Dezember 31st, 2021

DIE ÄRZTE (#205, 2020)

Posted in interview by Thorsten

Auch wenn das TRUST-Fanzine, ganz bewusst im Underground verwurzelt ist, so gibt es mit Jan Röhlk und Bela, doch zwei Schreiber, die definitiv von den Hosen und Ärzten, sozialisiert und beeinflusst wurden. Nachdem Jan Röhlk in der TRUST # 203, ein gutes und interessantes Interview mit Campino führte, kam die Idee auf, dass ich doch auch Bela B interviewen könnte.
Denn schließlich war ich von meinem circa 12-15 Lebensjahr ein solch großer Ärzte-Fan, dass ich mir selbst den Spitznamen Bela auferlegte, der mir bis heute geblieben ist. Der in meinem Ausweis, eingetragene Name Clemens, fand ich einfach zu spießig und konform. Zur weiteren Auswahl stand auch noch Mike, (von Mike Muir / Suicidal Tendencies), zum Glück entschied ich mich aber doch für Bela, auch wenn mir im Nachhinein, sicherlich noch bessere oder treffendere Spitznamen eingefallen wären. Aber letztendlich hatten zwei andere Freunde aus jener Zeit, auch nicht die besseren Einfälle parat, indem sich der eine, wegen den Abstürzenden Brieftauben, Mikro nannte und der andere auf den niedlichen Namen Exy hörte, was als personifizierte Abkürzung von Exploited hervorging, haha. Eben pubertäre Gehirnauswüchse im Selbstfindungstrip, die keiner wirklich zu verstehen braucht. Mein erstes Konzert war von Die Ärzte und es ist mir bis heute ein Rätsel, weshalb mein eher strenger Vater, es mir erlaubte, alleine mit 13 oder 14 Jahren, zu einem Ärzte-Konzert nach München / Riem, hin und her zu trampen. Jedenfalls kann ich mich noch daran erinnern, dass die Ärzte vor Konzertbeginn, ein Wasserbecken (oder war es ein Aquarium?), auf die wartenden Fans herunterschütteten und herzhaft lachend, einen Heidenspaß daran hatten. Wegen meinen unerfahrenen, jungen Jahren, war ich von dem Tanz und Pogogetümmel, noch etwas überfordert. Denn bisher kannte ich den Pogotanz (ebenfalls unter den Klängen der Ärzte, Hosen, AC/DC, Metallica usw.), nur unter ein paar wenigen Leuten, bei den Jugenddiscopartys, der katholischen Kirchengemeinde. ? Aber ich behielt das Konzert, definitiv besser und lebendiger in Erinnerung, als das Hosen-Konzert in der Münchner Olympiahalle, wo ich wiederrum gar nicht tanzen konnte, weil ich nur einen jämmerlichen Sitzplatz auf der Zuschauertribüne abbekam. Aber dennoch gab es bei dem Konzert, noch diesen einen Höhepunkt, als zum Ende hin, das Licht ausging und ein paar Minuten später, die Hosen, circa 20-30 Meter von mir entfernt, in der besagten Zuschauertribüne, die Zugabe „Eisgekühlter Bommerlunder“ spielten.

Aber was nun die Jackpotfrage anbelangt, ob nun die Hosen oder Ärzte besser oder punkiger sind? Sah und sehe ich die Ärzte, immer klar im Vorteil. Denn wo die Hosen, eher verkrampft und verbissen, einen auf Punkrock machten, währenddessen sie oftmals nur platte Sauflieder und Mitschaukelhits, für´s breite Volk ablieferten. Versprühten Die Ärzte für mich, wegen ihrer frechen, ironischen und provokanten Grundhaltung, mehr dieses Punkrockfeeling. Und seit ihrer Reunion in den frühen 90ern, verbreiteten sie auch eine politische oder gesellschaftskritische Attitüde. Es liegt wohl auf der Hand, das „Schrei nach Liebe“, mehr Leute politisch sozialisiert hatte, als „Nazis Raus“ von Slime bzw. Beton Combo. Das gleiche gilt natürlich auch, für „1000 Gute Gründe“ und „Sascha … ein aufrechter Deutscher“, von den Hosen. Dass beide Bands ganz bewusst, kommerzielle Interessen verfolgen und damit auch auf einige Kompromisse eingehen, dürfte sich wohl von selbst erklären. Aber sie dienten eben für Tausende von Leuten, auch als Einstiegsdroge in das unendlich große Punk und Hardcore-Universum, wie es eben auch bei Jan Röhlk und mir geschehen ist.

Und was die Fun-Attitüde anbelangt, so waren Die Ärzte ja nicht die einzige deutschsprachige Punkband, welche eine oftmals politische oder gesellschaftskritische Attitüde, mit Humor oder Zynismus, zum Ausdruck brachten, wie z.B. die schon 1977 von der Musikindustrie gefakten Straßenjungs. Oder die im Underground pulsierenden Cretins, Fasaga, Kuschelweich, Lennons, Moloko Plus, Junge Front oder der Rucki Zucki Stimmungskappelle. Nicht zu vergessen die Bands, auf dem 1983 erschienen Sampler „Ein Vollrausch in Stereo“, wo neben Die Ärzte auch Die Deutsche Trinkerjugend, die Tangobrüder und letztendlich auch Frau Suurbier bzw. Die Suurbiers mitwirkten, auf die Bela B. im Verlauf des Interviews, noch näher eingeht.

Ein bisschen aufgeregt war ich im Vorfeld schon, aber während des Telefoninterviews, erwies sich Bela B., als ein zwar professioneller, aber dennoch sympathischer, lockerer und ehrlicher Mensch, der in einer ziemlich hohen Gesprächsgeschwindigkeit, sehr viel Wissenswertes und Interessantes zu erzählen hatte. Aus den vorgegebenen 30 Minuten, wurden 80 Minuten! Wir redeten über die kulturellen Auswirkungen von Corona, über die Anfangszeit in Berlin mit Soilent Grün und den Undergroundfilmen von Jörg Buttgereit. Wie es zu dem raschen Popularitätsaufstieg der Ärzte kam. Über die Höhen und Tiefen im Showbusiness, über Punk, Provokation, ihr Comeback und über ihr neues Album „Hell“. Zum Schluss entpuppte sich Bela B., auch noch als ein genauso großer Bob Mould-Fan (Sänger und Gitarrist von Hüsker Dü), wie ich. Also mir hat es wirklich viel Spaß gemacht, mit Bela B. zu reden, eben weil er so ein lockerer und ehrlicher Typ ist und ich in dem Gespräch, zu vielen neuen Erkenntnissen kam, die mir bisher verwehrt blieben.

Hallo Bela, hattest du heute, einen stressigen Promotag hinter dir?

