März 20th, 2020

HELLWORMS aus # 77, 1999

Posted in interview by Jan

HELLWORMS

Sicherlich ist ‚Crowd Repellent‘ gut. Auch wenn es Lästerzungen gibt, die eine Platte wie diese nicht für statthaft halten, in Zeiten wie diesen. Schließlich setzen Hellworms da an, wo Victim’s Family aufgehört haben, und das ist schon ein paar Jahre her. Und auch wenn sie von dort aus weitergegangen sind, klingen sie eben wirklich nicht gerade nach state of the art.

Davon wollen sie nicht allzuviel wissen. Sie sind ganz von der alten Schule, die eben das macht, was sie am besten kann, sich nicht darum schert, was sonstwer so denkt. Aber sie haben auch feststellen dürfen, daß das mittlerweile nicht mehr so viele Leute interessiert, wie einst. Sie vermissen den hüpfenden Mob vor der Bühne, der die irrwitzigen Songs in- und auswendig kennt. Auf ihrer Europareise machten sie die leidvolle Erfahrung, nur ganz selten mal ein volles Haus zu haben.

Dabei war es ganz sicher ein Genuß, die drei Typen spielen zu sehen. Besonders diesen Bassisten, der bei seiner letzten Epiphanie als Schlagzeuger von Saturn’s Flea Collar offensichtlich seinen Spaß hatte, den aber das Publikum nicht unbedingt im gleichen Maß teilte.

Nach dem Konzert mit Hellworms und The Boom im Molotov in Hamburg, nach dem Interview, als alle schon am Bier hängen, kommt Larry, besagter Bassist, zu mir, sichtlich geknickt, erzählt, daß die Show nun so toll nicht gewesen sei, aber sie seien nun mal ‚anti-marketing‘ unterwegs, und das sei eigentlich auch gut so, aber vielleicht sollten sie sich doch besser verkaufen können. Und der Typ, der die Plakate gemacht hat, wollte partout nicht ‚ex-Victim’s Family‘ draufschreiben, oder so ähnlich, dabei wäre das so gesehen vielleicht besser gewesen.

Die Frage, was nun ‚cool‘ ist und was nicht, spielt auch hier eine große Rolle. Ich versuche Larry, schon etwas betrunken, zu erläutern, wie das Bestehen auf bestimmten, einem Geschmack geschuldeten Verkehrsformen bisweilen in Konflikt mit dem gerät, was letztlich die meisten Leute wollen, die sich auf der Bühne verlustieren, nämlich daß ihnen dabei auch jemand zuschaut, was natürlich nichts anderes ist, als der Verkauf von Eintrittskarten oder Platten oder T-Shirts. Weil es ja etwas kostet, in der Gegend herumzufahren und zu spielen. Und das zahlt entweder (und in vielen Fällen) die Band, oder eben jemand anders. Ziemlich unmöglich, das Marketing da rauszuhalten.

Warum Hellworms so, und nicht Victim’s Family heißen, war meine erste Frage an Ralph Spight, Larry Boothroyd und Joaquin Spengemann.
„Gute Frage,“ meint Ralph. „Wir haben darüber auch nachgedacht. Es war eigentlich ein guter Break damals. Und wir hätten Joaquin hundert Songs beibringen und wieder Victim’s Family sein können. Aber wir wollten neue Sachen spielen und nicht daran gebunden sein, alte Songs zu spielen. Wenn wir das jetzt tun wollen, können wir das machen, aber wir müssen es nicht.“

Ich frage Joaquin, was er vorher gemacht hat.
„Ich spielte bei Blue Chunks, und wir waren Fans von Victim’s Family und spielten zusammen. Danach war ich in einer Band namens Walrus, die hauptsächlich in der Bay Area spielte. Als Walrus sich auflösten und ich hörte, daß Hellworms einen Schlagzeuger suchen, haben wir es ausprobiert.“

Du spielst jetzt also in deiner Lieblingsband?
„Nun, meine Lieblingsband sind Grateful Dead (Gelächter). Nein, es war jedenfalls nie so: Eines Tages werde ich in Victim’s Family sein.“

