April 5th, 2020

PHILIPPINEN-FANZINE-SZENE aus #133, 2008

Posted in interview by Jan

Über die Freiheit „Fuck“ schreiben zu können!
Interview mit FanzinerInnen aus Manila, Philippinen

Durstig gehe ich die Straße entlang. Auf der anderen Seite des Konzertortes ist eine Tankstelle. Für einen Moment überlege ich, mir ein Bier zu kaufen. Die Hitze macht mir zu schaffen. Die Zunge trocknet schon beim Stehen aus. Wie ein Hund hechele ich. Der Schweiß rinnt aus allen Poren. Dann fange ich unweigerlich an zu lachen. Über mich selbst. Bier an einer Tankstelle, welch ein Blödsinn! Wo gibt es denn so was? Tankstellen sind zum betanken von Kraftfahrzeugen aller Art da. Warum sollte man dort Bier kaufen können?

Ich bin in Manila, der Hauptstadt der Philippinen. Hier kann man an Tankstellen tanken, mehr nicht. Also entschließe ich mich doch direkt zum Konzertort zu gehen und werde von jungen Punkern unter 16 mit großen Augen angesehen. Ein weißer, bestimmt Amerikaner, der auch zu einem Punkkonzert in den Philippinen geht, Unverständnis. „Sir?“ werde ich angesprochen und muss erstmal erklären, dass ich weder als „Sir“ angeredet werden möchte, noch Amerikaner bin. Dann treffe ich FreundInnen und wir betreten die Kneipe, wo heute mehr als zwanzig Bands spielen werden.

Stellt Euch doch erstmal vor. Wie heißt ihr und wie Euer Fanzine?
Mina: Ich bin Mina und wir (Albert und ich) machen das Filter Fanzine. Da wir faule Menschen sind, haben wir bis heute erst fünf Ausgaben veröffentlicht. Die erste Nummer war ein Newsletter und unser individueller Beitrag zur Unterstützung der „Oust Gloria“-Kampagne, nachdem sich herausgestellt hatte, dass sie die Präsidentschaftswahlen zu ihren Gunsten manipuliert hatte [Anm. Mika: gemeint ist Gloria Macapagal-Arroyo, die Präsidentin der Philippinen].

Led: Hallo Mika. Zuerst einmal, vielen Dank, dass Du mir die Möglichkeit gibst meine Gedanken und Ideen hier vorzustellen. Ich bin Walid „Led“ Ma’arouf und ich mache ein Hardcore-Punk-Fanzine namens Major Malfunction. Mittlerweile habe ich sieben Ausgaben veröffentlicht und arbeite gerade an Nummer 8. Die wird hoffentlich draußen sein, bevor das Jahr 2008 endet.

Albert: Ich bin Albert und einer der Herausgeber des Manila-based Filter-Fanzines. Wir haben, wie schon gesagt, als Newsletter begonnen, den wir während der politischen Protestveranstaltungen zu Hochzeiten des „Arroyo-Gezeter“ verteilt haben. Wir haben uns dann zu einem Zine weiterentwickelt. Die Zines drucken wir auf Zeitungspapier, das über einen Risograph gezogen wird, weil dieses Verfahren wesentlich günstiger als richtiger Druck ist.

Wovon handelt Euer Fanzine? Worüber schreibt ihr Artikel?
Led: Hardcore-Punk (und alles was dazu gehört) war immer die Basis des Major Malfunction. Punk Rock kritisiert eine große Themenbreite wie Diskriminierung, Habgier, Armut und Rassismus an. Das sind alles Themen, auf die du auch im Major Malfunction stößt.

Albert: Wir wollten ein alternatives Lifestyle-Zine machen mit politischen Intonationen, aber am Ende haben wir es eher im Punkrock verteilt, der Szene, wo wir heimisch sind.

