Oktober 3rd, 2019

PARTYLINE aus #115, 2005

Posted in interview by Jan

PARTYLINE

Im Gegensatz zu anderen Bands aus Washington DC, die meist den „wir sind auf Dischord“ – Bonus haben, eilt Partyline eine andere Reputation voraus. Sie wurden nämlich von niemand geringerem als Ex-Bratmobile Frontfrau Allison Wolfe, die immer noch quietschfidel und quicklebendig ist, gegründet. Während die Musik mich in das Olympia, Washington der frühen Neunziger zurückführt (hiermit möchte ich eine Empfehlung an all die aussprechen, die Bikini Kill damals verpasst haben), ist der Stil, den Allison seit jeher propagiert, noch weiter in der Vergangenheit beheimatet.

So sehen die drei Frauen aus als wären sie direkt einem 80er Jahre US-Kitschfilm entsprungen, mit ihren Cheerleaderoutfits, riesigen Brillen und unmöglichen Frisuren. An Enthusiasmus und Fröhlichkeit ist Allison kaum zu übertreffen und auch wenn das echt anstrengend werden kann bleibt sie dennoch eine der „most approachable“ Ikonen der neueren Punk-Geschichte, gerade im Hinblick auf einige ihrer anderen Riot Grrl Kolleginnen. Auf dem Bielefelder Ladyfest waren sie Headliner eines sonst sehr elektronisch angehauchten Line-Ups, und waren vom ersten Moment an sehr präsent. Allison hüpfte herum und war mehr Animateurin als Sängerin und Angela überzeugte allein mit ihrer geeky Sonnenbrille und breitem Grinsen. Solche Bands werden (wieder) gebraucht!

Vielleicht stellt ihr euch erstmal vor, als Einzelpersonen und auch als Band und erzählt, was euch zusammengeführt hat.
Angela: Ich kann mich daran gar nicht erinnern. Ich kann mir ja kaum unsere eigenen Namen merken. Zum Glück stehen die auf unseren T-Shirts. Allison singt, Christel spielt Schlagzeug und ich spiel Gitarre und verursache Hintergrundgeschrei.

Ihr habt das allererste Ladyfest mitorganisiert. Hat seitdem eine kontinuierliche Entwicklung diese Events stattgefunden und wie würdet ihr die Unterschiede einzelner Ladyfeste charakterisieren?
Allison: Ich habe das erste Ladyfest, das im Sommer 2000 in Olympia. Washington stattgefunden hat, mitorganisiert. Ich hatte damals nur eine grob Idee, wo und wann es stattfinden sollte und das eben Frauen im Mittelpunkt stehen sollten. Ich wollte, dass es zugleich kulturell und künstlerisch interessant und wertvoll sei und darüber hinaus noch ein politischer Unterton herrscht Es sollte Spaß machen, aber die Leute sollten trotzdem ihr Gehirn benutzen und kreativ sein.

Es war harte Arbeit und ich hätte nicht gedacht, dass andere Städte die Idee aufgreifen würden. Das ist natürlich super. Ich kann nicht erkennen, ob es sich in eine bestimmte Richtung entwickelt und deswegen würde ich da keine Linie des Fortschritts ansetzen, aber jedes einzelne Ladyfest auf dem ich war stand ungefähr für die gleichen Ideale obwohl jedes auch seinen eigenen Charakter hat. Es ist wichtig, dass die Leute aktiv in Workshops mitwirken können und nicht nur Performances von anderen sehen.

Man kann nicht sagen, dass die Festivals immer größer und besser werden, womit ich nicht sagen will, dass sie kleiner oder schlechter werden. Es ist schon unglaublich, dass sich die Idee so weit verbreitet hat und den Leuten trotzdem keine Regeln auferlegt, wie sie ihre Ladyfeste zu gestalten haben. Trotzdem kann man natürlich von erfahrenen Ladyfest-Veranstaltern Rat erfragen und so wächst das ganze schon irgendwie.

