DINOSAUR JR (#124, 2007)
Mittlerweile dürfte sich so einiges herumgesprochen haben: Dass Dinosaur jr. mitsamt dem alten Schriftzug wieder da sind, mit Murph und Lou. Dass sie eine neue Platte gemacht haben. Dass diese wieder mal sehr toll und dinosaur-mäßig geworden ist (wobei sich nicht ganz so weit herumgesprochen hat, dass sie eher klingt wie die Dinosaur nach dem Auseinanderbrechen der Urbesetzung und nicht, wie irrtümlicherweise mindestens in jeder zweiten Besprechung behauptet, ganz und gar nach „Bug“ oder gar „You’re Living All Over Me“ klingt, die, wie sich wiederum begrenzter Bekanntheit erfreut, vor zwei Jahren neu aufgelegt wurden). Dass J Mascis ein schweigsamer Mensch ist.
Dass sie im Sommer bei den Red Hot Chilli Peppers mitfahren, die sich als eine Art Arbeitsprogramm für Ex-SST-Musiker entpuppen, nahmen sie doch beim letzten Mal Mike Watt im Vorprogramm mit nach Deutschland (nächstes Mal dann mit den wiedererstandenen Meat Puppets?). Manch ein Mensch mag auch wissen, dass ich diese Band wie kaum eine andere schätze. Und deshalb gibt es jetzt auch im TRUST ein Interview mit dem alten Schweiger und Main Man J Mascis. Über „Beyond“, wie das Reunion-Album heißt, darüber, wie es ist, wieder zusammen zu spielen, nachdem man sich seinerzeit nicht unbedingt freundschaftlich getrennt hatte, über das was zwischendurch geschah und was in aller Welt „Keeblin’“ sein soll, Titel eines Songs der mittleren Phase, der mir einst schwer zu denken gab.
Es ist schön, dass ihr wieder zusammenspielt – jedenfalls für mich. Ich weiß ja nicht, wie es für dich ist…
Mascis: Es ist gut.
Wie ist es denn, wieder so nah zusammen zu arbeiten nach all den Jahren?
Mascis: Es ist eine Mischung. Es fühlt sich gut an, energetisch und irgendwie kraftvoll. Gleichzeitig ist es auch beschämend.
So weit ich weiß, hattet ihr eine Menge Auseinandersetzungen, bevor ihr auseinander gegangen seid. Ist das irgendwie Thema?
Mascis: Nicht wirklich. Wir wurden erwachsen. Lou, denke ich, machte damals ein Menge Erwachsenwerden durch.
Also redet ihr nicht darüber?
Mascis: Nicht wirklich. Manchmal in Interviews oder so, wenn jemand fragt (und lacht leise). Es ist wie Familienprobleme…
Das übliche Zeug…
Mascis: Yeah.
Wie habt ihr zusammengearbeitet bei dem Album. Ich denke, du hast deine Songs geschrieben, Lou seine…
Mascis: Ja, ich schrieb Songs, wir hatten das alte Problem: Lou zum Songschreiben zu bringen. Es war immer ein großes Problem. Das war das Hauptproblem, weshalb wir uns trennten. Er schrieb keine Songs. Und an irgendeinem Punkt, vor „Bug“, weißt du, stellte er fest, dass er nichts beitragen würde, weil wir als Band die Songs ruinieren würden. Er wurde so passiv-aggresiv. Er wollte nicht der sein, der ausstieg, aber er wollte auch nicht in der Band sein, nichts beitragen.
Bei diesen Aufnahmen war es wirklich schwierig, ihn zum Schreiben zu bringen. Wir quetschten sie ganz am Ende aus ihm heraus und machten noch eine Aufnahme-Session. Ich kenne den wirklichen Grund nicht, er sagte verschiedene Sachen wie „Oh, ich kann keine Songs schreiben“, er ließ Murph nach LA holen, wo er lebt, und sie spielten eine Woche zusammen. Schließlich drückten wir die Songs irgendwie aus ihm heraus. Es schien wichtig zu sein, dass er ein paar Songs auf dem Album hat, weil er gern singt – mehr als ich, schätze ich. So hat er ein paar Songs, die er live singen kann.
Er machte den Eindruck, als würde er es sehr genießen, die Sachen zu spielen. Aber es hat damit zu tun, für Dinosaur jr. zu schreiben, weil er die ganze Zeit Songs für seine Bands schreibt?
Mascis: Richtig.
Warum habt ihr euch entschieden, ein neues Album zu machen?