Mina: Genau, als wir die erste Nummer veröffentlich haben, war unser Ziel schon über alternativen Lebensstil zu schreiben. Wir haben daher nicht nur die Punkrock-Szene abgedeckt, sondern auch andere Subkulturen. Wir hatten Interviews mit Bands aus verschiedenen Genren, DIY-Label-Machern, AktivistInnen etc. Hin und wieder haben wir auch unsere persönlichen Anmerkungen zu unseren Leben oder des politischen Systems in unserem Land mitgeteilt. Und nicht zu vergessen, Albert macht die Review-Sektion in unserem Heft, da ich von Musik wenig Ahnung habe.

Wie wichtig ist Euch die Idee des DIY?
Mina: Es gibt uns eine Art von Freiheit, aber gleichzeitig auch eine Verantwortung. Wir schreiben, woran wir glauben ohne Angst, dass irgendjemand uns korrigiert. Zur gleichen Zeit schreiben wir über wichtige Dinge, achten aber auch darauf, dass wir Kids, die es gelesen haben, nicht „on the loose“ senden, sodass sie denken, sie könnten alles zerstören.

Led: DIY hat mir viele Dinge ermöglicht, die ich im Alltag anwenden kann; eines der wichtigsten Dinge war die Natur schätzen und Recycling sowie die sozialen und politischen Gedanken und Ansichten von anderen kennen zu lernen.

Albert: DIY war schon immer der Grundsatz, wie wir unser Fanzine gestalten, weil wir durch DIY eine absolute Freiheit haben, wenn es darum geht, was wir schreiben. Es gibt keine Angst editiert oder zensiert zu werden. Wir können „Fuck!” sagen ohne Angst vor Löschung. Led treffe ich das erste Mal an meinem Quartier, deren Restaurant eine Art Sammelstelle für die emanzipatorische Linke Manilas darstellt. Wir gehen etwas essen und können uns gleich über eine Vielzahl von Themen verständigen. Imponiert hat mir gleich, welche Kenntnis Led von der US-Szene hat, gleichzeitig aber auch die eigene Szene supportet. Außerdem haben wir, was wirklich in Manila selten ist, einen gemeinsamen Bekannten in Deutschland. Ich treffe Led im kurzen Verlauf meiner Reise noch zwei weitere Male und lerne ihn wirklich sehr zu schätzen.

Was war denn Euer erstes Zine? Woher habt ihr die Impressionen genommen, selbst ein Zine zu machen?
Mina: Ich war schon 18, als ich die Punkszene entdeckte. Albert war schon vorher angefixt. Aber egal, mein erstes Fanzine war das Spin-Knots von Pdol und Weng, die die gleiche Schule wie ich besuchten. Sie hatten Artikel über Atheismus und Dr. Kellogg entdeckt die Anti-Masturbationsdiät und deren Handhabung. Da ich damals in einer katholischen High School war, gibt Dir das vielleicht eine Ahnung, welche Sachen ich normalerweise gelesen habe. Diese Art von Inhalt auf den photokopierten Seiten war aus meiner Sicht wirklich mutig. Themen, die Du nicht in normalen Zeitungen lesen konntest, wo der Mumm fehlte sie zu veröffentlichen, haben mich wirklich sehr begeistert. Das erste Zine, das ich dann selbst gemacht habe, war das For Kids’ Sake mit meiner besten Freundin Jona. Das war großer Spaß, da wir Bands interviewt haben, die zu unserem Freundeskreis zählten. Warum? Bands aus Manila wurden in Zines immer interviewt, aber nicht in meiner Heimat.

Led: Ich habe einem Freund geholfen Texte abzutippen für sein Fanzine namens The Scene, das gab mir eine Idee, worum es bei Fanzines geht. Ich kaufte mir dann eine Kopie von Slug And Lettuce in einem lokalen Hardcore-Punk Shop und fing an, Briefe an verschiedene Bands und Zinesters überall um den Globus zu schreiben. Ich war damals 16, als ich mich entschied, selbst ein Zine zu starten.

Albert: Mein erstes eigenes Zine war der Newsletter mit Artikeln gegen das Arroyo-Regime, das wir für umsonst verteilt haben.

