April 5th, 2020

Editorial „Arbeit Macht Freizeit“-Schwerpunktausgabe aus #126, 2007

Posted in artikel by Jan

Arbeit – Macht – Freizeit

„ARBEIT macht Freizeit zunichte“, schreibt der Imker Henry S. in einem einschlägigen Internetforum. Und wer so Tag für Tag mit seiner Imkermütze durch die Bienenstöcke zieht, muss es wohl wissen. „Arbeit macht frei, keine Arbeit macht Freizeit“, scherzt es andernorts im Internet. Allzu weit haben wir uns dann ja wohl doch nicht aus dem Fenster gelehnt. Andererseits finden sich gerade mal acht Suchergebnisse bei Google, wenn man den genauen Wortlaut eingibt. Und eine nähere inhaltliche Beschäftigung mit der Triade findet sich nicht darunter.

Aber Arbeit macht auf jeden Fall eine ganze Menge: Sie macht krank, sie macht kaputt, und manche (meistens dann andere) Menschen macht sie reich. Dafür, dass man sich in der Regel mehrere Jahrzehnte in der Hauptsache damit beschäftigt, genießt sie doch erstaunlich wenig Zuneigung unter der Mehrzahl derer, die sie machen. Umso mehr erfährt sie in der täglichen Propaganda Schützenhilfe, wenn an jeder Ecke skandiert wird, es sei die Wirtschaft zu stärken, um Arbeitsplätze zu schaffen. Dass Letztere derzeit immer schlechter bezahlt sind, wird dabei höchst sekundär behandelt. In letzter Zeit ist dabei zu der Behauptung, in der Arbeit verwirkliche sich der Mensch auf die eine oder andere Weise selbst, die Tendenz zum nackten: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen“, getreten, ganz, als sei es mit der intrinsischen Motivation nicht gar so weit her. Es heißt heute vielmehr: „Sozial ist, was Arbeit schafft“ – und „kein Recht auf Faulheit“.

So oder so jedenfalls gilt: Dass der Mensch was schaffen muss. Zum einen, weil er sonst nichts zu fressen hat, denn ohne Arbeit kein Lohn, Gehalt, Honorar, sprich: kein Geld, und ohne Geld keine Teilhabe am gesellschaftlichen Reichtum. Zum anderen, dass eigentlich jede Arbeit, ungeachtet ihres Lohns, ein Angebot darstellt, dem man einfach nicht widerstehen kann. Unter solchen Verhältnissen ist es geradezu ein Tabubruch, wenn ein Befürworter des in letzter Zeit ins Gerede gekommenen bedingungslosen Grundeinkommens, sagt: „Es ist eine gute Sache, wenn die Leute nicht arbeiten müssen“ (1.)

Und meint damit gar nicht die – ja nach Konjunktur – drei bis fünf Millionen ALG-II-Empfänger, sondern, dass es auch gesellschaftlich sinnvoll sein könnte, die Menschen nicht immer mit dem drohenden Verlust der Existenz zu piesacken, der in der freien westlichen Welt schon seit langem auf der Tagesordnung steht.

Denn – und das kann man wohl leider doch nicht oft genug sagen – Arbeit hat nicht der, der sie braucht, weil er sie braucht – und damit ist sie auch kein Lebensmittel, etwas, dessen man sich bediente, um sich Dinge zu verschaffen. Das ist zwar nach wie vor der Ausgangspunkt (und wenn eine Ware neben ihrem Tauschwert keinen weiteren Gebrauchswert hat, ist sie auch als Ware nicht zu gebrauchen), doch taugt Arbeit im Kapitalismus gar nicht für diesen Zweck: Arbeit hat der, dessen Einsatz nunmal einem Unternehmen einen Beitrag zum Profit leistet. Das tut er nicht mehr, wenn der gleiche Einsatz von einer Maschine geleistet wird. Und deren Leistung ist tendenziell immer vorzuziehen, weil sie nicht schlafen muss, keine Sozialabgaben kostet und überhaupt billiger kommt.

