November 29th, 2019

DISCO DRIVE (#115, 2005)

Posted in interview by Thorsten

Ist das verwunderlich, dass eine Band namens Disco Drive tanzbare Musik macht? Oder ist es nicht eher verwunderlich, dass sich die gleiche Band mindestens genauso stark auf Dischord bezieht? Auf den tanzbaren Teil jedenfalls, Q And Not U nämlich, El Guapo und mit Abstrichen vielleicht noch auf Black Eyes. Nein, natürlich verwundert das nicht, und es funktioniert sogar sehr gut, wie auf dem Debüt-Album „What’s Wrong With You, People?“ zu hören ist.

Es gibt das italienische Trio schon eine ganze Weile. Seit 2002, um genau zu sein, und ein Jahr später kam die Band auch schon in Deutschland vorbei, auf einer Tour mit den Cassettes. Nur das Debüt-Album hat dann auf sich warten lassen, was mit label-technischen Gründen zu tun hat, die hier nur langweilen würden. Fertig ist das Album nämlich schon beinahe anderthalb Jahre, aber als ich die CD im Frühjahr hier in „Trust“ besprach, sollte es immer noch den größten Teil eines verregneten Sommers dauern, bis es sie hier auch zu kaufen gab. Bei Disco Drive sollte man das erwähnen, weil es sonst so wirken würde, als hätten sie sich noch in letzter Mühe und Not ein Ticket für die Discopunk-Bahn gekauft und wären so gerade eben noch auf den bereits anfahrenden Zug aufgesprungen. Was aber auch musikalisch nicht hinkommt: Siehe die Dischord-Referenzen. Und so oder so – „What’s Wrong With You, People?“ bleibt ein tolles Album, da haben die Turiner ganz wenig falsch gemacht.
Das soll’s aber auch schon sein der Vorrede, bevor Jacopo Borazzo, Schlagzeuger und einer der Sänger, das Wort bekommt. Nämlich jetzt.

Euch sind die ganzen Sachen gestohlen worden? Erzähl mal!

Wir kamen aus dem Süden Italiens, waren um 3 Uhr morgens zurück in Turin, hatten aber eine Show am nächsten Tag. Deswegen haben wir die Sachen vor dem Haus unseres Bassisten im Auto gelassen. Und am nächsten Tag war alles weg. Das war ein ziemlicher Verlust und auch nicht grad gut für unsere Motivation. Wir waren gerade an dem Punkt, wo wir endlich mal ein bisschen Geld reinbekommen haben. Aber wir werden’s überstehen.

Gab es den Punkt, wo ihr aufhören wolltet?

Das war das allererste Gefühl, als Andrea mich anrief und mir von dem Diebstahl erzählte. Anschließend war ich in einer eher aggressiven Stimmung – schließlich geschah das in unserer Heimatstadt, und es gab eine gute Chance, dass wir die Sachen zurückbekommen könnten. Dann war ich frustriert, aber am Ende haben wir gesagt, dass wir weitermachen. Was echt frustrierend ist: Wir lassen unser Equipment ständig im Bus, aber es passiert nie was. Wir haben vor ein paar Monaten in Neapel gespielt. Die Stadt hat einen echt schlechten Ruf, und wir ließen dort eine Tür des Busses offen. Aber nichts passierte. Und nun hier.

Aber jetzt spielt ihr wieder?

Ja, mit geliehenen Sachen. Letztlich ist das unsere einzige Chance, etwas Geld zu verdienen. Zweitens ist das Interesse an unseren Konzerten in Italien zurzeit recht groß. Außerdem nehmen wir bald eine neue EP auf, die wir Anfang 2006 veröffentlichen wollen. Das sind Lieder, die wir nach den Aufnahmen für das Album geschrieben haben. Die Songs sind also neu, aber andererseits auch wieder älter, weil wir schon wieder ganz frische Lieder haben. Diese Songs sind im Prinzip fertig und können jetzt aufgenommen werden. Da lohnt es nicht zu warten, bis die anderen Sachen auch fertig sind. Geld haben wir zwar nicht für die Aufnahmen, aber zum Glück hat ein Freund ein Studio, und für ihn ist es okay, wenn er später bezahlt wird.

In der Hinsicht läuft es ja gut für euch. „What’s Wrong With People?“ wird nun zum dritten Mal gepresst, habe ich auf eurer Webseite gelesen. Hast du das erwartet?