Gibt es viele weibliche Zinesters? Kann man das mit der restlichen Punk/Hardcore Szene vergleichen?
Led: Ja, es gibt schon einige „Womyn“ in der Fanzine-Szene. Eine der aktivsten ist sicherlich Mina. Ich mag es, ihre Kolumnen über den Alltag hier in unserem Land zu lesen. Aber die lokale Hardcore-Punk-Szene braucht sicherlich noch viel mehr weibliche Zinesters.

Mina: Naja, es gibt sicherlich einige Frauen in der Fanzine-Szene, aber es sind relativ gesehen weniger und es ist genauso in der Punkszene allgemein. Verglichen mit dem Status Quo von vor einigen Jahren, würde ich dennoch sagen, dass es mehr Mädchen gibt, die zu Konzerten gehen als zuvor. Aber ich habe immer das Gefühl, dass die neuen KonzertbesucherInnen nicht die gleiche Faszination für Zines, CD, Poster etc. aufbringen, wie die „Oldtimers“.

Warum nutzt ihr das Medium Papier? Wie steht ihr zu Blogs und Internetaktivitäten?
Led: „More and more, I’ve begun to see zines go the way of the dinosaur. Print media of all levels is struggling due to the rise of the internet” (Lisa in Heartattack Nummer 46). Lisa hat Recht! Immer weniger Menschen lesen Fanzines. Sie schätzen die Bedeutung von Kommunikation und DIY-Ethik, die man in den Untergrundpublikationen lernen kann, sehr gering ein. Gedruckte Zines sind aber ein lebendiges Dokument von verschiedenen Events der Hardcore und Punk Gemeinschaft. Und Blog-Kram? Den einzigen Blog, an den ich denke, ist mein eigener Myspace-Blog, der einfach nur Mailorderlisten mit Kassetten, CDs, Fanzines und Vinyl enthält, die ich vertreibe. Ich checke diverse Hardcore-Punk und Metal Blogs aus und hin und wieder auch Webzines, aber ich bevorzuge ganz klar gedruckte Zines, um sie in meinen eigenen Händen zu halten.

Mina: Nein, wir machen keine Blogs. Und wenn wir einen führen würden, sähe er wahrscheinlich anders aus. Wir veröffentlichen auf Papier aus dem einfachen Grund, dass du eine Hardcopy behalten und aufbewahren kannst, und irgendwann nach vielen Jahren findest du es durch Zufall zwischen deinem alten Kram und du wirst einfach sagen: „Hey, das ist von 2004.“

Mina und Albert, Euer Zine ist im Gegensatz zu Led’s Zine Computer layoutet. Welche Vorteile seht ihr im Vergleich zum klassischen „Cut & Paste“-Style und warum habt ihr diese Art des Layouts gewählt?
Mina: Ich schiebe es mal auf die Zeit. Mir fehlt sie einfach, um wirklich viel Zeit für das Zine aufzubringen. Also arbeite ich daran während meiner Arbeitszeit, wenn der Chef nicht gerade hinter mir steht, hahaha. Aber es beschleunigt auf jeden Fall das Layouten. Plus, ich bin allgemein nicht gut in Schneiden und Kleben.

Led, bei Dir ist es andersherum. Das Major Malfunction ist ja klassische im „Cut & Paste“-Layout. Warum?
Led: Von Anfang an, also seit dem ersten Major Malfunction, war das Heft ein „Cut & Paste“-Zine. Ich genieße es, alte Zeitungen oder Magazine in unzählbaren Stunden durchzublättern nur um cooles Artwork, Ausschnitte oder Photos zu finden, die ich in ausschneiden und einkleben kann. Ich mag diese traditionelle Art und Weise ein Fanzine zu gestalten. Ich glaube auch, dass diese Art von Layout die eigene Kreativität fördert. Punk in anderen Ländern ist immer faszinierend. So auch in Manila. Fast alle Bands reisen in Manila mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu den Clubs und Kneipen, in denen sie spielen. Meistens spielen sie dann nur wenige Songs, maximal 15 Minuten, dafür spielen viele aber in mehreren Bands. Wirte werden unruhig, dass ihr Mobiliar zu Mus gepogt wird, da einige junge Punks sich schon vor dem Konzert mit Schnaps die Birne zu ziehen. Alkohol ist teuer, da muss es schnell zünden. Dafür sind dann die umgerechnet 2 Euro Eintritt viel zu hoch. So auch auf dem ersten Konzert, dass ich sehen konnte. Eine Traube Kids, vielleicht zwanzig, vielleicht dreißig, bedrängt stark alkoholisiert den Eingangsbereich. Über Stunden. Schnapsflaschen kreisen draußen.

