August 28th, 2019

CHAOZE ONE (#120, 2006)

Posted in interview by Jan

CHAOZE ONE
Autonome-Bewegung und Hip Hop-Kultur lassen sich für die meisten Menschen nur schlecht unter einen Hut bringen: Zu groß scheinen die Unterschiede, zu viel – berechtigte – Vorurteile verbreitet.
Das es auch anders geht zeigt CHAOZE ONE aus Karlsruhe.

In seinen Reimen & Shows sucht man vergeblich sexistische, homophobe oder Battle-Inhalte, dafür findet man politisch radikale und persönliche Lyrics, über die, seine Anfänge als Künstler, Szenen-Vorbehalte, Inhalte und vieles mehr Chaoze im Interview Auskunft gibt.

Du bist ja über Punk und mehrere weitere „Stationen“ bei Hip Hop gelandet – das dürfte ja vorallem auch für die TRUST-Leser recht interessant sein. Ich würde gerne mehr über diese Entwicklung wissen und vor allem was du – ich nenne es mal „aus deiner Punk-Vergangenheit“ beibehalten / mitgenommen hast, und  ob / wo sich einige deiner Ansichten heute geändert haben.
Ich habe sehr früh angefangen mit Punk, so etwa mit zwölf oder dreizehn Jahren würde ich schätzen. Das lief schon so ganz klassisch über die Toten Hosen und Slime aber auch die Ramones und The Clash. Ich fing etwa mit 14 an selber E-Gitarre zu spielen, mein großer Bruder hat mir damals seine alte Gitarre geschenkt und etwa anderthalb Jahre später habe ich dann mit zwei Freunden und einer Freundin eine Punkband gegründet, Diarrhoe hieß die (RIP) und nach nur einem Auftritt war’s dann auch schon vorbei, weil uns das Weingut, auf dem wir Pfälzer gespielt haben, den Strom abgestellt hat. Es war sehr lustig, irgendwo gibt’s wohl auch noch Aufnahmen und Videos, aber leider nicht bei mir…

Mitgenommen hab ich aus der Zeit wohl das Gitarre spielen und natürlich auch die Politisierung. Ich bin vom Punk in die Antifa und Autonomen Bewegung gerutscht, weil ich irgendwann mehr Aktivismus an den Tag legen wollte, als politische Texte zu konsumieren… Für mich war Musik in jedem Fall immer Emotion und immer politisch, das hat mich immer begleitet. Die Gitarre muss heute als Ausgleich für’s touren herhalten, mal sehen.

Meine Ansichten ändern sich ständig oder zumindest gebe ich ihnen die Chance dazu, weil ich auch die grundlegendsten Positionen immer neu zu überdenken versuche.  Manches am Punk nevt mich heute zu Tode, und ich meine da eher die Attitüde als die Musik. Ich will halt eher was reissen als nur rumzuhängen aber ich weiß auch gut, dass sich Punk nicht nur auf Punk runterbrechen lässt, sondern dass es da mindestens so facettenreich zugeht wie im HipHop.
Obwohl mittlerweile dem Hip Hop zugewandt, erschien dein Debut-Album „Rapression“ 2003 auf dem Karlsruher HC/Punk-Label „Twisted Chords.“ War man sich von vorne herein über eine Zusammenarbeit einig, zum Beispiel weil man sich kannte, oder gab’s da von Seiten des Labels / dir, vielleicht auch eine gewisse anfängliche Skepsis ? Und wie bist du, von den „typischen“ Label-Klientel aufgenommen worden ?
Hm, ich würde sagen mit offenen Armen, aber dennoch skeptisch, klingt seltsam, aber so trifft es wohl am besten. Aber zunächst mal zu meiner Beziehung zum Label.  Das war ein sehr intensives Beschnuppern würde ich sagen und erstmal hab ich mir bei Twisted Chords Tips geholt, weil ich eigentlich selber irgendwie releasen wollte und die Leute vom Label auch nicht ganz schlüssig waren ob das mit Rap auf ihrem Label so funktioneren kann.