Ja, wir haben jetzt circa 3000 Platten verkauft, was verdammt gut ist für eine italienische Band. Vor allem, weil wir keine richtige Promo hatten. Es gab zwar gute Kritiken, aber kaum Interviews. In Deutschland lief es auch sehr gut für uns. Was uns aber am meisten überrascht hat: Wir haben sogar in England Platten verkauft. Da haben wir wirklich gar nichts gemacht. Ich hätte nicht gedacht, dass die Engländer offen für Musik aus anderen Ländern sind. Aber offenbar haben ein paar Plattenkäufer das Album sehr gut rezensiert.

Wie ist das denn überhaupt in Italien – hören Italiener einheimische Bands? Und wie ist es in anderen Ländern?

Das hat ja durchaus Gründe, dass italienische Bands nicht ernst genommen werden. Es gibt anders als in Deutschland oder sogar Spanien keine Rockszene in Italien. Dabei gibt es großartige Bands hier – nimm One Dimensional Man, von denen man sich vorstellen könnte, dass sie auch in anderen Ländern gehört werden könnten. Aber sie haben nur eine Tour in Europa gemacht, wo sie dann vor 50 Leuten spielten. Hier in Italien ziehen sie locker 500 bis 1000 Leute. Deswegen gibt es viele italienische Bands, die das gar nicht probieren. Wir sind eine der wenigen Bands, die auch im Ausland spielen – auch wenn das dreimal so anstrengend ist, Leute zu überzeugen, wie bei uns. Aber sonst würde ich mich völlig limitiert fühlen.

Es gibt ein paar gute Bands aus Italien – One Dimensional Man eben, Redworm’s Farm und ihr eben. Aber ich weiß, dass da nicht viele Leute zu den Konzerten kommen.

Was ich an deiner Auflistung lustig finde: In Italien sind diese drei Bands auf völlig unterschiedlichen Eben. One Dimensional Man ist für uns eine große Band, die große Clubs ausverkaufen. Wir sind viel kleiner. Und Redworm’s Farm waren viel größer als wir, weil es sie schon so lange gibt. Aber sie sind auf einem sehr kleinen Label. Aber es gibt so viele Bands hier, die viel größer als One Dimensional Man sind, von denen du aber bestimmt noch nie gehört hast. Der Typ, der die Vorproduktion unseres Albums gemacht hat, ist der Gitarrist von Subsonica, die in Italien eine Million Platten verkauft haben und in Stadien vor 10.000 Leuten auftreten. Aber sie haben nicht eine Show außerhalb Italiens gespielt. Diese Bands werden so groß, aber sie halten nichtmal ihre Nase vor ihre Haustür.

Um mal über euch und Redworm’s Farm zu reden: Dass ihr mittlerweile größer als sie seid, liegt sicherlich auch daran, dass eure Musik zugänglicher ist.

Bestimmt. Wobei das immer auf die dumme Frage nach Punkfunk hinaus läuft. Wir können natürlich nicht verbergen, dass diese Musik trendy ist und uns das hilft. Aber als wir diese Platte aufnahmen, waren die Alben von The Rapture, Franz Ferdinand oder !!! noch gar nicht veröffentlicht. Dann dauerte es aber ein gutes Jahr, bis unser Album das Licht des Tages sah. Und plötzlich wurde es ein Problem: Die Leute dachten, dass wir nur irgendeine italienische Band sind, die einem Trend folgen. Trotzdem werden wir langsam bekannter, was aber auch daran liegt, dass wir hart dafür arbeiten.

Um das Thema abzuschließen und aus „Move Along“ zu zitieren: Seid ihr nun immer noch die erste Band, die die Leute anstarren, bereits die zweite, die man schon gut findet, oder sogar die dritte, zu der man tanzt?

Der Text ist über die Konzerte, als wir noch völlig unbekannt waren. Wir haben immer nur an erster, vielleicht an zweiter Stelle gespielt. Aber nie als dritte Band. Die Leute haben zu unseren doch recht tanzbaren Liedern nie getanzt, sondern uns nur angestarrt, als wären wir Außerirdische. Was läuft mit euch falsch, Leute? What’s wrong with you, people? Habt doch mal Spaß. Den könnt ihr auch haben, selbst wenn ihr uns nicht auf den Titelseiten irgendwelcher Hefte seht, oder wenn eine große Gruppe abgeht.