Wo verkauft ihr Eure Zines?
Albert: Wir verkaufen das Zine lokal eigentlich nicht, sondern verteilen es während Shows. Aber wir machen ein paar Vereinbarungen, wenn wir es nach Übersee versenden. Normalerweise aber nur für Kostenaufwand. Die meisten Menschen kommen aber aus der lokalen Punk und Kleinkunst Szene. Daher platzieren wir ein paar Zines auch immer in einigen Shops in und um Manila.

Led: Normalerweise verkaufe ich meine Zine auf Hardcore-Punk Konzerten, in unabhängigen Buchläden und in Infoshops.

Mina: Als wir das For Kids’ Sake gemacht haben, haben wir es an Freunde verkauft. Wie Du selbst weißt, kann man mit Fanzines keinen Gewinn erwarten, also macht man es leidenschaftlich und meistens macht es einen pleite, aber glücklich. Das Filter Fanzine verteilen wir hier in den Philippinen auf Konzerten für umsonst. Albert würde es zwar auch gerne verkaufen, aber wir diskutieren da noch. Ich kann mich allerdings auch daran erinnern, wie ich wirklich angepisst war, als ein Newbie Punkkid mich nach einer Kopie fragte und es dann als Sitzunterlage nutzte. Die Zeiten haben sich leider verändert. Als ich angefangen habe Zines zu machen, waren alle fasziniert von Zines und Postern und viele SzenegängerInnen hatten ihre eigenen Sammlungen. Neben den Konzerten versuchen wir nun auch ein paar Zines in Shops und Distros zu platzieren. Zu den Konzerten nehme ich nur noch ein paar Hefte mit und gebe sie Leuten, die danach fragen.

Wenn ihr das Heft nur lokal verteilt, wie kommt ihr in Kontakt mit anderen Zines?
Albert: Wir konzentrieren uns schon auf die lokale Fanziner und Freunde, die wir auf Konzerten treffen. So kommen wir in den Austausch mit anderen Zines …

Mina: … oder aber über das Internet. Immer wenn wir eine Ausgabe fertig gestellt haben schicke ich sie als PDF-Datei an Zine-Distros und Freunde im Ausland. Einige drucken es aus und verkaufen es mit ihren Zines oder vertreiben es über ihre Distros, was wir wirklich zu schätzen wissen.

Led: Normalerweise bekomme ich Informationen über und Kontakt zu anderen Zines aus dem Heartattack (heißt heute: Give Me Back) und dem Slug And Lettuce. Die beiden Zines sind sehr gut verwurzelt in der Hardcore-Punk Gemeinschaft.

Tauscht Du auch in Südostasien?
Led: Ja, ich tausche seit 2004 überall auf der Welt Zines. Ich habe bisher Zines mit Bands, Kids, Zine-Enthusiasten und Zinesters in Australien, Kanada, Frankreich, Deutschland, Indonesien, Italien, Malaysia, Mexiko, Niederlande, Neuseeland, Schottland, Singapur, der Vereinten Arabischen Emiraten und den USA getauscht. Normalerweise schreibe ich sie an und habe so heute Kontakt mit Zinesters über email, Messageboards und Myspace.

Kann man Fanzines in den Philippinen auch an anderen Orten begegnen, z.B. in Buchläden oder Bibliotheken?
Mina: Nein, wir haben keine Fanzines in Bibliotheken hier. Wir haben einen Buchladen, der lokale DIY-Comics verkauft, das ist alles. Wir tauschen halt mit anderen Zinesters. Glücklich bin ich vor allem immer über Zines aus dem Ausland, die per Post oder bei Besuchen kommen. Aber Albert ist meistens schneller als ich und behält diese. Meistens lässt er sie mich nicht einmal ausleihen um sie zu lesen, daher hat er definitiv die bessere Zine-Sammlung, hahaha.

