Januar 13th, 2020

FANZUI XIANGFA aus #151, 2011

Posted in interview by Jan

Fanzui Xiangfa

Dass es in China eine Punkrockszene gibt, ist spätesten seit dem Film “?eijing Bubbles”?bekannt. Mit „?eijing Punks“?wird demnächst eine neue Dokumentation über die Punkszene Pekings veröffentlicht, die im Gegensatz zum Vorgänger einen tieferen Einblick gewährt und einige Bands, den Club D-22 und Nevin vorstellt, der dort arbeitet und in der Punkband Fanzui Xiangfa spielt, die zusammen mit der Crustcoreband SS20 eine Split-Seven-Inch veröffentlicht hat. SS20 tourten im Jahr 2010 durch China, lernten dort die Punkband kennen und ermöglichten dieses Interview (danke an Ronny und Rico).

Fanzui Xiangfa aus Peking übernehmen die rebellische Seite der Split und fordern in ihren Texten zu einer D.I.Y.-Attitüde und mit Songtiteln wie „?uck Your Flag“?zum Umdenken auf, was allemal ein Interview Wert ist. Dieses wurde im Frühjahr mit Nevin und Jonas (beide Wahlchinesen) und Liu Liu (ihre Antworten wurden von Nevin übersetzt) via Mail geführt. Es untergliedert sich in drei Teile, wobei sich einer auf den Film „?eijing Punks“?bezieht, der bisher (Mai 2011) noch nicht veröffentlicht wurde. Es ist nicht nötig die Dokumentation zu sehen, um die Fragen und Antworten zu verstehen. Fanzui Xiangfa sind Kuang Ma (Schlagzeug), Ni Fan und Chong Zhuang (Gitarre) Mao Bing (Bass und Gesang) und Huo Nao oder Liu Liu (Gesang).

Hallo, wer ist alles bei Fanzui Xiangfa involviert? Ich habe gehört, dass ihr auf der Split mit falschen Namen auftaucht, damit euch die chinesische Regierung nicht ausfindig machen kann. Was passiert, wenn sie dennoch eure Identitäten herausfindet?
Nevin: Fanzui Xiangfa besteht aus vier Kernmitgliedern und einer rotierenden Liste von Sängern. Die Band ist ein Mix aus Chinesen und Ausländern, die aus verschiedenen Städten kommen und alle tief mit der chinesischen Musikszene verbunden sind.

Jonas: Wenn unsere Texte von den falschen Leuten gelesen werden, können sie diese als provokant interpretieren. Vorbeugend setzen wir nicht unsere richtigen Namen auf die Platte und veröffentlichen keine Fotos und Kontaktinformationen. Vielleicht sind wir übervorsichtig, aber derzeit gelten wir als die „gefährlichste Band Chinas“.

Liu Liu: Wir könnten zwar wegen unserer Namen nicht ins Gefängnis gesteckt werden, aber müssten Peking verlassen.

Seit wann existiert Fanzui Xiangfa?
Nevin: Fanzui Xiangfa wurde im Jahr 2006 von ein paar Freunden gegründet, die sich für Hardcore-Punk und D.I.Y. interessierten und gemeinsam Spaß haben wollten.

Jonas: Neben unserer Liebe zur Musik und Punk/Hardcore wollten wir anderweitig kreativ sein. Es ist für uns ein Weg Ideen und Gedanken über D.I.Y. und die Punkkultur in China auszutauschen.

Was bedeutet der Name Fanzui Xiangfa?
Nevin: Wörtlich übersetzt heißt es soviel wie “Gegen das Gesetz denken” oder „Gedanken, die gegen das Gesetz verstoßen“.

Jonas: Oder soviel wie “Kriminelles Denken“. Für mich ist der Name ironisch gemeint, denn die wirklichen Kriminellen sind die Hauptverantwortlichen, die die Menschen, grundlegende Ideen von Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, Gleichberechtigung und das Recht eine Gewerkschaft zu gründen ohne dafür angeklagt zu werden unterdrücken. Menschen, die über diese Gedanken offen und laut sprechen, können dafür ins Gefängnis kommen oder einfach verschwinden.

