Januar 31st, 2019

PUNCH (#163, 2013)

Posted in interview by Jan

Punch kommen aus der Bay Area in Kalifornien und sind dort fest verankert in der Szene rund um Bands wie die jüngst aufgelösten Comadre und Loma Prieta. Die Band existiert bereits seit sechs Jahren und hat mittlerweile zwei LPs und mehrere Singles draußen. In Hardccorejahren gerechnet ist die Band also schon nahe am gesetzlichen Rentenalter. Wer im Hardcore so lange durchhält ist entweder stur oder einfach gut. Punch sind ganz klar letzteres.

Vielleicht liegt es daran, dass sich Punch trotz ihres auch im Hardcorekontext extremen Musikstils, so großer Beliebtheit erfreuen. Mit ihrem mitreißenden Fastcore haben sie sich zurecht den Ruf einer guten Liveband erspielt und waren auch schon mehrfach in Europa unterwegs. Als Punch vor ein paar Monaten mit Negative Approach hier auf Tour gehen sollten, gab es einen mittelschweren Szeneskandal, nachdem herausgekommen war, dass Negative Approach auf der Hochzeit von Seth Putnam von Anal Cunt gespielt hatten. Konzerte wurden abgesagt und das halbe Internet vollgeschrieben. All das ging natürlich auch an Punch nicht spurlos vorbei.

Als wir mit Sängerin Meghan (M) und Schlagzeuger Val (V) vor der Auftaktshow im Berliner Lido sprachen, war natürlich auch davon die Rede – allerdings nur am Rande. Wir konnten das Thema in der Situation kaum ignorieren, andererseits war es aber nicht unsere Motivation für das schon länger geplante Interview. Es schien auch nicht so, als hätten die beiden für sich selbst abschließend beantwortet, wie sie die ganze Sache bewerten. Es war das Auftaktkonzert der Tour und mit Negative Approach selbst hatten Punch noch gar nicht wirklich sprechen können. Die Schwerpunkte unseres Gesprächs lagen also, wie den nächsten Zeilen zu entnehmen ist, bewusst anderswo.