Gibt es da große Unterschiede zwischen den Ladyfesten in Europa und denen in den USA?
Allison: Ich war bis jetzt erst bei 3 europäischen Ladyfesten: diesem hier, einem in Bristol und einem in Glasgow, also kann ich das nicht gut beurteilen. Es gibt viele Gemeinsamkeiten. Zwischen dem Jahr 2000 und heute haben wir eine schlimme Wirtschaftskrise durchlebt und so wurde die Finanzierung immer schwieriger. Gerade in den Staaten ist es unmöglich finanzielle Unterstützung vom Staat für solche künstlerische, kulturelle Aktionen zu bekommen. Wir waren vor kurzem in Denver, Colorado bei einem Ladyfest, das sehr klein und heruntergeschraubt war, weil sie einfach kaum Geld hatten. Es war trotzdem schön, aber doch sehr abgespeckt.

Spiegelt sich das dann auch im Publikum wieder? Viele US-Amerikaner haben kaum Zeit um sich politisch zu engagieren, da sie so viel arbeiten müssen.
Angela: Da stimme ich Dir zu, gerade weil die meisten Ladyfeste in größeren Städten stattfinden, in denen die Leute zwar auch auf bessere Ressourcen zurückgreifen können, gleichzeitig aber immer unter Zeit- und Geldmangel leiden. Die Kunstszene sollte viel mehr unterstützt werden, man kommt zwar an Geld heran, aber da ist so viel Bürokratie involviert…puh…dafür muss man sich dann echt gut auskennen. Ich glaube, dass das hier sehr viel einfacher ist. Manchmal sind kleine Ladyfeste aber auch schöner, wenn man seine Energien auf ein oder zwei Abende konzentriert, man muss seine Quellen einfach besser ausschöpfen und genauer planen und ist vielleicht auch mehr darauf bedacht ein wirkliches gutes Programm zu bieten.

Eure Bühnenshow ist ja sehr albern. Viele Leute sind ja auch sehr verbittert auf Grund der politischen Umstände, gerade in den USA, versucht ihr diesen Leuten auch zu zeigen, dass man dennoch Spaß haben kann?
Angela: Lachen hält dich vom weinen ab. Humor und Satire sind starke politische Waffen. Die Konservativen haben vielleicht mehr Macht, aber wir haben Humor.

Allison: Es ist so wie Emma Goldmann sagte: Wenn ich nicht dazu tanzen kann, ist es nicht meine Revolution. Obwohl ich eigentlich glaube, dass sie eine sehr ernste Person war…na ja…immerhin machte ihr Tanzen scheinbar Spaß. Es ist total wichtig politisch und kreativ zu sein, aber wenn es keinen Spaß macht, werden die Leute nicht lange dabei bleiben. Man sollte Verantwortung zeigen aber trotzdem Freude am Leben haben. Was in den USA passiert ist so unglaublich, dass man fast denken muss, es sei ein schlechter Scherz. Wenn man die Zeitung aufschlägt oder Radio hört fragt man sich, ob das überhaupt noch die Realität sein kann.

Angela: „Die Achse des Bösen“, das klingt doch wie aus einem Comic, man kann sich eigentlich fast nur noch darüber lustig machen.

Allison: Das reicht natürlich nicht aus, wenn man bedenkt dass wir die ganze Welt kaputt machen. Unsere Stimmen zählen nicht, wir können schreien und protestieren bis unsere Gesichter blau anschwellen. Das ist harte Arbeit und wenn man das machen will, sollte es wenigstens etwas Spaß bringen. Nichts zu tun ist ja keine Alternative. Man muss seine Wege finden, ob man Grafitti macht, malt oder in einer Band ist, so wie wir, und „Fuck Bush“ auf den Hosenböden stehen hat. Das ist vielleicht nicht das intelligenteste Statement, aber sieh Dir unseren Präsidenten an, er kann auch keine vollständigen Sätze bilden.

Angela: Das wichtigste ist, dass man auf dem neusten Informationsstand bleibt aber sich gleichzeitig nicht davon lähmen lässt, dass man nie alles wissen kann. Bildung ist relativ, es gibt Leute die akademische Abschlüsse gemacht haben und Dinge nicht wissen, die kleine Kinder wissen: Man soll nicht stehlen, lügen oder töten, oder auch alle Ressourcen der Welt aufbrauchen während Leute in anderen Ländern und auch in den USA selber, z.B. in New Orleans, verhungern. Man braucht keinen Doktortitel um das zu verstehen.