Ja und Nein, es gibt halt doch einige Sachen wegen dem neuen Ärzte-Album zu erledigen und es stehen auch ein paar Überraschungen aus, die ich jetzt aber noch nicht verraten möchte. Und zudem möchte ich mich noch etwas einbringen, in dieses Projekt von Alarmstufe Rot, wegen unseren ganzen Mitarbeitern und Roadies. Ich war gestern auf der Demo und es war schon erschreckend, dass die Demo in der Presse gar keine Erwähnung fand, obwohl so viele Leute davon betroffen sind. Klar es gab auch die Demos zu „Moria brennt“ und es ist nur logisch, dass es derzeit viele Themen gibt, die gerade wichtiger sind. Aber es geht hier halt auch um 1,4 Millionen Menschen, die davon betroffen sind und seit März kein Geld verdienen, die nicht wissen ob sie nächstes Jahr noch tätig sind. Und wenn wir keine Roadies, keine Caterer und keine Fahrer mehr haben, dann weiß ich nicht wie es weitergehen soll.

Und die Clubs werden ja auch hinwegsterben, besonders die kleineren. Das ist wirklich eine Katastrophe. Es bezieht sich halt alles doch zu sehr auf den Corona und da gehen viele andere Themen, leider doch zu sehr unter.

Absolut. Und ich habe mir gestern schon auch gedacht, dass man erstmal mit Reichskriegsflaggen umherwedeln oder irgendwelche Verschwörungstheorien ablassen muss, um dann von der Presse, noch wochenlang Aufmerksamkeit zu bekommen. Das finde ich schon ein bisschen absurd.

Ja klar, weil die eine Seite dann so viel Aufmerksamkeit in den Medien bekommt, obwohl sie größtenteils nur aus ein paar Idioten besteht. Eigentlich sollte man diese Leute viel mehr ignorieren.

Ja oder auch sie auch mehr abtasten, in ihrer verschobenen Verschwörungswelt, in der sie sich befinden. Denn diese Leute wollen doch genau an die Öffentlichkeit gelangen und dann können sie schimpfen und über Diktatur schwafeln. Ich meine solchen Leuten muss man doch keine Plattform geben oder irgendeinen Obernazi, ein Interview Im Spiegel geben. Ich meine was hat der uns, schon zu erzählen? Eben rein gar Nichts!
Ja also das TRUST ist natürlich schon ein ungewöhnliches Medium für Die Ärzte. Also ich glaube irgendwann in den 90ern haben wir mal ein Interview im TRUST gemacht.

Echt, gab es schon mal ein Interview in der TRUST?

Ich glaube schon, ich bin mir aber nicht ganz sicher. Wir haben irgendwann in den 90ern gesagt, jetzt wollen wir mal gucken, wer uns da nimmt und ich glaub das Zap Fanzine, waren die ersten und über die Jahre hinweg auch noch das Plastic Bomb, Ox und alle waren irgendwann dabei, aber beim TRUST bin ich mir jetzt nicht mehr ganz sicher.

Wir kamen halt auf die Idee mit dem Ärzte Interview, weil ein Schreiberkollege in der letzten Ausgabe Campino interviewt hatte und da dachten wir uns, dass ich doch auch mal Die Ärzte interviewen könnte. Denn mit circa 14 Jahren, war ich so ein großer Ärzte-Fan, dass ich mich selbst Bela genannt habe. Obwohl die Jahre darauf, sich mein Horizont schon eher im Punk und Hardcore-Underground ausbreitete.

Ja dafür sind wir auch immer ganz gut gewesen, als Einstieg in diese Szenen. Mir ist das alles ja nicht fremd und ich denke du findest die verschiedensten Elemente dieser Musik, auch in unserer Musik wieder. Ich denke wir waren auch nicht gerade für wenige Leute, ein Einfluss oder ein Wegbereiter. Es ist natürlich immer einfacher, erstmal die bekannteren Bands zu hören und wenn du dich dann fragst, woher kommt das eigentlich her, dann stößt du halt auch auf andere Sachen, wie den gängigen Mainstream.

Ja klar und dafür ist das TRUST auch da.

Auf jeden Fall. Ich habe dem Plattenladen Coretex vor circa 20 Jahren, als sie eröffnet haben eine Finanzhilfe gegeben. Und ich finde es witzig, dass nun unsere aktuelle Single den dritten oder vierten Platz in den Verkaufscharts einnimmt, hinter Sheer Terror.

Also ist dir das TRUST-Fanzine schon ein Begriff?

Ja das ist mir schon ein Begriff, also ich bin jetzt kein Abonnement oder Dauerleser, aber ich habe es schon hin und wieder in der Hand. Ich war auch nie so wirklich ein Hardecorefan. Wir haben mit einigen Hardcore-Bands gespielt und mir sind einige Bands ein Begriff, ich hab auch einige Platten. Aber ich muss zugeben, als das so wirklich groß wurde mit Hardcore, bin ich zu meiner Schande voll auf Metal eingestiegen, mit Judas Priest und solche Sachen. Das war schon schräg bei mir damals.

Bei mir war das genau umgekehrt und bin von Metal zu Punk und zu Hardcore gekommen. Also liest du in deiner Freizeit noch Punkfanzines? Und ist dir die Meinung von Punkfanzines genauso wichtig, wie von renommierten Musikmagazinen?

Ja ein Fanzine ist halt immer was der Name sagt, ein Fan-Magazin. Es gibt natürlich auch das Ox, das darüber hinaus schon eher so eine Kioskmusikzeitschrift geworden ist, aber von der Aufmachung immer noch wie vor 30 Jahren. Und Punk ist ja auch nicht mehr reine Undergroundmusik und Hardcore würde meine Mutter jetzt zwar nicht hören, aber dafür vielleicht mein Onkel. Es ist uns natürlich wichtig, was die Fanzines über uns denken, weil da Leuten schreiben, die hinter der Musik und dem dazugehörigen Lifestyle stehen, deren Anliegen ein Anderes ist, als nur was gerade populär ist.

Ja genau oder das man halt Interviews, nicht nur gibt, wenn eine Band eine neue Platte herausbringt, sondern eher nach dem eigenen Lust und Laune Prinzip handelt.

Also ich bemerke das schon, dass wenn uns Leute aus Fanzines oder auch in Internetplattformen abfeiern, oder auch kritisieren und ablehnen, geht das bei mir schon mehr rein, als wenn die Mainstreammedien über uns berichten. Aber ich finde es generell auch traurig, dass es in den normalen Kiosken, faktisch keine Musikzeitschriften mehr gibt. Ich lebe jetzt schon seit 20 Jahren in Hamburg und in den Kiosken bei uns in der Gegend, findest du einfach keine Musikzeitschriften mehr. Ich habe nachgefragt, warum und dann hieß es nur, die kauft doch eh keiner. Da gibt es dann wirklich so Magazine, wie „Psychologie Heute“ und was weiss ich, und dann sagt der Verkäufer „Musikexpress oder Rock Hard bestell ich nicht mehr, das verkauft sich einfach nicht“. Am ehesten findest du mal im Supermarkt eine Bravo oder so, aber das ist es dann auch schon.

