Juli 29th, 2022

Herzschläge – Gespräch mit Ex-Militanten der Revolutionären Zellen, Unsichtbare (Hrsg.)

Posted in bücher by Dolf

Assoziation A, Gneisenaustr. 2 a, 10961 Berlin, www.assoziaton-a.de

Wahrscheinlich ist die Gruppe „Revolutionäre Zelle“ vielen kein Begriff mehr, hier eine Info vom Klappentext des Buchs: „Die Revolutionären Zellen (RZ) waren ein militanter Zusammenhang, der von Anfang der 1970er bis zum Beginn der 1990er Jahre aktiv war…..Ihre Mitglieder sahen sich nicht als sogenannte Berufsrevolutionäre, sondern waren größtenteils selbst in zumeist autonomen Zusammenhängen aktiv und beteiligten sich an den damaligen Kämpfen wie beispielsweise der Jugendzentrums- und Häuserbewegung, der Anti-Atomkraft- oder der Startbahnbewegung in Frankfurt am Main. Darüber hinaus setzen sie entscheidende Impulse in der damaligen Flüchtlingsbewegung.

Das in diesem Buch aufgezeichnete Gespräch gibt nicht nur entscheidende Einblicke in den Gruppenzusammenhang der RZ, sondern ist als Teil einer kritischen Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte zu lesen. Es stellt unter anderem die Frage, welche Schlüsse aus den Erfahrungen der Gruppe für heutige Militante zu ziehen wären und welche Bedeutung sie für heutige und zukünftige Kämpfe haben könnten.“ Das „Gespräch“ umfasst über 200 Seiten, gefolgt von einer ausgewählten Chronik (1973 – 1995) welche die politischen Ereignisse (also auch viele Anschläge gegen den Staat) aus dieser Zeit festhält. Auf den letzten fast 100 Seiten werden noch massig Bekennerschreiben zu diversen Anschlägen authentisch dokumentiert. Am Ende folgt noch ein umfangreiches Literaturverzeichnis Das Buch erfüllt auf jeden Fall seinen Zweck, nämlich den, das zukünftige Revolutionäre die richtigen Schlüsse aus den Erfahrungen der Ex-Militanten ziehen können. Die da wären: Macht es auf keinen Fall so wie die das vorgemacht haben.
Das Gespräch führten nur Männer, die sich damals selbstermächtig zu einer militanten revolutionären Gruppe hochdeuteten, das ganze in oftmals völlig richtige politische Zusammenhänge und gesellschaftliche Missstände packten, es mit einem teilweise nicht aushaltbaren wording versahen und sich dann auf den Weg machten. Dieser Weg war in erster Linie den Staat und dessen Vertreter anzugreifen und damit die Verhältnisse zu ändern. Das geschah mit Anschlägen auf verschiedenste Einrichtungen oder auch durch das „Bestrafen“ einzelner Individuen durch Knieschüsse und auch Mord wurde nicht ausgeschlossen. Wenn man sich aus heutiger Sicht anhört wie die Jungs ihr damaliges Verhalten nach wie vor nicht bis kaum in Frage stellen, dann weiß man das die Männer sich unbefreibar in ihrer eigenen „verursachte Kosten Falle“ befinden, weshalb ihnen das nicht vorzuwerfen ist, sie können nicht anders. Außerdem weiß man dann auch, das diese Kämpfer für die gute Sache nie verstanden haben wie Menschen funktionieren und das derartige Anschläge eigentlich immer nur eines bewirken: der Kapitalismus wird weiter befeuert und noch mehr Ressourcen werden verschwendet. Im günstigen Fall erregt man damit etwas Aufmerksamkeit um sein Anliegen unter das Volk zu bekommen. Leider ändert man dadurch aber halt nichts. Oder aber, es steht in keinem Verhältnis zum verursachten Leid. Es ist oftmals schwer erträglich wie überzeugt die Täter von sich selbst waren und mit welchem Überschwang sie legitimierten das sie sich so verhalten wie sie sich verhielten. Dazu kommt natürlich noch das sie immer mit zweierlei Maß messen, deshalb Verhalten der anderen kritisieren, das gleiche aber für sich rechtfertigen. So ist das immer, mit den jungen Männern (und auch noch vielen älteren), es geht darum Recht zu haben und Macht zu demonstrieren. Zum Glück handelt es sich hier nicht um irgendwelche religiösen Spinner wie den IS oder menschenfeindlichen Faschos, sondern um Linke die eigentlich im Kern sehr viele richtige Dinge erreichen wollten und schon sehr früh viele Missstände zurecht anprangerten. Wie dieser Textauszug aus einem Bekennerschreiben der Frauen der Revolutionären Zelle zu einem Anschlag auf das Bundesverfassungsgericht vom März 1979 dokumentiert:
„Wir Frauen sollen weiter dazu gezwungen werden, ungewollt Kinder in eine Welt zu setzen in der schon gewollte Kinder unter Bedingungen aufwachsen müssen die lebenslängliche Verkümmerung vorprogrammieren.
– vom Kinderkrippenghetto übers Kindergartenghetto in den Schulknast;
– kaserniert in Kleinstwohnungen in Betonwüsten;
– erdrückt in notgedrungen kaputten Kleinfamilien;
– gezwungen zu individueller Leistung, Konkurrenz und Isolierung;
– bedroht von Eltern, die diesen Wahnsinn nicht mehr aushalten und ihre Kinder dafür quälen, misshandeln, totschlagen;
– bedroht durch einen Straßenverkehr, der jährlich in der BRD unter den Kindern mehr Tote und Verletzte fordert, als in jedem vergleichbaren anderen Land.“
Zum Glück ist es auch so, das die Gesprächsteilnehmer nicht völlig in der Vergangenheit gefangen sind, sondern durchaus auch kritisch mit sich selbst sind, was man von den „Unsichtbaren“ nicht wirklich behaupten kann. Hier wird anscheinend immer noch geglaubt das der Kampf unbedingt militant und am besten klandestin im Untergrund geführt werden muss. Unabdingbar. Hoffen wir das dies eine Fehleinschätzung meinerseits ist. Interessant auch wie die Männer davon berichten wie sie mit der „plötzlich“ einsetzenden „Feminisierung“ irgendwie nicht so recht umzugehen wussten. Und, natürlich, das hier mit keinem Wort der Kampf um die gerechte Behandlung anderer Lebewesen (Tiere) erwähnt wird – das scheint zu der Zeit kein Thema gewesen zu sein. Ebenso wie die Religionen. Aber das nur am Rande. Alles in allem ein wichtiges, historisches Dokument, damit nicht vergessen wird, wie der Kampf nicht geführt werden soll. Wäre schön wenn sich die ganzen Fehler nicht wiederholen, aber das ist natürlich Wunschdenken, da sich immer und immer wieder neue junge Männer finden werden die sich mal eben über alles andere stellen und ihr Tun legitimieren. Bleibt zu hoffen das dies zumindest immer für die richtige Seite ist – denn, das ist das andere Problem. Wenn man weiß das diese das können, dann können das die anderen, also die Feinde, natürlich genauso. Und, wie man heute sieht machen sie das ja leider auch mehr und mehr. Wieder ein anderes Thema. Ein Buch das sicherlich für viel Diskussion sorgen kann und könnte, bleibt zu hoffen das alle LeserInnen daraus die richtigen Schlüsse ziehen und es nicht nur als gutes Zeitdokument betrachten. 301 Seiten, Taschenbuch, 19,80 Euro (dolf)

Isbn 978-3862414901

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