März 12th, 2007

GOMEZ (#96, 10-2002)

Posted in interview by andreas

Der Parkplatz ist schon voll, als wir ankommen. Kurz vor zehn und vor dem Lieferanteneingang eines Lagerhauses finden wir noch Platz, gleich neben der pompoesen Kutsche unserer Freunde aus Southport bei Liverpool, dem koeniglichen Tross. Trotz der gepfefferten Eintrittspreise sind viele dem „Sound Of Sounds“ einer Band gefolgt, die von ihrem in einem Garagen-Heimstudio aufgenommenen „98er Debutalbum „Bring It On“ allein in England 500.000 Exemplare unters Volk zu bringen vermochten, ohne bis zum heutigen Tag eine wirkliche Hitsingle am Start gehabt zu haben.

Seit 1996 als Quintett am Musizieren haben GOMEZ zweimal bei den BRITS Awards abgeraeumt und einmal den Mercury Music Prize gewonnen und sich dabei jedesmal gegen renommierte Groessen wie PULP oder MAssIVE ATTACK durchsetzen koennen, ohne dabei auf ein spezielles Markenimage zurueckzugreifen oder Teil einer ausgekluegelten Verkaufsstrategie ihrer Plattenfirma zu sein.

Angesichts der ansonsten existierenden, extrem kurz angelegten Halbwertzeiten von Produkten, die gerade in ihrer Heimat von Magazinen wie dem NME besonders perfide auf woechentlicher Basis neudefiniert werden, nimmt sich der kontinuierliche Siegeszug von GOMEZ durch „teamwork in progress“ fast wie ein mittleres Wunder aus.

Die Abwesenheit von oberflaechlichen Showbusiness-Spiegelungen laesst in GOMEZ-Fall den Blick ungewoehnlich-geradeaus auf das Essentielle, ihre Musik richten. Die wiederum laesst sich interessanterweise nicht mit den ueblichen Klischees und Kategorisierungen beschreiben. Ihr neues Album „In Our Gun“ beispielsweise verdeutlicht erneut den Status eines ziemlich zeiten- und trendunabhaengigen Enigmas.

Da reichen sich Swings und Grooves verschiedenster Dekaden die Haende, da wird mit Barbershop-Blaesersaetzen, MARVIN GAYE`scher Funkiness und der Tiefe klassischen Songwritings operiert, wir finden weissen Soul genauso wieder, wie elektronische Akzentuierungen und zum Tanz auffordernde, treibende Basslinien und ueber allem eine Praesenz von Akkustikgitarren, die tiefemotional und dennoch rockig-geschlagen den Zuhoerer automatisch ins bunte Geschehen mit einbeziehen.

GOMEZ arbeiten vordergruendig und hintergruendig zugleich, mit der leichtfuessigen Atmosphaere eines Strandcafés an einem sonnigen Nachmittag und bieten auf der anderen Seite musikalische Begleitung fuer eine Vielzahl anderer persoenlicher Lebenssituationen.

Besonders spannend an diesem vitaminreichen musikalischen Gebraeu ist auch der Umstand, dass die fuenf GOMEZ-Jungs ihre Teenagezeit in den 80ern als Metalheads verbrachten, spaeter der Pearl Jam/Nirvana-Generation zuzurechnen waren, mit ihrer eigenen Band jetzt aber einen Ansatz pflegen, der in gewisser Weise an Crosby, Stills, Nash & Young erinnert.

Auch GOMEZ bestehen aus drei Saengern, die ihre Songs in die Band einbringen und oftmals durch exquisite Mehrstimmigkeit bestechen, im Gegensatz zu den 70er-Dinosauriern ihre Musik aber kollektiv vermitteln. Diesen Prozess beschreiben GOMEZ selbst „als eine Verschwoerung zwischen fuenf Menschen, an Stelle von Songwriting im traditionellen Sinne“.

Obwohl sich die Vorbereitung des folgenden Interviews mit Virgin-Italien recht schwierig gestaltete und mir vom Tourmanagement der Band im tollen „NEW AGE CLUB“ bei Treviso gesagt wurde, dass die Band nach Konzerten keine Gespraeche mehr fuehren wuerde, machte einmal mehr das Prinzip Zufall den Weg frei und nach einer guten Show unterhielt ich mich mit Tom Gray in sehr geloester Stimmung an der Clubbar.

