Dezember 31st, 2021

Kali Masi (#207, 2021)

Posted in artikel, interview by Jan

Wer immer zu KALI MASI gefragt wird, bestätigt ohne Zögern, was für freundliche Menschen die vier Musiker aus Chicago sind. Sänger Sam ist erfreut das zu hören, gibt allerdings zu bedenken, dass das sicherlich nicht alle so sehen und verweist explizit auf seine Familie: „Das ist toll, normalerweise benehmen wir uns wirklich sehr gesittet. Ich könnte dir allerdings Telefonnummern von Freuden und Familienmitgliedern geben, die das sicherlich anders sehen.“

Aufgewachsen sind die Bandmitglieder allesamt, wie sollte es für eine Band anders sein, die im weitesten Sinne dem Genre Emocore zugeordnet werden kann, im Mittleren Westen. Das ist noch immer faszinierend. Bands, die aus Kansas, Arkansas oder im Falle von KALI MASI eben aus Illinois stammen, spielen häufig emotionale Musik und sind seltener politisch motiviert, wie Gruppen aus den Metropolen an den Küsten der USA. „Das stimmt, warum das so ist, kann ich dir aber nicht beantworten“, überlegt Sam, „es ist der working-class Teil des Landes ohne Ozeane oder einem Gebirge. Nicht gerade ein Sehnsuchtsort. Die meisten Menschen wachsen mit der Hoffnung auf, irgendwann hier rauszukommen. Aber das bedeutet nicht, das es keine politischen Bands aus dieser Area gibt“, gibt Sam zu bedenken.

Ursprünglich sollte diesem Text ein Zitat aus dem Bruce Springsteen Song „Icemen“ vorangestellt werden, der sich mit einer Suche beschäftigt, einem Kernthema des neuen Albums [laughs]. Im Laufe des Austausches per Mail mit Sam stellte sich allerdings heraus, dass [laughs] deutlich mehr Themen beinhaltet. Sam zeichnet sich dabei durch seine Offenheit und einer großen Reflexion aus. Seine Antworten sind meistens ausführlich und bemüht, wie übrigens auch die Songtexte auf dem Album, eine Ausgewogenheit zu geben, die versucht, alle Seiten einer Situation oder Beziehung zu betrachten.

„Das Pathos von [laughs] handelt von der Erforschung platonischer Männerfreundschaften. Ich wollte absichtlich keine Songs schreiben, die einen reinen Herzschmerz ins Rampenlicht rückt, um Frauen zu verunglimpfen, sondern die Komplexität und oft beschissene Natur männlicher Beziehungen untersuchen, die häufig entweder übersehen oder zu einem Schlagwort werden, das wir verwenden, ohne es zu verstehen. Toxische Männlichkeit hält uns davon ab, uns selbst und einander zu verstehen und uns selbst und einander zu lieben. Die Auswirkungen sind verheerend und manchmal tödlich. Ich wollte von einem sehr persönlichen Standpunkt aus darüber sprechen und woher das kommt und wie wir bessere Menschen sein könnten“, erklärt Sam einen Schwerpunkt des Albums.

Ein weiteres großes Thema in den Texten handelt vom Suchen. Denn besser als die Sicherheit eines guten Jobs, halbwegs gute Freundschaften, nette Kollegen, Religion oder ein behütetest zu Hause ist eine (vielleicht nie aufhörende) Suche. Wer auf der Suche ist, bleibt nicht stehen, rostet nicht, erfährt Neues und wächst an den Erfahrungen, kommt aber eben auch nie an und ich behaupte, kann auch nicht vollumfänglich glücklich werden. Ganz einfach aus dem Grund, wer auf der Suche ist, erwartet noch etwas, was zumindest bislang nicht vorhanden ist. Von dieser Suche und den unvermeidlichen Begleiterscheinungen handelt [laughs] eben auch.

„Yeah“, bestätigt Frontmann Sam meine Zusammenfassung, „ich denke, ein Großteil unserer Musik dreht sich um die Suche nach Antworten, die Suche nach uns selbst und auf diesem Album geht es ganz speziell um die Suche nach Frieden und Freiheit. Aber das sind kaum greifbare Definitionen, die ich ständig überdenke und versuche aus anderen Blickwinkeln zu betrachten. Auf diesem Album gibt es keinen Song, der mit dem Finger auf andere zeigt, ohne die eigene Reflexion auszublenden“, fast Sam zusammen.

