März 16th, 2007

NEW YORK SKA-JAZZ ENSEMBLE (#77, 08-1999)

Posted in interview by sebastian

Ska ist langweilig, öde, dauernd nur 2 Töne und sowieso immer dasselbe. Hm. Kann vorkommen, muss aber nicht. Und schon gar nicht, wenn wir vom New York Ska-Jazz Ensemble sprechen. Der Name lässt ja schon aufhorchen. Keine Band, nein, ein Ensemble, das hat schon was, oder?

Egal, jedenfalls war es 1997, glaube ich. Es war bei irgendeinem Ska-Festival im Erlanger E-Werk. Ich fand die Kapelle, die gerade die Bühne in Beschlag genommen hatte, nicht besonders aufregend.

Also ging ich zum Merchandise-Stand und schaute ein bisschen die Sachen durch. Irgendwie blieb mein umherschweifender Blick dann bei einer Scheibe hängen, auf der eben New York Ska-Jazz Ensemble stand. Der Name klang interessant und das Cover sah auch cool aus, also gleich mal den Menschen hinter dem Verkaufstisch gefragt, wie diese Platte denn sei, schon zu jazzig, noch tanzbar, oder wie oder was?

Er fand sie zum Glück sehr gut und somit bin ich der Empfehlung gefolgt und hab das Ding gleich mitgenommen. Hey, der gute Mann hatte Recht! Diese Platte (es war das zweite Album, „Low Blow“) war wirklich sehr gut und ist es natürlich immer noch. Nicht „zuviel“ Jazz und absolut tanzbar! Natürlich interessierte mich, wer solch geniale Musik spielte und wie die Leute für ein solches Projekt zusammen kamen.

***

2 Jahre später tritt erfreulicherweise das Ensemble im Freiburger Jazzhaus auf und Freddie „Rocksteady“ Reiter, seines Zeichens Saxophonist und Initiator des Ganzen, gibt freundlich Auskunft.

Freddie: „Ich und Rick Faulkner, der Posaunist, wir spielen in einer Band, die sich Toasters nennt und die du sicherlich kennst. 1993 haben wir eine Tour namens „Skamoovie“ zusammen mit den Skatalites, Specialbeat und Selecter gemacht. Besonders die Skatalites haben uns damals sehr beeindruckt. Wir konnten es nicht glauben, dass diese alten Männer jeden Abend dermassen ass kicken konnten.

Wir mochten die Art von Musik sehr, hauptsächlich instrumental eben. Wir wollten dann auch solche Musik machen, die sich mehr auf die instrumentale Seite konzentriert. Also holten wir die besten Musiker aus New York, die Ska und Jazz spielen konnten – das sind gar nicht so viele – zusammen. Der erste, den wir fragten, war Devon James (git.) von den Skatalites. Dann noch Jonnathan McCain (dr.) von den Toasters, Cary Brown (piano), der auch mit den Skatalites unterwegs war und Victor Rice (bass). Und alle sagten zu.“

Eine richtige All-star Truppe also, wobei man z. B. noch die Scofflaws oder 1-Adam-12 nennen kann. Sämtliche Aktivitäten lassen sich hier wohl gar nicht auflisten… Der Hauptaugenmerk liegt jedoch bei allen auf dem New York Ska-Jazz Ensemble.

Freddie: „Ich spiele fast nicht mehr mit den Toasters, das Ensemble nimmt immer mehr Zeit in Anspruch. Wenn sie anrufen und ich gerade einen Tag frei habe, spiele ich natürlich mit ihnen. Es ist ja nicht so, dass ich das nicht mehr will, ich habe bei den letzten 4-5 Alben Saxophon gespielt, aber du musst dich eben auf eine Sache konzentrieren. Man enwickelt sich weiter und spielt mehr, bei den Toasters war das eher eine „horn-section“, was natürlich auch grossartig ist, aber es war eben Zeit für etwa Neues. Diese Art von Musik ist als Musiker eine grössere Herausforderung.“

Die Bezeichnung Musiker trifft wohl hundertprozentig zu, spielen doch alle in mehreren Bands, wirken zusätzlich noch bei diversen Studio-Sessions mit und Mr. Rocksteady Freddie gibt sogar Saxophon-Unterricht. Aber was für eine Art von Musik spielen sie denn eigentlich nun?

Freddie: „Als Ska in den frühen Sechzigern entstand, war es ja der Rhythm and Blues und Jazz-Sound aus den USA, dem karibischer Flair beigemengt wurde und somit Musik mit ganz eigenem Charme von der Insel Jamaika hervorbrachte. Und genau darauf baut auch das New York Ska-Jazz Ensemble auf. Jazz wird von einem ständigen Groove unterlegt, so dass dieser weder zu stark dominiert und vielleicht die Tanzbarkeit und das Reggea/Ska-Feeling fehlen, noch evtl. langweilige Monotonie entsteht, wie es bei eher schwächeren Vertretern des Genres ja durchaus vorkommen kann“.