Und wo steht ihr nun?

Keine Ahnung. Vielleicht schon an der zweiten Position. Ich weiß auch nicht, ob wir es jemals bis zur dritten Stelle schaffen werden. Das würde aber auch keinen Unterschied machen. Denn selbst wenn wir dahin aufrücken könnten, würden die Leute sich immer noch nicht zur ersten Band bewegen.

Was ist denn nun alles falsch mit den Menschen?

Erst einmal natürlich, was ich dir schon gesagt habe. Aber der Albumtitel ist auch eine Metapher für eine Situation, wo offenbar jeder etwas zustimmt, was dir absolut missfällt. Das betrifft ständig die Politik in Italien. Berlusconi tut ständig Dinge, die man in anderen Ländern kritisieren würde. Aber hier hört man keine Reaktion. Das kann doch nicht sein. Der Titel bezieht sich natürlich auch auf Bush und den Irak-Krieg.

Es heißt ja immer, dass der amerikanische Underground in den Achtzigern gerade wegen Ronald Reagan so kreativ gewesen sein soll…

Wenn das wahr sein sollte, müssten wir in Italien die kreativste Musikszene haben, die es jemals gab. Die politische Situation in Italien ist richtig schlecht. Sie ist sowohl gefährlich als auch fürchterlich. Man kann sich kaum vorstellen, was hier passiert. Berlusconi setzt Gesetze durch, damit er nicht vor Gericht verfolgt wird, indem er das Präsidentenamt übernimmt. Das Wahlsystem wird geändert, weil Berlusconis Koalition ansonsten die nächste Wahl verlieren würde. Und mit dem neuen System sind Berlusconis Chancen wieder gestiegen. Das ist die undemokratischste Entscheidung, die ich mir vorstellen kann. Und das macht mir Angst. Das Schlimme ist aber, dass die Bands hier über Politik gar nicht reden. Es gibt manchmal ein Konzert gegen Irgendwas, wo auch die meisten Bands spielen. Aber das war’s auch. Ansonsten kommt Politik nicht vor.

Ihr seid eine politische Band.

Ich würde eher sagen, dass wir eine Band sind, die politische Themen anspricht. Wir haben Lieder, die politisch zu verstehen sind – wenn auch nicht unbedingt auf den ersten Blick. In „Calling Calling“ zum Beispiel: Da heißt es „Two pon di floor and the nation’s quite sure / One is a hero and one is a hooligan“. Das ist über Carlo Guiliani, der beim G8-Gipfel in Genua starb, und über den italienischen Geheimdienstmitarbeiter, der im Irak erschossen wurde. Guiliani wird als Hooligan angesehen, der Mann vom Geheimdienst als Held. Für uns ist es anders herum. Aber vielleicht war keiner von ihnen ein Hooligan und keiner ein Held. Das aber kann man nicht so direkt aus dem Text lesen.

„Safer Now“ ist eindeutig ein politischer Song über den Irak. Fühlt ihr euch nun unsicherer, weil Berlusconi ein loyaler Alliierter der Amerikaner ist?

Ich fühle mich nicht unsicher. Für mich persönlich sehe ich keine große Gefahr, weil es doch sehr unwahrscheinlich ist, dass ein Terrorist da zuschlägt, wo ich lebe. Aber die Möglichkeit, dass es in Italien einen Terroranschlag in den nächsten Monaten geben wird, ist vorhanden. Und ich wäre nicht mal sonderlich verwundert darüber. Die Italiener stellen nach den Amerikanern und den Briten das drittgrößte Truppenkontinent im Irak. Italien befindet sich im Krieg, da darf man sich auch nicht über einen gegnerischen Angriff wundern.

Würden sich denn wirklich Sachen ändern, wenn Romano Prodi gewählt werden würde?

Auf jeden Fall, auch wenn ich ihn nicht wirklich unterstütze. Aber unsere Außenpolitik wäre anders, die ökonomische Situation würde besser, wir hätten keinen Ministerpräsidenten mehr, der sich seine eigenen Gesetze macht. Berlusconi verhält sich wie ein Kaiser, Prodi wäre nur ein Häuptling. Und das wäre eine echte Verbesserung. Selbst wenn Prodi mein schlimmster Feind wäre – ich würde für ihn wählen.

Dietmar Stork

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