April 14th, 2020

Girls Rock & Girls Rule. Auf Tour in den USA aus #134, 2009

Posted in artikel by Jan

Auf Tour in den USA, zum dritten Mal nun schon – nun zum zweiten Mal mit der Band meiner Freundin. Nicht, dass in den Staaten allzu viele Menschen von Loki The Grump gehört hätten. Nicht, dass die anderen Bands einen Deut bekannter wären. Als da wären: die Hardcore-Band Marisa Mini & The Underage Hottie, was noch kurzfristig in & Her Mojo geändert wird, weil Besucher unter 21 in vielen Clubs nicht erlaubt sind; RewBee, die ein bisschen nach B-52’s klingen; die Indieband America’s Sweetheart sowie G-Spot, die Funkrock spielen. Loki The Grump machen übrigens melodiösen Punkrock.

Aber ich beschwere mich nicht – ich bin als Tourmanager engagiert, bekomme dafür das Flugticket bezahlt und sehe kostenlos ein paar Städte, in die ich ansonsten nicht so bald gereist wäre. Und überhaupt ist die Tour durchaus unterstützenswert: „Girls Rock & Girls Rule“ nennt sich das Ganze, jede der beteiligten Bands hat mindestens eine Sängerin, teilweise handelt es sich um All-Girl-Kapellen. Und ein Teil des Erlöses geht zudem an das „Willie Mae Music Camp“, einer Art Sommerschule für Mädchen, die dort Instrumente lernen und ermutigt werden, in Rockbands zu spielen. Trotzdem: Dass die Bands auf Tour so unbekannt sind, wird noch zur Belastung.

Tag 1, Washington DC: Der anstrengende Teil liegt bereits hinter uns. Am Vorabend waren wir stundenlang unterwegs, um Equipment, Merchandise und zahlreiche schwere Koffer abzuholen. Ich erinnere mich daran, bei meiner Fahrschulprüfung 1989 nervös gewesen zu sein, weil unser Prüfer mich womöglich nach Dortmund fahren lassen könnte. Nun bin ich im Van in New York City unterwegs und komme mittlerweile sogar mit dem Einbahnstraßen-System klar. Die Hauptarbeit also ist erledigt, und trotzdem wird der erste Tag stressig. Der Club (The Red & The Black) ist sehr gemütlich, eigentlich recht cool – der Promoter aber sehr schwierig. Ein paar Tage zuvor hatte er mich mit der Ankündigung überrascht, dass an diesem Freitagabend um 0.30 Uhr Schluss sein musste. Und das bei sieben Bands! Selbst fünf Minuten Überziehen sei nicht drin. 24 Stunden vor der Show teilt er dann mit, dass er plötzlich keinen Eintritt mehr nehmen könne. Kurzfristige behördliche Probleme. Wir spielen trotzdem, wir müssten schließlich ohnehin durch Washington DC, um nach Norfolk, Virginia, zu kommen. Und wir hoffen auf ein spendables Publikum. Am Ende ist alles ganz anders, wir können Eintritt kassieren und dürfen sogar ein paar Minuten überziehen.

Tag 2, Norfolk, Virginia: „Wir wissen, wie wir fahren müssen“, sagen die Jungs im Passenger Van noch am Telefon – dann fahren sie in die falsche Richtung ab. Wozu habe ich Zuhause stundenlang Karten ausgedruckt? Michele und ich halten uns an die Wegbeschreibung; am Ende haben wir fast eine Stunde Vorsprung. Zeit für einen Besuch in einem mexikanischen Restaurant – diner food wird es in den kommenden Tagen noch oft genug geben. Die Hershee-Bar ist ein Lesben-Club, der eher auf Singer/Songwriter spezialisiert ist – eine Rockshow ist ein Experiment, das aber bestens ankommt. Die anwesenden Besucherinnen sind ganz begeistert, und wir kriegen hier eine stolze Garantie. Dafür kauft keiner mein Merchandise.