Man sollte sich selber motivieren können aktiv zu bleiben, in dem Territorium, in dem man sich wohl fühlt, ob das nun die Wissenschaft ist, oder kultureller Aktivismus.

Nehmt ihr damit auch ein bisschen die verklemmte Szenepolizei auf den Arm? Viele Leute werden auf euch aufmerksam, da Allison in der Band ist, und da macht ihr einen Sticker auf die CD, der sogar einen Pfeil zeigt, der auf ihr Gesicht hindeutet.
Angela: Ja na klar. In DC hat sich das aber auch geändert, Die Leute sind nicht mehr so sehr auf ihr PC-Image bedacht. Es gibt diese neue Band „Mess up the Mess“, die haben einen Song namens „Drop the F-Bomb“, da geht es um Feminismus, und obwohl sie unglaublich politisch sind, sind sie auch super witzig. Ich glaube das ganze Dischord-Umfeld gilt als sehr ernst, aber wenn man die Leute dahinter persönlich kennt, erscheint das gar nicht mehr so. Die Legende, dass viele dort einen Stock im Arsch haben, lebt weiter, aber eigentlich sind sie alle verdammt lustig drauf.

Radical Cheerleading ist ja auch eine Art z.B. dem schwarzen Block ein bisschen seine Ernsthaftigkeit zu nehmen und Demos etwas aufzulockern. Eure Performance basiert ja irgendwie auch auf Cheerleading, was steckt dahinter?
Angela: Das war überhaupt nicht unsere Intention. Wir haben auch andere Outfits, die wir in den Staaten bei Shows tragen, aber für den Sommer haben wir eben dieses Cheerleader-Ding.
Allison: Ich wäre nie darauf gekommen, dass es die Leute daran erinnert, aber jeder spricht uns darauf an und irgendwie haben sie ja auch recht. Die Art wie ich auf der Bühne herumhüpfe hat auch etwas von einer Sportinstrukteurin. Ich glaube, das ist die körperlichste Aktivität die ich je gemacht habe.
Angela: Es ist bequem und man kann es gut im Waschbecken waschen, deswegen ist das Outfit perfekt für eine Tour.

Es ist aber eben auch eins der großen Klischees, dass immer wieder in US-Amerikanischen Filmen auftaucht: Die Football-Prolls, etc.
Allison: Das existiert auch tatsächlich so. Ich war nie Cheerleader aber ich habe Gymnastik gemacht, deswegen machen mir Spagate und so etwas Spaß, und die Endposen.

Angela: Ja. Selbst wenn man alles verpatzt hat, kann man es durch eine gute Endpose wieder wettmachen. Man muss professionell agieren. Man braucht nur eben kein Football-Team dazu. Aber jetzt mal ernsthaft: Ich finde schon, dass man damit die Besessenheit professionell zu sein, die einige Bands an den Tag legen gut auf die Schippe nehmen kann. Deren Rechtsanwälte, PR-Agenten und Manager in den Indie-Kreisen, wie lächerlich, ich mag’s lieber etwas verplant. Man sollte spontan auf der Bühne agieren und sich auch zum Affen machen können und all die Dinge auf der Bühne tun, die man als Band auf jeden Fall unterlassen sollte

Du meinst, sich alle paar Minuten selber als dämlich zu bezeichnen?
Angela: Ja genau! Selbst wenn ich versuche cool auszusehen stolpere ich meist über Kabel also habe ich das aufgegeben. Musik machen sollte kein Job sein.

Der Markt ist auch total übersättigt.
Allison: Ja klar, und dennoch versuchen alle groß herauszukommen, ich möchte nicht mit so einer Einstellung an meine Band herangehen. Ich mache was mir Spaß macht und frage nicht groß nach dem Zweck. Was geht mit den Leuten, die ständig versuchen ihren Sound so zu optimieren, dass sie gesignt werden?

Auch für den Konsumenten ist es ja unmöglich da mitzukommen, man kann sich ja zwischen 5 Konzerten pro Abend entscheiden, von den Platten will ich gar nicht erst sprechen.
Angela: Ja, aber es werden immer mehr Leute Musik machen. Im Moment ist es teuer auf Tour zu gehen, wegen der Spritpreise. Die Leute werden aber gerade an ihren Computern immer mehr Musik machen.