Das ist zwar nicht eure erste Tour in Europa, aber die erste zusammen mit einer echten Hardcore-Legende. Erwartet ihr, dass die Tour anders laufen wird?
M: Das stimmt. Normalerweise touren wir lieber alleine, damit wir selber Entscheidungen treffen können. Die einzige Ausnahme war die Tour mit Comadre, weil sie wirklich gute Freunde von uns sind. Als sich dann die Möglichkeit anbot, haben wir entschieden, es auszuprobieren. Ich bin schon sehr gespannt darauf, wie es laufen wird.
V: Der Hauptunterschied ist tatsächlich, dass wir normalerweise unsere Touren selbst buchen und diese ist von Avocado gebucht worden. Bisher haben wir uns eigentlich immer gegen sowas gesperrt, aber wie ihr schon sagt, sind Negative Approach nicht irgendeine Band. Außerdem ist die Tour ziemlich kurz. Wenn es scheiße wird, machen wir das nicht noch einmal.
Die großen Bühnen auf dieser Tour sind nicht die Art Bühnen, auf denen ihr normalerweise spielt. Funktioniert eure Musik in so großen Sälen wie hier im Lido? Die Musik trifft das Publikum schließlich weniger direkt als in den kleineren Konzertorten, in denen ihr gewöhnlich spielt?
M: Große Bühnen wie diese sind sicher eine andere Herausforderung und wir müssen uns schon mehr anstrengen, um eine Verbindung zum Publikum herzustellen. Wir spielen aber immer mal wieder auf großen Bühnen. Ich bin aber auch echt froh, dass wir damit mittlerweile Erfahrung haben und das es hier nicht das erste Mal ist. Das erste Mal war in Japan, wo selbst die kleineren Clubs alle richtige Bühnen und Lichtshows haben. Die wollten da tatsächlich zu jedem Song extra wissen, wie die Beleuchtung sein soll. Ich habe einfach „nicht zu hell“ geschrieben.
Wenn Punch weiterhin so erfolgreich sind und euch immer mehr Menschen sehen wollen, müsstet ihr bald öfter auf so großen Bühnen spielen. Habt ihr da mal drüber nachgedacht?
V: Ich glaube ehrlich gesagt nicht, dass es dazu kommen wird. Klar kommen heute mehr Leute zu unseren Shows. Wir haben aber alle zusammen schon vor langer Zeit entschlossen, Punch auf eine bestimmte Art und Weise durchziehen zu wollen. Darum glaube ich nicht, dass die Art der Konzertorte sich in nächster Zeit großartig ändern wird. Diese Tour ist eine interessante Möglichkeit für uns, etwas Neues kennenzulernen. Wir wollen d.i.y. aber deshalb nicht hinter uns zurücklassen. Punch sind einfach nicht diese Art von Band. Mein Eindruck ist, dass es speziell in Europa einen ziemlichen Unterschied macht, wo genau du spielst. Wir wollen Shows spielen, bei denen sich alle willkommen fühlen.
So wir ihr Punch zur Zeit betreibt, müsst ihr wahrscheinlich alle nebenbei noch arbeiten. Falls sich die Möglichkeit ergäbe, von der Band zu leben, ihr dafür aber ausschließlichTouren wie diese spielen müsstet – wäre das für euch eine Option?
M: Zwei von uns sind fast durchgängig auf Tour. Val spielt noch in zwei, drei anderen Bands. Unser Bassist Brian ist mit Punch und Loma Prieta auch die meiste Zeit unterwegs und in der verbleibenden Zeit kümmert er sich um unseren Merch-Store. Dan macht nebenher Siebdruck und druckt unseren Kram. Ich persönlich brauche eine Balance zwischen Touren und dem Leben zu Hause. Zur Zeit touren wir ein Drittel oder ein Viertel des Jahres. Von mir aus könnte es auch das halbe Jahr sein, aber mehr nicht. Manchmal denke ich, wenn ich mich entweder auf die Band oder meine Ausbildung konzentrieren würde, wäre ich in dieser einen Sache wirklich gut. Jetzt bin ich vielleicht nur mittelmäßig in beidem. Wir müssen aber alle unsere eigenen Entscheidungen treffen und versuchen, den besten Weg zu finden. Manchmal ist es sicher schwierig, unsere fünf einzelnen Leben unter einen Hut zu bekommen. Da wir alle Freunde sind, bekommen wir das immer irgendwie geregelt.
V: Die absolute Grundlage von Punch ist, dass uns alles Spaß machen soll. Wenn also allen kontinuierliches Touren Spaß machen würde, würden wir das wahrscheinlich machen. Jeder von uns hat aber auch noch andere Interessen.
Was machst du denn beruflich, Meghan?
M: Ich bin ausgebildete Krankenpflegerin und mache derzeit eine Art Fortbildung. Das mache ich wirklich sehr gerne. Aber weil ich die Band auch gerne mache, arbeite ich als Nanny. So kann ich freibekommen, wenn ich für die Band frei haben muss.
Eine andere Band hat mal in einem Interview gesagt, dass sie als richtige Vollzeitband vielleicht nichts mehr hätten, worüber sie singen könnten.