Tag 3, Chapel Hill, North Carolina: Chapel Hill in North Carolina fühlt sich überhaupt nicht nach Südstaaten an. Der stockkonservative US-Senator Jesse Helms soll sogar mal gesagt haben, es wäre besser, die Universitätsstadt zu ummauern, um sie vom Rest des Landes abzutrennen. Kurzum: Chapel Hill ist eine sehr angenehme Stadt, und ich kann unser Konzert sogar mit einem Besuch in einem indischen Restaurant neben dem Local 506 abrunden (es ist tatsächlich für einige Tage das letzte gute Essen). Zwei angenehme lokale Bands ergänzen heute das Programm: Princess And The Criminals und Pink Flag (www.myspace.com/pinkflagnc), die nichts mit Black Flag zu tun haben, sondern sich nach der ersten Wire-Platte benannt haben und ansteckend gut gelaunten Indierock machen. Eine der besten Supportbands auf dieser Tour, wirklich hörenswert! Das Local 506 ist wiederum ein echter Rockclub, The Death Set haben zum Beispiel hier vor kurzem gespielt. Leider gibt es hier auch die Unsitte, die sich viele amerikanische Clubs angewöhnt haben: Wir müssen für Sound und Security bezahlen. 45 Leute kommen heute, für einen Sonntag wirklich gut (im Vorjahr hatten wir in Wilmington, Delaware, gerade einmal neun Zahlende). Aber es bleibt wenig in unserer Kasse hängen – zu wenig für unsere täglichen Kosten. Zumindest gefällt denjenigen, die an diesem Sonntag trotz eines Straßenfestes gekommen waren, das Konzert.

Tag 4, Spartanburg, South Carolina: America’s Sweetheart, die im Kombi vorausfahren, warnen uns telefonisch vor: Tankt, wenn ihr könnt! Die Hurrikan-Saison ist noch nicht lange vorbei, und es gibt hier Tankstellen, bei denen es lediglich Normal-Benzin zu kaufen gibt, der Rest ist aus. Den wenigen Leitungen aus dem vom Hurrikan schwer getroffenen Houston sei Dank. Wir finden zwar eine Tankstelle, die aber die Benzinmenge bei 75 Dollar künstlich abriegelt. Erstmals stimmt unsere Wegbeschreibung nicht. Oder besser: Der Mensch, der die Hotels gebucht hat, hat mir ein falsches angegeben. „Seid froh, dass ihr da nicht geblieben seid“, erzählt uns später jemand – das scheint wohl eine Hochburg der Kriminalität zu sein.

Der Club, das Ground Zero, wirkt auch seltsam: Spartanburg ist Death-Metal-Stadt. An den Wänden kleben zahllose Poster von gar nicht so unbekannten Todesmetallern, die hier aufgetreten sind. Ted Nugent und Glenn Danzig/Samhain waren auch schon da. Wie sollen wir hier Leute ziehen? Zumal die Band aus der Gegend Country macht, und die andere gar nicht aus Spartanburg stammt. S (früher hießen sie Shitz, das gab aber zu viele Probleme) sind indes der Höhepunkt der Tour: das Duo macht sehr verkopften Rock zwischen Zappa und Noise und ist für Trust-Leser unbedingt anhörenswert (www.myspace.com/musicalspanking). Außerdem ist das Ehepaar, das die Gruppe bildet, ausgesprochen liebenswert. Die beiden freuen sich, Menschen aus New York kennen zu lernen. „Dann können wir euch ja mal besuchen kommen, und ihr passt auf uns auf.“ Komisch, dass wir uns hier im Süden ähnlich fühlen. Die Mitarbeiter im Ground Zero sind aber ebenfalls alle sehr angenehm. Richtig voll wird es aber auch hier nicht.

Tag 5, Tucker, Georgia: Eine Schwulen- und Lesbenbar mitten im Süden, an der Stadtgrenze zu Atlanta. Wer hätte das gedacht? Ich gehe selten in solche Etablissements, deswegen bin ich über die Besucher überrascht. Die sehen hier alle wie „stinknormale Südstaatler“ aus („Ja wie denn sonst, du Depp?“, frag ich mich gleich selbst). Das Stage Door ist eine der letzten dieser Clubs, die noch überlebt haben, erzählt uns der Besitzer. Die wirtschaftliche Lage fordert hier ihre Opfer. Wer weiß allerdings, wie lange dieser Club noch überlebt – auch an diesem Abend sind kaum Besucher da, der Besitzer hat uns aber eine Garantie versprochen. Er hätte mehr erwartet: America’s Sweetheart waren vor einigen Monaten hier, und das Stage Door war gerammelt voll. Heute aber konnten die Menschen in der Gegend zum ersten Mal nach den Unwettern in Texas wieder voll tanken. Und hatten bestimmt besseres zu tun, als mit dem Benzin zu einer Rockshow zu fahren. Diejenigen, die anwesend sind, machen aber so richtig Party. Und ein Teil unserer Mädels zieht mit. Dumm nur, dass wir eigentlich so früh wie möglich hier raus wollten: Wir müssen noch 90 Minuten weiterfahren, weil wir am nächsten Tag früh in Nashville sein müssen.

