März 9th, 2020

Flipper aus #199, 2019

Posted in interview by Jan

„Wir taten unser Bestes“
Flipper

Ich war im Urlaub, glaube ich, als Flipper zum ersten Mal in Deutschland auf Tournee waren und unter anderem im Wehrschloss in Bremen gastierten. Kann eigentlich kaum anders gewesen sein. Ich hätte mir die Gelegenheit, Feedback Recycling zu sehen, nämlich kaum einfach so entgehen lassen. Und hätte möglicherweise Flipper gar nicht so zu schätzen gewusst. Ging auch vorher ohne. Mir war das alles nicht schnell genug, als ich davon erfuhr. Naja, wir haben alle eine Leiche im Keller. Ich bin auch danach kein Fan geworden, habe aber doch verstanden, warum diese Typen wichtig waren.

In den letzten zehn Jahren habe ich dann vorwiegend über andere Dinge nachgedacht. Als dann die Meldung kam, Flipper oder das, was von ihnen übrig ist, würden zu ihrem 40. Geburtstag eine große Sause machen, an der auch David Yow und Mike Watt teilnähmen, elektrisierte mich das dann doch ein bisschen. Eine gute Gelegenheit, sich das doch nochmal anzusehen. Gute Gelegenheit auch, mal bei dem einen der zwei verbliebenen Originale nachzufragen, wie es dazu kam. Schlagzeuger Steve DePace war an einem Tag Mitte Juni bereit für eine kleine Plauderei per Telefon, bevor es dann für die aktuelle Flipper-Besetzung am nächsten Tag für ein paar Konzerte ostwärts ging.

Wahrscheinlich hast du meine Fragen alle schonmal in den letzten Tagen beantwortet. 40 Jahre Flipper sind schon eine ziemlich große Sache…
Steve DePace: Ja, stimmt, es ist eine ziemlich große Sache, überhaupt noch am Leben zu sein, ganz zu schweigen davon, eine Band am Laufen zu haben.

Vor allem was das Überleben angeht. In eurer Bandgeschichte habt ihr ja einige Mitglieder durch Überdosen verloren.
Einer von ihnen starb lange, nachdem er die Band verlassen hatte. Ricky Williams hieß er, und wir hatten ihn tatsächlich wegen seines Drogenkonsums gefeuert. Dann kam unser Bassist John Dougherty, der an einer Heroin-Überdosis starb. Und dann Will Shatter, ein Gründungsmitglied, der an einer Überdosis starb. Also ja, das ist unglücklich, aber diese Dinge passieren im Rock’n’Roll.

Und du hattest einfach Glück? Oder hast du dich von den harten Sachen ferngehalten?
Ich habe früh gelernt, dass Heroin keine gesunde Sache ist. Ich sah Menschen um mich herum, als ich 18 Jahre war, die anfingen es zu benutzen. Ich sah niemanden um mich herum sterben, aber ich sah, wie sich das Verhalten dieser Leute radikal veränderte, und sie wurden schnell von netten Leuten zu Dieben und Junkies. Als ich mit Musik in Berührung kam, wurde mir stärker bewusst, dass Menschen um mich herum an Überdosen starben. Ich lernte, die Droge zu respektieren, insofern, dass sie eine mächtige Sache war, mit der man nicht herumspielen sollte.

Ich konnte nicht verstehen, wie Leute das nicht bemerken konnten. Sogar wenn Menschen um sie herum starben, sogar wenn ihr bester Freund starb, machten sie weiter. Ich lernte. Und warum auch immer, ich hatte nie ein Problem mit irgendeiner Form von Sucht. Ich schätze, manche Menschen haben eine entsprechende Veranlagung oder wollen dem Schmerz in ihrem Leben entfliehen. Heroin und jede andere harte Droge sind sehr verführerisch und machen süchtig. Man muss klug genug sein, um zu wissen, wann man es ruhiger angehen lassen oder wann man nein sagen sollte. Aber bis heute nehmen die Leute Drogen, egal wie viele daran sterben.

Zumindest in Deutschland scheint Heroin heute nicht mehr so präsent zu sein.
Das ist gut, gerade in Deutschland war es sehr verbreitet. Ich weiß noch, als wir das erste Mal in Deutschland waren. Wir hatten Leute in der Band, die Heroin konsumierten, und man sagte uns, dass Bahnhöfe die Orte waren, wo man das Zeug bekam.