GOMEZ sind:

Ian Ball (vocals, guitars, harmonica)
Olly Peacock (drums, percussion)
Paul Blackburn (bass, guitars, vocals)
Tom Gray (vocals, guitars, keyboards)
Ben Ottewell (slide guitar, vocals)

***

Hi, wie heisst Du?

Tom: Tom.

Lustig, ich auch. Du kommst aus Liverpool?

Tom: Ein wenig noerdlich von Liverool.

Und wie bist Du aufgewachsen?

Tom: Langsam.

Komm`! Bei uns denken viele, dass Liverpool der trostloseste, heruntergekommenste Ort ist, den man in England finden kann.

Tom: Nach allem war das nicht so schlimm. Meine Eltern sind Lehrer. Beide unterrichteten Spanisch und Deutsch.

Dann gehoeren sie also zu der linguistisch erfahreneren Spezie.

Tom: Ja, in modernen Sprachen, oder wie immer sie das nennen. Auf mich ist das allerdings weniger abgefaerbt. Ich spreche noch ein wenig Franzoesisch, ansonsten aber nichts mehr.

Irgendwelche Hassreaktionen Deinerseits in Kindesalter?

Tom: Nein, nein.

Keinerlei rebellische Attitueden?

Tom: Nun, Du weisst schon, das uebliche Zeug. Ich war eher von der Sorte, na ziemlich „chilled out“ halt. Ab meinem dreizehnten Lebensjahr war ich immer ziemlich stoned.

(lacht) Mit 13 hast Du schon angefangen, Pot zu rauchen?

Tom: Ja, ja, so um diese Zeit herum. (lacht)

Immer noch?

Tom: Ja, noch immer. (lacht) Das ist eine Art zu leben.

Ich habe tatsaechlich wieder damit aufgehoert.

Tom: Ich habe auch Zigaretten geraucht, das aber wieder gestoppt.

Das finde ich gut. Ich kenne nicht sehr viele Leute, die da eine Linie ziehen koennen, die Pot rauchen, aber auf Tabak voellig verzichten koennen.

Tom: Pot war zuerst da. (lacht)

Du meinst, Kraeuter kamen als erstes?

Tom: Ja, definitiv.

Letztes Wochenende war ich in Verona, an dem Tag, als Jamiroquai auch in der Arena aufgetreten ist, und die haben da einen „Piaza Erbe“.

Tom: Aha.

Weisst Du, was das bedeutet?

Tom: Nein.

Das bedeutet soviel wie, „the herbal place“.

Tom: (etwas erstaunt) The herbal place?

Genau, und das ist das Stadtzentrum. Unglaublich hier in Italien, nicht wahr?

Tom: (lacht und lacht)

Also, erzaehl` mir etwas von Liverpool!

Tom: Nun, es ist halt da, weisst Du, es ist eine Stadt, ein Ort. Ich weiss wirklich nicht, was ich Dir darueber erzaehlen kann. Es ist ziemlich traurig und muede dort, post-industriell.

Dafuer machst Du mit GOMEZ eigentlich recht positiv klingende Musik.

Tom: Ja, ich denke aber, dass Leute aus Liverpool immer schon ziemlich positiv dem Leben gegenueberstanden. Die ganze Gegend aus der ich komme, ist so gesinnt. Auf eine Art ist das eine ziemlich irische Gegend.

Irisch? Die haben ja gerade gegen „uns“ gewonnen. 1 : 1.

Tom: (lacht) Nun, jeder dachte, dass sie gewonnen haetten.

Bei uns auch. Na, egal, Ihr habt doch vor einiger Zeit in Bremen gespielt. Wie siehst Du das Publikum hier im Vergleich dazu?

Tom: Italiener sind schon anders als Deutsche, in beinahe saemtlichen Belangen.

Sprich`!

Tom: Allein die Art, wie sie sich bewegen, wie sie zuhoeren.

(die Umstehenden lachen)

Du meinst, sie schwingen ihren Arsch besser?

Tom: Ich wuerde nicht sagen besser, (wieder Gelaechter seitens der ZuhoererInnen), ein wenig fluessiger. Das ist wahrscheinlich der beste Ausdruck dafuer. Deutsches Publikum findet dafuer den Beat ziemlich schnell, was auch cool ist. Also wir haben gute Dinge in beiden Plaetzen gefunden.