Tag 6, Nashville, Tennessee: Wir kommen spät los und stecken dann auch noch im Stau. Das wird eng heute – bis ich ein Schild entdecke, dass auf die geänderte Zeitzone hinweist. Und sich auf einigen Handys die Zeit selbstständig umstellt. Eine Stunde gewonnen. Dafür müssen wir dann wohl morgen früher raus – da geht es zurück in die Zeitzone an der Ostküste. – All die Klischees über Nashville, sie scheinen zu stimmen. Wir spielen im 3rd & Lindsley, einem Country- und Rootsrock-Club, in dem jeden Mittwoch die gleiche Coverband spielt. Seit 15 Jahren, mit nur zwei Ausnahmen. Heute ist die dritte. Dementsprechend ziehen viele Leute wieder von dannen, als sie merken, dass ihre Favoriten heute nicht zu hören sind. Denjenigen, die sich am Merchandise-Stand erkundigen, was heute passiert, schlage ich vor, doch auch mal was anderes zu probieren.

Das hat wenig Erfolg. Die Leute vom Club mögen uns auch nicht so richtig, vor allem, als es in den Liedern von Marisa Mini laut vernehmlich um Sex geht. Die Straße runter ist ein Punkrock-Club, vor dem Leute Schlange stehen. Da hat wohl jemand den falschen Club gebucht. Aber auch hier gilt: Wer wegen der Show und trotz des falschen Ladens gekommen ist, hat seinen Spaß. Und erlebt den ersten „Punkrock-Moment“ – eine falsche Bewegung mit dem Instrument, und schon hat sich Marisas Bassist Bryant einen dicken Kratzer auf dem Schädel geholt. Der unpunkrockigste Moment: Wir haben unseren eigenen Arzt dabei – Loki The Grumps Bassist Phil. Der diagnostiziert schnell: sieht blutig aus, ist aber nicht so schlimm.

Tag 7, Cincinnati, Ohio: Auf dem Weg nach Ohio fühle ich mich zum ersten Mal so richtig ins heartland der USA versetzt. In Kentucky gibt es weite Felder und die typischen Getreidesilos, die man ansonsten aus dem Fernsehen kennt. An einer Tankstelle werden T-Shirts mit zahlreichen Jesus-Abbildungen verkauft – im Metal-Design genauso wie in einer eher traditionellen Form. Mir gefällt das „Pick Jesus“-Design, auf dem ein Gitarrenpick zu sehen ist und der Name „Jesus“ in der Form des „Fender“-Schriftzugs. 15 Dollar sind mir aber zuviel, um das Shirt als Scherz zu tragen. Der Club befindet sich in Cincinnati wiederum in einer dieser städtischen Gegenden, die eher zweifelhaft wirken.

Schon in DC hatten wir eine Abzweigung verpasst und waren dann vor einigen Wohnhäusern gelandet, bei denen selbst mir die Haare zu Berge standen. „Hier ist aber alles okay“, sagt die Promoterin Jem. Ihr Club Dirty Jack’s ist jedenfalls endlich mal ein richtiger Punkrock-Club, man merkt, dass es langsam aufs Wochenende zugeht (sprich: die Besucherzahlen gehen nach oben), und Banana Convention, eine der örtlichen Bands (die aber tatsächlich aus Detroit stammt), spielen Skapunk, der sogar mir gefällt. Erst einmal brauche ich aber dringend Schlaf. Ich schnappe mir ein Kissen, verziehe mich in den Bus und bekomme von einem Großteil des Gigs nichts mit. Die Ruhepausen sind einfach zu kurz, weil ich jeden morgen rechtzeitig raus muss, um 15 Leute zu überzeugen, ihre Koffer zum Van zu schleppen, danach 5 Stunden Fahrt (plus Pausen) anstehen, und die Konzerte meist viel später enden als um Mitternacht wie geplant. Ich hätte gerne jeden Abend drei Bands weniger…

Tag 8, Pittsburgh, Pennsylvania: Noch so eine unglaublich lange Fahrt, und dann macht bei Wheeling, West Virginia, auch noch der Kombi von America’s Sweetheart schlapp. Wheeling sieht aus wie eine alte Westernstadt, was sich einige Tage später bestätigen soll: Da hören wir im Radio (unser Wagen hat keinen CD-Player) den Billy-the-Kid-Song von Billy Joel und erfahren, dass Billy The Kid dort geboren wurde. Das hilft uns alles nichts, wir kommen viel zu spät nach Pittsburgh. Zum Glück muss an dem Auto nur ein Ersatzteil eingebaut werden.

Wir können weiterfahren, America’s Sweetheart kommen später mit einem Mietauto nach und werden am nächsten Tag ihr eigenes Auto abholen. Ein Umweg von zwei Stunden, aber was sollen sie machen? Pittsburgh ist der interessanteste aller Konzertorte bislang: Zunächst entdeckt man die Stadt völlig unerwartet nach einem kurzen Stück durch den Tunnel. Plötzlich tut sich die Skyline Pittsburghs auf. Dann liegt das „Smiling Moose“ auch noch in einem alternativen Stadtviertel, Kreuzberg nicht unähnlich. Hey, ich bekomme hier sogar Falafel. Die Tage zuvor ging es wirklich nur noch zu Subway’s (okay), Waffle House (ganz schlimm) oder Cracker Barrel (höher preisig, aber nicht wirklich für Vegetarier geeignet).