Led: Wir haben schon ein paar unabhängige Buchläden, die Fanzines verkaufen.

In Manila stoße ich auf den drei Konzerten, die ich sehen kann, auf keine Fanzines. Zwar auf viele Menschen, die Dinge tauschen, aber nicht auf Fanziner. Das heißt allerdings nicht, dass dort die Szene nicht aktiv ist. In Bulacan, der im Norden angrenzenden Provinz, offenbart sich mir ein anderes Bild. Irgendwie scheint jedeR hier irgendetwas zu machen. Sei es ein Fanzine, ein Label und/oder in einer oder mehreren Bands zu spielen. Alle kennen sich und Francis von Istukas over Disneyland, der mich nicht nur begleitet, sondern mir dankenswerter Weise ein Dach über dem Kopf spendiert, schüttelt mehr Hände und stellt mich mehr Menschen vor, als ich verarbeiten kann. Einer davon ist Albert und seine Band The Beauty of Doubt. TBoD sind meiner Meinung nach die beste philippinische Punkband und haben seitdem ich sie das erste Mal gehört habe einen Stammplatz in meinem CD-Player. Wenn sie aus einem angesagten Land wie Schweden oder den USA kommen würden, wären sie das neue große Ding. Aber so wird sie wohl niemand wirklich beachten … [außer die/der geneigte Trust-LeserIn ab jetzt …] Was ich mich frage; im Kontext eines Staates des globalen Südens, woher habt ihr das Geld Euer Heft zu kopieren und woher haben die Menschen das Geld es zu kaufen?
Albert: Wir haben beide reguläre Jobs und ein wenig des Geldes wird dann in unser Zine-Projekt gesteckt.

Mina: Wir arbeiten dafür. Dafür sind doch Jobs da. Wir haben das Zine „risographiert“ in Zeitungspapier anstatt es teurer photozukopieren. Jede Ausgabe hat eine 250er Auflage. Ich denke auch, dass Geld für ein Fanzine nicht das große Thema ist, denn Fanzines kosten hier nur 20 bis 30 Pesos [zwischen 30 und 45 Cent]. Das entspricht einer Flasche Bier.

Led: Als ich angefangen habe mit dem ersten Major Malfunction war ich noch auf dem College, im zweiten Jahr. Ich habe etwas von meinem Taschengeld gespart, sodass ich nach dem die erste Nummer raus war, mir keine Gedanken mehr machen musste über Produktionskosten. Im Moment bekomme ich das Geld für’s Heft durch meinen monatlichen Gehaltsscheck.

Und wer kauft Dein Zine?

Led: Falls du damit Kids meinst, die zu mir kommen und nach einem Heft fragen, dann kann ich sagen, dass ich ein paar Supporter habe, sowohl lokale als auch ausländische. Diese waren auch immer eine meiner größten Inspirationen. Während HC-Punk Konzerten habe ich häufig einen kleinen Distro-Tisch, an dem Kids aus allen Altersgruppen zu mir kommen und sich den dargebotenen Merch anschauen. Sobald sie eine Ausgabe von Major Malfunction sehen, nehmen sie sie, blättern sie durch und beginnen mit mir über Kolumnen oder Interviews zu sprechen.

Bist du dann noch anderweitig in der Szene aktiv?
Led: Ja, häufig helfe ich mit lokale Hardcore-Punk Konzerte zu organisieren. Einige meiner Freunde (Mic, Zepol und Argelou) und ich haben ein paar Shows für ausländische Bands als „Non-Compliant Issue“-Crew arrangiert, zum Beispiel für Crux (Australien), Driven Fear (Australien) und Magrudergrind (USA). Das eigentliche Ziel aber ist, lokale Hardcore-Punk-Konzerte mit einer regelmäßigen Wiederkehr auf die Beine zu stellen. Bis jetzt hatten wir damit auch keine Probleme. Eher im Gegenteil, wir treffen viele Kids, die selber aktiv in der Szene werden. Was den zeitlichen Ablauf angeht, schauen wir nach einem geeigneten Ort, besorgen das Equipment und machen ein gutes Line-Up. Darüber hinaus war ich früher bei Food not Bombs in Manila, als ich noch im College war. Im Moment konzentriere ich mich mehr auf meinen Distro / Label unter dem gleichen Namen (Major Malfunction).