Nun könnte der Verdacht aufkommen, [laughs] ist wegen der Texte eher an ein junges Publikum gerichtet. Tatsächlich ist es so, dass gerade junge Menschen quasi zwangsweise auf der Suche sind, weil sie häufig noch die eigene Identität finden müssen. Das fängt bei profanen Dingen wie dem Musikgeschmack an und endet eventuell bei der sexuellen Orientierung. Manche Menschen entscheiden sich, ob bewusst oder unbewusst, das sei mal dahingestellt für ein bestimmtes Leben und stellen irgendwann fest, es fehlt etwas, um glücklich zu sein. Oder beim Älterwerden ist etwas verloren gegangen, häufig ist es der Mut, die Leidenschaft für eine Sache zu brennen und/oder der Glaube an Veränderungen.

Das kann mitunter sehr hart sein, festzustellen, meilenweit von der Person entfernt zu sein, die sich mal vorgestellt wurde, eventuell ist man gar das Ebenbild der Eltern geworden, die stets abgelehnt wurden. Diese Aspekte der Suche lässt [laughs] nicht aus. Damit gelingt das Album tatsächlich das Kunststück, sowohl für ein älteres Publikum als auch für ein jüngeres interessant zu sein und entsprechende Inhalte zu liefern. „Zumindest hoffe ich, dass das so ist“, merkt Sam an, „wir wollten kein nostalgisches Album machen. Es sollte vorwärtsgerichtet sein, aber die Vergangenheit nicht leugnen. Eine Menge Texte auf [laughs] sind sehr düster, aber ich habe mich stets bemüht, aus dunkler Energie etwas Positives zu formen.“

Im Gegensatz zu den nachdenklichen und düsteren Texten ist die Musik auf [laughs] stürmisch, hymnisch und euphorisch. Irgendwo zwischen den Schnittstellen von melodischem Punkrock und einem Emocore, der in den frühen 2000er Jahre gespielt wurde. Damit bildet das Quartett einen musikalischen Kontrast zu den Lyrics. „Das war nicht beabsichtigt. Normalerweise schreibe ich nie Texte, die zu einer bestimmten Melodie passen, viel mehr versuche ich mit einem Gitarrenriff selber etwas auszudrücken, eine Situation oder ein Gefühl. Die Texte kommen später dazu.“

Für eine Punkband sind die Songs auf [laughs] sehr lang, nicht selten kratzen die Stücke an der fünf Minuten Marke, wirken dabei aber wegen vielen Tempo- und Rhythmuswechsel kürzer und damit präziser, trotzdem auf dem Punkt. Die Länge der Lieder ist auch nicht musikalisch gewollt, sondern liegt, und das ist ein weiterer, eher untypischer Punkt im Punkrock, in der Länge der Texte. „Vermutlich sind die Songs länger als von anderen Punkrockbands“, gibt Sam zu und führt weiter aus, „aber, wir sind auch nicht besonders daran interessiert, wie andere Punkrockbands zu sein. Normalerweise unterziehen wir unseren Songs einer längeren Prüfung, wenn etwas überflüssig ist, dann schmeißen wir es raus. Was die Texte betrifft, da habe ich eine Schwäche, aber ich ertappe mich niemals dabei, einen Text auszudehnen. Für mich haben die Lieder somit genau die richtige Länge.“

Zum Glück handelt [laughs] aber nicht nur von der Suche, sondern auch von der Ankunft oder um ein besseres Wort zu wählen, von Erlösung. Die letzten Zeilen auf dem Album lauten: „I don’t believe in constellation even when my stars align / Luck is made with good intention, love and grace.” Immerhin steht am Ende das Positive. Laut Sam wurde dieser Umstand innerhalb der Band durchaus besprochen: „Es gibt gerade sehr viel Kunst und Musik, die hoffnungslos erscheint“, gibt Sam zu Protokoll und führt weiter aus, „wir wollten kein Tragedy Punkrock Album aufnehmen, sondern beschreiben, was wir durchgemacht haben und wie wir einen Weg aus der Situation, eine Antwort und einen Silberstreif am Horizont gefunden haben.“

Ein anderer Song auf dem Album ist „Still Life“ und handelt vom tragischen Selbstmord eines Freundes der Band. Deswegen ist das Stück gleichermaßen allen gewidmet, die einen Grund zum Bleiben in ihrem Leben finden können. „Niemand von uns kann sich vor gebrochenen Herzen schützen“, sagt Sam, „außerhalb dieses Albums, dieses Interviews, in unserem täglichen Leben ist es wichtig den harten Zeiten ins Gesicht zu sehen und einen Weg dort rauszufinden. Hoffnung an einem scheinbar hoffnungslosen Ort zu finden, darum geht es.“

Es hat den Anschein, dass gerade in Punkrocksongs häufig Selbsttötungen thematisiert werden. Alleine auf dem letzten Booze Cruise Festival in Hamburg gab es mindestens vier Bands, die jeweils einen Song zu dieser schrecklichen Thematik angesagt hatten. Die Theorie von Sam dazu ist, dass das Bewusstsein der Gesellschaft für solche Themen mittlerweile geschärft ist und darum künstlerisch häufiger verarbeitet wird.

