März 12th, 2007

JON SPENCER BLUES EXPLOSION (#64, 06-1997)

Posted in interview by andreas

Köln kann sich glücklich schätzen als „pretty important city to play“ von der Jon Spencer Blues Explosion auserkoren worden zu sein. Es führte also kein Weg daran vorbei, sich am 26.04.97 dorthin aufzumachen, um die Blues Explosion im Rahmen ihrer Grossstadt-Gigs-Tour quer durch Nord- und Südeuropa bei ihrem einzi-gen Auftritt in Deutschland zu sehen und vor das Aufnahmemikro zu bekommen.

Russel Simins, Drummer der Blues Explosion, hat sich netterweise die Zeit genommen, um mir ein paar Fragen zu beantworten.

***

Das Line-Up der Jon Spencer Blues Explosion hat sich seit dem ersten Album nicht geändert. Wie habt ihr ange-fangen, wie habt ihr euch gefunden?

Russel: Ich spielte vor Jahren bei den Honeymoon Killers und Jon war mit ihnen befreundet. Er kam vorbei, weil er hörte, dass es einen neuen Drummer gab. Ihr neuer Drummer war ich. Jon checkte es aus. Er und ich haben einfach zusammen gespielt und es hat augenblicklich gut funktioniert. Zu dieser Zeit habe ich mit Judah zusammen-gewohnt und habe auch ein bisschen Musik mit ihm zusammen gemacht. Er fing dann an, auch mit uns abzuhängen und so entwickelte es sich.

Warum habt ihr keinen Bassisten?

Russel: Es hat sich einfach ergeben, dass wir keinen haben. Es ist nicht so, dass wir es geplant hätten. Es sind eben nur wir drei, die zusammen Musik machen und eine vierte Person hätte die Chemie zwischen uns verändert und sich dem Ganzen in den Weg gestellt.

Wie entstehen die Songs?

Russel: Wir schreiben sie zusammen, wir treffen uns, wir spielen und jammen zusammen. Das ist das, was wir machen. Wir spielen einfach nur und die Sachen kommen dabei raus.

Ich habe mich gefragt, ob das eine Koopera-tion ist…

Russel: Ja.

…oder ob Jon Spencer der autoritäre Boss ist…

Russel: Nein, nein, nein.

…weil er im Mittelpunkt des Interesses steht.

Russel: Steht er im Mittelpunkt des Interesses?

Weiss nicht…

Tja, eigentlich hatte ich zu diesem Zeitpunkt ja eine Meinung zu dem Thema, aber mein Gesprächspartner hatte leicht pikiert reagiert, so dass ich befürchten musste, den weiteren Verlauf des Inter-views zu gefährden, wenn ich an der Stelle weiter-gebohrt hätte. Und so sass ich eben nur da wie ein paralysiertes Kaninchen im Angesicht der Schlange und verkniff mir alle weitere Bemerkungen in Bezug auf Jon Spencer als Mittelpunkt.

Dabei ist doch schon bei der Namensgebung augenfällig, dass JSBE keineswegs eine profane Blues Explosion ist, sondern an der Person Jon Spencers festgemacht wurde. Ganz zu schweigen von seiner exponierten Stellung als Sänger und auch Viva/Wah Wah wollte in Köln nur ihn und und und… Aber lassen wir uns eines besseren belehren…

Russel: Wir schreiben alle Sachen zusammen und sind auch sehr glücklich damit.

Glücklich? Wie… eine glückliche Familie??!

Russel: Wir haben Spass daran, die Sachen zusammen zu schreiben.

Was bei der Musik von JSBE die grösste Freude bereitet, will ich mal Trüffelsuche nennen. Das heisst, zu erkennen, welche unterschiedlichsten Musikstile sie in ihre unvergleichbare Mischung aus dem Staub einer Südstaaten-Landstrasse und dem des Big Apple-Asphalts einfliessen lassen.

Zu einer Diskussion über Genie und Originalität fehlte mir leider der englische Wortschatz (und das Hintergrundwissen, ähem…), aber bei dem Thema Einflüsse, abwertend auch „Eklektizismus“ genannt (yo, das war mal ein Spex-Lieblingswort und von Zeit zu Zeit grabe ich es auch mal wieder aus, um es zu hegen und zu pflegen…), haben wir uns noch ein wenig länger aufgehalten…

Wie entscheidet ihr über die Richtung des musikalischen Stils? Ich meine, welcher Stil überwiegt, z. B. Blues oder Punk…

Russel: Wir denken wirklich nicht zuviel darüber nach. Wir treffen uns einfach und spielen. Es ist keine Situation, in der wir Sachen planen. Wir hören alle eine Menge unterschiedlichster Musik und was wir hören, kommt in der Musik, die wir spielen, heraus. Und auch unsere Stile… wir sitzen nicht herum und denken uns aus, in welchem Stil nun dieser oder jener Song sein soll. Es passiert einfach irgendwie.