Einmal hatte ich sogar Spaghetti. Und heute Abend: Gute Falafel mit leckerem Salat und passender Soße. Ich bin mit der Welt zufrieden. Der Club ist großartig, aber es gibt gleich Ärger. Die Stadt erlaubt keine Besucher unter 21 Jahren in den Bars – auch nicht, wenn sie in einer Band spielen. Zuwiderhandlungen werden mit 1000 Dollar Strafe abgehandelt. Der Türsteher kontrolliert Führerscheine, und unsere „underage hotties“ fallen durch. Nur für ihre eigenen Shows dürfen sie rein, ansonsten müssen sie draußen bleiben.

Unsere Minderjährigen sind stinksauer, aber sie müssen sich fügen. Wäre es Clubpolitik, hätte ich vielleicht diskutiert, aber so hilft es ja doch nichts. Zum Glück verstehe ich mich mit dem Türsteher – alter Negative-Approach- und Death-Metal-Fan – prächtig. Das beruhigt die Lage, und er nimmt die Beschimpfungen von Marisas 20-jährigem Gitarristen Dave stoisch hin. Der Club ist gerammelt voll, was auch daran liegt, dass die örtlichen Metalfavoriten MotorPsychos auftreten. Ich muss am Merchandise-Stand den ganzen Abend schreien, was meiner Gesundheit den letzten Rest gibt. Aber die Show ist die gelungenste der ganzen Tour: Das Publikum liebt die Band und meine CDs und T-Shirts.

Tag 9, Baltimore, Maryland: Der letzte Abend. Ich bin gefühlt todkrank, aber da muss ich noch durch – diesmal nicht als Merchandiser, sondern als Stage Manager. Die junge Dame, die dafür bisher eingeteilt war, hat das ein wenig schleifen lassen. Heute aber müssen wir pünktlich um 1 Uhr fertig sein. Da ist dann deutsche Pünktlichkeit notwendig. Oder so. In den Bus verziehen und schlafen gilt also nicht. Und um was ich mich kümmern muss: Die Barfrau beklagt sich zum Beispiel, dass die Bands bei ihr zwar ihr Freibier abholen, aber nie Trinkgeld geben. Ein Hinweis reicht, schon bessert sich ihr Einkommen. Ich habe das völlig uneigennützig getan, aber später stellt sich heraus, dass meine Drinks dafür im Laufe des Abends immer billiger werden. Da probiere ich sogar mal Whisky, der angeblich gut gegen Erkältung hilft. Zusammen mit all den Medikamenten, die ich genommen habe, bestimmt… Nachts geht es noch weiter nach Wilmington, Delaware, wo ein Teil von uns bei Freunden unterkommt. Ich bin um 5 Uhr endlich im Hotel, schlafe sofort ein und bekomme nur noch halb mit, wie Michele mir Hustensaft einflößt.

Tag 10, zurück nach New York City: Um 10 Uhr muss ich aufstehen, um in Ruhe die Endabrechnung erledigen zu können, bevor wir das Hotel verlassen müssen. Bei Micheles Freunden gibt es ein großes Frühstück, der abgerundet wird durch eine Torte. Damit hatten die Bands uns Roadies in Baltimore überrascht. Und dann habe ich – halb betrunken, halb weggetreten – das gute Teil im Kofferraum einer anderen Freundin vergessen. Zum Glück wohnt die auch in Wilmington, und eine halbe Stunde später darf ich als „Chef“ die Schokoladen-Kirsch-Torte anschneiden. Die Rückfahrt dauert viel zu lange, Stau auf dem New Jersey Turnpike, es ist Sonntag, also Rückreisetag.

In New York brauchen wir Stunden, bis Instrumente und Geräte dort angekommen sind, wo sie hin sollen. Irgendwann um 22 Uhr haben wir es geschafft, wir sind Zuhause. Ich schwöre mir: Nicht noch einmal solch eine Tour mit so langen Strecken. Aber das hab ich voriges Jahr auch gesagt… Und als Michele Wochen später ankündigt, dass ihre Band bei meinem nächsten Besuch im Frühjahr ein Konzert im gut vier, fünf Stunden entfernten Ithaca, New York, angeboten bekommen hat, fange ich schon wieder an zu planen. Können wir nicht auch noch einen Abstecher zu den Niagarafällen machen? Das sind nur noch drei Stunden Fahrt…

Dietmar Stork

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