Hier reagieren die Leute in der Regel aber enthusiastischer.

Tom: Yeah, absolut, die verfallen regelrecht in Liebe.

Und sie orientieren sich auch eher an Stars.

Tom: Stimmt. Ja, ja, sie moegen das ganze Drumherum. Ich denke, wir machen hier vielleicht mehr Sinn.

Auf welche Weise?

Tom: (ueberlegt) Keine Ahnung, das ist nur so ein Gefuehl. Ich denke, dass Menschen hier staerker vertraut sind mit Musik, die akkustisch geschlagen wird und solche Sachen. Und Grooves.

Wirklich? Ich habe manchmal das Gefuehl, das lustige Sachen hier meistens bevorzugt werden.

Tom: Nun, auf lustige Sachen stehen wir ja auch. (Trust lacht) Ich habe nur versucht, das so direkt nicht auszusprechen.

(lacht) Mit einem leicht veraenderten Ansatz.

Tom: (lacht) Oh, ich habe keine Vorstellung mehr.

Gut, sprechen wir geradeaus ueber Euer neues Album „In Our Gun“. Fuer meine Ohren ist das zu ueberproduziert und sauber geraten.

Tom: Wirklich? Ueberproduziert und zu sauber? Also, ich weiss nicht. Vielleicht solltest Du Dir eine schlechtere Hifi-Anlage kaufen.

Du meinst einen dieser Ghettoblaster?

Tom: Ganz genau. Du musst immer daran denken: Die meisten Menschen hoeren sich Musik an, sie hoeren sich keine teure Hifi-Anlage an.

Alessandra: (zu Tom) Aber Du bist schliesslich teuer.

Tom: (erstaunt und ueberrascht, dann am Lachen)

Bist Du teuer?

Tom: Wir sind ja zu vielen hier, da sind sechs in der Band. Und dann haben wir soviel Equipment. Die Crew besteht aus sechs, sieben Leuten. Also um jeden zu bezahlen, benoetigen wir viel Geld. Mit sovielen Leuten zu reisen, bedeutet, wir brauchen einen groesseren Bus und dann muessen wir das ganze Zeug auf einen weiteren Transporter laden. Wir touren eigentlich immer mit beinahe 16, 17 Personen. Ja, das ist hart, das ist schwierig, betrachtet man mal die geschaeftliche Seite der Band. Das ist schon ziemlich schwierig zu machen.

Und wie ist es fuer Euch in diesem Zusammenhang, bei Virgin zu sein?

Tom: Das ist okay.

Was das Geld betrifft?

Tom: Nein. Weil, Du weisst, wir machen Schallplatten und sie bringen die heraus.

Ander Leute koennten das auch machen.

Tom: Um genau zu sein, unterschrieben wir bei Virgin, weil wir eine Person, einen Typen dort moegen.

Alessandra: Also eine menschenbezogene Wahl.

Tom: Ja, er war die netteste und ehrlichste Person, die wir finden konnten. Also begannen wir mit ihm zu arbeiten, weil wir nicht sovielen anderen Leuten vertrauten. Und da waren wirklich viele Major-Labels, die uns unter Vertrag nehmen wollten. Wir sind nie hinter dem Geld hergerannt, wir waren nie gierig, weshalb wir auch schon so lange bestehen.

Der Typ an der Tuer, dem der „New Age Club“ gehoert, meinte vorhin zu mir, dass obwohl der Laden fast ausverkauft ist, er dennoch Probleme hat, Euch auszuzahlen.

Tom: (schweigt kurz) Ich weiss, das ist schrecklich. Deshalb muessen wir auch mehr Schallplatten in Italien verkaufen. Dann koennen wir groessere Konzerte geben und mehr Geld fuer die Leute machen.

Z.B. auf dem Heineken-Festival am naechsten Samstag.

Tom: Ja, das waere groesser, das waere gut. Ich weiss nicht. Das ist nur eine Rechnung und ich bin nicht wirklich daran interessiert, wo wir da stehen.

Gomez besteht aus drei unterschiedlichen Saengern. Schreibt Ihr Eure Songs individuell und bringt sie dann fertig in die Band ein?

