EXITS TO FREEWAYS (#139, 2009)
Wie die Autobahn bei Maschen:
Angesichts verschiedener, nicht ausschließlich glücklicher, Gründe, erscheint dieser Text lange nach der Veröffentlichung jenes Albums, das den Anstoß für selbigen Text gab. „Spilling Drinks, Spelling Names“, so der Titel besagten Albums, erschien ein Jahr vor dem Zeitpunkt der Niederschrift dieser Worte. Das Interview selbst führte ich im März. Danach gab es wieder mal allerhand anderes zu tun, dessen Priorität sich aus den Eigentumsverhältnissen im Lande ableitet. Exits To Freeways (Spread Like Veins On The Back Of My Hand), die Band, um die es geht, gibt es derweil immer noch. Ungerührt machen die drei Hamburger ihr Ding. Ohne sich allzu große Illusionen über das zu machen, was sie mit ihrer Musik „erreichen“ können, tun sie, was sie wollen: „wer so blöd ist sich von irgendeiner „szene“ irgendwas vorschreiben zu lassen, ist selbst schuld“, heißt es in einem Interview.
Dass es trotzdem seinen Sinn hat, jetzt noch über Exits To Freeways (Spread Like The Veins On The Back Of My Hand) (im Folgenden ETF), hat seinen Grund darin, dass sie mit ihrer Musik nach wie vor etwas Besonderes sind. Dazu ein Griff in die Klamottenkiste: Im April 2007 schrieb ich auf diesen Seiten über ein Demo der Band: „Moderne, treibende, facettenreiche Rockmusik von heute ohne NuMetal, ohne das, was so als Emo verkauft wird, ohne Kettcar/Tomte-Texte (ganz unprätentiös in Englisch getextet, wie es sich für Bands aus Hamburg eigentlich ja gehört), dafür mit viel Liebe ersonnen, detailreich, maßvoll verstiegen, kompetent gespielt, gut produziert. Die sind richtig gut. Hört auch mal das Finale an, wie es rasant um die Ecken brettert, zwischendurch ein paar Takte in sachte College-Rock-Schönheit verfällt, um dann dramatisch wieder anzuschwellen. Fireside, denke ich, Früh-90er-Post-Core, ohne dass es abgestanden klänge. Energiegeladen, euphorisch, melodisch. Das hat Potential für Größeres.“
Größeres, ist erstens relativ und meint zweitens vor allem die Musik – denn was der Markt daraus macht, ist so unberechenbar, wie es mir tendenziell egal ist. Und das Debüt-Album, dass nun also vor etwas mehr als einem Jahr bei Nois-O-lution erschien, ist musikalisch durchaus das erhofft Größere. Dazu gleichfalls ein Selbstzitat aus einem Text, den ich übrigens laut meinem Schreibprogramm zuletzt am 01.01.1601 geändert habe: „Um zu umreißen, worum es geht, sei ruhig der Name SST ins Spiel gegeben (…) Natürlich klingen Exits To Freeways nicht so. Das wäre ein Widerspruch in sich. Sie sind auch Kinder ihrer Zeit, haben Jahrzehnte von Hardcore, Punk und anderer rebellischer Musik rezipiert und daraus ihre eigenen Konsequenzen gezogen, ohne sich der Energie zu entledigen, die den besten dieser Entwürfe immer innewohnte. So könnte man ihrer Musik das etwas überstrapazierte Label Post-Hardcore anheften, träfe es damit aber nur ungenau. In ihren komplexen, schroffen, aber durchaus melodischen Kompositionen, die sie mit spielerischer Grandezza aufführen, und die immer wieder in mehrere Richtungen gleichzeitig auszubrechen scheinen, findet sich vor allem ein Geist, der in Frage stellt, verunsichern will, bewegen. Um endlich ihren Zorn in etwas umzuwandeln, das weit über die richtige Musik zur Zeit hinausreicht. Damit gehören sie nicht nur in Deutschland derzeit zu den aufregendsten Gitarrenbands.“
Deswegen fiel dann der Entschluss, diese Leute zu treffen und über all das zu reden. Das Gespräch kreiste dann zum Teil mehr um die Band, als dass es ihre innere Logik erforschte. Aber auch das sagt wohl etwas aus über ETF. Da ja ohnehin Lieblingsthema, brachte ich recht bald SST ins Gespräch.