Das lässt zunächst vor allem einen Schluss zu: Im Kapitalismus ist die Arbeit nicht das Mittel der Lohnabhängigen, Angestellten, Freiberufler, Tagelöhner und so weiter – vielmehr haben diese als Mittel für die Reichtumsproduktion geradzustehen resp. sich krummzulegen, sollen also funktional sein für die Arbeit, die den Reichtum schafft. Und daraus wiederum lässt sich schließen: Arbeit findet auch nicht statt, um die Bedürfnisse der Leute zu befriedigen, die da so unterwegs sind.

Weil durch das permanente Streben des Kapitals (das sind alle Unternehmen in ihrer Gesamtheit), seine Kosten zu senken, immer wieder menschliche Arbeit überflüssig wird, werden die gerade noch beschäftigten Arbeiter (und das betrifft – so viel zur feministischen Sprachkritik – auch Frauen) überflüssig für die gesellschaftlich notwendige Arbeit, deren Notwendigkeit sich in der so genannten freien Marktwirtschaft eben an der Rentabilität der Arbeit erweist.

Dass ihnen dennoch nicht der Hungertod blüht, hat mit den von der Sphäre der privaten Reichtumsvermehrung getrennten Zwecken des Staats zu tun. Schon Bismarck hatte bemerkt, dass die Fährnisse eines Arbeiterlebens diesen die Existenz kosten und deswegen für sozialistische Propaganda empfänglich machen konnten, vor allem aber die private Reichtumsvermehrung unterliefen. So führte er neben einem Verbot der sozialistischen Propaganda auch noch eine Renten-, Kranken- und Unfallversicherung ein, die vom schmalen Lohn der Erwerbstätigen eine Zwangsabgabe vorsahen, aus deren Summe dann die Notlagen einzelner bewältigt wurden.

Sehr viel hat sich daran nicht geändert. Noch heute geht von Lohn und Gehalt ein bedeutender Teil in entsprechende Kassen, ohne dass sich jemand der Versicherten dafür entschieden hätte. Damit tragen die Lohnabhängigen als Klasse die Härten, die ihre ökonomische Lage ihnen dauerhaft aufnötigt. Was wiederum belegt, dass der Lohn zum Überleben nicht reicht.

Ähnliches gilt für die Pflichten, die der Staat in diesem Zusammenhang seinen Unternehmern aufnötigt: Mutterschutz schützt die Mutter vor sich selbst und vor dem Unternehmer, der ohne entsprechende Verpflichtung die gute Frau und angehende Mutter schlicht nicht weiter beschäftigen würde, die – gäbe es nicht den Mutterschutz, der für den Staat wiederum von Bedeutung ist, weil er ja Nachwuchs haben will – um der eigenen Existenz willen auch im neunten Monat zur Arbeit ginge – weil sie es müsste. So ist es dann ja auch gekommen im vielbeschworenen Manchester-Kapitalismus, wo Kinder in den Minen verschlissen wurden, wo die massenhafte Unterbringung in Elendsquartieren Seuchen beförderte, wo an anspruchsvolle Arbeit nicht zu denken war, weil es sich Arbeiterfamilien nicht leisten konnten, ihre Kinder zur Schule zu schicken – denn die mussten ja arbeiten.

Diese Verwahrlosung einer ganzen Klasse machte neben ein paar Kapitalisten nicht zuletzt der Politik Sorgen. Ersteren fiel auf, dass das, was sie da rekrutieren konnten, „moralisch verkümmert“ und gelegentlich auf Krawall gebürstet war, letztere war nicht zuletzt mit denen konfrontiert, die schon gar keine Chance mehr auf Lohn hatten und sich mit illegalen Mitteln (alle weiteren legalen waren ihnen genommen) die nötige Penunze besorgten. Ein handfestes Ordnungsproblem.

Manche schieben die Existenz eines Sozialstaats (für den Staat ja letztlich auch immer eine Last) auf die Arbeiterbewegung. Die hat zwar auch durchaus dafür gekämpft, dass Arbeiter gleichberechtigte Bürger sein sollen sowie für das Ziel, dass ein Mensch vom Lohn (in der Praxis wieder mehr schlecht als recht) leben können muss. Aber das ist eben ein durchweg affirmatives Unterfangen, denn ohne das geht ja schließlich auch der Kapitalismus schlecht, zumindest in einem brummenden Gemeinwesen.