Mascis: Weil wir jetzt schon seit drei Jahren zusammenspielen und meinten, wir könnten noch ein bisschen mehr spielen, dachten wir, wir bräuchten neue Songs, weil es uns nervt, immer wieder das selbe Set zu spielen. Es schien uns ein guter nächster Schritt zu sein, um weiterzumachen. Entweder würden die Leute es mögen und wir würden weiter spielen können, oder es würde fehlschlagen und wir könnten aufhören. So oder so wäre es eine Bewegung hin zu etwas.
Was ist der Plan für die nächsten Jahre? Habt ihr Pläne?
Mascis: Ja, wir haben Pläne, im Sommer zu touren. Und ich schätze, es hängt davon ab, wie die Platte läuft…
Wart ihr über die Jahre in Kontakt in all den Jahren, die ihr nicht miteinander gespielt habt?
Mascis: Ja, hin und wieder, aber nicht so oft.
Ich hab keine Ahnung, was Murph in all der Zeit gemach? Ich weiß, dass er ein bisschen länger in der Band war als Lou.
Mascis: Er war bei den Lemonheads. Dann ging es abwärts und er hatte irgendwie eine schlechte Phase für eine Weile. Er hat nicht mit Leuten gespielt.
Wo lebt er?
Mascis: Er lebt eigentlich nirgendwo wirklich. Wir versuchen, irgendwo ein Apartment für ihn zu finden. Vielleicht in Amherst. Aber er beschwert sich immer darüber. Er ist irgendwo in New Hampshire, da hat er eine Freundin. Aber er ist noch nicht wirklich von der Tour nach Hause gekommen. Ich versuche ihn dazu zu bringen, ein Apartment zu kaufen, oder wenigstens eins zu mieten.
Du hast auch mit den Lemonheads gespielt, wenn auch nur ein paar Soli – wie kam das?
Mascis: Oh ja. Sie fragten mich. Der Schlagzeuger der Descendents, der auch mitspielt, fragte mich. Ich habe die Descendents immer wirklich gemocht.
Die sollten eigentlich auch mal wieder auftauchen.
Mascis: Ja, es scheint, dass sie alle fünf Jahre wieder auftauchen.
Du machst eine Menge Sachen. Es gab Witch, diese Stonerrock-Band, es gab „Songs For Amma“, du hast diese Stooges-Sache gemacht – wie wichtig ist es für dich, eine dauerhafte Band zu haben?
Mascis: Keine Ahnung. Ich will einfach etwas zu tun haben, schätze ich. Irgendwie spielen. Ich weiß nicht, ob es so wichtig für mich ist.
Du folgst also nicht einer Strategie oder betreibst Karriereplanung?
Mascis: (lacht leise) Nein.
Produzierst du noch Bands?
Mascis: Nein. Ich gab das auf. Ich hab das seit den mittleren Neunzigern nicht mehr gemacht. Ich hab nicht das richtige Temperament dafür. Ich verstehe wahrscheinlich nicht wirklich, was ein Produzent macht. Es ist irgendwie ein schmutziger Job für mich. Es ist ein bisschen ein Betrug. Man macht nichts wirklich Konkretes.
Man kann eine Band in eine bestimmte Richtung drücken oder ein paar Knöpfe drehen – es gibt da wohl verschiedene Wege…
Mascis: Ja, Toningenieur ist die eine Sache. Ich mag das nicht, ich hab nicht die Geduld dafür. Ich denke darüber mehr… Es ist schwierig. Es ist eine Kunstform, deren Wert gesunken ist, durch das ganze Homerecording. Es ist ein schwerer Job, wenn du es gut machen willst. Das Homerecording hat es irgendwie ruiniert. Ich erinnere mich, dass Steve Albini nie Produzent genannt werden will.
Du hast ein richtiges Studio zuhause?
Mascis: Ja. Jetzt benutze ich ProTools.
Auch für Beyond?
Mascis: Ja. Ich schätze, ich habe es produziert. Ja, die erste Platte, die wir auf ProTools gemacht haben. Das Witch-Album haben wir bei mir zuhause mit ProTools gemacht. Ich hatte eine Bandmaschine, die mit dem Studio verbrannt ist, als mein Haus abbrannte. Jetzt haben wir ein anderes Haus und das Studio ist in der obersten Etage und es ist schwer, eine Bandmaschine da hoch zu kriegen, weil sie so schwer ist (lacht). Teils. Aber dann dachte ich auch, ich könnte ProTools ausprobieren, weil ich das noch nie gemacht hatte. Ich hätte das nie gedacht. Ich weiß nicht… Ich meine, ich mag alles daran… bis auf den Sound (lacht). Es klingt immer ein bisschen… Ich denke, es ist passabel.