M: Das ist interessant. Ich glaube, ich brauche auch wirklich beides in meinem Leben. Ich möchte nicht das eine für das andere opfern. Auf der letzten US-Tour habe ich zum ersten Mal meinen Computer mitgenommen und auf Tour gelernt. Das war echt stressig, aber am Ende haben wir die Tour gespielt und ich habe trotzdem gute Noten bekommen. Jetzt bin ich einen Schritt weiter in meinem Studium. Wir müssen ja auch alle unterschiedlichen Sachen in unseren Leben in Einklang bringen, seien es nun drei Bands, Band und Job gleichzeitig oder Beziehungen. Wenn wir etwas in unserem Leben wollen, müssen wir versuchen, es irgendwie unterzubekommen. Meistens passt es irgendwie.
Kommen wir noch einmal auf diese Tour zurück. Zumindest hier in Deutschland hat es einen ziemlichen Aufschrei gegeben, weil Negative Approach auf der Hochzeit von Seth Putnam von Anal Cunt aufgetreten sind und dies danach mit einem fragwürdigen Statement zu rechtfertigen versuchten.
M: Wir sind nicht Negative Approach und ich glaube nicht, dass wir uns für etwas verantworten müssen, was sie getan haben. Als wir diese Tour zugesagt haben, war die Diskussion noch gar nicht auf dem Tisch. Als sie aufkam, mussten wir, ehrlich gesagt, erst einmal nachlesen, wer dieser Seth Putnam überhaupt ist. Viele Leute denken, wir hätten diese Tour canceln sollen, aber es ist eine komplizierte Sache.
V: Es ist schwierig. Natürlich haben wir als Band auch eine Verantwortung gegenüber den Menschen, die unsere Musik mögen. Ich würde gerne immer allen, die uns mögen, das geben, was sie wollen, aber das ist leider nicht immer möglich. Das hier ist so ein Fall. Niemand von uns unterstützt Nazismus oder Faschismus und ich gehe davon aus, dass die Leute auf unseren Konzerten das auch nicht tun. Keiner in den Bands und auch wahrscheinlich keiner im Publikum auf dieser Tour tut das. Jetzt wurden einige Shows gecancelt und viele Leute sind enttäuscht. Wahrscheinlich sind mehr Leute enttäuscht, als es Leute gibt, die die Absagen für notwendig hielten. Ich weiß auch nicht, wohin das führen soll. Sind wir jetzt auch eine böse Band, weil wir mit Negative Approach gespielt haben? Es erinnert mich ein wenig an Stille Post. Es gibt viele Gerüchte, aber niemand redet direkt mit irgendjemandem.
Ich finde es auch schwierig, eine strikte Trennlinie zu ziehen. Wenn ich mir versuche vorzustellen, wie sich das für euch anfühlen muss. Da macht ihr einmal so eine Tour und dann plötzlich…
M: Ja, es zieht einen ganz schön runter… Ich würde auch echt gerne das Thema wechseln, weil ich ohnehin nicht mehr weiß, was ich dazu noch sagen soll…
Okay, reden wir über etwas Anderes. Immer wenn alte Hardcore-Helden spielen, kommen erfahrungsgemäß viele ältere Leute zu den Konzerten, die mit der Szene mittlerweile nichts mehr zu tun haben. Habt ihr Erfahrungen mit sowas? Verstehen sie eure Band und eure Musik?
M: Ich glaube nicht, dass es da ein Problem gibt. Ich bin selbst immer wieder überrascht, wie heterogen unser Publikum doch ist. Da kommen Menschen jeden Alters und mit den unterschiedlichsten Hintergründen. Wenn sie die Band mögen, ist das super, und wenn nicht… naja… wir sind halt nicht für jeden was.
Nach unserer Einschätzung hat sich Hardcore im Laufe der Jahre stark ausdifferenziert in politische, d.i.y Bands und kommerziell erfolgreiche Middle-of-the-Road-Hardcore-Bands auf der anderen Seite. Deckt sich diese Wahrnehmung mit eurer? Und wo würdet ihr euch selbst einordnen?
M: Ich weiß nicht, ob sich das so sehr verändert hat. Speziell in der Bay Area scheint es mir schon immer so gewesen zu sein. Du kannst in einer Woche zu fünf Shows gehen und jedes Mal andere Leute treffen. Punch haben dort schon auf so ziemlich jeder möglichen Art von Show gespielt. Natürlich bemerke ich Unterschiede. Mal sind mehr Frauen im Publikum mal weniger. Mal geht es viel um Mode und ums Hartsein, mal nicht. Wenn es mehr d.i.y. und feministischer ist, dann begrüße ich das natürlich. Klar wäre es angenehmer, sich immer nur in Räumen aufzuhalten, in denen wir uns wirklich wohl fühlen. Aber manchmal ist es sinnvoll, dem eigenen Komfortbereich zu verlassen. Andernfalls kämen die Leute nie mit einer Frau als Sängerin, Veganismus oder Straight Edge in Berührung. Das gilt speziell für jüngere Kids. Vielleicht kennen die nur diesen Tough Guy-Hardcore und merken erst durch eine Band wie Punch, dass es auch noch anderes gibt.
Damit habt ihr die nächste Frage eigentlich schon beantwortet. Wir wollten fragen, ob ihr die südkalifornische Szene um Bands wie Punch, Loma Prieta oder Comadre auch als deutlich anders wahrnehmt? Also in dem Sinne, dass es dort mehr Frauen gibt, alles mehr d.i.y. ist und die Atmosphäre generell offener ist.
M: Klar, bei sowas geht mir echt das Herz auf. Es macht mich wirklich glücklich, wenn ich auf einer Show bin, auf der viele Frauen sind. Aber ich halte es ebenfalls für notwendig, rauszugehen und zu zeigen, dass so etwas eigentlich keine große Sache sein sollte.