Man kann sich eine direkte Linie von den Victim’s Family-Platten hin zu ‚Crowd Repellent‘ denken. Aber es hat nichts mit irgendeiner musikalischen Entwicklung im Sinne von Avantgarde zu tun. Das findet Ralph auch.
„Ich denke, wir haben unsere eigene Stimme. Wir sind es gewohnt, Dinge auf eine bestimmte Art zu tun. Es ist jetzt vielleicht ein bißchen mehr an Songs orientiert. Das ist okay so.“

Larry ergänzt: „Ich denke, du kannst nicht allen Trends deine Aufmerksamkeit widmen. Wie in den Staaten, wo die ganzen Bands wie Korn klingen, oder nach irgendwas anderem, und in drei Jahren wieder nach etwas anderem. Wir spielen, was wir gern spielen, singen worüber wir singen wollen, versuchen verschiedene Formen. Ich denke, wir dehnen uns bei den Sachen die wir tun, aus. Vielleicht langsam, aber ‚Crowd Repellent‘ ist eine ziemlich abwechslungsreiche Platte. Sie ist schwer zu greifen. Nicht wie bei Victim’s Family, wo es viele Wechsel innerhalb der Songs gab. Hier ist es eher ein Wechsel von Song zu Song.“

Als ich Victim’s Family das erste Mal hörte, war es ‚on the edge‘, Jazzcore und das neue Ding.
Ralph: „Ich habe viel Zeit damit verbracht, Songs darüber zu schreiben, wie es ist, in Bands zu sein, und das ist der lyrische Fokus der Platte. Und mich macht es krank zu hören, daß wir Jazzcore machen. Ich denke nicht, daß es sowas gibt, und wenn, dann sind das nicht wir.“

Larry: „Eher The Boom… Es war eben ein Hype, damals.“

Vermißt ihr die tanzenden Leute vor der Bühne?
Larry: „Ja. Das war auch wichtig für uns. Wir sind eine spaßorientierte Band. Wir wollen, daß Energie zirkuliert. Es ist sehr hart für mich persönlich, wenn die Leute einfach nur zuschauen.“

Ralph: „Aber bei Victim’s Family hat es auch eine lange Zeit gedauert, bis das passiert ist. Es war schwierige Musik. Diese Platte ist sehr gerade, und die nächsten Sachen werden nicht so geradeaus sein. Wir sind immer interessiert, viele verschiedene Formen zu benutzen. Ich wollte einfach eine Zeitlang einfachere Sachen schreiben, ohne ständig ‚Mathrock‘, Jazzcore und so am Hals zu haben.“

Larry: „Das war ein anderer Grund, den Namen zu ändern.“

Ihr singt hauptsächlich vom Rumhängen, Biertrinken und Kippenrauchen. Was macht ihr, wenn ihr nicht in Bands spielt?
Larry „Das ist unser normales Leben. Ich kenne nichts anderes.“

Ihr seid jetzt seit November auf Tour, nicht wahr?
Ralph: „Ja, die meiste Zeit. Davor haben wir ziemlich viele Jobs gemacht, geübt, ein paar Shows gespielt. Ich habe mit meiner Freundin abgehangen, so halt, normales Leben.“

Die Gitarreneffekte hast du von Saturn’s Flea Collar mitgebracht. Die Platte klingt nach einem Typen, der mit der Gitarre dasitzt und Songs schreibt. Und dann fucked er sie up mit komischen Effekten.
Ralph: „Ich wollte verschiedene Sounds. Ich hoffe, mehr in der Art machen zu können, um es für dich ein bißchen mehr ‚cutting edge‘ zu machen (Gelächter). Nächstes Mal fucken wir auch den Gesang up.“

Was geschah mit Saturn’s Flea Collar und mit Jason, der da Bass gespielt hat?
Larry: „Er explodierte einfach. Er hat eine Band, die heißt Assnipple.“