Es ist auch ein zusätzliches Problem, das allgemein Printmedien vom Aussterben bedroht sind und besonders in Zeiten von Corona wird das nicht leichter, wenn die Annoncen für Veranstaltungen wegfallen, oder Bands weniger Platten veröffentlichen, dann ist das schon auch ein Überlebenskampf. Aber kommen wir mal zu den Interviewfragen. Ihr habt ja mit Soilent Grün angefangen und euer erster Bassist Sahni, spielte auch bei Die Suurbiers. Wie hast du die Zeit mit Soilent Grün und den frühen Ärzten in Erinnerung behalten?

Also erstmal noch eine zusätzliche Geschichtsschulung von mir. Ich hab auch ein halbes Jahr bei den Suurbiers gespielt, doch bei der ersten Suurbiers-EP, ist Wölli (der später bei den Toten Hosen Schlagzeug spielte) eingestiegen. Sahni ist dann mit den Suurbiers und Die Ärzte noch eine Zeitlang zweigleisig gefahren, bis er sich letztendlich auch für die Ärzte entschieden hat. Soilent Grün war dann schon eher meine erste Band. Ich hab davor zwar noch in einer Schülerband und einer Hippierockband gespielt, mit der wir uns 1979 einen Proberaum, mit der Punkband, Pocket Rausch, geteilt haben. Dadurch hatte ich auch meine erste Berührung mit Punk und war so fasziniert davon, dass ich 1980 meine erste Punkband Soilent Grün gründete. 1981 stieg dann auch Farin Urlaub, damals noch Jan Vetter, als Gitarrist ein. Wir hatten doch schnell gemerkt, dass wir so eine Basis hatten, die wir mit den anderen Bandmitgliedern nicht hatten. Da ging viel über Ironie und Humor und das hatten die anderen nicht, die wollten dann eher Songtexte gegen Bullen und das Schweinesystem singen und das hat uns irgendwann total gelangweilt. Wir waren auf einem Konzert von Hass und Slime und jede Band hatte genau dieselbe Agenda. Aus unserer Sicht brauchte es keine weitere Band, die genau dasselbe machte. Auch musikalisch waren wir vielseitiger interessiert. Ein Teddyboy aus Berlin, war einer meiner besten Freunde, der hat mich zu Eddy Cochran und klassischen Rockabilly gebracht, den ich, ausser Elvis natürlich, noch gar nicht kannte und das hat Jan auch interessiert. Also haben wir angefangen auch Rockabilly zu spielen. Die Suurbiers waren eh so eine Mischung aus Punk und Rockabilly. Damals zogen die Waltons nach Berlin, die spielten noch mal anders, so Countrybilly. Punk war für uns ein Ding, bei dem alles offen war und wir waren auch nicht die einzige Band, die etwas Eigenständiges machen wollte. Die Konzerte der Suurbiers waren schon immer sehr chaotisch, weil die in ihrer Fanbase, auch die Hermsdorfboys hatten, das waren so prollige Dorfjungs und die waren mir dann oft zu prollig, so Partyhooligans aus gutem Hause, ohne echte Anbindung zu Punk.

Ich finde die Suurbiers hatten auch schon so eine Prä-Note der Ärzte und da kam schon so ein bisschen der Funpunk hindurch.

Ich mochte den Suurbiers-Sänger Micha auch sehr gerne, aber das war auch einer, bei dem die Stimmung schnell kippte. Es hat so ziemlich jeder Freund von ihm, auch ich, irgendwann mal von ihm, eine gefangen. Das war echt krass, wie der von einen auf den anderen Moment, plötzlich so aggressiv werden konnte. Die Suurbiers hatten auch deswegen so wenig Platten veröffentlicht, weil Micha sich mit so wenigen Leuten, die ihm geholfen hätten, vertragen hat. Und es war ein ätzendes Ding für ihn, dass Wölli mit den Hosen und ich und Sahnie mit den Ärzten und später auch Beckmann, der bei ihm Bass spielte, mit den Rainbirds, Plattenverträge hatten und in den Zeitungen standen. Darüber hat er dann in einem Lied gesungen, ich glaube es war „3 Akkord Wunder Baby“, „Alle meine Freunde sind im Radio, nur mich will man nicht“, oder so ähnlich war der Text.

Da ist dann halt Neid entstanden.

Nee gar nicht, Micha war nicht neidisch, eher selbstzweiflerisch. Ich hatte ihn vor seinem Tod dann auch noch ein paarmal gesehen, weil ich ihn finanziell unterstützte, aber ich hab dann schon gemerkt, dass das bei ihm keine gute Wendung nehmen würde. Die, die sich jetzt als die Bewahrer seines Andenkens aufspielen, waren in seinen letzten Jahren gar nicht da.

Eigentlich hast du fast schon die nächste Frage beantwortet, weil da wollte ich auf die Politpunkszene näher eingehen. Denn auf der anderen Seite gab es in Berlin, auch die Polit- und Hausbesetzerpunkszene, um Beton Combo, Stromsperre, Katapult usw. Waren das damals zwei verschiedene Szenen? Und wie hat die eine Szene auf die andere reagiert? Wolltet ihr euch von den Politpunks bewusst distanzieren? Oder woher kam dieser Hang, zum Fun-Punk, der als Begriff zu dieser Zeit ja noch gar nicht wirklich existierte?