Irgendwann war ich ja dann auch wohnhaft in Karlsruhe und das Beschnuppern ging auch auf persönlicher Ebene weiter und hat ganz gut gepasst finde ich. Und so haben wir uns dann irgendwann beide entschlossen die ‚Rapression‘ als ‚Probelauf‘ rauszubringen. Das Ding läuft bis heute, hinterher kam die ‚Koppstoff‘ und mit ihr viele Auftritte in AJZs, Squats und JuZes und ich war da eigentlich immer ganz zufrieden mit. Aber die Skepsis war da, na klar.Einfach ob’s funkioneren kann. Das hat uns dann aber die ‚Label-Klientel‘ bewiesen und da freuen wir uns heute noch ein Loch in den Bauch, sowohl das Label als auch ich.
Und sonst in der Hip Hop – Szene? Wenn man überhaupt von einer zusammenhängenden Szene sprechen kann, das ist ja immer so eine Sache … Ich kann mir vorstellen, das du dort mehr oder weniger zwischen mehreren Stühlen stehst, oder zumindest am Anfang standest, da die Inhalte deiner Musik / dein Handeln wahrscheinlich so nicht unbedingt häufig vorkommen und erstmal für Überraschung sorgt. Bei MusikerkollegInnen und Fans gleichermaßen.
Ja, das war schon alles etwas befremdlich. Die HipHops können in der Mehrheit mit mir äußerst wenig anfangen, das wundert auch nicht weiter, wo doch Leute wie Curse schon als ‚Öko-Rap‘ verschrien werden. Auf der anderen Seite hat ja in der HipHop Szene jeder irgendwie und irgendwann mal mit jedem Stress, so dass das dann bei mir auch nicht weiter auffällt und dass ich registriert werde scheint mir doch erwiesen, nachdem mir ein DissTrack und einige Reviews in einschlägen Magazinen zuteil wurden. Das über mich gestritten wird ist auch okay so, schließlich war mein erklärtes Ziel anzuecken. Getroffene Hunde bellen eben.

Auf der andere Seite standen da lange prollende Punks an den Bühnen und seltsame Menschen die sehnsüchtig darauf warteten, mir aus irgendeinem Grund einen Sexismus Vorwurf zu machen. Als die dann merkten dass die üblichen, zugegebenermassen ekelhaften, Sexisten-Attitüden zumindest weitestegehend ausblieben (freisprechen kann ich mich zweifelsohne nicht davon, fürchte ich) war die Enttäuschung groß und das Interesse erschlosch. Nach inzwischen über 100 Konzerten und vier Veröffentlichungen habe ich mir denke ich mein Publikum erspielt und sowohl die Leute als auch ich haben ein bisschen Gewissheit auf was sie sich da einlassen ;o)
Auf dem schon angesprochenen Debut ist auch der Track “5te Terroristen Kollaboration“ vertreten, auf dem „Anarchist Academy“ gefeatured werden. Die haben sich damals extra für dieses eine Stück teilweise reformiert und seitdem hast du immer mal wieder mit verschiedenen Members der Gruppe zusammengearbeitet. Vor allem Hannes Loh taucht häufig in deinem künstlerischen Lebenslauf auf. Würdest du ihn als Ziehvater bezeichnen bzw. gibt es Stimmen, die meinen ohne ihn hättest du es nicht geschafft?
Geil. Nein die Stimmen gab’s bisher nicht. Hannes war lyrisch bei Anarchist Academy einfach eine Riesen Nummer und ich habe vom Antifaschismus bis zum Liebeskummer viele Höhen und Tiefen meines Lebens mit Anarchist Tracks „veredelt“. Nachdem ich schon an die zwei Jahre Musik gemacht hatte habe ich Hannes und Murat auf ihrer Lesentour kennengelernt, später dann Deadly T und das Ganze ist, auch durch die Gründung von HipHop Partisan, dann meiner Meinung nach sehr ’natürlich‘ zusammen gewachsen.