„Wenn du jemanden auf diese Art verlierst, ist es sehr schwer zu glauben, dass da etwas war, was du hättest tun können. Du wünschtest, du hättest der anderen Person wissen lassen, dass sie nicht alleine ist. Aber wie viele Menschen gibt es, die sich wie diese eine fühlt? Und wie viele Menschen und Orte gibt es dort draußen, die bereit sind zu helfen? Unser Freund Mike Scott war ein herzensguter Mensch, ein Unterstützer unserer Band. So banal es klingt, sein Tod hat Einfluss auf uns, seine Familie und der Szene, aus der er stammte, darum möchte ich jede Möglichkeit ergreifen, sagen zu können, du bist nicht alleine.“

Sowohl in seinen Texten als auch im direkten Austausch geht Sam mit seinen schlimmen Erfahrungen offensiv um. Er spricht und schreibt offen über eigene Depressionen und Therapien, kehrt tatsächlich sein Innerstes nach außen, als ob es gar nichts wäre. „Das fällt mir wirklich nicht schwer. Ich finde, eine wohlüberlegte und tiefgehende Frage hat eine ehrliche Antwort verdient. Jeder, der schon mal verletzt wurde, weil er sich einem anderen Menschen gegenüber geöffnet hat, wird dir sagen, es wird bei jeder sich wiederholenden Gelegenheit, schwieriger sich zu öffnen. Ich glaube, das hat auch was mit der Jugend zu tun, ein bisschen naiv zu sein und sich verletzbar zu machen. Wir alle wollen etwas erreichen und lernen etwas, wenn wir uns öffnen. Während der Albumaufnahmen habe ich erst angefangen meine Beziehung zu den anderen Bandmitgliedern richtig zu begreifen. Ich habe sie oft nicht mit dem Respekt behandelt, den sie verdient gehabt hätten, dachte, sie müssten sich ändern. Vielleicht werde ich einfach nur älter, aber ich mag es, wenn Menschen bereit sind sich zu öffnen.“

Universelle Werte wie Freundschaft, Freude und Durchhalten stehen dagegen exemplarisch für die guten Seiten, die es im Leben gibt. „Saying hey, it’s just my life’s in disarry / I almost dug myself a grave / I fight the thought off everyday / But I’m glad you`re here to stay”, heißt es exemplarisch dafür am Schluss des Songs “Paint me Jade.” Sam glaubt hingegen nicht an universelle Werte. „Das ist sehr flüchtig. Ich glaube viel mehr, jeder braucht Menschen einen vertrauten Menschen, denn es ist schrecklich, sich alleine zu fühlen. Ich persönlich halte Freundschaften für sehr wichtig. Aber gute Freundschaften zu finden ist sehr schwer. Danach bin ich auf der Suche und sollte ich sie finden, werde ich sie ganz sicher behüten und schützen.“

Bliebe noch die Frage, ob es sich eine Punkband in der heutigen Zeit überhaupt noch erlauben kann, sich nicht explizit zu äußern, was auf dem KALI MASI Album tatsächlich nicht vorkommt, allerdings im Bandkontext kein Widerspruch ist, denn die Texte von Sam rutschen ihm immer ins persönliche ab.

„Natürlich sind mir Menschen- und Tierrechte wichtig. Auch die Bewegungen rund um den Erdball kann ich unterstützen. Wenn ich aber darüber einen Text schreiben müsste, würde ich mich gehemmt fühlen und am Ende würde das Stück wie eine emotionale Reaktion auf eine Sache klingen. So reagiere ich nun mal auf Ungerechtigkeiten. Tatsächlich gibt es aber ein Outtake aus dem Album, welches ein politisches Thema behandelt, der Song passte aber thematisch nicht aufs Album, deswegen ist das Stück nicht auf der Platte. Ich schreibe über Dinge, die ich kenne und wie wir agieren, auf etwas reagieren und wie wir mit anderen Menschen auf eine intellektuelle Weise interagieren und kommunizieren können.“

KALI MASI scheinen Vertreter eines moderneren Punkrocks zu sein, der seltener die Gesellschaft oder die Politik kritisiert, sondern die Fehler im eigenen Verhalten sucht und findet und versucht diese abzustellen und andere Menschen vom selben Weg zu überzeugen. Das dazugehörige Manifest trägt den Namen [laughs]!

Text und Interview: Claas Reiners

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0