Neenee zu erstmal haben wir uns nie als Funpunkband gesehen, Funpunk waren eher die Deutsche Trinkerjugend oder die Mimmis. Fabsi von den Mimmis, hat das auf seinem Weser Label, dann auch so propagiert. Und ansonsten war es so, dass ich als Jungpunk nach Kreuzberg kam und da auf diese Szene rund um SO 36 und das damals noch existierende KZ 36 stieß. Als wir im KZ 36 mit Soilent Grün spielten, kam uns von der Beton Combo, direkt die totale Ablehnung entgegen, auch weil wir 10 DM Gage zu einem halben Kasten Bier bekommen hatten. Die hatten so ne Dogmatikereinstellung, wie man sie auch aus dem Hardcore kennt. So von wegen „Hey Alder, ihr kommt aus den falschen Bezirken“. Farin kam aus Fronau, da gab es sehr viele Ein-Familienhäuser und ich kam aus Spandau und von Spandau wussten die gar nichts & dachten deshalb es wäre n Bonzenbezirk. Dabei war es ein total überalterter Rentnerbezirk, in dem auch die Viking Jugend sehr umtriebig war. Und Combo kam halt aus dem Märkischen Viertel und dort war es angeblich so tough, da gab es Hochhausschluchten, wie der Block von Sido. Und mit Heske (Beton Combo Sänger) speziell, denn ich öfter mal in Kneipen sah, hatte es immer mal wieder verbal gefetzt. Der Typ war auch ein ziemlicher Schrank, aber ich hatte mich mit den anderen Jungs, dann irgendwann recht gut verstanden. Der Drummer von Beton Combo, habe ich erst vor einem Jahr getroffen und der ist seit einigen Jahren ein Verleger, von einem kleinen Verlag, wo er megaharte Krimis veröffentlicht und ich habe ihn dann auf der Frankfurter Buchmesse getroffen. Ja und so schließt sich halt dann wieder der Kreis. Mit der Band, mit der wir wiederum total dicke waren, waren Stromsperre. Mit deren Sänger Bullensohn, hingen wir viel herum. Der teilte auch unseren Humor. Es gab mal ein Konzert in einem Hochhaus, da gab es einen Club oder ein Jugendhaus, mit Soilent Grün, Stromsperre und Beton Combo. Da gab es voll den Stress mit Heske, weil er meinte, dass Stromsperre und Beton Combo immer zusammenspielen und das ginge gar nicht, das da eine Band, noch dazu wir, dazwischen spiele. Wir haben dann eben als erste gespielt und wir waren halt so Punks mit gefärbten Haaren und Punkklamotten. Und das passte da gar nicht so richtig rein, weil Beton Combo waren eher so betont auf Arbeiterklasse, in ganz normalen Klamotten und fanden das affig, wie wir aussahen. Das Publikum bestand überwiegend aus Hausbesetzern und Anti-Fa und so. Und dann sollte es auch noch einen Naziüberfall geben, wie das so oft damals der Fall war. Es waren unter dem Publikum, auch einige Straßenkämpfer, die so selbstgemachte Radgürtel oder mit Steinen gefüllte Tücher dabei hatten, aber es passierte einfach nix. Als wir dann spielten rottete sich so eine Gruppe vor uns zusammen, die uns Modepunks die Fresse polieren wollte. Unser Sänger Bernd war eher schüchtern und am modischsten aufgemacht, während unser Bassist Hussein Sohn echter Strassenköter war den das Getänzelt von Bernd total nervte. Er hat dann vor den erstaunten Leuten unseren Sänger verprügelt und durch den Saal gejagt und uns Anderen damit den Hals gerettet.
Den Bassisten hab ich später ein paar Mal wieder getroffen. Er war inzwischen Schauspieler, aber er hat dann parallel Geld zusammengekratzt, als Regisseur einen Spielfilm gedreht und damit immerhin den Grimme-Preis gewonnen, worauf wir dann schon ein bisschen Stolz waren. Früher war er ziemlich hart, er hat sich auch mal eine Maske aufgesetzt und Skinheads gejagt, aber als ich ihn Jahre später wiedertraf, hat er sich so Bohemienmäßig, in einem lila Anzug und einem großen Hut zurechtgemacht. Er war die Gegenposition zu Jan und mir bei Soilent Grün. Wir waren ihm zu lustig und zu unpolitisch. Er ist auch ein bisschen mit Schuld an der Entstehung der Die Ärzte.

Witzig das du gerade das Filmbusiness ansprichst, denn sehr unterhaltsam fand ich auch, die mit Super 8 Kamera aufgenommenen, Berliner Trashfilme zu jener Zeit, an denen du soweit ich weiß, auch beteiligt warst? Sind diese Filme noch erhältlich oder käuflich zu erwerben?

Das West-Berlin-Punkding hat sich ja ab 1980 komplett gewandelt, mit den Einstürzenden Neubauten als Schlüsselband und viele Bands drum herum, die mit allem möglichen Dingen Musik gemacht haben. Viele Leute hatten von ihren Eltern, Super 8 Kameras und jeder hat irgendwie gedreht. Alles wurde gefilmt. Ich bin mit Jörg Buttgereit zur Schule gegangen, der später so krasse Horrorkunstfilme gedreht hat, wie Nekromatik.

Daher kommt wahrscheinlich auch dein Faible für Horrorfilme?

Ja das stimmt, aber diese Vorliebe hatten wir beide, als Jörg und ich noch zur Schule gingen. Bei ihm hab ich auch in vielen Filmen mitgespielt und zu meinen frühen Punkzeiten bildete sich dort auch eine Gruppe, um den späteren Transkünstler Ades Zabel, der heute ganz gut von seiner Trans-Comedy–Rolle Edith Schröder lebt, die er damals, als er 16 oder 17 war, entwickelt hatte. Wir drehten viele komische Kunstfilme, wir erzählten seltsame Sachen, drehten auf Bahngleisen oder an der Mauer. Jörg hat aber eher so Monster oder Horroraffinen Quatsch gedreht, wie z.B. „Captain Berlin“ und da habe ich eben auch viel mitgespielt. Es gab vor ein paar Jahren, den sehr empfehlenswerten Film „B-Movie: Lust & Sound in West-Berlin 1979-1989“. Es war echt krass, als ich die Premiere zum Film sah und ich mich fast immer irgendwo im Bild entdeckte, entweder im Hintergrund, oder ich sah meinen Arm oder meine Haare, wie sie in die Kamera ragen. In dem Film gibt es auch einen Auftritt der Ärzte und ein Interview, wo Farin vom englischen Fernsehsender Channel 4, über Berlin befragt wird. Das filmen war damals, eben genauso ein Ausdrucksmittel, wie die Musik. Farin und ich wohnten damals in einer WG zusammen und er hatte auch eine alte Super-8 Kamera, mit der wir immerhin zwei Filme gedreht haben. Der eine hieß „Der unheimliche Schlüsselbund“, haha der totale Scheiß, der andere hiess „Karl The Human Insect“. Die Filme wurden einmal in einem autonomen Zentrum, in Kreuzberg gezeigt. Sowas lief meist zwischen Bands die dort gespielt haben. Das war irgendwie in vielen Clubs Konzept. Ich war zu der Zeit, mit der kanadischen Filmemacherin Lisanne Thibodo zusammen, die grad mit Super 8 und Super 16 den Spielfilm „Bad Blood For The Vampire“ gedreht hatte, mit Blixa Bargeld in einer Nebenrolle. Ich hab ihr beim Filmdreh in der Ausstattung geholfen. Da waren auch die ganzen Leute aus dem Risiko dabei, wie Mania D z.B. War schon ne coole Zeit.

Und gibt es die Filme wo du erzählt hast, im Netz oder käuflich zu erwerben?

Einiges gibt es als Bonus auf Jörg Buttgereit DVD-Editionen, z.B. ist auf der TODESKING-Box „Der Gollop“ drauf, ein Film in dem ich ein Monster spiele und wo ich noch Schüler war. Letztendlich findet man all diese Filme schon irgendwo, wenn man danach sucht. Damals gab es Kurzfilm-Editionen auf VHS, aber ob es die auch als DVD gibt, weiss ich nicht. Die beiden Filme von Farin und mir, gibt es nirgends soweit ich weiß.

Finde ich super, das sind ja auch voll die lebendigen Zeitdokumente.

Ja und das war auch eine Zeit, wo ich auch von diversen Drogen nicht sehr abgeneigt war und echt viel getrunken, Amphetamine und Speed genommen habe. Aber zum Glück kann ich mich an wahnsinnig viele Sachen, sehr gut erinnern.

Ja das kenne ich von mir auch, ich hatte früher auch fast jedes Wochenende, ein zwei Filmrisse und ich kann mich auch noch an sehr vieles erinnern.

Ja das ist doch auch ein Geschenk, aber in dem Moment, wo es aufhört, dass du dich nicht mehr erinnern kannst, dann musst du gucken, dass du den Konsum etwas runterfährst.