Und der Gewaltmonopolist, der nunmal selbst nicht produktiv ist, braucht eine solide Existenzgrundlage, die er eben auch mit den Mitteln des Sozialstaats hegt und pflegt. Per Gesetz hat er seiner Gesellschaft Gleichheit, Freiheit und Privateigentum verordnet. Das Ergebnis der bürgerlichen Revolutionen war Kapitalismus: Gleiches Recht für alle, keine Privilegien mehr, jeder konkurriere mit seinen Mitteln um Wohlstand und respektiere dabei das Eigentum der anderen – dummerweise bedeutet das für die, die ohne Mittel auf die Welt kommen (bekanntlich die meisten), dass sie sich verdingen müssen, um anderer Leute Wohlstand zu mehren.

Dazu werden sie (Freiheit!) nicht gezwungen. Sie gehören niemandem (anders als in der Feudalgesellschaft) und können nach eigenem Gutdünken mit ihren Mitteln (Eigentum) verfahren – dummerweise bleibt ihnen kaum anderes, als ihre Arbeitskraft und -zeit zu Markt zu tragen, weil sie nicht über die Mittel verfügen, ihre Bedürfnisse zu befriedigen. Freien Willens dienen sie ihre Arbeitskraft also dem Unternehmertum an, das immer Arbeit braucht, und zwar wenn’s geht umsonst.

Weil der einzelne Arbeiter extrem erpressbar ist, ist seine Verhandlungsposition denkbar schwach.
Im Grunde sogar so so schwach, dass ein Überleben mit dem Lohn nicht geht und damit letzten Endes die personelle und ökonomische Grundlage der Gesellschaft zerstört wird, weshalb auch Gewerkschaften erlaubt sind, die sich dem sozialen Frieden verpflichtet haben, damit per Tarifverhandlung wenigstens ein Minimum an Lohn erkämpft werden kann. Ein ziemlich selbstzerstörerisches System also, dieser Kapitalismus, weshalb der Staat, um ihn dauerhaft existenzfähig zu machen, wie geschildert permanent kompensierend eingreifen muss. Der Sozialstaat (in seinen unterschiedlichen real existierenden Verlaufsformen) ist da eines der Mittel der Wahl, und ein oft als Wohltat missverstandenes.

Da hätten wir ja auch schon die Hauptverdächtigen zusammen:
Arbeit, zunächst anscheinend ganz unschuldig, notwendig, um sich die vorgefundene Natur dienstbar zu machen – für Wohnung, Kleidung, Nahrung.

Macht einschließlich deren Inhaber, hier eine Institution, die wir hier mal Staat nennen wollen, die das Bürgertum sich erkämpft hat, um die ihm gemäße Wirtschaftsweise durchzusetzen, den Kapitalismus – eine Institution, die auch über dem einzelnen Unternehmer steht und als ideeller Gesamtkapitalist auftritt. Also dafür sorgt, dass die Wirtschaft auf dem nationalen Territorium (und natürlich bei Gelegenheit weit darüber hinaus) ordentlich wächst und damit für die Konkurrenz der Staatenwelt ausgestattet ist, ein Bedarf, der sich nie erschöpft hat, nicht zuletzt, weil die Konkurrenz nicht schläft.

Freizeit dann als das, was von einem übrigbleibt nach der Arbeit. In der Regel eine bescheidene Angelegenheit, die sich gleichwohl unterschiedlich füllen ließe. Es gab beispielsweise mal die schon erwähnte Arbeiterbewegung, die sich als vaterlandslos verstand, die sich nicht nur politisch organisierte, in Gewerkschaften und Parteien, sondern auch ein reges kulturelles Leben mitsamt politischer Weiterbildung pflegte. Und das ein oder andere Mal sich nicht einfach nur in der friedlichen Verlautbarung als wahrgenommenem Bürgerrecht oder einem geregelten Streik mit dem Ziel eines neuen Tarifvertrags gefiel, sondern per Streik („wild“, politisch, generell) einiges erzwang.