Wie beeinflusst denn die politische und menschenrechtliche Situation, sowie soziale Unsicherheit in den Philippinen Eure Zines?
Mina: Ich denke, das spielt eine große Rolle. Wenn Du in einem Land der Dritten Welt lebst, worüber willst Du denn sonst schreiben? Manchmal schreiben und ereifern wir uns über unsere Arbeit oder über so ein Arschloch, dass keine Ahnung hat, was es tut. Aber die Schlussfolgerungen überlassen wir unseren LeserInnen, um zu einer tieferen Analyse dieser einfachen Dinge zu kommen. Ich habe gelernt, dass unsere Situation – politisch, ökonomisch und sozial – einen großen Einfluss auf die Gestaltung unserer Einstellung und Kultur hat. Wenn ich also über einfache Missgeschicke schreibe, dann gebe ich meine Meinung zu dem Grund dafür kund.

Albert: Wir bekommen immer neue Inspirationen, um das Zine weiterzuführen, durch die Dinge, die uns umgeben, die Morde, die Korruption, wir haben immer etwas zu sagen über Themen, die die Mainstream-Medien nicht einmal erwähnen.

Led: Politik … überall wo wir hingehen ist immer Politik. Du kannst deinen Priester in der lokalen Kirche über das momentane Staatssystem predigen hören, du kannst deine Arbeitskollegen über die Entgleisungen deines Chefs diskutieren hören und du kannst Geschichten über Betrügereien in Schulen hören. Es gibt einen Abbau von Menschenrechten jeden Tag … von sozialer Sicherheit erst gar nicht zu sprechen! Sind wir wirklich sicher vor den Störungen der Gier und Betrug? Das sind ziemlich beschissene Themen, die jeden Tag aufs Neue angegangen werden müssen.

Wie wichtig ist für dich in diesem Zusammenhang, dass Du, Led, Straight Edge bist?
Led: Für mich ist Straight Edge mehr als der bloße Verzicht auf Gifte (Alkohol, Drogen und Tabak)! Es ist ein Bewusststein für die Gefahren, die diese Dinge nicht nur dem eigenen Körper/Verstand antun, sondern auch der Gesellschaft. Jeden Tag aufs Neue gibt es in den Lokalnachrichten Fälle von Totschlag auf Grund von Alkohol/Drogen. Verdächtige sagen in der Regel, dass sie unter dem Einfluss von Alkohol/Drogen standen, als sie die Tat begannen. Ich verstehe nicht, warum sie diese Substanzen die Kontrolle über ihre Moral/Ethik gewinnen lassen.

Eine weitere Sache, die mich beschäftigt ist, dass viele Unternehmen ihre alkoholischen Getränke bewerben, viele TV-Spots haben gewöhnlich folgenden Aufbau: Da ist ein durchschnittlicher Typ, der alleine an der Bar trinkt und dann kommt urplötzlich eine sehr schöne Frau herein und spricht diesen Typen an, weil er einen „guten Geschmack“ hat, da er diesen Drink ausgewählt hat. Was sie damit sagen wollen ist, dass wenn man nur ihr Produkt trinkt, wird man früher oder später von einer hübschen Frau angesprochen.

