Network of Friends Hardcore-Punk der 80er Jahre in Europa – Helge Schreiber
Selbstverlag
Das ist die überarbeitete Neuauflage des 2011 bei Salon Alter Hammer erschienen Werks. Graphisch aufgepeppt und in neuem Format (21 x 21 cm) sowie durch ca. 40 zusätzliche Interviews und vielen neuen Fotos ergänzt. Deutlich erweitert wurde der Teil „Konzertplakate und Flyer“ sowie die Diskografie am Ende. Auch nett das es jetzt bei „Was wurde aus“ zu den Texten auch, mehr oder weniger, aktuelle Fotos der Protagonisten gibt. Es hat wieder großen Spaß gemacht darin zu stöbern und zu versuchen all die neuen Texte aufzuspüren und zu lesen. Wenn sich Menschen, die das Original bereits ihr eigen nennen, nun fragen ob man die Neuauflage „braucht“, das sagt der Herausgeber dazu:
„…für die meisten wird es auch weiterhin vollkommen ausreichen. Man muss sich nicht unbedingt die neue Version zulegen…“ dem würde ich mich anschließen, obwohl allein die vielen zusätzlichen Konzertplakate… aber das muss jeder selbst wissen. Da sich der restliche Inhalt nicht geändert hat, hier der Text der Rezension aus Trust # 153 vom April 2012:
„Es ist mehr als sehr zu begrüßen das dass erste Buch zum Thema von einem Autor gemacht wurde der damals dabei war, es über die Jahre geblieben ist und auch heute noch am Start ist! Anstatt von jemandem der damals vielleicht dabei war aber seit Jahrzehnten aus der Szene raus ist oder, noch schlimmer, von jemandem der gar keine Ahnung hat. Helge Schreiber hat sich dafür entschieden die Leute zu Wort kommen zu lassen die damals dabei waren und hat auch eine ganz gute Auswahl getroffen die prima dokumentiert das es eben auch zu jener Zeit Leute gab die nicht viel zu sagen haben bzw. für die Hardcore-Punk eine prima „Entschuldigung“ für ihr scheiß Verhalten war. Zum Glück gab es aber auch die vielen anderen Leute, die nicht nur voller Lebensfreude waren sondern eben auch was ändern wollten und dies auch getan haben. Anfangs lief das zwar manchmal chaotisch, aber so ist das eben bei „learning by doing“, auch wenn festzuhalten bleibt das es ein paar lernresistente gab. Überwogen haben aber die bewusst alternativ politisch agierenden Leute die, wenn auch nicht immer integer, sehr aktiv waren. Dadurch entstand aus dem Nichts ein erstaunliches Netzwerk von Gleichgesinnten über ganz Europa. Ideologisch vorgeprägt vom englischen Polit-Punk der späten 70er und angefeuert vom amerikanischen Hardcore-Punk mit seiner positiven Energie. Der Autor beschränkt sich mit persönlichen Einschätzungen auf Texte zu den verschiedenen Kapiteln welche einen eher einleitenden Charakter haben, das könnte man kritisieren, aber da es seine Absicht war die Protagonisten von damals sprechen zu lassen wäre das in diesem Fall unangebracht. Das Buch ist wie folgt aufgebaut: Nach einer Einleitung gibt es ein „Lebewohl“ an Johan van Leeuwen gefolgt von mehreren Kapiteln zu verschiedenen Themen: Punk und Hardcore, Die Bedeutung in den 80er Jahren, Chaostage ’84 in Hannover, Städte-Infos. Hardcore-Punk all over Europe, Linke Kulturstätten. Besetzte Häuser, AJZs, Juzis, Autonome Zentren, Konzert Flyer, Bandgründungen, Einflüsse, Texte, Tour-Storys, Plattenlabels, DIY, Kommunikation, Fanzines, Maximum Rocknroll, Skate Brigade, Straight Edge, Brit-Punk vs. Ami-Punk (diese Rubrik wurde in der Neuauflage weggelassen), Amerika zu Gast in Europa, Was wurde aus den Leuten und abschließend die unvermeidliche Diskographie mit einer Auswahl an europäischen Hardcore-Punk-Platten aus den 80er Jahren. Soweit so gut. Jeder der sich für Hardcore-Punk interessiert sollte dieses Buch gelesen haben um erahnen zu können wo die Wurzeln des ganzen gelegen haben. Das Buch ist voll mit klasse Geschichten von damals, humorvollen Anekdoten und massig Insiderwissen. Viele Leute kommen zu Wort, viele erzählen immer wieder das gleiche aus ihrem eigenen Blickwinkel, da wäre hin und wieder vielleicht weniger mehr gewesen. Es entsteht der Eindruck wie wenn fast alle der befragten Leute von damals über all die Jahre weiter aktiv waren und es heute noch