Euer erster Song auf der Split mit SS20 handelt von der D.I.Y.-Kultur. Wie kann diese Kultur in China verstanden werden? Hierzulande scheint es einen Unterschied in der Handhabung von D.I.Y. zu geben: Manche Labels setzen sich das D.I.Y.-Logo auf, um neben Majorlabels am Prozess der Vermarktung teilzunehmen und andere versuchen, sich komplett aus der Vermarktung von Kunst auszuschließen.
Liu Liu: Das ist wirklich schwer zu erklären…

Nevin: In China gibt es kein gemeinsames Verständnis von D.I.Y. Viele Bands aus dem Untergrund fangen als D.I.Y.-Band an, weil sie keine andere Möglichkeit haben, aber sobald sie diese haben, nutzen sie dieselben Ideen und Strategien wie das kommerzielle Business. Unser Song ist ein Aufruf an die lokale Szene, umzudenken und eine echte D.I.Y.-Gemeinschaft aufzubauen, die sich von der kommerziellen Musikszene Chinas abhebt.

Ist die Split mit SS20 eure erste Veröffentlichung?
Nevin: Nein, aktuell ist es unsere dritte Platte. Im Jahr 2007 haben wir zehn Songs auf einer gebrannten CD herausgebracht und uns eine Seven-Inch mit Daighila aus Malaysia geteilt, die wir auf unserer Tour durch den Süden und Osten Asiens kennengelernt haben.

Jonas: Zurzeit nehmen wir vier neue Songs auf, die wir hoffentlich zum Ende des Jahres auf einer Seven-Inch veröffentlichen können.

Gibt es eine Chance, dass ihr mal nach Europa/Deutschland auf Tour kommt?
Nevin: Ja, wir werden im Sommer für drei Wochen durch Europa touren.

Jonas: Wir werden auch Shows in Deutschland, Frankreich, Österreich, der Schweiz, Polen, der Slowakei und Tschechien spielen. Auf unserer Myspaceseite (www.myspace.com/fanzuixiangfa) gibt es mehr Informationen.

Ronny von SS20 hat mir geschrieben, dass Nevin und Jonas beide “\?ahlchinesen”\?sind. Was waren eure Gründe nach China zu ziehen? Warum organisiert ihr euch in der chinesischen Punkszene und wie sieht eure Arbeit aus?
Nevin: Ich lebe seit über zehn Jahren in Asien und bin wegen der kleinen aber aufregenden Punkszene nach China gezogen. Seit damals ist die Szene explodiert. Seit dem Jahr 2006 bin ich für das Booking in Pekings Club D-22 zuständig und habe 2007 bei der Gründung des Plattenlabels Maybe Mars mitgeholfen.

Jonas: Seit dem Jahr 2000 lebe ich hier hin und wieder. Insgesamt sind es vier Jahre, die ich hier verbracht habe. Ich bin erst nach China gegangen, um chinesisch zu studieren und bin dabei schnell in die lokale Szene geraten, da ich immer wieder zu Shows gegangen bin, um die lokalen Bands kennenzulernen.

Im Jahr 2002 war ich als Roadie mit PK-14 auf Tour durch China, 2005 mit Insurgent Kid und 2006 haben wir dann Fanzui Xiangfa als Pekinger Hardcoreband gegründet. Ich bin seit dem Jahr 1992 in der schwedischen Punkszene involviert, was zu einem natürlichen Teil meines Lebens geworden ist. Für mich ist es egal wohin ich auf der Welt gehe, ich werde jede lokale Bühne oder Band, jedes Fanzine und so weiter auschecken.

In Deutschland hört man eine Menge über die Missachtung der Menschenrechte durch die chinesische Regierung. Wie erlebt ihr diese Behandlung?
Jonas: Die Medien werden von der Regierung kontrolliert und zensieren gleichzeitig das Internet, so dass man nichts über China lesen kann. Ich höre mehr über das Land, wenn ich in Schweden bin. Wir haben aber auch Freunde hier, die in etwas involviert sind, so dass wir manchmal Informationen von ihnen erhalten.