Dazu kommt noch ein persönlicher Zwischenfall, der mir kürzlich widerfahren ist. Normalerweise nehme ich immer ein Jeepney (das berühmte Verkehrsmittel der Philippinen) für den Weg nach Hause. Eines Abends, als ich gemütlich im Jeepney saß, kamen zwei Betrunkene rein. Ganz plötzlich fragt mich der eine Typ, warum ich ihn ansehe, obwohl ich ihn nicht mal angesehen habe. Ich lächelte und sagte ihm, meine Haltestelle käme gleich. Die Typen wollten Streit und suchten jemanden, dem sie die Scheiße aus dem Körper prügeln konnten … und wenn sie dann geschnappt werden, was ist ihre Entschuldigung? Genau: „Wir standen unter dem Einfluss von Alkohol.“ Ich hoffe einfach nur, dass mehr Leute moderater und verantwortungsbewusster Alkohol konsumieren. Zwischen 1995 und Anfang 2000 gab es viele Straight Edge Kids hier in den Philippinen. Im Moment kann man fast sagen, dass es nicht mehr als 25 bis 60 in der Manila-Area sind. Es gab sogar Zines, aber das war alles gegen Ende der 1990er.

Die letzten Tage in Manila verbringe ich mit Albert, unter anderem bei einer Probe von The Beauty of Doubt. Dort lerne ich seine Freundin Mina kennen. Die ganze Band ist äußerst sympathisch und auch zu Teilen bei Grenada (eine Against Me Coverband) aktiv. Nach der Probe fahren wir noch auf ein Popkonzert in einem alten Punkclub, der mir als das CBGB von Manila vorgestellt wird, der aber eine ähnlich traurige Geschichte durchlaufen hat, wie viele dieser alten „Punkerschuppen“. Es ist alles durchkommerzialisiert und sogar die Nichte des ehemaligen Diktators Marcos spielt mir ihrer Pop-Band dort – schwer übertragbar auf die deutsche Geschichte, aber ich könnte mir nicht mal Helmut Kohls Sohn auf der Bühne vorstellen. Darüber hinaus ist das restliche Publikum äußerst unsympathisch und ignorant sodass wir dann doch beschließen, den Abend lieber leise ausklingen zu lassen. Ich erinnere mich an diese ominöse Konzert mit der Nicht von Diktator Marcos. Wie ist denn ihre Verbindung zur „Undergroundszene“? Und wie steht die Mittel- und Oberschicht zu Punk?
Mina: Ich erinnere mich an das Mädchen. Hätte ich wohl nicht, hättest du nicht gefragt. Aber es gab vor ein paar Jahren mal eine Doku (PunksNotDead) auf einem lokalen TV-Sender hier. Albert und ein paar Freunde wurden auch interviewt und alle Antworten mit Substanz wurden herausgeschnitten. Und zu unserer Überraschung wurde das Mädchen auch interviewt. Wir standen nur da und dachten: „Ich habe sie noch nie auf einem Punkkonzert gesehen!“

Ohne die Kolonialgeschichte beschönigen zu wollen; glaubt ihr, dass es für Euch als Filipinas und Filipinos einfacher ist, Kontakt zu der US-Szene zu finden, gerade aufgrund der US-Kolonialgeschichte und der englischen Sprache?
Albert: Ich glaube wir haben so etwas wie eine geringere Grenze aufgrund des “Sprachbarrieren-Aspekts“. Wir können uns mit der Welt austauschen. Dadurch können wir unsere Erlebnisse und Veranstaltungen hier in Manilas Szene mit anderen Ländern austauschen, wenn sie Interesse haben.

Led: Ja, Englisch ist halt unsere zweite, nationale Sprache. Sicherlich ist das der Grund, warum wir so viele CallCentren und Business Process Outsorcing (BPO), VOIP und medizinische Transkriptionszentren hier in den Philippinen haben (Anm. Mika: Viele Dienstleistungen werden aus den USA und anderen englischsprachigen Ländern in die Philippinen verlagert). Englisch steht ebenfalls auf dem Lehrplan in Grundschulen (Anm. Mika: Viele Kurse werden ab der Grundschule nur noch in Englisch unterrichtet. Zudem wird im Parlament nur Englisch gesprochen, anstatt in der Landessprache – Filipino).

Wie würdest Du denn die Fanzine-Szene in den Philippinen beschreiben? Gibt es Unterschiede zwischen den einzelnen Szenen in Manila und z.B. Bulacan oder Cebu?
Mina: Ich glaube nicht, dass es große Unterschiede in dem Prozess, wie man ein Fanzine macht, gibt. Es gibt zwar unterschiedliche Motive, Aussehen, Themen, aber alle machen es eigentlich auf der gleichen DIY Art und Weise.