Siehst du dich oder seht ihr euch als Vorbilder?
M: Es fällt mir zwar schwer, das zu sagen, aber es ist wohl so und viele Menschen sagen mir, das es so ist. Es haut mich immer noch jedes Mal um, wenn eine Frau zu mir kommt und erzählt, dass es inspirierend für sie sei, mich auf der Bühne zu sehen. Ich bin eigentlich eine eher schüchterne Person, aber durch die Band habe ich gelernt, ein bisschen offener zu sein.
V: Das ist natürlich eine große Verantwortung. Es war ja nicht so geplant. Wir wollten ja eigentlich nur diese Band machen, um Spaß zu haben. Dass wir eine weibliche Person am Mikrofon haben, war ja eher Zufall. Manche nehmen das als „anders“ wahr oder als etwas Bewundernswertes. Wir haben gelernt, damit umzugehen.
M: Das stimmt. Für die anderen bin ich auch nicht die Frau, sondern einfach eine Person in der Band. Manchmal möchte ich auch genau das und manchmal finde ich es auch okay, ein Vorbild zu sein – gerade für jüngere Frauen oder Mädchen.
Punch spielen sehr aggressive Musik, zu der viele Leute gerne ausrasten. Fällt es euch schwer eine Linie zu ziehen zwischen dem „kathartischen Herauslassen negativer Energie“, wie ihr es mal in einem Interview genannt habt und egoistischer Machoscheiße?
M: So wie ich es sehe, sind Hardcore-Shows Orte, an denen Menschen so ein können, wie sie sein wollen und sich so ausdrücken können, wie sie es im Alltag vielleicht nicht können. Wenn du damit jedoch die Freiheit anderer einschränkst, ist das ein Problem. Das wäre für mich die Trennlinie.
Seht ihr es als eure Verantwortung an, darauf zu achten, was vor der Bühne passiert? Oder glaubt ihr an die „Autonomie des Pits“?
M: Wenn ich das Gefühl habe, dass es zu gewalttätig wird, spreche ich das schon an und sage: „Achtet auf die Menschen um euch herum!“ Ich mag allerdings nicht mit dem Finger auf Leute zu zeigen und zu sagen, wer jetzt im Unrecht ist. Ich versuche eher, die Leute daran zu erinnern, dass wie alle aus dem selben Grund da sind. Wir wollen alle Spaß haben und wir sollten andere nicht daran hindern. Ich versuche, meinen Teil beizutragen, dass niemand verletzt wird. Ich sehe es aber nicht als meine Aufgabe, Polizei zu spielen.
Ich glaube in besseren Momenten immer noch an Hardcore als „a place where the strange were accepted and judged by what’s inside“. Auf manchen Shows scheint das jedoch weit entfernt.
M: Das ist natürlich eine Idealvorstellung. Wir haben aber alle Fehler und damit müssen wir umgehen. Auf dieses Ideal zusammen hinzuarbeiten, halte ich dagegen eine gute Sache.
Kennt ihr dieses angesprochene „kathartische Herauslassen“ auch von Konzerten, bei denen ihr im Publikum standet? Oder kennt ihr das eher von früher?
M: Als ich jünger war, gab es das sicher öfter, als ich weniger Angst hatte, mich zu verletzen. (lacht) Jetzt gehe ich stark auf die 30 zu und bin ein wenig vorsichtiger. Mit Anfang 20 hat mir auch ein blaues Auge nichts ausgemacht. Das war es wert, fand ich. Heute bekomme ich diese „Katharsis“ vielleicht eher auf andere Art und Weise.
V: Für mich bewirken das manche Bands noch immer. Sie triggern irgendwelche Urinstinkte in mir und ihre Musik bewegt mich einfach.
An welche Bands denkst du?
V: Raein aus Italien zum Beispiel. Jedes Mal, wenn ich sie sehe, fühle ich mich wieder wie ein Teenager. (lacht)
M: Neulich habe ich Fucked Up erstmals nach über sechs Jahren wiedergesehen. Das Konzert war natürlich in einem viel größeren Konzertort. Der Sänger ist von der Bühne runter – er hatte das längste Mikrokabel, das ich je gesehen habe – und hat buchstäblich jeden im Raum umarmt oder gehighfivet. Besser geht es nicht. Ich hatte echt Tränen in den Augen, weil es so bewegend war. Du konntest ihm einfach anmerken, dass er null Rockstar ist und genauso froh war, auf dem Konzert zu sein wie alle anderen. Das war echt was besonderes.
Eine letzte Frage: Val, wie fühlt es sich an, ein Mann in einer Hardcore-Band zu sein?
M: Die Frage mag ich!
V: Ich würde ja eigentlich sagen, ich denke nie darüber nach, aber nie darüber nachzudenken, hieße ja auch irgendwie meine Privilegien auszunutzen. Ich glaube aber, ich bin mir schon sehr bewusst darüber, dass ich ein Mann in einer Hardcore-Band bin. Es ist aber nur ein kleiner Teil von dem, was ich bin. Ich bin zum Beispiel auch eine mexikanisch-amerikanische Person und ich habe viele Interessen, die nichts mit Hardcore zu tun haben. Das alles ist mit an Bord, wenn ich in einer Hardcore-Band Schlagzeug spiele.

Text/Interview: Benjamin Schlüter und Jan Tölva

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