Die Bewegung wusste: Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will. Und es ließe sich ja auch durchaus im Deutschland von heute relativ leicht vorstellen, wie die brummende Wirtschaft lahmgelegt werden könnte. Die Transportarbeiter müssten sich nur zusammentun, dann wäre Ruhe im Karton. Doch kommen die gar nicht auf solche Gedanken, sondern geben sich ganz demokratisch damit zufrieden, bescheiden Unzufriedenheit zu formulieren und/oder den sozialen Frieden zu befördern. Sich Arbeiter zu nennen, fällt nur wenigen ein, Prolet ist ein Schimpfwort, die Klassen wurden aus dem Sprachgebrauch getilgt. „Working class pride“ gibt es höchstens noch bei ganz wenigen Nostalgikern, aber stolz darauf zu sein, ausgebeutet zu werden, ist nun auch nicht gerade besonders kritisch oder gar ein Weg aus der Misere.

Und die besteht ja keineswegs nur für das, was klassischerweise „Arbeiter“ genannt wurde: Die Armut, die den kennzeichnet, der nicht über die Mittel für die Befriedigung seiner Bedürfnisse verfügt, trifft auch Angestellte und kleine Selbstständige. Und bekanntlich ist auch bei denen in Sachen Klassenbewusstsein wenig zu holen. Die verwirklichen sich lieber selbst – und nehmen dabei in Kauf, dass bei ein bisschen Selbstausbeutung wenigstens für eine Weile noch ein bisschen Spaß beim Erwerb herumkommt – bei den etwas unangenehmeren Exemplaren kommt noch das Gefühl dazu, es im Leben irgendwie besser zu machen als andere (und da dann vor allem wieder: besser als die Proleten).

Schön, wenn sich jemand das Hobby zum Beruf gemacht hat – schön für ihn oder sie zumindest. Es sich allerdings als besonderes Verdienst anzuheften, geht konsequent an der Realität vorbei. Diesen relativen Luxus können sich vorwiegend Leute leisten, deren Eltern reich sind oder zumindest das Gröbste abmildern, wenn es mit dem Hobby dann doch nicht so recht geklappt hat. Das sind – der PISA-Studie verdanken wir auch diese nette Erkenntnis – zumindest hierzulande eben auch die, die Zugang zu höherer Bildung haben und dann eines Tages tendenziell auch wieder die ökonomische und (gesagt cum grano salis) intellektuelle Elite der Gesellschaft stellen.

Und kraft ihres Durchblicks haben sie ihre Zukunft auch schon gar nicht mehr anders im Kopf: „So wünschen sich Arbeitgeber ihre Berufseinsteiger: Die meisten jungen Akademiker rechnen gar nicht erst damit, pünktlich nach Hause zu gehen und am Wochenende frei zu haben“, meldete Spiegel Online schon vor ein paar Jahren einmal unter der Überschrift „Was Studenten vom Job erwarten: Sonntagsarbeit und über 40 Stunden pro Woche“ – dass sich dieser Trend trotz Wirtschaftswachstum nicht umgedreht hat, dürfte bekannt sein.

So wird dann der Job gewissermaßen erst recht zum Hobby – nämlich zu dem, was man in seiner Freizeit tut. Aber das bräuchte es gar nicht, um den Feierabend zur direkten Verlängerung des Arbeitstages zu machen. Von den rund acht Stunden, die nach einem regulären Arbeitstag (zugegeben, eher eine theoretische Größe) und vor dem Schlaf übrig sind, bleibt nach den Notwendigkeiten (dem Weg von und zur Arbeit, Einkaufen, Saubermachen, Essen, Bürokratie etc.) auch nicht substanziell Anderes übrig, als sich zu erholen. Die berühmten Erscheinungen trotzigen Aufbäumens kennt jeder, mal Blaumachen oder sich trotzdem den Schnaps nicht verbieten zu lassen, akute Anwandlungen von Unvernunft, die auf Dauer die stabilste Konstitution nicht verkraftet. Junggesellen sterben statistisch gesehen früher, aber auch Familienväter, -mütter und Mitglieder solider Pärchen werden gelegentlich Alkoholiker, wie man hört.