Jetzt bin ich schon braver geworden. Du wahrscheinlich auch, vermute ich mal.

Ja, es wird schon weniger. Ich trinke gerne mal Wein und auch mal was Klares. Auf Tour wird’s dann wieder automatisch mehr.

Jetzt kommen wir mal zur nächsten Frage. Hat es euch überrascht, als ihr in den frühen 80ern, den Berliner Senatsrockwettbewerb gewonnen habt? Und wie kam es darauf, zu dem doch sehr schnellen und steilen (Popularitäts-)Aufstieg der Die Ärzte?

Ok ich versuchs kurz zu machen, weil ich hab jetzt auch nicht Lust, die ganze Geschichte der Ärzte zu erzählen, weil ich ja wegen meinem neuen Album, mit dir spreche. Mit der Band Soilent Grün waren wir innerhalb von kurzer Zeit, sehr beliebt in Berlin und deshalb entstand schon mal ein großes Interesse an die Ärzte, weil es sowas wie uns nicht wirklich gab, also eine Band mit lustigen Texten und Chorgesang auf schnellen Popsongs. Und dann haben wir bei dem Wettbewerb mitgemacht, wo auch ziemlich frisierte Musiker spielten, von afrikanischer Folklore, Funk, Jazz, allesmögliche und von dem her war es schon überraschend, das wir gewonnen haben. Die Suurbiers sind dort auch mal aufgetreten und haben nur den vierten Platz gemacht. Vielleicht hatten wir die meisten Follower, keine Ahnung. Wir waren gar nicht so beliebt bei der Jury, dort mochte uns nur Monika Döring, die hat uns auch später immer wieder unterstützt. Sie hat das „Loft“ geleitet, einen Konzertort, wo viele wichtige und professionellere Bands spielten, wie Faith No More, Nick Cave, RHCP usw.. Nach unserer Single, die wir selbst finanzierten und die, man stelle sich das vor, mit unserer Telefonnummer versehen war, stieg die Popularität der Band nach oben. Schon bald geriet die Single, in die Hände eines Bravo-Mitarbeiters, der eine Affinität zum Punkrock hatte und 79/80 auch mal Tourbegleiter der Undertones gewesen ist. Eine Band, die wir total verehrten. Und der meinte, dass es 1982 Zeit für eine deutsche Punkband in der Bravo wäre. Der hat in uns Potential gesehen und meinte wir wären regelrechte Posterboys. Und ein paar Wochen später, als sein Chefredakteur im Urlaub war, brachte er über mehrere Ausgaben hinweg, Poster und Artikel über uns heraus, die auch gute Resonanzen bekamen. Sein Chef war davon erstmal gar nicht begeistert. Daraufhin kamen zu den Punks immer mehr Teenagermädchen zu unseren Konzerten. Die Bravo hatte uns die Jahre darauf, dann immer die Stange gehalten und uns unterstützt. Wir bekamen einen Deal bei CBS, haben aber gar nicht so viel Platten verkauft.

Ich habe eure Platten aus den 80ern geliebt, aber am besten gefiel mir immer das Live-Album „Nach uns die Sintflut“. Im Gegensatz dazu, empfand ich die Studioplatten immer etwas glatt und überproduziert. Wie stehst du im Nachhinein zu dem Sound der Studio-LPs?

Da kann ich nur ein bisschen darüber lachen, weil unser erstes Album, haben wir in zwei Wochen aufgenommen und gemischt, und da hat die Spex schon geschrieben, dass das Album glattgebügelt wäre. In zwei Wochen kannst du nichts glattbügeln, das schaffst du nicht. Das Problem war und das hatten die Leute irgendwie nie mitbekommen, dass wir auch Live nie verzerrte, sondern cleane Gitarren und die Chorgesänge hatten. Und deswegen haben die Leute immer gedacht, wenn sie unsere Studioplatten, ohne Publikum gehört haben, das der Sound extra im Studio so entstanden wäre. Dabei haben wir Live genauso geklungen, nur ging das halt bei dem Geschrei der Fans, etwas unter.

Ja das kann schon sein, aber meines Erachtens hatte die Liveplatte, halt viel energischer und punkiger geklungen.

Bei der zweiten Platte hatten wir mit Micki Meuser, einen richtigen Produzenten. Der hat mich dann kaum Schlagzeug spielen lassen, weil ich einfach nicht so gut war und hat dafür dann viel mit dem Sampler gemacht, wo er die Sounds bestimmen konnte. Das war sehr 80er mäßig und passte halt in die Zeit. Es gab aber auch das Lied „Käfer“, so eine Sex Pistols-Hommage. Das war das erste verzehrte Stück das wir gespielt haben, das habe ich dann auch genauso wie „Wie ein Kind“ Live eingespielt. Die dritte Platte haben wir mit dem Produzenten Manne Praeker von Spliff abgemischt. Aber das ist halt auch einfach die Art wie wir Platten aufnehmen, im Studio musst du halt immer mehr geben, weil die Liveatmosphäre fehlt. Auf der Platte musst du filigraner sein, das mag für den ein oder anderen überproduziert klingen, ist es aber nicht wirklich. Die erste Platte bei der wir produktionstechnisch, dann mal sechs Wochen im Studio waren, war die „Das ist nicht die ganze Wahrheit“ und auf die waren wir dann auch sehr lange sehr stolz. Und die Liveplatte war eben genau der Sound, den alle haben wollten und es wurde deshalb auch für lange Zeit unsere meistverkaufte Platte. Zu dem Zeitpunkt hatten wir uns nur blöderweise schon aufgelöst. Die Liveplatte sollte unser Vermächtnis sein, die sich dann sehr schnell über 500.000 Mal verkaufte, das war unfassbar viel. Wir konnten’s gar nicht glauben. Zuvor verkauften wir mit allen Studioalben zusammen, gerademal 250 000 Stück.

Okay da hätte ich jetzt echt gedacht, dass ihr mehr Platten verkauft hättet.

Nee wirklich nicht, unsere zweite Platte, kam zwar in die Charts und die verkaufte sich im Laufe der Zeit 50.000 mal, das war unsere bestverkaufte Studioplatte und dann ging es auch mal wieder bergab und es kam zu der indizierten Platte, von der wir dann gar keine verkauften. Da gab es auch keinen Masterplan, wir mussten uns halt von der Plattenfirma immer wieder ein bisschen freischwimmen, aber die haben uns auch immer machen lassen, weil wir nie lange im Studio waren und nicht so hohe Kosten verursacht haben. Und dann hatten wir uns aufgelöst, das war schon bei der letzten Studioplatte „Das ist nicht die ganze Wahrheit…“ so ausgemacht. Bei der Liveplatte haben wir wahnsinnig schnell gespielt. Heute geben wir im Studio mehr aufs Tempo Acht und stellen uns bei einigen Songs die Frage, ob sie zu langsam sind, damit sie sich nicht zu sehr von den Liveversionen unterscheiden. Aber man muss auch dazu sagen, dass wir ab den 90ern auch mehr herumexperimentiert haben, auch mal in Richtung Metal, Punk und Hardcore gegangen sind, was wir früher nicht wirklich spielen konnten. In den 80ern war das eher so Pop und Rockabillymäßig und weil wir unsere neueren Songs, auch etwas schneller spielen, kommt das eben punkiger herüber.