Tom: Manchmal, aber nicht immer. Die drei Saenger sind die Hauptsongschreiber, wuerde ich sagen. Aber es funktioniert nicht so, dass der Saenger seinen Song singt. Ben kann einen Song singen, den ich geschrieben habe, oder Ian oder umgekehrt. Das ist also nicht wie drei verschiedene Bands in einer.

Wie wuerdest Du Eure Band-Chemie beschreiben?

Tom: Wir sind immer noch gute Freunde, was wir urspruenglich ueberhaupt immer waren und noch sind. Olli und Ian sind in Betten direkt nebeneinander geboren worden. Ich wuchs zwei Tueren entfernt in der gleichen Strasse auf, wo auch unser Schlagzeuger lebte. Olli, Blackie und Ian wuchsen in einer Entfernung von zwei Minuten zueinander auf. Und seitdem wir 15 waren, kennen wir uns gegenseitig wirklich gut. Mehr als zehn Jahre.

Obwohl Ihr weniger auf Teamwork bei der Entstehung Eurer Musik setzt, wirkt Ihr auf der Buehne zusammen sehr stark und geschlossen. Was macht diese Erfolgsformel aus?

Tom: Wir fuehlen uns wohl.

Reicht das aus?

Tom: Ja, das genuegt.

Warum habt Ihr Del Piero heute einen Eurer Songs gewidmet? (die anderen lachen)

Tom: Wir haben uns das Spiel angeschaut.

Du kannst mir nicht erzaehlen, dass es Dir gefallen hat.

Tom: Nein, Italien hat wirklich schlecht gespielt, aber wir haben die ganze Zeit ueber gesagt: „bringt Del Piero rein, bringt Del Piero rein“. Und die ganzen italienischen Jungs waren absolut dagegen, waren wirklich nur ueber ihn am meckern. Und dann kam er endlich und wir: „okay, okay“, und dann zwei Sekunden spaeter macht er das Ding.

Und abgesehen von Eurer Vorstellung heute, was denkst Du von Deiner Performance?

Tom: Das war ziemlich gut, ja, das war okay. Ziemlich heiss hier, besonders auf der Buehne, aber ich habe mich praechtig amuesiert.

Doch das war gut, eine wirklich gute Show, die Ihr gespielt habt.

Tom: Danke, und Du haettest das neue Album gerne mehr in „lofi“ gehabt?

Ja, rockiger und mit einem leckeren „crusty sound“ ausgestattet.

Tom: Crusty Sound, in Ordnung, Du willst den Schmutz?

Richtig. Schmutz ist real, oder nicht? Was denkst Du ueber Schmutz?

Tom: Ich denke, ich mag Schmutz. Das Problem ist bloss, das viel der heutigen Musik, die dreckig klingt, gefaelschter Schmutz ist.

Exakt. (beschwoerend) Aber es gibt auch genug wirklichen Dreck.

Tom: Und wie machst Du den Unterschied aus?

Liverpool.

Tom: Oh yeah, es gibt genug wirklichen Schmutz in Liverpool.

Beispielsweise kann ich nicht nachvollziehen, warum Ihr „In Our Gun“ im Real World Studio abgemischt habt.

Tom: Aber wir haben die Platte doch an einem anderen Ort mit homerecording-equipment aufgenommen.

Seid dann aber zum Mixen ins Real World umgezogen. Das gehoert doch Peter Gabriel!?!

Tom: Ja, aber das ist wirklich ein sehr angenehmer Ort, sehr hell und wirklich gut, um sich zu entspannen.

Jedoch nicht unbedingt der Platz fuer Rockbands, was immer das auch heissen mag.

Tom: Da magst Du Recht haben. Aber es ist wirklich schoen dort: diese umgebaute Wassermuehle mit einem grossen Raum, der komplett verglast ist und einem Fluss, der aussen um das Gebaeude fliesst. Wenn du da aufnimmst, hast du nicht das Gefuehl eingesperrt, sondern im Freien zu sein. Das ist schoen. Tom, danke fuer das Gespraech und achte auf die Schaeferhunde beim Grenzuebertritt.

***

Tom Dreyer

Diskographie:

„Bring It On“ LP
„Liquid Skin“ LP
„Machismo“ EP
„Abandoned Shopping Trolley Hotline“ LP
„In Our Gun“ LP

Links (2015):
Wikipedia
Homepage
Discogs

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