Selbst Jazzksongs wie „I Mean You“ von Thelonius Monk, der „Haitian Fight Song“ von Charles Mingus oder „Naima“ von John Coltrane erstrahlen in neuem Glanz, sprich Reggea-Gewand. Aber auch eigene Stücke wie „Yeah Yeah“ oder „Elegy“ haben das Zeug zum Klassiker. Da wird dann auch schon mal das Tempo so angezogen, dass klar wird, dass die Platten des Ensembles den Neunzigern entstammen, wobei traditionelles und ruhiges natürlich ebenso gespielt wird. Genauso abwechslungsreich erwies sich dann auch das Konzert an jenem Abend. Schade nur, dass die beiden mitgebrachten „Aushilfskräfte“ an Bass und Gitarre teils durchaus zurückhaltend (unbeteiligt wäre dann wohl doch etwas übertrieben formuliert) wirkten. Kaum vorzustellen, wenn die komplette Originalbesetzung angereist gewesen wäre. Egal, zurück zu den Alben.

Auf den ersten Beiden sind Coverversionen und eigene Stücke zu etwas gleichen Teilen enthalten, während das dritte Album, „Get This!“, deutlich mehr Eigenkompositionen enthält und am saubersten produziert ist. Es wird aber auf jeden Fall weiterhin beides geben, da Freddie mitsamt Kumpanen das Nachspielen von alten Songs als festen Bestandteil der Arbeit der Band ansieht. Sehr schön gestaltet sind die Dinger übrigens auch. Kauft sie euch, dann wisst ihr, wie sie aussehen! Bei einigen Stücken, die nicht rein instrumental sind, tauchen dann auch noch die Hepcat-Gesangs-Fraktion oder eine Lady namens Caz Gardiner auf, so dass die Beine einfach nicht mehr stillstehen können. Punkt.

Bereits in einer der letzten Trust-Ausgaben habe ich geschrieben, dass es wohl wenige Bands gibt, die vor solch unterschiedlichem Publikum spielen können. Egal ob in einer verrauchten Kneipe, in einem dunklen Jazzschuppen, im Konzertsaal oder als Hintergrundkapelle im teuren Restaurant, ich wüsste nicht, wo die 6 New Yorker fehl am Platz wären. Das sieht auch Freddie so.

Freddie: „Als wir mit Laurel Aitken, einer der Vaterfiguren der Skinheads, getourt sind, waren natürlich auch viele Skinheads bei den Konzerten. Momentan ändert sich das aber, unser Publikum wird vielfältiger, es kommen College-Kids, Jazzliebhaber, Skinheads…Im Februar haben wir bei einem Reggea-Festival gespielt, das ist also wirklich sehr verschieden.“

Auch an jenem Abend im Jazzhaus war das Publikum sehr gemischt. Vom Jazzprofessor, der am Tisch sitzt und vielleicht sämtliche Akkordverbindungen analysiert über Studenten und „normalen“ Kids, Mittelscheitel und Rastazöpfen, Dock Martens und Stöckelschuhe, trockener Bordeaux und Hansapils, alles vertreten. Nicht zu vergessen ein paar wenige junge Männer, adrett gekleidet, teils etwas beleibter, mit dezent kurzem Haarschnitt, einwandfreien Manieren, die mit leichtfüssiger Eleganz über die Tanzfläche schwebten.

Als von der Bühne her „Blow Wind Blow“ ertönte und auch noch die letzten zögernden Konzertbesucher sich entzückt in Bewegung setzten, sahen sie sich aufgrund eines Regelverstosses eines bebrillten Jünglings – nämlich unverschämterweise direkt vor der Bühne mitten unter ihnen zu tanzen und sie dabei eventuell zu berühren – gezwungen, diesen zurecht zu weisen und ihn als gerechte und angemessene Strafe zu Boden zu stossen. Recht so! Heute nur das, aber wer weiss, was der Kerl morgen anstellen wird… Nee, nee, lieber gleich das übel im Keim ersticken. Der Straftäter stand übrigens gleich wieder auf und tanzte – nun etwas weiter hinten im Raum – munter weiter. Dies blieb erfreulicherweise der einzige Zwischenfall dieser Art an jenem Abend und tat der Stimmung und Atmosphäre keinen Abbruch. Die Bevölkerungsgruppe mit den Sonderprivilegien konnte erleichtert und ungestört von solchen Kunstbanausen den weiteren Abend geniessen. Mein Interviewpartner formuliert das so:

Freddie: „Ich finde das immer sehr witzig, wenn eine bestimmte Gruppe von Leuten denkt, sie würden diese oder jene Art von Musik besitzten. Oder bestimmte Bands. Wenn meine Band vor grösserem Publikum spielt, freue ich mich über jeden Zuhörer, egal wer das ist, wenn den Leuten die Musik gefällt, dann sollen sie kommen. Musik gehört niemandem. Jeder ist willkommen. Wir mögen nur nicht die Gewalt, sobald das Tanzen mehr einem brutalem Kampf ähnelt, hören wir sofort auf zu spielen. Die Leute sollen einfach kommen und sich die Band anhören, die Musik geniessen, dasitzen und Bier trinken oder tanzen…, was immer sie tun wollen.“

Dem ist wohl nichts mehr hinzuzufügen. Denn grösser wird das Publikum eindeutig. Der Ska-Boom in den USA muss sich ja schliesslich bemerkbar machen.

Freddie: „Als der Boom auf dem Höhepunkt war, habe ich noch viel mit den Toasters gespielt. Wir bekamen einige Majorlabelangebote und unsere Videos liefen auf MTV. Also das war mit den Toasters. Wir haben eine Anzeige für Coca Cola gemacht. Zusammen mit dem Gitarristen der Toasters, Bugs, hat die Rhythmussektion von uns den Soundtrack für eine Zeichentrickserie, die bei Nickelodeon läuft, eingespielt. Und zu den Konzerten kamen wesentlich mehr Leute. Im Moment scheint es wieder etwas weniger zu werden, aber wir zählen nicht nur zu Ska. Wir kümmern uns nicht um solche Modeerscheinungen. Wenn eine Band gut ist, wenn du gute Musik machst dann kommen die Leute, um dich zu sehen, egal als was du die Musik bezeichnest.“

Wir nähern uns langsam aber sicher dem Ende und Freddie beantwortet noch einige kurze Fragen und Stichwörter zu verschiedenen Themen. Auf die Frage, welche beiden Alben er sich denn zuletzt gekauft habe, fällt ihm Thelonius Monk und ein Album von der old-school Funkband „Icely Brothers“ ein. Das letzte von ihm besuchte Konzert war bei einem Avantgarde Jazz Saxophonisten namens Joe Levana (oder so ähnlich…). Wie nahezu alle Amis liebt er natürlich deutsches Bier, Religion bezeichnet er diplomatisch als persönliche Sache, Interviews und Promotionarbeit machen Spass, könnten sogar mehr sein.

Duke Ellington sei der Meister überhaupt und in den letzten 7 Jahren hat Mr. Rockssteady über 1000 Shows in der ganzen Welt gespielt. Verwunderlich ist immer wieder, wie verschieden sich Amibands zum Thema „Vergleich Touren Nordamerika-Europa“ äussern. Von „genauso“ über „total anders“ bis hin zu „ähnlich“ gibt es da alle möglichen Varianten zu hören. Jetzt mal diese:

Freddie: „Well, I love it all! Den Leuten in Europa fällt es vielleicht ein wenig leichter, uns zu akzeptieren. Es hiess schon immer, dass Jazz in Europa beliebt ist. Das Publikum ist ein wenig offener, denke ich. In den Staaten bekommst du Abendessen, während du in Europa Frühstück im Hotel kriegst (lacht). Ja, in den Staaten geben sie dir oft Geld anstelle von Essen, aber meistens werden wir gut behandelt, egal wo wir hinkommen. Normalerweise gibt es da keine grösseren Probleme.“

Den Soundmixern in Deutschland bescheinigt er übrigens ein recht hohes Niveau, was durchaus häufig auch anders zu erleben ist, aber O.K., der gute Mann kommt ja auch ein bisschen mehr in der Welt herum als ich. Trotzdem soll in Zukunft ein eigener Mischer das Ensemble beim Touren begleiten. Der Live-Sound ist da doch ein gutes Stück entscheidender, als beispielsweise bei einem Siffpunkkonzert. Denmächst wird ein Live-Album der New Yorker mit Aufnahmen, die in Europa gemacht wurden, herauskommen und eventuell ein Video zu einer Single.

Als ich ihm noch den Begriff „homesickness“ auftische, wird die Miene kurzzeitig ernst und ein „sucks“ wird aus dem Seufzer heraus hörbar. Hoffentlich wird er und das New York Ska-Jazz Ensemble trotzdem nicht des Tourens müde, sonst gäbe es wieder eine wunderbare Band weniger auf diesem Planeten. Wie hat Freddie nochmal gesagt, „Long live live-music, that`s what I say!“.

***

Diskographie (nur die Alben):

NY Ska-Jazz Ensemble (1995), Moon Rec./Grover Rec.(`98)

Low Blow (1996)

Get This! (1998)

Internetadresse der Band:

http://www.flytrap.net

Interview: Christoph Lottes

Links (2015):
Wikipedia
Homepage
Discogs

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