sind, das trifft für einige auf jeden Fall zu, für andere eben nicht oder aber in einer Form die geschichtlich keinerlei Relevanz hat. Apropos „geschichtliche Relevanz“: einige der befragten Personen, deren Bands, Labels oder andere Aktivitäten waren damals und heute tatsächlich sehr wichtig. Andere waren halt nur zufällig zur richtigen Zeit am richtigen Ort und wurden so auch nur regional wahrgenommen bzw. haben einfach nicht „weitergestrahlt“. Wie das bei der Form der „Oral-History“ eben so ist unterscheiden sich die Beiträge stark und in der Summe kann man sagen das die wirklich fundiert intelligenten Beiträge von einer knapp einem Dutzend Leuten kommt (u.a. Armin/X-Mist) – was auf keinen Fall heißen soll das die anderen Aussagen überflüssig wären, nein sicher nicht! Alles taugt, die meist subjektiven Erinnerungen und Statements machen Spaß zu lesen und es ergibt eben ein authentisches Bild von der Entstehung einer Szene ohne dabei in „früher war alles besser“ Pathos zu verfallen. Interviewt wurden viele Leute aus (fast) ganz Europa, u.a. (Mario ›Mungo‹ Bertotti DECLINO, Marco Matthieu, Roberto ›Tax‹ Farano NEGAZIONE, Tony ›Nitwit‹ Leuvenburgh BGK, Yvonne Ducksworth JINGO DE LUNCH, Johnny ›Jacho‹ Bottrop HOSTAGES OF AYATOLLAH, Mauro Codeluppi RAW POWER, Jörgen ›Jugga‹ Östgård MOB 47, Andreas ›Anton‹ Kunze URPRIGHT CITIZENS, Jörg Ramin, Hans-Uwe Koch, Anja ›Atti‹ Mülders BLUTTAT, Paul LÄRM, Peter PANDEMONIUM, Johan Thijssen DISGUST, Marcel Stol NEUROOT, Hermann Kress-Wessendorf BRIGADE FOZZY, Roger Andreassen LIFE… BUT HOW TO LIVE IT?, Kent Nielsen LEBEN UND LEBEN LASSEN, Tommy Sohns SONS OF SADISM, Christian ›Archi‹ Pfister INFERNO, Heiko Gantenberg UNWANTED YOUTH, Peter ›Pies‹ Laeremans CAPITAL SCUM, Kalvin ›Kalv‹ Piper HERESY, Francois L’Homer HEIMATLOS, Roger Ingentron SPERMBIRDS, Armin Hofmann SKEEZICKS, Ruud Sweering INDIREKT, Dickie Hammond HDQ/Leatherface, Tommy Klute STUPIDS, Ingo Neuhaus ABHOLZEN, Herry Hubert DEADLOCK, Kjell Arne Sandvik KNALLSYNDIKATET/ PROGRESS Records, Marco Garripoli FOAD Fanzine, Andreas Grüter, Michael ›Schippy‹ Schipplage ESCHHAUS, Henk Smit KANGAROO Rec., Fabietto WRETCHED/CHAOS PRODUZIONI, Michael ›Hoffi‹ Hoffmann LAST GASP Fanzine, Stefan ›Riebe‹ Riebesell BREAKOUT Fanzine, Marco ›Boller‹ Göhrke ALTE MEIEREI, Dolf Hermannstädter TRUST Fanzine, Micha Will PLASTIC BOMB, David Pollack PORNO PATROL/NO ALLEGIANCE, Thomas Junggebauer PUNKWAX Diskografie, Gunnar Nuven SO MUCH HATE, Welly ARTCORE, Jordi Llansamà B-Core Records, Reiner Mettner DOUBLE A Records, Oliver ›Oli‹ Stratmann TU-DO HOSPITAL, Peter ›Pedder‹ Jachmann, Rainer Krispel TARGET OF DEMAND, Flo Helmchen SQUANDERED MESSAGE, Joachim Hiller Ox Fanzine, Heikki Vilenius PROPAGANDA Records, Peter Hoeren CRUCIAL RESPONSE Records, Thomas Koch AdsW Fanzine, Santi Manterola Otaegi RUIDO DE RABIA) und da ich ja das Glück hatte damals dabei gewesen zu sein war es ein toller Trip all die „alten“ Namen und deren Geschichten mal wieder zu lesen, viele Erinnerungen wurden wach, oftmals mußte ich mich freuen, hin und wieder auch ärgern. Das soll jetzt nicht heißen man muss für das Buch dabei gewesen sein, nein, das ist Quatsch! Grade für Menschen die eben noch nicht dabei waren ist das Buch auch essentiell. Empfehlung für alle! Bin gespannt ob es auch nochmal eine englische Ausgabe geben wird, schätze die nichtdeutschprachigen würden sich darüber sicher freuen.
Aufgelockert werden die fast 300 (Neuauflage 432!) Seiten durch phantastische s/w-Fotos von damals, meist Bandphotos, aber auch vom Publikum oder einfach von den Leuten geben sie prima die Power wieder die damals alle hatten. Jetzt bin ich auf das nächste Buch zum Thema gespannt.“
Da es keinen Verlag gibt, muss man das Buch ein wenig suchen, sollte aber über die einschlägig bekannten Mailorder zu bekommen sein, der Herausgeber meinte: „Wer sich interessiert wird den Weg zu uns finden. Wenn nicht, dann nicht. „ Das ist auf jeden Fall machbar. Für alle die das erste Buch noch nicht haben auf jeden Fall ein muss. 35,00 Euro (dolf)
[Trust # 207 April 2021]