Wer seine freie Zeit mit „sinnvolleren“ Dingen füllt, bekommt auch schnell mit, dass die Leidenschaft zum Hobby wird (das ergibt sich schon aus der Zeit, die man dafür noch aufwenden kann) – die Karrieren unbezahlter, idealistischer Konzertveranstalter, Musiker, Fanzinemacher oder was auch immer enden in der Regel entsprechend ganz oder mit abnehmendem Enthusiasmus

Wer sich schließlich dann endlich doch mal in die soziale Hängematte legen will, stellt fest, dass auch die kein ruhiges Plätzchen mehr ist, wie sie das vielleicht vor zwanzig Jahren gewesen sein mag. Nicht nur, dass einem hier eine Existenz an deren Rand geboten wird (da muss sogar ein oberstes Gericht feststellen, dass man von dem Hartz-IV-Regelsatz dann doch leben kann – offensichtlich gab es ausreichend Grund, das anzuzweifeln). Wer nicht nachweisen kann, einfach zum Arbeiten nicht in der Lage zu sein, wird mittlerweile unter Androhung der Streichung der Mittel zum Überleben zu Qualifikation und/oder Arbeit genötigt, für ein kleines Zubrot und mit kläglicher Perspektive.

Mittlerweile verschlägt es zunehmend auch die akademische Auslese in derartige Regionen, auch hier findet sich nicht für jeden ein trockenes Plätzchen, nicht einmal ein gesonderter Flur auf dem Arbeitsamt will mehr sein für sie. Im Grunde also eine ganz rundum unangenehme Situation. Was tun?

Es gibt da mehrere Möglichkeiten. Die eine wäre, erstmal einfach zu tun, was gerade sein muss, und sich in der freien Zeit um eine Lösung des Problems bemühen. Die andere ist, danach zu streben, innerhalb dieser lebensfeindlichen Verhältnisse auf der moralisch sicheren Seite zu sein. Sich nicht korrumpieren lassen. Sein Ding durchziehen. Sprich: Die Umstände ignorieren, bzw. sich ausdrücklich positiv (und fälschlich) drauf beziehen, indem man es dem Individuum anheimstellt, sich der gesellschaftlichen Gegebenheiten als Mittel (was sie nicht sind) zu bedienen – vorausgesetzt, man stellt es eben einfach richtig an. Und was nicht glückt, wird mit Liebe kompensiert, dem kleinen Glück (zumeist) zu zwein, dass dann umso mehr erdulden muss, je unbefriedigender der Alltag ist. Ein affirmativeres Programm müsste sich erstmal einer ausdenken.

In diesem Heft wird es wahrscheinlich einige Standpunkte letzterer Art geben. Für jene spricht relativ wenig, außer dass man sich natürlich nach Möglichkeit einen Job aussucht, der einem Spaß macht UND einem ein halbwegs angenehmes Leben ermöglicht. Dass man außerdem in seiner freien Zeit Dinge tut, die einem Spaß machen, ist erstmal nicht weiter diskutabel. Dass man damit irgendetwas anderes tut, als eben sich einzurichten in den Verhältnissen (in denen man sich eventuell eine Nische schafft), lässt sich leider nicht behaupten.

Kurz gesagt: Kapitalismus ist nicht nur in der globalisierten Variante (die wiederum älter ist als die Debatte darüber suggerieren möchte) oder als seine eigene Frühform (Manchester oder auch „rheinisch“) eine recht schädliche Angelegenheit für die meisten Menschen (von den bekannten Implikationen für Nahrungsmittel, Umwelt und sonstwas haben wir noch gar nicht gesprochen), die keineswegs nur jene trifft, die in den klassischen Proletarierberufen beschäftigt (oder eben nicht) sind.