Christel: Die Bands, die’s wirklich drauf haben überdauern auch meist solche Schübe. Die Leute denen es nie ernst war und die nur auf Erfolg aus waren, werden irgendwann merken, dass es nichts für sie zu holen gibt und die guten Bands werden immer noch da sein.

Allison: Na ja, im Radio läuft dennoch immer dasselbe, man kann sich das kaum reinziehen. Du hat also Recht, Alva, es gibt zu viele Bands.

Die sollten sich mal auflösen!
Allison: Ja, diese Botschaft sollten wir mal verbreiten, das werden wir ab jetzt einigen Bands nahe legen.
Angela: Wir werden im Internet Gerüchte streuen, die zu einigen Auflösungen führen sollten.
Wahrscheinlich wird es nur noch mehr Bands geben, die sich im Internet über Webcams zu proben treffen. Es gibt dann so viel Auswahl an potenziellen Bandmitgliedern.

Angela: Das klingt aber schon wieder irgendwie cool. Ich habe mal eine Band aus New York gesehen. Ein Mitglied lebte in Neuseeland und wurde live über Internet dazugeschaltet. Peaches hat mal über Bildschirm mit Iggy Pop gespielt. Das ist schon faszinierend und inspirierend. Das ganze Netzwerken wird natürlich viel leichter. Ich habe gar keine Ahnung mehr wie man heutzutage Touren bucht, seine Platten vertreibt, etc. das scheint alles übers Internet zu laufen.

Christel: Es ist kein Problem, wenn es zu viele Bands gibt. Unsere Regierung unterdrückt die Künste total, die Schulen bieten kaum mehr Musik und Kunst an, und wenn Leute trotzdem Zeit in Musik machen investieren, finde ich das wundervoll.

Allison: Stimmt, ist schon ziemlich asozial von mir und Alva, dass wir wollen, dass sich einige Bands zur Ruhe setzen. Jede Art von Kreativität ist wichtig.

Christel: Als ich aufgewachsen bin gab mir Musik sehr viel Selbstvertrauen. Ich war nie beliebt und fand Freunde dort, in der Musikerszene. Es ist mehr als ein Hobby, beim Briefmarkensammeln entsteht glaube ich nicht dieses Gefühl von Selbstverwirklichung, was erreichen, mit anderen zusammen, etc.

Was denkt ihr generell über Clubs in die nur Frauen dürfen?
Allison: Ich bin total dafür. Die Welt ist kein frauenfreundlicher Platz und deswegen müssen wir uns eben Räume schaffen. Wenn man sich irgendwo treffen kann um der täglichen Unterdrückung zu entgehen ist das sehr unterstützenswert. Man kann da diskutieren und seine Stärken herausfinden. Danach kann man ja in die Welt hinausgehen und bestärkt seine Meinung vertreten, oder auch nicht. Ich kann auch verstehen wenn man eben in seinen Kreisen verkehren will und sich dem Rest der Welt nicht mehr aussetzen will. Es ist allerdings unmöglich sich da ganz auszuklinken.

Angela: Wenn so etwas nicht nötig wäre, würde es das gar nicht geben, und solange es nötig ist, sollte es das auch geben.

Wie wär’s mit ’nem Club wo nur Leute mit Brillen rein dürfen?
Angela: Wow, das wäre klasse! Es gibt da so viele Dinge zu diskutieren: Wir können nicht schwimmen gehen.

Vielleicht würden Leute anfangen Brillen zu tragen, nur damit sie Teil der Bewegung sein können.
Allison: Ja, wir wollen alle Nerds sein. Nur Leute mit 4 Augen sind uns willkommen. Es herrscht so eine tägliche Brillen-Unterdrückung. Es gibt so viele Einschränkungen, z.B. beim Sport

Ja und Brillen zerbrechen immer im Moshpit.
Angela: Ja, da gibt’s echt viel zu reden. Wir könnten stundelang darüber reden – Oh Gott.

Interview: Alva Dittrich

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