Ein netter Name…
Larry: „Er macht das in Texas. Amsterdam war die letzte Show.“

Ralph: „Er flog zurück nach Austin, und wir flogen nach San Francisco.“

Larry: „Das hat viel Spaß gemacht. Wir konnten eine Menge machen, was wir vorher nicht konnten. Ich konnte trommeln, alle haben gesungen, alle haben geschrieben, es gab verschiedene Sounds, keine Grenzen. Mit soviel Freiheit konnten wir einfach nicht umgehen (Gelächter)…“

Ralph „Jetzt hält uns auch keiner davon ab, daß jeder schreibt…“

Ihr seid immer noch bei Alternative Tentacles. Ich habe Jello Biafra vor ein paar Monaten reden gehört. Vier Stunden lang. Und zum Schluß hat er in einem Text namens ‚Wake Up And Smell The Noise‘ zur Aktion aufgerufen. Kommt er eigentlich auch bei euch an und sagt: Tut etwas für die Revolution?
Ralph: „Die meisten unserer Gespräche beginnen in der Tat so. (Gelächter) Wir haben nie soviel über sowas geredet. Er läßt die Bands so ziemlich machen, was sie wollen. Ich denke, wenn er die Message einer Band nicht mag, ist er auch nicht interessiert, ihre Platte zu machen. Wir haben aber darüber gesprochen, Musik zusammen zu machen, was ziemlich interessant wäre. Ich würde ihn gerne wieder Musik machen sehen. Er ist so gut. Nicht, daß ich seinen talking-stuff nicht mag, das ist auch gut… Es ist nett, ihn zu haben, und daß er denkt unsere Sachen seien relevant und daß er sie veröffentlichen will. Ich vermute, wenn wir mit einer Message kämen, die patriotisch oder so etwas wäre, würden wir nicht mehr bei Alternative Tentacles aufnehmen. Nicht daß wir so etwas andernfalls täten…. Sicher könnte ich mehr für die Revolution tun, als ich ohnehin schon tue, aber wir arbeiten daran…“

Aus dem angesprochenen Joint Venture wird allerdings wohl erstmal nichts. Der Mann ist so verdammt beschäftigt. Über den Rechtsstreit, den Biafra gerade am Hals hat, wissen sie auch nicht mehr als andere Leute.
Ralph: „Ich kenne mich da nicht so aus. Ich finde es allerdings traurig, daß Leute, die mal in der größten Band überhaupt gespielt haben – wirklich, die Dead Kennedys haben mein Leben total verändert – , daß sie sich nicht zusammensetzen und darüber reden können.“

Die alte Geschichte: Als ich John von The Boom frage, wie es denn so liefe, meint er, er habe eine fantastische Zeit, in Europa zu sein und Musik zu machen.

Nischenexistenzen.
Da wo die Freiheit, sich auf dem Arbeitsmarkt ausbeuten zu lassen, die Notwendigkeit, eine Arbeit anzubieten, die für jemand anderen profitabel ist, sich in das auflöst, was bei Heresy ‚A Sense Of Freedom‘ heißt. Eben dann doch mit dem, was einem Spaß macht, über die Runden kommen zu können.
Das ist natürlich auch romantisch ins Extrem, mit allen positiven wie negativen Effekten. Die Nische ist einerseits genau den gleichen Gesetzen des Marktes unterworfen, andererseits auch eine Möglichkeit, sich der beschissenen Tretmühle zu entziehen, die für die meisten Leute dabei das Ergebnis darstellt.

Sich Illusionen über die Notwendigkeit der Verwertbarkeit des eigenen Tuns von einem ökonomischen Standpunkt aus zu machen, wäre dumm. Aber ein Abwägen zwischen dem, was an Arbeit hineingeht und an Ertrag herausschaut, und dem, was sonst geht, muß eben nicht unbedingt gleich dumm sein.
Daß dabei die Vorstellung, mit dem Wirken in der kulturellen Nische über das eigene Wohlbefinden hinaus irgendetwas ausrichten zu können, der praktischen Grundlage entbehrt, erklärt Pereira nicht. Aber das können schließlich auch andere Leute tun.

stone

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