Nach diesem zugegebenermaßen sehr groben Überblick (es soll wohl mehrere Bücher zum Thema geben, von denen zumindest einige, im Sinne von Erkenntnis lohnende, unten aufgeführt sind) sei noch etwas über die Konnotationen des Konzepts „Arbeit – Macht – Freizeit“ gesagt, die intern für Diskussionsbedarf sorgten und vielleicht auch dem ein oder der anderen da draußen aufstoßen. Es ging dabei weniger darum, inwiefern im Faschismus das Volk mit radikalerer Konsequenz für das Wohl der Nation einzustehen hat (denn auch in jener Gesellschaft kam der gesellschaftliche Reichtum durch Arbeit zustande), sondern eher um eine moralische Frage: Ob man einen Slogan benutzen dürfe, der so offen mit einer Assoziation spielt, die zynisch ihre Opfer verhöhnte: „Arbeit macht frei“ – zu lesen über den Eingängen mehrerer Konzentrationslager.

Zum einen ist der Spruch in seiner Verwendung im Faschismus gewiss höchst zynisch. Die echte Brutalität des Programms der „Vernichtung durch Arbeit“ ging aber auch unter anderen Parolen „Jedem das Seine“ oder ohne die. Unser spontaner Einfall einer Abwandlung spielt – vielleicht etwas frivol – mit dem Tabu, um zu einer Beschäftigung mit einem Thema anzuregen, dass sich in „Arbeit – Macht – Freizeit“ ja auch durchaus zu erkennen gibt.

Wir wollen also keine Unterschiede leugnen, noch irgendetwas verharmlosen. Gewonnen ist außerdem der Sache nach nichts, wenn man sich den Gebrauch bestimmter Wörter und Ausdrücke verkneift, deren Verstummen den kritikablen Umstand ja keineswegs aus der Welt schafft – so wenig, wie es an tätigem Rassismus nichts ändert, wenn man zum Beispiel Leute aus Afrika einst Mohren, dann Neger, später Schwarze oder Farbige und noch später Afrodeutsche oder -amerikaner nannte.

Stone

Literatur zum Thema:

„Arbeit und Reichtum“ – 61 Seiten, € 5.–, Gegenstandpunkt-Verlag
Peter Decker / Konrad Hecker – „Das Proletariat – Politisch emanzipiert – Sozial diszipliniert – Global ausgenutzt
– Nationalistisch verdorben – Die große Karriere der lohnarbeitenden Klasse kommt an ihr gerechtes Ende“, München 2002, 288 Seiten, € 20.–, Gegenstandpunkt-Verlag

(1.) Da auch in der Trust-Belegschaft Sympathien für dieses Modell geäußert wurden, sei noch folgendes dazu gesagt: Es gibt ja gewissermaßen sowas wie eine Grundsicherung in Deutschland (die einem allerdings gestrichen werden kann, wenn man Arbeitsangebote ablehnt). In der öffentlichen Diskussion wurden dabei Summen genannt, die zwischen in etwa dem derzeitigen Sozialhilfesatz und immerhin halbwegs attraktiven 1500 Euro im Monat lagen. Solch ein Modell wäre nun darauf angewiesen, dass die regierenden Hüter das Gemeinwohls sich dessen annähmen. Insofern ist kaum anzunehmen, dass eine Grundsicherung durchsetzbar ist, die ein wirklich angenehmes Leben ermöglichte. Damit die Wirtschaft brummt, müssen schließlich die Unternehmen in ihrer Gesamtheit profitabel wirtschaften, die Unternehmen wollen billige Arbeit, weil sie die für ihre Mehwertschöpfung nach wie vor brauchen (die vielen Arbeitslosen helfen eher, weil die in Arbeit stehenden dadurch erpressbarer werden). Und sobald eine Grundsicherung attraktiver als die Arbeit ist, könnte das fü die Unternehmen ein echtes Problem sein – oder andersherum: Je mehr Kaufkraft in der Gesellschaft, desto höher die Preise (siehe Inflation), was das angestrebte Ziel eines bedingungslosen Grundeinkommens, das wirklich ein einigermaßen angenehmes Leben ermöglicht, wieder unterlaufen würde.

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