Das passt gerade gut zur nächsten Frage. Seit der „Bestie in Menschengestalt“, mit „Schrei nach Liebe“ oder „Friedenspanzer“ hattet ihr auch kritischere Texte geschrieben, mit „Planet Punk“ war auch ein deutlicherer Punkbezug zu erkennen und mit „1234 Bullenstaat“, habt ihr noch so manchen alten Deutschpunkhit, insbesondere „Samen im Darm“ von den Cretins, besser gecovert, als das Original. Wie kam es zu dieser Rückbesinnung auf Punk?

Das Ding war, dass wir jahrelang in Konkurrenz standen, mit den Hosen. Campino hat mal gesagt, dass die Hosen real aus der Punkszene entsprungen sind. Und wo wir auch immer herkommen würden, wir hätten damit nichts zu tun. Das stimmt natürlich so nicht. Wir kamen aus ner ähnlichen Szene wie sie, waren deutlich mehr Arbeiterklasse und Farin hat auch mal in einem besetzten Haus gewohnt. Das Abschiedskonzert von Soilent Grün war das erste Konzert der Toten Hosen in Berlin. Ihr zweites Konzert im besetzten Stone hab ich mit organisiert. Aber das Ding war eben, das wir immer anders sein wollten. Als wir in den 80ern anfingen, hatten wir auch noch keine Ahnung, wie man Metal spielt und es gab auch noch keinen Crossover. „Elke“ war unser erster Metalsong und noch sehr rudimentär. In den 90ern, konnten wir schon besser spielen, fügten diese Elemente hinzu und hatten auch daran Spaß. Außerdem hatten wir mit Rod, erstmals einen richtig guten Musiker am Bass. Und so war das dann klar, dass wir härter klingen wollten und auch konnten. Wir gingen auch nach wie vor Experimente ein und spielten weiterhin unsere Popsongs. Neulich hat mal jemand gesagt, dass wir immer tausend verschieden Stile spielen oder vermischen, aber wir am Ende immer als Die Ärzte zu erkennen sind. Wir haben dann Anfang der 2000er, noch ein zweites Bullenstaat-Album gemacht und das hatte dann schon ein Konzept, ein Punk-Konzept. Da haben wir das, was wir in den 80er Jahren gehasst haben, diese Klischee-Punkscheiße, total auf die Spitze getrieben. So diese ganzen Dogmen, das wir nur über das System, über die Polizei, Punk und vor allem Bier singen dürfen.

Deswegen kommt die Scheibe auch so gut, weil sie wie eine Verarsche von dem ganzen Punk-Ding wirkt.

Ja und Nein, wir haben die meisten positiven Feedbacks von Punkbands bekommen. Auch und besonders von vielen Alt-und Ex-Punks.

In manchen eurer Songtexte wie „Punk ist…“, „Ist das noch Punk“ oder bei eurem neuesten Song „Morgens Pauken“, thematisiert ihr ironisch, die oftmals doch sehr festgefahrene Punkattitüde. Was geht dir allgemein, an der Punkbewegung auf den Nerv und was findest du wiederum geil daran?

Bei dem Song „Punk ist…“, ging es darum, dass wir immer wieder gehört haben, das wir keine Punks seien. Seit wann ist das vorgeschrieben, was Punk ist? Deshalb haben wir den Song als Jazz und in dann noch in einer Bossa Nova-Version aufgenommen. Farins „Ist das noch Punk“ fragt, ob Liebe und Punk zusammenpassen. Und der aktuelle Song „Morgens Pauken“ ging aus einer ganz anderen Motivation hervor. Punk ist inzwischen so ein Folklorewort. Als wäre alles Punk. Unser Manager kommt an und meint, wir müssen das so Punk-Promomäßig machen, aber was meint er damit? Man sagt Punk wäre unangepasst, wild oder mutig. Diese Vorschriften sind lächerlich. Oder ein Freund meinte letztens, als ich meinen Unmut über einen ihm bekannten Bild-Reporter geäußert habe, dass dieser Typ in seinem Herzen doch auch Punk wäre. Da dachte ich, jetzt Reicht´s. Was soll das? Jeder Schlagersänger meint, auf seinen Konzerten geht der Punk ab. Insofern ist es eigentlich …

Ein ausgelutschter Begriff.

Ja genau. Und gleichzeitig ist da unsere große Liebe, zu dem was uns heilig war. Punk hat uns sozialisiert, ist unsere Kultur. Und in diese Kultur ist etwas hereingekommen, was sich losgelöst hat, von all diesen Dogmen. Die Plattenfirmen hatten uns nichts vorzuschreiben, die Eltern hatten nichts zu sagen und auch nicht die anderen Rockmusiker. Ich mein, ich bin groß geworden mit so Bubblegummusik wie Sweet und Slade und dann haben die älteren Jungs in der Schule gesagt, hey das ist alles Scheiße, du musst dir mal Jethro Tull und Yes anhören und du denkst dir, Nee muss ich nicht. Meine erste Punklektion war, lass dir nichts erzählen von Autoritäten erzählen.

Und Punk ist ja auch eine weltoffene Musik, da spielten ja auch Jazz und Reggaeeinflüsse mit herein.

Ja klar, oder es gab schon relativ früh, so um 1979, diese No Wave-Szene in New York, um James Chance und Teenage Jesus And The Jerks mit Lydia Lunch und ich war sofort auch großer Fan von dieser Musik. Als Teenager sogar mehr als von den typischen Punkbands, bis auf die Ramones, die fand ich schon immer total toll.

Manchmal habe ich den Eindruck, dass der heutige Zeitgeist, mehr auf politische Korrektnis setzt. Obwohl im Bereich des Gangsterraps von Aggro Berlin, auch vieles zum stumpfen Sexismus verkommen ist und eure Songtexte dagegen ziemlich harmlos klingen. Meinst du ihr würdet bei „Elke“, „Claudia“ oder „Schwanz ab“, von eurer Fanbase, heutzutage einen größeren Shitstorm erhalten?

Hmm, naja das waren halt auch andere Zeiten, wir haben bei „Claudia“ und „Geschwisterliebe“ Straftatbestände erfüllt. Wir haben über Sex mit Tieren gesungen und das ist in Deutschland verboten. Und das „Schlaflied“ ist indiziert worden, weil es Kindern absichtlich Angst machen sollte. Und der Song „Geschwisterliebe“, ist immer noch indiziert, das ist aber auch klar, da singen wir über Inzest mit Blutsverwandten. Es ist halt immer auch die Art und Weise, wie du es machst. Es haben auch damals schon Bands in Fäkalsprache gesungen und die Kassierer singen seit jeher übers fisten. Wir machen das auch, aber auf eine Art, die erst mal nicht so auffällt, wie bei „Mein Mädchen war beim Friseur“, oder zum Beispiel unserem grössten Hit „Männer sind Schweine“, einem Riesenhit am Ballermann und drei Jahre lang die Nr. 1 auf dem Münchner Oktoberfest. Das konnten wir uns gar nicht vorstellen. Bei „Männer sind Schweine“, zitieren wir ganz am Ende „Bullenschweine“ von Slime, und zwar genau die fraglichen Stellen „Mollis und Steine gegen Bullenschweine“ und keiner hat es gemerkt, oder zumindest hat es niemand reklamiert. Das ist ganz deutlich zu hören und trotzdem haben alle dazu getanzt und es lief jeden Tag hundertmal im stinknormalen Radio. Das Subversive macht uns mehr Spass als die Holzhammermethoden der Gangsterrapper.