Ihr wart mehrmals in Deutschland…
Wir haben ausgedehnt getourt in Deutschland. 1991 war die erste Europa-Tournee, und 1993 kamen wir wieder. Das waren die ersten beiden Male, und es waren ziemlich ausgedehnte Touren. Ich habe mal alle deutschen Städte gezählt, in denen wir gespielt haben, und ich glaube es waren 26 verschiedene. Die erste Tour hatte ein Deutscher gebucht, der eine Band hatte, die Feedback Recycling hieß, glaube ich. Er buchte die ganze Tour, die hauptsächlich durch Deutschland ging. Viele dieser 26 Städte spielten wir auf dieser Tour. Das war ziemlich cool. Wir hatten damals keine Plattenfirma, keine Unterstützung für Touren, wir waren völlig unabhängig, und wir gingen allein da raus.

Hattet ihr damals Leute in Europa angesprochen, um zu touren?
Nein, der Name dieses Gentleman von Feedback Recycling war Christian (1), und ich traf ihn völlig zufällig in San Francisco. Ich saß in einem Club an der Bar und trank etwas und fing an, mit dem Typen neben mir zu quatschen, das war Christian, und als er herausfand, dass ich in Flipper war, schlug er vor, eine ganze Tour zu buchen mit seiner Band und einer anderen deutschen Band (Die wilde 13, Anm. d. Red.). Und das tat er dann. Wir flogen nach Frankfurt, wo er lebte (2), dann machten wir eine große Tour, ungefähr einen Monat lang. Das lief super. 1993, als wir zurückkamen, waren wir bei Rick Rubins Def American unter Vertrag und bekamen Unterstützung. Wieder gab es einen deutschen Konzertagenten. Ja, wir spielten eine Menge Konzerte in Deutschland.

Das passierte allerdings eher spät in eurer Bandgeschichte, nicht wahr? In den 80ern ging ja eigentlich jede amerikanische Band, die eine Single draußen hatte, in Europa auf Tour.
Durch die 80er hindurch hatten wir, warum auch immer, nie die Gelegenheit, nach Europa zu kommen. Wir spielten viel in den Staaten, aber es gab keine Gelegenheit nach Europa zu kommen, bis ich 1991 jenen Gentleman traf und wir das machen konnten. Ein paar Jahre später ging es wieder, weil wir eine Plattenfirma hatten, die uns unterstützte. Ich weiß nicht, warum wir die Gelegenheit nie hatten. Andere Band haben es in den 80ern geschafft, aber Flipper hatten leider nie die Chance.

Nicht alle in der Band gingen gern auf Tour.
Das stimmt. Will Shatter und Bruce Loose waren nicht wirklich verrückt auf Touren. Sie blieben lieber zuhause. Das hielt uns zurück. Aber auf eine Art mussten wir auf Tour gehen, weißt du? Sie tourten so viel, wie sie wollten, aber wir hätten sicher viel mehr tun können, hätten wir alle vier das gewollt. Aber wir kamen trotzdem einigermaßen in den Staaten herum.

Soweit ich es verstehe, ging es auch darum, das Rockstar-Spiel nicht mitzuspielen?
Ja, das stimmt, sie wollten mit Ruhm und Rockstar-Dasein nichts zu tun haben. Sie waren zufrieden damit, sowas wie Lokalhelden zu sein.

Wie hast du das gesehen?
Unser Gitarrist und ich liebten es zu reisen. Wir wollten auf Tour gehen. Wir haben uns selbst nie als Rockstars gesehen. Wir waren an der Kunst interessiert, was das Aufnehmen und Auftreten anging. Wir machten sehr kunstvolle Platten, und wir genossen das Reisen. Wir waren alle jung, in unseren Zwanzigern, und es war abenteuerlich für uns. Was den Erfolg angeht… Nach einigen Jahren, in denen wir mehrere Platten gemacht haben, hatten wir nie Geld verdient. Das war ein bisschen frustrierend. Und der einzige Weg, Geld zu verdienen, war auf Tournee zu gehen. Wir taten unser Bestes.

Seit wann spielt ihr jetzt wieder Shows? Kam das durch den 40. Geburtstag in Gang?
Ja, das war die Inspiration für mich, ein paar Sachen zu machen und 40 Jahre zu feiern. Ich habe es geschafft, die Leute dafür zu interessieren, und wir haben David Yow als Sänger an Bord, wir haben Mike Watt als Bassisten, der ziemlich begeistert ist, dabei zu sein. Wir haben ein ziemlich gutes Line-up für die Europa-Tournee. Wir kennen uns alle schon seit einer ganzen Weile. Wir haben schon Shows in den Staaten gespielt. Wir spielen quer durch die USA. Das setzen wir den Rest des Jahres fort. Und wir freuen uns darauf, im August in England und Europa zu spielen, es werden dreieinhalb bis vier Wochen werden. Wir werden so viel machen, wie wir können.