Kriton Ioannides, Gitarrist und Sänger, meint dazu: „Das Lustige ist, dass wir eigentlich erst durch Leute darauf aufmerksam wurden, die uns damit konfrontiert haben. Natürlich war uns das ein Begriff, und wir hatten auch schon Bands von dem Label gehört, aber Thomas wusste zum Beispiel gar nicht, was das ist. Das passiert uns häufig, dass Leute Sachen an uns herantragen wie Mission Of Burma, die wir dadurch erst kennen lernen. Auch wenn wir nicht unbedingt so junge Hüpfer sind, dass wie die nicht kennen könnten. Es ist auf jeden Fall geil, was da für Assoziationen kommen, weil es anscheinend ja auch nicht so leicht zu pinnen ist.“
Recht hat er. Vielleicht mal von hinten aufrollen – Stichwort „musikalischer Hintergrund“: „Ich bin mit Rock sozialisiert. Ich weiß nicht, ob man das weiter präzisieren kann. Ich glaube, meine allererste Platte war glaube ich ‚Skyscraper‘ von David Lee Roth (ziemlich irres Ding, Ad.V.). Dann gab es kurz ZDF-Weihnachtsserien-Soundtracks, dann kam auch schon Slayer. Nee, den Airwolf-Soundtrack hatte ich auch noch. Dann war ja auch schon Nirvana. Seitdem geht das so seinen Gang. Aber wir hören alle sehr unterschiedliche Sachen. Relativ früh hab ich auch Jazz entdeckt, Coltrane und sowas.“
Das gehört ja mittlerweile ja schon zum guten Ton, dass man auch mal Coltrane hört…
„Kommt drauf an. Manche Sachen von Coltrane nerven mich auch total, aber er hat auch Sachen gemacht, die so nicht wiederholt wurden. Und in Bezug auf die Filmmusik interessiert mich in letzter Zeit auch ganz viel Neue Musik, gerade in Bezug darauf, wie das in den 70ern benutzt wurde, Ligeti, Penderecki und so weiter.“
Das hat für Ioannides allerdings weniger Konsequenzen für ETF als vielmehr für seinen „Brot-Job“: Der Mann schreibt nämlich Musik für Theater und Film. Welche Platten von Coltrane nerven?
„Da bin ich total Generation iPod. Ich hab nur Tracks von Coltrane auf dem iPod.“
Erschütternd…
„Ich glaube auch, dass etwas ganz Entscheidendes damit untergeht, dass das Album verschwindet. Andererseits finde ich es manchmal gar nicht schlecht, Sachen kennen zu lernen über verschiedene Phasen hinweg. Ich würde zum Beispiel sagen, dass es Van Halen mit und nach David Lee Roth gibt. Vielleicht fände ich Sammy Hagar nicht so Scheiße, wenn nicht der Nachbarsjunge mir damals ein Tape aufgenommen hätte, auf dem nur Songs von Van Halen II und 1984 waren.“
Daraus gedanklich die Musik erstehen zu lassen, ist zunächst nicht besonders naheliegend. Wie gesagt: Post Hardcore, aber auch (gerade jetzt läuft das Ding) Anflüge von Sonic Youth. Angesprochen auf die durchaus etwas sperrige Ästhetik (Bandname, Musik), meint der Musiker:
„Für viele ist es das anscheinend. Aber so wie das Post-Hardcore-Ding an uns herangetragen wird, so sind wir zu unserem Erstaunen dann doch gar nicht so sehr selber. SST, wie gesagt, immer her damit. Wenn wir verglichen werden, dann lieber mit diesen Bands als mit irgendwas anderem. Aber beim Schreiben ist mir das nicht so evident, dass das aus einer älteren Zeit kommt. Anscheinend, wenn man das so sagen kann, entbehrt das nicht einer gewissen Substanz, die damals noch ein bisschen größer buchstabiert wurde. Heute flutscht sauviel an einem vorbei, und dadurch, dass man irgendwie doch viele schräge Sachen hat, ist es so, dass die Leute da immer drauf zurückkommen, dass das mal so war. Und darauf kann man ja auch richtiggehend stolz sein. Wo es schwierig ist zu sagen, wir klingen wie, ist – ganz ab von jedem Muckergelaber, wie eigen wir klingen –, dass es kein