Und da finde ich das auch schon richtig platt, bei euch war das noch sympathisch und im Gegensatz zu den Rappern, fast schon niedlich.

Bei unserem 93er Comebackalbum, gab es mit „Omaboy“ einen Song der schon darauf abzielte, dass es ein bisschen eklig wird, wo ich Liebe zu sehr alten Frauen thematisiere. Aber es ist auch ein bisschen niedlich, weil wir das noch ekliger finden. Das ist der Unterschied, zwischen uns und so Halbstarken, die darüber texten, dass sie nachdem sie aus dem Fitnesscenter kommen die Bitch mal so richtig in den Arsch ficken werden. Oder du nimmst das Wort Analverkehr und platzierst es in einem wunderschönen Popsong.

So spielst du halt auch besser mit der Provokation und das kommt dann auch besser beim Hörer an.

Provokation ist auch immer eine Sache die erstmal interessant macht. Jede Band die irgendwie relevant sein will, die sich was traut und nicht immer nur auf Nummer Sicher gehen will, sucht sowas. Ich sage es mal so, im Gangsterrap, was mit Aggro Berlin angefangen hat, gibt es ständig neue Rapper, die immer Neue Barrieren niederreißen und im Moment ist die größte Provokation, der Antisemitismus. Das nimmt halt echt Ausmaße an. Es gibt z.B. den zehnminütigen Song „Die Apokalypse“ von Kollegah, da geht es eindeutig um diese Verschwörungsformeln, das eine jüdische Weltverschwörung, alle Nationen dieser Erde bedroht und das alle gemeinsam, diese ausmerzen müssen. Das Wort Jude wird nicht ausgesprochen, aber wenn du halt von Rothschild sprichst und du einen Salomonstern im Video siehst usw. usf., ist das wohl eindeutig. Das ist echt zum kotzen. Und das ist wirklich diese letzte Bastion die du in Deutschland an Provokation erreichen kannst und die feiern sich ab dafür, dabei machen sie in der Musik nichts Anderes, als was die AFD in der Politik macht.

Und so wird diese negative Provokation halt leider auch alles salonfähiger und massentauglicher.

Provokation, war für mich als Punk schon auch immens wichtig um mich abzugrenzen. Leute schocken war der große Spass am Punk. Wenn sich die Leute von dir genervt abgedreht haben. Oder man hat in Songs Drogen verherrlicht, was z.B. die Neubauten sehr viel gemacht haben.

Mit „Fütter mein Ego“.

Ja, denn genau für diese Leute, war der Song schließlich auch gar nicht geschrieben. Das ist ja Super, wenn meine Musik nicht bei den falschen Leuten ankommt. Dass das über kurz oder lang, wenn du erfolgreich bist doch stattfindet, davon können Die Ärzte ein Lied singen. Deswegen haben wir „Männer sind Schweine“ schon auf der laufenden Tour zum Album aufgehört zu spielen. Weil wir das Gefühl hatten, dass der Song uns weggenommen worden ist. Der gehörte jetzt nach Mallorca und aufs Oktoberfest, das ist jetzt nicht mehr unser Ärzte-Song. Obwohl es von der Melodie und vom Text, ein ganz typisches Lied von uns war. Doch der Song hatte so viel Zuspruch von der, ich sage mal, falschen Seite bekommen. Wir sind deshalb auch mit Sicherheit die einzige Band, die dreimal, einen Auftritt bei „Wetten das“ abgelehnt hat. Niemand hat „Wetten das“ abgelehnt, auch nicht die Hosen. Wir haben uns aber gedacht, das gehört nicht zu uns, das sind wir nicht, das stellen wir nicht dar. Da ist uns unser Gefühl deutlich wichtiger, als die Reichweite dieser Megashow, die von Millionen von Leuten gesehen wird, die sich am Samstagabend mal so´n paar exotische Typen aus Berlin angucken.

Was waren für dich, in positiver oder negativer Hinsicht, die einschlägigsten Momente, in eurer Karriere?

Da gibt es viele. Die Band existiert schon so lange. Meist hatte es mit irgendwelchen Liveauftritten zu tun. Wir sind eben am besten auf der Bühne. Es gab so einschlägige Momente, als wir mit Kiss auf Tour waren und wir gemerkt haben, dass wir auch in großen Hallen spielen können und das wir trotzdem so eine Wohnzimmeratmosphäre erzeugen können, und vor einem Publikum bestanden haben, die uns per se, erstmal nicht mochten. Wenn du überlegst das bei Kiss, ein Hardrock und Metalpublikum und auch nicht wenige Onkelz-Fans anwesend waren, die dann eh schon gegen uns waren. Aber dann ging es trotzdem gut ab, die Leute haben gefeiert und wir dachten, wir können das. Und dann gab es auch bestimmte Platten, die wir aufgenommen haben, wie „Die Bestie in Menschengestalt“, die „Jazz ist anders“ oder die „13“. Oder als wir in Südamerika auf Tour waren, was total schön war, als wir z.B. auf einem Festival in Uruguay spielten. Oder als wir in Moskau oder Japan gespielt haben. Das waren tolle gemeinsame Reisen und auch eine wichtige Erfahrungen, auch wenn´s uns nur Geld gekostet hat. Eben die ganzen Liveauftritte, als wir bei unserer Abschiedstournee auf Westerland 3,5 Stunden gespielt haben, mit Fabsi von den Mimmis im Backstage, der geheult hat. Die Goldenen Zitronen sind extra angereist, überall flossen Tränen und das war auch ein ganz geiler Moment. 2012/13 waren wir dann an so einen Punkt, wo wir es irgendwie verpasst haben, wir hatten zwar jede Menge Songs geschrieben, aber wir hätten die Platte (Namens „Auch“), vielleicht doch nicht machen sollen. Wir sind einfach ins Studio gegangen und wir wussten, wir müssen jetzt wieder zwei Jahre lang hart arbeiten und waren gar nicht wirklich bereit dafür. Es gab dann untereinander viele Stressmomente, Stress mit unserem Grafiker, dem Fanclub. Es war insgesamt sehr negativ beladen. Zu dieser Zeit hatten Farin und ich auch Soloalben veröffentlicht, die zwar nicht so erfolgreich waren, aber wir hatten uns dort halt voll ausgelebt und hatten unglaublich viel Spaß. Und dann kamen wir eben zurück zu den Ärzten und hatten das Gefühl, das wir verpflichtet wären, gegenüber den anderen Bandmitgliedern, unserer eigenen Plattenfirma, wo wir Leute beschäftigen, die wir bezahlen müssen. Wir haben dann auch Touren gespielt, wo wir uns regelrecht quälen mussten, um gut zu sein. Geile Konzerte dabei natürlich auch, z.B. mit The Damned.