Ihr wollt auch nach Russland, habe ich gehört?
Russland klappt diesmal nicht, vielleicht nächstes Mal. Es gab Interesse aus Moskau und St. Petersburg. Aber wir haben es nicht geschafft. Deswegen werden wir eine weitere Tournee planen, hoffentlich bald, vielleicht im Herbst oder nächstes Jahr im Frühling, um in verschiedenen Teilen Europas zu spielen, wo wir noch nicht waren.

Die letzte Platte, die ihr gemacht habt, ist schon zehn Jahre alt. Jetzt habt ihr aber neue Stücke aufgenommen mit Buzz Osbourne und Dale Crover von den Melvins.
Ja. Ein Teil meines Plans für das Jubiläum war, rauszugehen und Shows zu spielen. Ich wollte aber auch andere Dinge inkorporieren. Ich arbeite zum Beispiel daran, unseren ganzen Back-Katalog wieder aufzulegen. Und ich wollte frische Kollaborationen mit tollen Leuten und Aufnahmen machen. Das erste Projekt war mit Buzz und Dale und Ted Falconi und mir, also den beiden Gründungsmitgliedern von Flipper. Unsere erster Sänger, Bruce Loose, hat sich aus der Band zurückgezogen (3). Er hat seit vielen Jahren mit einem gebrochenen Rücken zu tun.

Er kann nicht mehr touren. Deswegen brachten wir David Yow dazu. Buzz und Dale und Ted und ich kennen uns schon seit langer Zeit, also trat ich mit Buzz in Kontakt und fragte, ob er Interesse hätte, etwas aufzunehmen, und er erzählte mir, dass sie zufällig planten, ein paar Flipper-Songs aufzunehmen. Also beschlossen wir, uns zussammenzutun. Sie wollten die Flipper-Songs sowieso aufnehmen, und wir fügten dem Projekt zwei weitere Songs hinzu.

Wir nahmen einen Flipper-Song namens „Sacrifice“ auf, den [die Melvins] seit vielen, vielen Jahren spielten, und dann schrieben wir zusammen einen neuen Song namens „Hot Fish“ und nahmen ihn auf. Es sind also vier Songs, die auf einer 10“ rauskommen, die in sehr limitierter Auflage erscheint, aber auch auf CD. (Die Plattenfirma verkaufte angeblich 400 Exemplare in 10 Minuten – bei Discogs geht es bei 66 Euro los. Inklusive CD, nachgepresst in Schwarz soll aber werden)

Die Melvins haben ja mal für ein paar Jahre mit Big Business eine ganze Band integriert. Warum gründet ihr nicht einfach eine Flipper-Version mit Buzz und Dale?
Ich würde sehr gern die Bands kombinieren und etwas zusammen machen. Und ich denke, dieses Projekt führt in diese Richtung. Ich erwähnte es Buzz gegenüber, und er sagte, er halte es für eine gute Idee. Vielleicht machen wir also später einmal etwas in dieser Art. Sie gehen jetzt erstmal auf Tour mit ihrem neuen Album, aber wenn das getan ist, ist vielleicht Zeit dafür. Vielleicht nehmen wir noch etwas auf, vielleicht machen wir etwas anderes zusammen.

Ich liebe die Typen, sie sind fantastisch, und sie lieben Flipper wirklich. Sie haben uns klargemacht, dass Flipper ein wichtiger Einfluss für sie war und das es für sie eine große Sache sei, diese Aufnahmen zusammen zu machen. Ich würde liebend gern mehr mit ihnen machen. Vielleicht eine gemeinsame Tour mit einem gemeinsamen Set beider Bands.

Ich würde gern noch ein bisschen über die Wiederveröffentlichungen wissen. Es schien ein bisschen schwierig zu sein mit euren Platten. Hatte das was mit Rick Rubin zu tun?
Alles lief fantastisch gut, wir gingen auf Tour, wir machten Platten, und dann hatte Bruce einen furchtbaren Unfall, bei dem er sich den Rücken verletzte. Das beendete wirklich alles abrupt. Wir konnten zehn Jahre nicht spielen. Es beendete alles. Ansonsten lief alles super. Wir brachten „American Grafishy“ heraus und veröffentlichten zwei ältere Platten auf [Def American], ein weiteres Album war schon geplant, als der Unfall passierte. Das beendete alles. 2009 konnten wir dann unseren Katalog auf zwei Labels wiederveröffentlichen.

