauenbands, entgegen zu wirken. Soweit ich weiß, war das auch immer die Labelpolitik von Springstoff. Und seit ich da bin, auch bei Plastic Bomb.

Abschließend noch: die Songs, die du am liebsten hörst?
“The Weeping Song” und “Do you love me” von Nick Cave. “Too good to be true” von Motörhead. “Filmriss“ von Knochenfabrik. Und die „Life is Life“ Version von Laibach find ich auch großartig.

Und deine schlimmsten Hass-Songs?
“You’ll never walk alone”. “Bro Hymn”. “Bella Ciao“. Und ALLE Coverversionen von „Ace of Spades“.

Ist der Mainstream ausschließlich reaktionär und die Subkulturen immer progressiv?
Na ja, vielleicht war das irgendwann mal so. Aber in den letzten Jahren hatte ich das Gefühl, dass Punk immer mehr zum Spielplatz alter weißer Männer wird. Von wegen „Jugendbewegung“. Aber die ganze #punktoo Sache bringt da grade Bewegung rein. Viele Frauen kriegen nun endlich das Gefühl, dass sie nicht allein da stehen mit ihrer Kritik. Dass sie nicht die sind, die sich irren, sondern die, die zurecht die Verhältnisse kritisieren. Wir bauen unsere Netzwerke weiter aus, zeigen Solidarität untereinander und kriegen von vielen vielen nicht-weiblichen Menschen großen Zuspruch. Läuft also. Wer sich da gern unverbindlich informieren lassen will, kann die #punktoo Facebookseite checken, da präsentieren wir unsere aktuellen Ergebnisse aus der geschlossenen Gruppe und posten aktuelle Kritik.

Und wie läuft deine Fledermauspatenschaft?
Bestens. Der Nabu zieht monatlich Geld ein und ich bekomme 4x im Jahr die „Fledermauspost“ als Faltblatt, hab ich bei den „Fanzines, die ich lese“, vergessen anzugeben. Holt euch auch so ne Patenschaft, Fledermäuse sind echt super.

Vielen Dank nochmal für deine Zeit und hast du noch Grüße an unsere vier Leser?
Viele Grüße an die 4 Trust Leser und die hoffentlich vorhandenen Leserinnen. Danke an alle, die #punktoo unterstützen und an alle, die wollen, dass die Szene wieder vielfältiger, diverser, bunter und vor allem weiblicher wird. Zukunftsorientiert, motiviert und für alle ein angenehmer Ort.

Interview: Jan Röhlk
Kontakt: plastic-bomb.eu, plasticbombshop.de, facebook, Instagram

(- Der Text wurde für die Online-Version an zwei Stellen aktualisiert -)

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0