Welche musikalischen Einflüsse habt ihr…

Russel: Viele.

…sind das die Leute, die ihr auf eueren Thanks-Listen grüsst wie z. B. Beck oder Jesus Lizard?

Russel: Nun, diese Leute sind Einflüsse, aber wir hören uns eine Menge Musik quer durch die Geschichte an, alles von Blues bis Rock, Rhythm’n’Blues, Soul, Punk, Hiphop, Country, Klassik, Jazz. Wir hören einfach nur eine Menge Musik und das beeinflusst, was wir machen. Sowie uns auch beeinflusst, wer wir sind und die Art von Einstellung, die wir haben, dass wir originell sind, originelle Musik machen.

Haben sich euere musikalischen Einflüsse in eurer Laufbahn geändert? Ich meine auf der „Crypt Style!“ mehr Captain Beefheart Einfluss zu hören als beispielsweise auf der „Orange“, die stärker von Hiphop geprägt ist.

Russel: Manchmal hören wir uns zu einer bestimmten Zeit Sachen stärker an als zu einer anderen. Zur Zeit als wir „Crypt Style!“ auf-nahmen, haben wir uns gerade irgendwie kennengelernt, auch musikalisch. Deswegen waren die Sachen ein bisschen verrückter und die Songs nicht strukturiert. Als „Orange“ rauskam, wussten wir alle gewissermassen besser, was wir mochten und anhörten und wir teilten musikalisch eine ganze Menge Sachen, was wir immer noch tun.

Es sind unterschiedliche Alben, weil du dir zu verschiedenen Zeiten andere Arten von Musik anhörst. Manchmal bist du einfach stärker mit bestimmten Arten von Musik beschäftigt als zu anderen Zeiten. Aber ich denke, auf allen Alben gibt es Elemente, die sehr ähnlich sind. Wir sind keine von den Bands, die eine Platte machen, bei der du nicht erkennen kannst, dass das vorangegangene Album von der gleichen Band stammt. Es gibt ähnliche Rock, Punk, Soul… einfach Fäden, die sich durch unsere Platten ziehen. Obwohl einige stärker betont werden können wie die anderen.

So wie ich es verstehe, wandelt ihr eure musikalischen Einflüsse zur Jon Spencer Blues Explosion um. Was ist dann so origi-nell an der JSBE?

Russel: Ich denke, du machst dir die Einflüsse zu eigen. Was ist originell an Beck, an den Beastie Boys, an irgend jeman-den? Wir sind nicht nur eine Band, die ihre Einflüsse nimmt und in irgend etwas anderes umwandelt…

Ok, das war eine Provokation…

Russel: Ja, ich weiss, aber ich denke, wie schon gesagt… und ich fahre fort, es zu sagen, weil ich es erst kürzlich Keith Richards sagen gehört habe, dass alles, was du hörst, in dem, was du spielst, rauskommt, und ich glaube das auch. Das ist einfach wahr, aber wenn du gut bist, wie ich denke, dass die Rolling Stones waren, haben sie daraus die Rolling Stones gemacht. Vielleicht sind wir auf diese Weise vergleichbar mit ihnen. Eine Menge Leute denken das jedenfalls…

Was hälst du von Vergleichen mit den Doo Rag?

Russel: Ich fühle mich geschmeichelt. Ich liebe Doo Rag. Es ist eine grossartige Band, gute Freunde von uns. Ich fühle definitiv eine Verwandschaft zu ihrer Einfachheit und gerade ihrer Art und Weise, wie sie schlicht an Musik herangehen, ihrer Ehrlichkeit und In-tensität.

Jetzt habe ich nur zwei Stichworte notiert: Kreativität und Beziehungzu New York.

Russel: New York City ist definitv ein Teil davon, wer wir sind. Ich bin in New York aufgewachsen und habe dort mein ganzes Leben lang gewohnt. Deswegen, es beeinflusst uns definitiv, wir mögen es, wir mögen diesen Einfluss.

Kannst du den Einfluss spezifizieren?

Russel: NYC hat eine Dynamik und Kraft (power) und eine eigene Stimmung (spirit). Es ist wie nirgendwo anders in der Welt. Es ist irgendwie das Zentrum von allem.

Wenn ich mit einem Westküsten-Musiker sprechen würde, wäre das LA.