Diese Lizenzen erloschen vor fünf Jahren, und die Alben waren seitdem immer weniger verfügbar. Jetzt, zum 40. Geburtstag, ist eine gute Gelegenheit, sie wieder aufzulegen. Wir werden den ganzen Katalog veröffentlichen, wir haben die Rechte für alle Alben außer dem einen, das wir für Def American aufgenommen haben, das gehört [Rick Rubin]. Abgesehen davon gehören uns alle Alben wieder. Ich glaube, es sind ungefähr neun Alben.

Schickt euch Rick Rubin ab und zu einen Scheck für „American Grafishy“?
Nein, ich schätze, „American Grafishy“ ist vielleicht digital erhältlich und das war’s. Ich sollte mal nachschauen, ob sie uns Geld schicken, aber es wird nicht sehr viel sein.

Du wohnst seit einer ganzen Weile schon in Los Angeles.
Nachdem Bruce seinen Unfall hatte, warteten wir ein Jahr, dass er wieder mit uns spielen könnte, aber dann wurde klar, dass es eine sehr langfristige Genesung sein würde, deswegen entschied ich mich, von San Franciso nach Los Angeles zu ziehen und hier unten ein neues Leben anzufangen. Ich fing an, verschiedene Dinge zu tun. Und noch einmal: Es vergingen zehn Jahre, bis wir wieder zusammenkamen, um im CBGB’s zu spielen. Sie machten eine Reihe von Benefiz-Konzerten, weil sie aus ihren Räumen vertrieben werden sollten, wo sie 35 Jahren lang waren. Aus diesem Grund kamen wir wieder zusammen. Und für Bruce war das sehr inspirierend.

Er war nicht in besonders guter körperlicher Form, aber mit der Band wieder zusammenzukommen, inspirierte ihn, zu versuchen, seine körperliche Situation zu verbessern. Wir entschieden uns alle, weiterzumachen, und er unterzog sich einer Operation am Rücken. Als er sich davon erholt hatte, spielten wir wieder, bis klar war, dass sein Rücken nicht wirklich geheilt, sondern nur ein bisschen besser geworden war. Er war immerhin in der Lage, zehn Jahre mit uns zu spielen, von 2005 bis 2015. Als wir dann 2015 die Chance hatte, in Italien zu spielen, sagte Bruce, dass er das nicht könne. Sein Rückenleiden hatte sich verschlimmert, und er konnte es einfach nicht tun.

Das war der Punkt, an dem wir David Yow an Bord holten. Wir spielten die Shows in Italien und einen Haufen Konzerte in den Staaten. Das war unsere erste Erfahrung, mit David Yow zusammenzuspielen. Wir wollten mit ihm weitermachen, aber damals verfolgte er seine Schauspielkarriere, und er hatte nicht die Energie für beides, deswegen entschied er sich fürs Schauspielen. Zum 40. Jubiläum beschloss ich, ihn anzurufen und zu fragen, ob er Interesse hätte, wieder mit uns zu spielen. Und er sagte ja zum allem, was wir planten.

Stimmt es, dass du heute im Filmgeschäft arbeitest?
Das habe ich gemacht, als ich nach Los Angeles gezogen war. Ich begann eine Karriere in der Animationsfilmindustrie. Ich arbeitete für verschiedene Animationsstudios und habe das sehr genossen. Es war wirklich eine tolle Erfahrung. Das habe ich eine ganze Weile gemacht. Dann war ich wieder im Musikgeschäft. Ich managte verschiedene Bands für fünf Jahre, und das führte dazu, dass sich Flipper 2005 wieder zusammentaten. Im Moment arbeite ich tatsächlich Vollzeit für Flipper. Da gibt es viel zu tun.

(fragen & text: stone)

Anmerkungen:

1. Alles deutet darauf hin, dass es sich bei Christian eigentlich um Jochen von Feedback Recycling handelt.

2. Was auch nicht ganz stimmt, weil Jochen damals in Hannover wohnte. Aber ansonsten schon eine relativ solide Erinnerungsleistung.

3. Bruce Loose sieht das nicht ganz so, wie ein Interview andeutet: https://www.facebook.com/SuburbanRebels/posts/interview-with-bruce-loose-of-flippersr-what-has-bruce-loose-been-up-to-these-da/1059079277477273/

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