Es tut mir leid, dass ich sagen muss, dass ich nicht viel mitbekomme, gleichzeitig bin ich auch kein armer chinesischer Bauer, der seine Familie verlassen und in eine große Stadt ziehen muss, in der er in einem dunklen Raum schläft, sieben Tage die Woche 14 Stunden lang unter schlechten Bedingungen arbeitet, keinen Ausgleich bekommt, wenn er verletzt oder krank wird, keine Rechte hat sich in einer Gewerkschaft zu organisieren und sich keinen Urlaub nehmen darf.

Über 40 Millionen Menschen leben in China unter diesen Bedingungen und es ist grauenhaft und traurig zu wissen, dass das der Preis ist, den arme Menschen für die Wirtschaftsentwicklung Chinas zahlen müssen, damit wir aus der westlichen Welt mit unserem auf Konsum basierenden Lebensstil einfach fortfahren können.

Kommen wir zu Chinas Punkszene. Seit wann existiert die Szene?
Nevin: Es kommt darauf an, wie man Punk definiert. Anfang der neunziger Jahre gab es ein paar Undergroundbands, die nicht ganz nach Punk klangen, aber solch eine Attitüde an den Tag legten. Die Geschichte der chinesischen Musikszene sollten wir bei diesem Interview vielleicht außen vor lassen, aber es ist sicher zu sagen, das es seit den frühen neunziger Jahren immer wieder verschiedene und erfolgreiche Wellen von Untergrundmusik gab, die gleichzeitig eine Rebellion gegen die davor existierende Szene in sich trug. All diese Szenen können damit als eine Art Punk definiert werden. Der Stil, der mit dem bekannten Hardcore-Punk-Sound assoziiert wird, geht zurück in die späten neunziger und frühen nuller Jahre. Dazu können Bands wie SMZB, 400 Blows, Shit Dogs und andere gezählt werden, die bereits Teil der Geschichte sind.

Liu Liu: Ich denke, dass es seit Anbeginn der Zeit eine Punkszene gab. Während der chinesischen Song- und der Tang-Dynastie gab es viele “punkige” Menschen. Davor gab es viele Künstler in der chinesischen Regierung, die nun rar geworden sind.

Die Punkszene in der „westlichen Welt“ hat sich unter anderem aus einer musikalischen Entwicklung gebildet und wurde von einer gelangweilten Jugendkultur geprägt. Stimmt ihr mir zu, wenn ich sage, dass die chinesische Punkszene vom Internet beeinflusst wurde?
Nevin: Ja, da stimme ich dir zu. Viele Menschen, die mit der Punkszene hier verwickelt sind, haben Punk durch das Internet kennen gelernt. Die frühen Punkbands haben ihren Input von Freunden aus Übersee und von speziellen „?ut CDs“?bekommen (Cut CDs sind CDs, die nach China geliefert werden, wenn sie im Westen nicht verkauft wurden), bevor die Chinesen Zugang zum Internet hatten.
Jonas: Ein anderer Grund für die frühe Entwicklung des Punks kommt von Jugendlichen, deren Eltern für die Regierung arbeiteten und damit einen Anschluss an das Kabelfernsehen hatten, in dem Punkmusik lief. Durch das Privileg ihrer Eltern mussten die Jugendlichen auch nicht arbeiten gehen, wurden von ihnen finanziell unterstützt und konnten Musik spielen.

Liu Liu: Ich habe Punk aus Büchern und von Platten kennengelernt. Zu der Zeit war ich auch ein gelangweilter und zynischer Jugendlicher, von denen in China nur ein paar das Internet für sich nutzten. Mittlerweile lässt sich im Netz alles finden und die Langeweile ist vorbei. Die jungen Leute kommen zusammen und spielen Onlinegames. Wenn sich heute jemand für Punk interessiert, dann muss das durch das Internet zustande gekommen sein.

