Juli 29th, 2023

Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten? – Sara Weber

Posted in bücher by Dolf

Kiepenheuer & Witsch, Bahnhofsvorplatz 1, 50667 Köln, www.kiwi-verlag.de

Ja – wäre die einfach Antwort und zwar weil wir in einer Gesellschaft leben die sich in erster Linie über Arbeit definiert und sich sehr viele Menschen durch Arbeit ihre Identität holen und sobald man nur darüber nachdenkt weniger zu arbeiten, dies gleich ein Problem ist. Das ist ziemlich tragisch und deshalb sind auch einige der Lösungsansätze in diesem Buch wohl erst in etwas fernerer Zukunft umzusetzen, weil es mit den Menschen die so durch Arbeit geprägt sind eben nicht zu machen ist – dann könnte es zu spät sein. Aber von Anfang an. Die Autorin ist Jahrgang 1987, lebt also kürzer als ich beim Trust arbeite. Ich komme später nochmal darauf zurück.

Mit einer Einleitung geht es los und da merkt man gleich das es um mehr als Arbeit in diesem Buch geht, nämlich auch um Krisen, also Pandemie, Klimawandel, Krieg und die anderen Problemchen die sich so auftürmen. Das macht aber gar nichts, die ersten paar Kapitel sind ziemlich gut, es wird beschrieben das viele, zurecht, keine Lust mehr haben auf die Art von Arbeit wie sie heute immer noch vorherrscht. Also schlecht bezahlt, zu lang, zu stressig, zu wenig Personal, sinnlose Tätigkeiten, Chefhierarchien, zu wenig Anerkennung um mal die paar Wichtigsten zu nennen. Logisch, auf den Mist, mit der einhergehenden Erschöpfung, hatte wohl noch nie jemand große Lust. Oft blieb aber keine andere Wahl. Das ändert sich grade, zumindest in einigen Bereichen und hoffentlich auch in den wirklich systemrelevanten Tätigkeiten. Das die Pflege- und Care-Berufe und noch ein paar andere wichtige in Zukunft besser bezahlt werden und einen höheren Stellenwert haben müssen als die ganzen Bullshit Jobs ist eine richtige Erkenntnis, je schneller sich das ändert, desto besser. Mit der Pandemie scheinen viele Menschen erkannt zu haben das Arbeit nicht alles ist (ach was!) und kündigen ihre Jobs. In den USA hat das große Kündigen auch schon einen Namen „The Great Resignation“, natürlich muss man es sich auch leisten können zu kündigen. Dies wird aber glücklicherweise nicht übersehen. Die Autorin beschreibt warum wir alle weniger arbeiten müssen und – das gefällt mir sehr gut – wieso sich der Alltag nicht um die Arbeit herum anpassen muss, sondern das sich die Arbeit in den Alltag einfügen muss. Genau. Es geht ums Home Office und Remote Work, also das arbeiten von zu Hause und von unterschiedlichen Orten, die Problematik des Pendels an die Arbeitsstätte, die Abschaffung von Kontrolle und wie gutes Arbeiten in Zukunft auch mit der Digitalisierung aussehen könnte. Der zweite Teil vom Buch ist dann eher langweilig, wenn auch nicht weniger wichtig, da hier bekannte Problematiken von fehlender Diversität, Gleichberechtigung, Gewerkschaften, Inklusion, Klimawandel und ähnliches behandelt werden. Ja, das muss, aber das hat man alles schon hunderttausendmal gelesen und es ändert sich nur schleichend. Aber gut, jetzt hat es die Autorin auch nochmal aufgeschrieben. Am Ende des Buchs wird es dann nochmal interessant, aber ich will hier auch nicht alles verraten. Viele der Lösungsansätze sind logisch, werden sich aber, wahrscheinlich, nicht umsetzten lassen. Es wird sich aber auf jeden Fall einiges ändern, weil es in Zukunft zu wenig Arbeitskräfte geben wird und die Arbeitgeber nicht mehr machen können was sie wollen. Das ist gut. Ob sich die Arbeit aber so organisieren lässt wie die Autorin sich das wünscht, wird sich zeigen. Manchmal hat man den Eindruck es gibt nichts anderes zu arbeiten als daran zu arbeiten das die Arbeit für die Arbeitenden so gut wie möglich ist. Wie gesagt, finde ich gut, aber viele andere Arbeit bleibt halt dann liegen. Und, das ist mein Hauptkritikpunkt, denn obwohl die Autorin sagt das wir alle weniger arbeiten müssen, übersieht sie, das dies wohl nicht ausreichen wird. Denn viele der „grünen Lügen“ sind eben genau das und man müsste mit dem Aufhören anfangen. Vielleicht schafft das die Generation Z, weil die noch nicht ihre Identität so durch Arbeit und Wachstum verseucht haben, das sie da nicht mehr rauskommen. So wie praktisch der Großteil der Gesellschaft. Das ist das eine, das andere, und deshalb erwähnte ich am Anfang das Geburtsjahr der Autorin und wie lange ich das hier schon mache: Was noch gar nicht klar ist, kann man „gutes Arbeiten“ ein ganzes Leben lang machen, ohne das die irgendwann einsetzende Routine auch die tollste Arbeit „langweilig“ macht. Bisher wurde dies durch Identität und Geld kompensiert, hier müssen auch Lösungsansätze gefunden werden. Außerdem, auch ein großes Problem, was machen denn die ganzen Leute die viel weniger arbeiten, mit der ganzen extra Zeit, wenn sie nie gelernt haben mit so vieler freien Zeit umzugehen – und das auf Dauer – es ist nämlich gar nicht so einfach sich ein ganzes Leben lang erfüllend zu beschäftigen (ohne dabei ständig Ressourcen zu verschwenden), aber sehr wichtig. Auch das sind riesige Probleme die noch nicht wirklich sichtbar sind, aber be- oder zumindest angedacht werden müssen. Ob es hilfreich ist, Firmen wie Amazon, Uber oder irgendwelche Lieferdienste die in ihrer DNS ultra- kapitalistisch sind mit der guten Arbeit mitzudenken, ist sicher prima für die dort Arbeitenden, aber auf Dauer keine Lösung. Weil die Existenz derartiger Firmen ein Problem an sich ist. Aber ich schweife ab…..Es wird schon schwer genug „nur“ das halbwegs umzusetzen was hier gefordert wird, allein die Beschneidung der Identität, also der Arbeit, bei einem Großteil der Arbeitenden wird schon eine sehr große Herausforderung werden und wenn man sich ansieht wie sich zum Beispiel beim Tempolimit angestellt wird, kann es nicht klappen, aber ich hoffe ich täusche mich. Bei mir rennt die Autorin offene Türen ein und allein wegen der wirklich guten Ansätze im ersten Teil des Buchs lohnt es sich das zu lesen. Der zweite Teil ist eben eine Art Auffrischung, das schadet ja auch nichts. Und mag für viele auch neu sein. Wichtiges Thema, sicher nicht das letzte Buch hierzu. 237 Seiten, Paperback, 18,00 Euro (dolf)

Isbn 978-3462004151

[Trust # 220 Juni 2023]

Both comments and pings are currently closed. RSS 2.0