Was ist der Unterschied im Sound zu analogen Aufnahmen?
Mascis: Es ist irgendwie eine Art von Tiefe oder so. Digitale Aufnahmen sind ein bisschen flacher. Wenn du dir das oft anhörst, gewöhnen sich deine Ohren daran und du kannst kleine Details feststellen. Und es ist wirklich skizzenhaft. Es fühlt sich alles an wie ein Spielzeug und als würde es jede Minute kaputtgehen. Der ganze andere Kram wirkt wirklich wie ernsthafte professionelle Ausrüstung, aber am Ende nimmst du mit diesem Spielzeug auf und es ist alles etwas angsteinflößend. Computer sind nicht wirklich dafür gemacht… Aber es ist ein bisschen aufregend, am Rand zu leben und alles verschwinden zu sehen.
Bänder können verbrennen…
Mascis: Ich hab es am Ende auf Band gemischt, so dass es für mich am Ende wenigstens wirklich existiert.
Diese Band Witch, ist das wirklich eine Band? Hast du ausgeholfen als Schlagzeuger?
Mascis: Nein, ich hab die Band gegründet.
Mit ein paar Typen aus Amherst?
Mascis: Ja.
Macht ihr weiter?
Mascis: Wir haben uns getrennt, aber vielleicht kommen wir wieder zusammen. Wenn wir im Vorprogramm der Stooges spielen können, machen wir vielleicht weiter (lacht).
Eigentlich hast du ja die Stooges wieder zusammengebracht – zumindest hast du sie mit Mike Watt verkuppelt. Ihr hattet dieses Projekt, wo ihr Stooges-Songs gecovert habt. Du bist aber nicht mehr involviert, oder?
Mascis: Nein, nicht seit Iggy wieder auf der Bildfläche erschien. (lacht) Da wurde ich rausgeschmissen. Ich spielte mit Watt ein paar Gigs mit Stooges-Songs (damals war er mit The Fog unterwegs, bei denen Mike Watt Bass spielte). Wir spielten in Ann Arbor und spielten mit Ron (Asheton). Dann spielten wir mehr Gigs und dann hatten wir einen Gig, wo wir nur Stooges-Songs spielen sollten, und Ron brachte seinen Bruder mit. Und wir spielten mehr Gigs. Dann hörte Iggy davon und wir bekamen gute Kritiken und er rief an… „Es ist meine Band, ich bin einer von ihnen…“ Dann machten sie weiter. Hast du sie gesehen?
Nein. Sie haben nicht allzu viel in Deutschland gespielt.
Mascis: Sie sind ziemlich gut.
Zwei Fragen noch: Der Gesang auf dem neuen Album ist deutlich lauter als früher, man versteht mehr von den Texten.
Mascis: Oh wirklich?
Naja, nicht alles, aber… Du hast mal gesagt, dass du es magst, wenn Leute nicht alles verstehen und sich ihren eigenen Reim darauf machen. War das eine bewusste Entscheidung, den Gesang mehr in den Mittelpunkt zu rücken?
Mascis: Ich weiß nicht, ich mein, ich denke nicht, dass der Gesang so laut ist. Außer bei Lous Songs. Ich denke, deswegen wurden REM groß, weil jeder seine eigenen Songs daraus machte.
Was ist Keeblin‘?
Mascis: Keeblin‘, das ist… Dieser verrückte Typ aus meiner Stadt erfand das. Kennst du diese Kekse aus Amerika, Keebler, das ist die Marke? Sie haben Anzeigen mit diesen kleinen Kobolden. Sie leben in einem Baum (lacht) und sie machen diese Kekse, wie die Helfer vom Weihnachtsmann. Und… also… (lacht) Es bedeutet… ähm, wie kann ich das erklären. Wenn du dich verhältst wie diese verrückten kleinen Kobolde, die zusammen in einem Baum leben… (lacht) Ich weiß nicht.
Es gibt diese Solo-Aufnahme aus dem CBGBs von dir, wo du den Song damit ansagst, dass eine Menge Freunde von dir das Keebling betreiben.
Mascis: Ja. Es ist… obskur. Es ist ein bisschen wie… mehr… die Konnotation ist mehr pervertiert oder so. Wie verrückte kleine Männer, die in Bäumen leben und Kekse backen.
Wie Hobbits?