unmittelbares Kompoisitionsvorbild hat, sondern, dass es das ist, was passiert, wenn man uns drei da in einen Raum stellt. Ich bin da am ehesten noch die Popper-Nase, Thomas ist sehr geprägt durch seine Grindcore-Vergangenheit, und Jan zerhäckselt mit irgendwelchen Kumpels auf Laptops und Effektgeräten in seiner Freizeit irgendwelche Didgeridoo-Klänge und macht damit Klanginstallationen. Wenn wir jeweils alleine schreiben würden, wäre das wohl um einiges eindeutiger. Aber das ist eigentlich auch ganz geil an der Band, das mussten sie mir in einem langen Prozess beibringen: Basisdemokratie beim Songschreiben. Ich war vorher in der blöden Situation, dass das nicht anders zu haben war. Mittlerweile, weiß ich das sehr zu schätzen, eine Idee einfach mal in einen Topf zu schmeißen und zu sehen, was passiert, anstatt Schiss zu haben, dass eventuell was nicht klappt. Das hat man vielleicht mal gedacht, dass man seine Anliegen besser formulieren kann, wenn die Idee bleibt, wie sie ist. Aber ich finde das an sich, so sehr uns die Leute erzählen, wie wahsninnig komplex das wäre – komplex ist echt was anderes… Aber es ist nach meinem Empfinden auch oft wirklich poppig. Und damit fühle ich mich mittlerweile richtig wohl. Dass beides einfach da ist. Und das gäb’s auch nicht in anderen Konstellationen, sondern das finde ich das Schöne an der Band, dass das und nichts anderes herauskommt, wenn diese drei Typen zusammen sind. Du hast ein poppiges Riff am Anfang, dann prügelt der Typ da hinten wahnsinnig, und der Bassist spielt mit den Fingern, was für einen Rock-Bassisten auch relativ unüblich ist. Aber wir sind auch keine Musik-Nazis, die den ganzen Tag nur Platten horten. Ich bin eigentlich sehr großer Pop-Jünger, was man an anderen Projekten auch hören kann. Da gibt es Cheatmodel Republic, was ein bisschen in Richtung Elbow oder The Notwist gehen, Quietfront ist so ein Americana-Ding, ein bisschen Calexico-mäßig, und auch Chanson-Instrumental-HipHop-Sachen und so weiter. Und da merkt man vielleicht doch das Alter, dass es ganz schön frappant ist, wie schnell junge Bands sich daran gewöhnt haben, was sie eigentlich alles machen müssten, damit es klappt, und was sie dann auch machen. Eine gewisse Stromlinienförmigkeit ist ganz selbstverständlich. Das finde ich schon krass. Ohne da den Zeigefinger erheben zu wollen, bin ich überrascht. Ich meine, die haben noch mehr Grund zum Angepisstsein als man selbst seinerzeit. Aber wer weiß, was da los ist? Ich nicht! Insofern wird man lieber mit Sachen wie SST verglichen. Vielleicht waren das auch die letzten Leute, die eine gewisse Haltung formulieren konnten. Es steht jedenfalls weniger Konzept hinter dem, was wir tun, als Leute denken, und das finde ich das Coole an der Band. Das macht es im Umgang mit Medien oder Veranstaltern nicht immer einfach, aber ich finde es dann doch angenehmer, damit zu leben.“
Ein Monolog, der erhellt, wie viel einerseits bei ETF über Musik und ihr Umfeld offensichtlich gesprochen wird, andererseits aber auch in der bereits eingangs angedeuteten Umkreisung der eigenen Ästhetik die Intuitivität unterstreicht, mit der diese Band musiziert.
Als die anderen Bandmitglieder dazustoßen, wird es noch etwas unübersichtlicher. Immerhin erfahren wir, woher der Name kommt, nämlich aus einem Song von Soul Coughing, während die hervortretenden Adern auf dem Handrücken von der Hand des Bassisten hinzugedichtet wurden, weil sie frappierende Ähnlichkeit mit dem Autobahnkreuz Maschen haben.
Schaut auf diese Band!
Interview/Text: Stone