Albert: Auf der Grundlage, was ich in den letzten paar Jahren hier beobachtet habe, würde ich sagen, dass wenn Du von Zines hier in den Philippinen sprichst, dann sprichst Du über PUNK-Zines. Aber mittlerweile verändern sich die Dinge. Es gibt ein paar Zines, die darüber schreiben, homosexuell zu sein, oder aber Cartoons beinhalten, oder eben Mode. Regionale Unterschiede habe ich allerdings keine gefunden.

Led: Im Moment kämpft die Fanzineszene hier in Manila mit sich selbst. Niemand möchte mehr ein eigenes Zine starten; die meisten Kids lesen lieber Blogs, checken die neuesten Nachrichten ihrer Lieblingsband auf Myspace oder suchen auf Flickr nach Konzertphotos. Was ist nur aus den photokopierten Distro-Listen, gedruckten Katalogen, Stamps oder IRCs geworden? Darüber hinaus unterscheiden sich die meisten lokalen Hardcore-Punk Zines kaum noch. Jede Ausgabe hat Interviews mit lokalen / ausländischen Bands, Reviews, Berichte und Kolumnen. Auf der anderen Seite wird die Hardcore-Punk Szene hier in Manila immer besser und besser, da viele Kids anfangen sich zu engagieren. Sie fangen an Konzerte in ihren lokalen Orten zu organisieren und teilen ihre Gedanken, wie sie die lokale Hardcore-Punk-Szene zusammenführen können.

Mina: Zum Thema andere Zine fallen mir noch die Comic-Zines ein, die wir mal in einem Comic-Buchladen gefunden haben. Sie hatten diesen DIY-Superhelden auf photokopierten und gebundenen Papier. Ein anderes ist ein Zine von einem Freund aus einer Deathmetal Band (Incarion). Die haben auch sehr viele Zines in ihrer Szene.

Led: Ja, stimmt, vor kurzem habe ich ein Perzine in einem unabhängigen Buchladen gefunden. In der Mitte der 1990er gab es tonnenweise lokale Fanzines. Thematisch war von Tierbefreiung, Verteidigung bzw. Schutz des Planeten, Gesundheitstipps, Politik bis Trübsal alles vertreten. Ansonsten gibt es an alternativen Medien nur noch mehrere Indymedias in Quezon City. Viele werden von College-Studierenden gemacht, die sich an Massenkommunikation versuchen.

Habt ihr auch größere Punk Fanzines oder Musikmagazine in den Philippinen?
Albert: Ich habe noch keine Zines gesehen, die groß geworden sind, außer im Bereich des Extreme Sport. Dort gibt es ein Heft namens Urge, aber die sind mehr bei BMX und Skateboarding zu Hause.

Led: Das Pulp ist ein berühmtes Musikmagazin, dass du in Büchereien und Zeitungsständen in ganz Metro Manila kaufen kannst. Jede Nummer ist voll mit verschiedenen Anzeigen für Alkohol, Zigaretten, Trendklamotten, lokalen Radiostationen und Schuhen. Jeden Sommer organisieren sie ein großes Konzert namens „Pulp Summerslam“, das dieses Jahr Darkest Hour als Hauptact hat.

Vielen Dank für die Interviews.

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Für weitere Informationen könnt ihr mir gerne ein Email schreiben (mikareckinnen@gmx.de) oder aber im Internet suchen: Mina hat noch einen sehr guten, persönlichen Text zu weiblichen Punks in den Philippinen geschrieben, der hier zu finden ist: www.asienhaus.de/public/archiv/2008-2-074.pdf

Links zu den erwähnten Zines und Bands:
Major Malfunction: www.myspace.com/xmajormalfunctionx
Filter Zine: www.myspace.com/filterzine
The Beauty of Doubt: www.myspace.com/thebeautyofdoubt
Istukas over Disneyland: www.myspace.com/lovefromhate
Politische Situation in den Philippinen: www.asienhaus.de/philippinenbuero

Text/Interview: Micka Reckordt

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