Mascis: Ja, vielleicht ein bisschen wie die Beziehung zwischen dem Hobbit und dem anderen Typen. Ein bisschen wie der Hobbit. Eine leicht homosexuelle Konnotation, aber nicht ganz. Eine seltsame Beziehung zwischen antisozialen Typen, die nicht mit der Realität umgehen können. Der Hobbit trifft es ganz gut, aber es ist ein bisschen mehr dement (lacht), ein bisschen wahnsinniger. Es ist nicht sehr positiv.
Du beschwerst dich in dem Song über dieses Verhalten?
Mascis: Nein, ich habe ihn einfach so genannt, weil dieser Typ die ganze Wörter erfunden hat.
Hast du noch andere seiner Schöpfungen benutzt?
Mascis: Der Bandname Gobblehoof kam auch aus dieser Richtung.
Der Typ lebt immer noch in Amherst?
Mascis: Ja. Ich glaube, er ist wütend auf mich. Er ist der örtliche Verrückte. Weil ich im Plattenladen seine Tapes nicht verkauft habe. Irgendwann kam er rein und hat rumgeschrien, weil er dachte, ich mache mich über ihn lustig. Er ist ein ganz guter Gitarrist und Schlagzeuger, aber er ist wirklich ziemlich wahnsinnig.
Aber er ist nicht angsteinflößend?
Mascis: Nein, aber er hat Leute auf seiner Shitlist.
Er ist wahrscheinlich ein bisschen paranoid.
Mascis: Oh ja. Murph schuldete ihm 20 Dollars, und der hatte ein paar von Murphs Schlagzeugteilen. Er fragte mich, ob ich sie kaufen wollte. Ich sagte, er solle sie bei Ebay einstellen. Also verkaufte er sie bei Ebay für 300 Dollar, und Murph schuldete ihm 20. Es ist eine Mischung aus Schuldbewusstsein, aber er ist immer noch sauer auf Murph. Er fühlt sich schuldig, weil er mehr Geld eingenommen hat als Murph ihm schuldete. Er ist einfach verrückt. Wahrscheinlich wird er für immer auf mich sauer sein, weil ich mal irgendwas gesagt habe. Es ist eine seltsame Stadt.
Wie groß ist Amherst?
Mascis: Amherst ist ungefähr, ich bin nicht sicher, vor 10 oder 20 Jahren waren es 15000 Einwohner und 30000 Studenten. Eine College-Stadt. Die nächste Stadt, Northhampton, hat 35000 Einwohner. Das ist das Zentrum der Region, wo die Leute zum Ausgehen hinfahren und wo Bands spielen. Da ist auch noch ein College. Kim und Thurston von Sonic Youth leben dort.
Kanntet ihr euch, bevor sie nach New York gingen?
Mascis: Ja. Jetzt leben sie da, wo ich wohne. Sie haben ein Haus gekauft. Es gibt eine kleine Musikszene um die beiden herum. Noise-Shows, wo 30 Leute hingehen, einmal die Woche oder so. Verrückte Shows. Und es ist die lesbische Haupsttadt Amerikas. Vor ein paar Jahren gab es eine Mediencampagne darüber in allen Zeitschriften und im Fernsehen. Amherst war eine Hippie-Stadt – als es noch Hippies gab. Es gab eine Menge Kommunen und so.
Waren deine Eltern da in der Szene?
Mascis: Die sind eher in den 50ern erwachsen geworden. Tony Soprano. Der erinnert mich an meinen Vater. Ein starker italienischer Charakter.
Ist er Italiener?
Mascis: Ja.
Also ist auch euer Familienname italienisch?
Mascis. Vermutlich, ja. Es gibt verschiedene Thoerien. Es könnte griechisch sein, oder italienisch. Er ist mehr so ein 50er-Jahre-Typ, alte Schule, weit entfernt davon, ein Hippie zu sein. Er war Zahnarzt. Die Kids an meiner Schule waren fast alle Kinder von Professoren. Eine sehr liberale, intellektuelle Gegend.
Du bist noch verheiratet mit der Frau aus Berlin. Pendelt ihr?
Mascis: Sie ist nach Amherst gezogen. Wir sind nur ab und zu in Berlin.
Hast du mal überlegt, da zu wohnen?
Mascis: Ja. Aber ich mag es nicht, die ganze Zeit in der Stadt zu sein. Ich meine, es ist meine Lieblingsstadt in Deutschland. Vielleicht irgendwann mal. Sie ist anpassungsfähiger als ich. Sie ist ziemlich zufrieden in Amherst.
Text & Interview: stone
Fotos: Felix Gebhard