Ist Punk in China derzeit ein Trend?
Liu Liu: Ja.

Nevin: Ja, aber um genauer zu sein, war es in Peking um die Jahrtausendwende ein Trend, der nun vorüber ist. Die Kids, die man heute mit Iros auf der Straße sieht, sind, wenn auch nicht wirklich mit der Musik, dann mit der Idee hinter Punk involviert. Zurzeit liegen enge Jeans und das Bild des Post-Punks im Trend.

Jonas: Ich weiß es nicht. Mein Gefühl sagt mir, dass viele Menschen den Stil des Punks mit Iros, Lederjacken und Nieten verbinden. Viele von ihnen kommen und gehen und nur ein paar bleiben in der Szene, gehen zu Konzerten und spielen Musik. Jedes Mal, wenn ich nach Peking zurückkomme, habe ich das Gefühl, dass sich eine neue Szene mit neuen Menschen und Bands entwickelt hat. Dann hat sich auch die soziale Struktur verändert und viele Punks sind aus der Szene verschwunden, denn sie haben ihren Abschluss gemacht, einen Job bekommen, geheiratet oder das Geschäft des Vaters übernommen…

Sind Punks eine Kuriosität auf den Straßen Pekings?
Nevin: Nicht anders als auf den Straßen von westlichen Ländern, die ich besucht habe. Generell scheint es, als wären die Chinesen offen gegenüber Mode und komischen Haarschnitten. Die Menschen dürfen sich kleiden wie sie wollen, ohne dass zu viele Augenbrauen hochgezogen werden.

Jonas: Ich glaube immer noch, dass sich eine Menge Menschen umdrehen, wenn unser Bassspieler mit seinem Mohawk an ihnen vorbeiläuft. Zudem wird Peking immer mehr zu einer internationalen Stadt und die Menschen gewöhnen sich an diesen Anblick. Wenn du aber aufs Land fährst, ist es eine andere Geschichte…

Liu Liu: Im Süden von China kann man oft Punks auf der Straße sehen. In Peking werden sie immer seltener.

Im Film “Beijing Punks” sagt der Eigentümer des D-22, dass sich durch die aktuelle Punkszene eine neue Jugendkultur bilden wird. Stimmt ihr dem zu?
Liu Liu: Ha ha! Wer weiß das schon?

Nevin: Ja, dem stimme ich zu, aber es liegt auch wieder daran, wie man Punk definiert. Ich glaube, der Film will ein lockeres Bild von der Untergrundszene Pekings wiedergeben und zeigen, dass es eine neue Jugendkultur gibt. Untergrundmusik dieser Sorte ist eine scharfe Kante der neuen chinesischen Kultur, die gleichzeitig sehr radikal erscheint und demnächst in den Mainstream überwechselt. Was in dem Film nicht angesprochen wird, ist die echte D.I.Y.-Punkkultur. Anstelle dessen festigt sich in vielen Städten eine neue Jugendkultur mit Undergroundrock, Tattoos, Skateboards und Comics.

Noch ein paar Fragen zum Film “Beijing Punks”. Wer steckt hinter dem Film und wer kommt vor?
Nevin: Der Film beleuchtet die beiden Bands Demerit und Mi San Dao und zeigt gleichzeitig Interviews und Material von anderen Bands, die auf Maybe Mars sind und in der Szene des D-22 (PK14, Gar, Hedgehog, Candy Monster) stecken. Der Film versteht sich nicht als eine flächendeckende Einweisung in die chinesische Szene, sondern versucht das aktuelle Reizgefühl der Gegenwart wiederzugeben.

Warum wurde eure Band nicht vorgestellt?
Nevin: Der Regisseur hat versucht den Fokus nur auf zwei Bands zu legen, anstatt ein Gesamtbild der Szene einzufangen. Wir müssen also auf eine andere Dokumentation warten, die die Geschichte von Fanzui Xiangfa erzählen wird.

Vielen Dank für das Interview und passt auf euch auf!

Matthias Lehrack

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