November 17th, 2016

Perry Rhodan (#61, 12-1996)

Posted in artikel by Jan

Herrscher des Universums

Mehr als eine Milliarde Leser können nicht irren! So hoch ist nämlich inzwischen die Ge-samtauflage der größten SF-Romanserie der Welt (Erde, im Solsystem, klar?). Und zwar seit nunmehr 35 Jahren, genauer gesagt seit dem 8. September 1961. Und nur die deutschsprachigen Ausgaben gerechnet! Uff! Eigentlich widerspricht die Entwicklung des Perry Rhodan-Kults sämtlichen Regeln der freien Marktwirtschaft – ob da wohl Außerirdische dahinterstecken? Wenn sowas schon aus dem biederen Germany kommt und nicht aus einem der selbsternann-ten Silikonzentren dieses Planeten?

Nach über 1800 Fortsetzungen (ursprünglich waren nur 30 geplant!) und an die 420 Taschenbuchauskopplungen, über 50 Hardcover-Sammelbänden, eigenen Lexika, die der Neueinsteiger braucht, weil er sonst nur (Weltraum-) Bahnhof versteht, Rißzeichnungssammlungen von Sternenkreuzern, Kampfrobotern und anderen galaktischen Notwendigkeiten geht der Moewig-Verlag jetzt völlig in die Offensive. Nicht genug damit, daß die futuristische Spielzeugwelt, Traum jedes realitätsflüchtigen Maschinenbaustudenten, in Wort und Schrift verbreitet wird: Hier kommt der Angriff auf die Mediengalaxis. Auf der PopKomm, inzwischen auch größte Musikmesse der Welt (Erde etcetc), präsentierte man stolz eine Reihe von Neuerungen.

Angefangen mit Vurguzz, dem schon aus den galaktischen Pulp-Märchen bekannten Donnergurgler-Getränk, eine tödliche Mischung aus Alkohol und Kiwisaft – weiter mit TechnoCD´s aus den Klangschmieden von Cristopher Franke (Tangerine Dream) der eine ganze Welt-raumoper mit Namen „Pax Terra“ zum Thema verfaßt, eine Perry Rhodan-Tribute-Single vom Universal Star Project, und eine „Ad Astra“-Compilation mit Yello, Sven Väth, Bionaut, die Fanta 4´s u.a. – weiter mit der ganzen bunten Mischung aus Trading-Cards, Bastel-Modell-Raumschiffen, 0190-Hotline und extra Fanbuch bis hin zu zwei multimedialen CD-Rom-Computergames (Unternehmen Eastside & Die Brücke in die Unendlichkeit), die – wie könnte es anders sein – den begeisterten Fan in die Rolle seines Helden schlüpfen und seine un-glaublichen Abenteuer am eigenen Leib bzw Monitor erfahren lassen.

Eine Bedrohung für die Star-Trek und Babylon-5-Fangalaxien? Vielleicht. Eine Bedrohung für Realitätsbezug und Kritikfä-higkeit der Leser/Konsumenten? Keineswegs. Zum einen, weil es seitens des Verlags eine geradezu beispiellose Fanbetreuung gibt, wo über 100 Fanbriefe pro Woche beantwortet und z.T. veröffentlicht werden, zum andern, weil alle Vorgänge im und um den Handlungsverlauf der Serie herum in den dutzenden Fanclubs diskutiert und kritisiert werden. Das betrifft sowohl mögliche logische Ungereimtheiten oder technisch-wissenschaftliche Ungenauigkeiten, als auch menschliche und politische Vorgänge innerhalb des virtuellen PR-Universums. Be-trachtet man den grundsätzlichen Aufbau der Geschichte, also: deutschstämmiger US-Weltraumpilot findet auf Mondrückseite gestrandetes Alien-Raumschiff und verbringt die nächsten 4000 Jahre unter ständiger Zellerneuerung mit unaufhörlichem Retten der Menschheit und anderer intelligenter Fauna – so keimt doch im gebildeten, progressiv denkenden Bürger der schlimme Verdacht auf, daß hier schleichende faschistoide Propaganda, Heldenverherrlichung, Technikgläubigkeit, (galaktischer) Fremdenhaß, und andere schlimme Dinge produziert werden (könnten). Und, von bunten Bildern garniert, direkt ins Gehirn des ahnungs- und hilflosen Lesers injiziert werden.

Ein Blick auf die geschichtliche Entwicklung des Perry-Rhodan-Universums und das Querlesen einiger Romanhefte ergibt aber ein ganz anderes Bild: Hier wird, seitens der Autoren und der Redaktion, tatsächlich sehr sorgfältig auf diese ständig lauernden Gefahren der Trivialliteratur geachtet. Überheld Rhodan bekommt wirklich nur die Dreckarbeit zu tun, politisch dagegen darf er die Klappe halten, und mag er noch so edel erscheinen. Auch im Jahre 4000 a.D. wird die Welt relativ demokratisch gesteuert (mit relativ meine ich: so wie zur Zeit auch). Darüber hinaus tauchen immer wieder Parallelen zur irdischen und auch speziell deutschen Historie auf, mit deutlichen Hinwei-sen und Ausblicken auf die ekelhaft-schwarz-braune Seite totalitärer Machtapparate.

Insofern sind sich die Mitarbeiter am Perry-Rhodan-Epos ihrer Verantwortung gegenüber den Tagträumen ihrer Konsumenten sehr wohl bewußt und lassen eine sehr fortschrittliche Haltung erkennen, die dem Betrachter bei vergleichbaren Produkten aus den angeblich so zukunftsgläubigen USA mitunter fehlt. Das heißt, der letzte noch verbliebene Kritikpunkt wäre die Trivialität selbst: Schundromane, in schlechtem Deutsch verfaßt, inhaltsarm und wirklichkeits-fremd. Aber das, da sind wir uns alle einig, ist für niemanden ein Grund zum Naserümpfen, weder im Fandom noch in der „wirklichen“ Welt, im Gegenteil: Kopfüber hinein ins Universum der unbegrenzten Möglichkeiten! Perry Rhodan muß Bundestrainer werden!

Text: Fritz Effenberger

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