Die habe ich vor zwei Jahren auch Live gesehen und das Konzert war voll geil.

Ja die sind immer noch total cool und sie sind auch voll nette Typen. Jedenfalls hatten wir die lange Pause, wo wir uns langsam wieder annähern konnten. Dann war der Auftritt in Jamel. Das ist dieses Nazidorf, wo die Familie Lohmeyer standhaft nicht wegziehen will. Und obwohl die Nazis schon deren Scheune angezündet hatten, veranstalten sie dennoch einmal im Jahr, ein Festival in ihrem Garten, um dagegen Stellung zu beziehen. Dort hatte ich ein Konzert mit Freunden von der Gypsy-Swingband Danubes Banks. Ich habe dann Farin und Rod dazu überredet, das wir dort gemeinsam „Schrei nach Liebe“ spielen. Und als es soweit war gab es dann eine dermaßen große Explosion unter den Tausend Zuschauern, das war krass. Das hat uns vielleicht wirklich wieder zusammengebracht.
Und dann die Tour letztes Jahr, in den kleinen Clubs in ganz Europa. Wir haben uns da beschlossen eine neue Platte zu machen und uns auch voll gefreut auf das Studio. Es läuft innerhalb der Band wieder total gut. Wir erleben grad unseren vierten Frühling hab ich das Gefühl. Und das ist auch gut so, weil wer weiß, wie wir sonst diese Corona-Zeit überstehen würden, Wir haben jetzt auch eine ausverkaufte Tour abgesagt und auf Ende des nächsten Jahres verschoben. Das ist schon alles total nervig. Gerade weil wir uns derzeit so gut fühlen und so stolz sind auf unsere neue Platte, die einer der besten ist, die wir je veröffentlicht haben. Und dann können wir nicht auf die Bühne. Naja. Ich finde das ist auch deshalb eine ganz entscheidende Platte, weil wir eigentlich schon gedacht hatten, dass es das jetzt war mit uns und wir unserer Geschichte nichts Brauchbares mehr hinzufügen können. Das war für uns gar nicht so vorherzusehen.

Wieso meinst du, dass die neue Platte eure Beste ist?

Das liegt an vielen Punkten, die Texte sind noch ein bisschen absurder, als bisher. Das heißt es ist einfacher, die Texte auch auszublenden, denn wir sind eben eine Band, die schon mal auf ihre Texte reduziert wird. So die lustigen Typen, mit ihren Ironietexten und jetzt besteht eben die Möglichkeit, dass sich der Hörer mehr auf die Musik konzentrieren kann. Einer solcher Songs ist z.B. „Polyester“ von Rod, da geht es um einen Menschen der sich in Plastik verwandelt. Als Umweltthema voll legitim, aber du kannst den Text auch voll ausblenden und dann hast du so eine krasse Bob Mould-Gitarrenwand.

Ah du meinst Bob Mould von Hüsker Dü. Denn finde ich auch total geil.

Ja die neue Platte ist so geil, da freue ich mich schon total drauf.

Ich auch, ich bin eh ein total großer Hüsker Dü-Fan. Bob Mould ist halt fast so gut wie früher und das Schaffen eben auch nicht viele von den älteren Amipunks, dass die noch so gute Alben herausbringen.

Die erste Single des neuen Albums ist der Hammer und jetzt hatte er auch schon zwei andere Songs ins Netz gestellt die auch super sind, aber „American Crisis“ ist perfekt, die pure Wut.

Ja voll, besser geht’s nicht.

Ja besser geht echt nicht, der Song ist gerade mal zwei Minuten lang, aber er geht voll in die Fresse. Das ist so geil und der Typ ist ja auch nicht mehr der Jüngste.

Welche fünf Platten würde Bela B. ins Grab mitnehmen?

Es gibt für mich eine Platte, die für mich ganz entscheidend ist und das ist die „White Light White Heat White Trash“ von Social Distortion. Das ist einfach so ein Instinktalbum, wo jedes Lied gut ist. Oder die erste Weezer besteht aus zehn Hits, oder „Destroyer“ von Kiss. Das sind halt so Platten, wo die Sterne günstig stehen und zehn oder elf Hits drauf sind. Und dann gibt es halt auch so Platten, die die Welt verändern, ohne dass jedes Lied ein Hit ist, z.B. die erste Minor Threat, oder die erste Dead Kennedys. Aber ich höre auch viele neuere Bands.

Was war denn deine zuletzt gekaufte Platte und dein zuletzt besuchtes Konzert?

Also ich kauf mir ständig Platten, aber ich kauf mir auch viele Platten, die ich bisher verpasst habe, wie z.B. Suicide, die glaub ich 2012 nochmal eine neue Platte gemacht haben. Und Chrome die ich als jugendlicher total geil fand, haben auch wieder eine neue Platte gemacht, aber die haben halt leider nicht mehr dieses Feuer, das sie damals hatten. Und die Bob Mould-Platte ist schon bezahlt, die muss jetzt nur noch verschickt werden, die musste ich in Amiland bestellen, weil es da so eine Spezialedition mit T-Shirt und Bonussingle gibt, die ich dann auch unseren Toningenieur schenken werde.

Ein guter Plan.

Die letzten deutschen Platten, waren die letzte Pisse-Platte, die auch super ist, obwohl die Überraschung ihrer ersten Sachen, jetzt ein bisschen wegfällt, aber sie sind immer noch total geil. Terrorgruppe und die letzte Eisenpimmel-Platte.

Okay, mit denen bin ich nie so richtig warm geworden.

Ja die sind auf der einen Seite megaprollig, dabei aber immer originell und rocken auch krass gut. Bei der aktuellen Platte geht es in den meisten Songs um Feminismus und das ist schon echt schräg, wie sie die Gleichung Feminismus und Bier auf einen Nenner bringen. Und die neue EP von den Viagra Boys, ist auch sehr gut.

Stimmt die sind auch sehr gut, da könnten dir vielleicht auch die Idles gefallen, das ist auch so eine neuere Band.

Von denen habe ich auch das neue Album, aber das habe ich noch nicht oft gehört.

Okay dann komme ich jetzt zum Abschluss, hast du noch ein abschließendes Wort oder Lebensmotto parat?

Also ich kann das jetzt auf den Bezug, zu den Ärzten sagen und ich möchte den anderen in der Band nicht Unrecht tun, aber ich habe mir schon sehr viel Mühe gegeben, das wir untereinander nicht den Kontakt verlieren und immer wieder darauf gedrängt, das wir uns treffen und sprechen. Und deshalb kann ich rückblickend nur einen Tipp geben: Wenn du dran glaubst, nie Aufgeben!

(bela)

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