Russel: In LA zu leben beeinflusst die Leute auch, aber LA ist nicht – ich meine, ich mag LA – aber es ist nicht so aufregend und interesant wie New York.

Weitaus prosaischer fielen meine Fragen zu Erfolg, Plattenlabel, Burnside und Videos aus. Es gibt auch eine erst kürzlich erschienene Maxi-CD mit älteren, bis dato unveröffentlich-ten Stücken der JSBE.

Ausserdem wollte ich noch wissen, ob der Fotograf von der „Extra Width“, R. Kern, doch tatsächlich Richard, Master of Transgression, gewesen sei, was Russel bejahte. Es habe im Rahmen dieser Fotosession auch Nacktaufnahmen von ihnen gegeben, die jedoch nicht verwendet wurden. Wie schade.

Ich habe gelesen, dass „Orange“ für die JSBE der Durchbruch in den Staaten war, um Stars der „Alternative Music“ zu werden. Gibt es schon Nachahmer?

Russel: Nein, wir sind immer noch die Kings und wir werden immer die Kings bleiben….. Ich höre zwar von einer Menge Bands, die versuchen, so zu sein wie wir, aber es gibt nur eine Jon Spencer Blues Explosion…

Wie sieht es mit euerem kommerziellen Erfolg aus? Verdient ihr jetzt mehr Geld?

Russel: Ja klar, und wir spielen dieses Jahr auf der Hauptbühne von Lollapalooza.

Warum habt ihr das Plattenlabel gewechselt? Warum seid ihr von Crypt weggegangen?

Russel: Wir mögen Crypt, wir lieben Crypt. Es ist nur so, dass Mute grösser ist und es war an der Zeit, zu einem grösseren Label zu wech-seln. Mute ist ein cooles Label, es ist eines der ursprünglichen Punkrocklabels. Sie sind unabhängig und haben gute Arbeit geleistet. Es ist nicht besser als Crypt, sondern einfach anders. Wir haben eine bessere Distribution gebraucht, also haben wir das gemacht.

Ihr habt euch nicht im Streit getrennt…

Russel: Nein, überhaupt nicht. Wir vermissen die Leute bei Crypt, denn wir mochten Crypt ziemlich gerne.

Ihr habt zusammen mit Rufus Thomas und vor allem mit R. L. Burnside zusammengear-beitet, was in dem Album „A Ass Pocket Of Whisky“ mündete. Ist das eine R. L. Burnside LP oder…?

Russel: Ja, das ist R. L. Burnside mit uns, die lediglich mit ihm spielen.

Auf der letztjährigen Amerika-Tournee war R. L. Burnside euer Opener. Wie hat das Publikum auf ihn reagiert?

Russel: Sie liebten es. Es kam sehr gut. Es war ein „Alternative“ Publikum, und sie mochten es. Das ist gut so.

War es nicht… ziemlich exotisch?

Russel: Nein, sie standen drauf. Er ist gut, Mann. Er rockt ganz schön hart.

Mittlerweile gibt es ein neueres Album von Burnside: „Mr. Wizard“, wiederum mit der freundlichen Unterstützung der Blues Explosion, sofern ich das Kleingedruckte auf die Schnelle richtig gelesen habe – d. V.

Wer ist für die Videos verantwortlich?

Russel: Wir alle. Wir finden Leute, die sie gerne machen würden und sie kommen mit Ideen, die wir gut finden. Das letzte Video, was wir gemacht haben, das „Wail“ Video… bei dem hat Weird Al Jankovic Regie geführt. Ich kannte ihn und bin ein grosser Fan von ihm – und er ist ein Fan von uns – da habe ich ihn gebeten, das Video zu machen und die ande-ren beiden haben die Entscheidung unterstützt.

***

Das Konzert in der Kantine war schweisstrei-bend und die JSBE hat ganz schön gerockt. Zwei Jüngelchen in meiner unmittelbaren Nähe hatten sich wohl in ihre Konfirmations-anzüge gezwängt und schnell noch ein paar Polyester-Hemden mit viel zu grossen Kragen aufgetrieben, um für den Anlass passend gekleidet zu sein.

In Extase warf mir der eine von ihnen ständig seine halblangen nach Wella-Hairconditioner übelriechenden Haare ins Gesicht. Das hat mein Vergnügen zwar etwas gemindert, aber als ob ich es geahnt hätte, fragte ich Russel wenige Stunden zuvor, ob sie im Zuge des Revival-Reigens trendige Musik für trendige Leute spielen und in seiner unbescheidenen Art meinte er lapidar: „I think our music is the future.“

Interview: Andrea Stork
Fotos: Dominik Schunk

Links (2015):
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