Es war für mich natürlich ein Erlebnis meine Jugend Idole mit mir auf einem Track zu hören. Aber wenn du dieses Verhältnis nicht irgendwann normalisierst und auf eine gleichberechtigte Ebene brichst, dann klingen die Ergebnisse irgendwann grauenvoll schätze ich. Kurzum, meine Schule war die Anarchist Academy, inzwischen sehe ich die Jungs aber eher als Kollegen an, was den Respekt nicht mindern soll, aber die Erfurcht. Nur glaube ich im Umkehrschluss auch nicht, dass ich den Support nötig hatte um es zu „schaffen“.
Neben Chaoze One, bist du noch in einigen anderen Projekten bzw. Initiativen involtiert. Da wären z.B. Rhyme Guerrilla, Hip Hop Partisan oder die Perspectives-Sache. Beschreib doch mal die verschiedenen Projekte, was, wo dahinter steckt, wo drinnen sie sich unterscheiden, ihre Ziele etc.?
Die Rhyme Guerilla war am Anfang ein fixer Gedanke dem zugrunde liegt, nicht nur Häuser zu squatten sondern auch Köpfe mit Gedanken zu besetzen, die sich dort dann verselbstständigen können. Dementsprechend sind dann ja auch viele wechselnde Künstler unter der „Rhyme Guerilla“ in Erscheinung getreten, HipHop Partisanen ebenso wie z.B. Torch oder Bektas und auch die Perspectives. HipHop Partisan war gedacht als kritisches HipHopNetzwerk, hat sich aber leider inzwischen ein bisschen selber ausser Gefecht gesetzt. Wie immer haben interne Streitigkeiten und Kapazitätenmangel ihr übriges dazu beigetragen.

Den Grundgedanken dieser Bewegung finde ich nachwievor einfach genial. Es ging uns darum wieder politische Verantwortung in den HipHop zu bringen, HipHop als soziale Bewegung zu begreifen. Das Ganze kombiniert mit radikaleren Ansätzen, die adaptiert waren aus der klassischen Autonomen Bewegung, zu der es ja eh personelle Überschneidungen gab. Vielleicht lebt das Ganze ja doch noch einmal irgendwann auf. Perspectives ist prinzipiell eher der Versuch aus meinem Solo Muster auszubrechen und Musik als ‚Band‘ zu machen. Ich war bei der Produktion der EP stark involviert, habe drei Beats beigesteuert (Sous les pavé, Ce Sentiment und Wortschätze) und bei drei Liedern eigene Parts gehabt. Die Mischung mit den anderen vieren pusht mich total, so dass ich finde, auf der Perspectives EP sind Seiten von mir zu hören die es Solo nie gegeben hat.
Gibt es da schon konkrete Päne für neue Veröffentlichungen ?
Ja, erstmal wird im November mein Album rauskommen und ich muss für mich persönlich sagen, dass ich nie zufriedener war mit der Qualität der Sachen die da drauf sein werden. Das Album wird sehr persönlich werden und vielleicht ein bisschen weniger plakativ politisch. Ich habe versucht Phrasengedresche zu vermeiden, habe aber im Gegenzug zum Beispiel ein Lied über eine beendete Beziehung geschrieben, dass komplett geschlechtsneutral ist, und gegenausogut auch von Frauen gehört werden kann die das auf ihrE VerflosseneN anwenden. Hoffe ich zumindest. Das nächste Projekt nach meinem Album wird dann auch ein Album der Perspectives sein, wenn alles so läuft wie wir uns das vorstellen.
Besteht nicht – als radikal denkender / agierender Künstler bzw. Mensch – die Gefahr, sich recht schnell zu wiederholen, also im Kreis zu drehen, nichts neues mehr zu sagen zu haben? Und bei einem radikalen Künstler gibt es dann ja meistens keinen Mittelweg, der nicht die alten Fans vergrault und der im Nachhinein die alten Aussagen unglaubwürdig erscheinen lässt. Da tritt man meistens entweder auf der Stelle, wird belanglos oder löst sich als Konsequenz daraufhin auf.. Ich will nicht sagen, befürchtest du so eine Entwicklung bei dir oder deinen Mitstreitern, aber machst du dir Gedanken darüber, wie begegnest du dem?
Das ist eine interessante Frage. Während der Entstehung des Albums habe ich mir immer die Frage gestellt, ob ich so viel persönliches auf der Platte haben will und ob die Politik da nicht auf der Strecke bleibt. Im Endeffekt ist glaube ich das Album mein politischstes, weil es sich wie gesagt nicht auf Phrasen beschränkt. Ich fühle, denke und handele weitest-gehend radikal, soweit wie es möglich ist. Und die Konsequenz daraus ist mein Leben. Ich werde also mein Leben leben und darüber schreiben und wenn ich eines abends vor dem Fernseher sitze oder vor 200 Nazis und mich wieder fühle wie der Panther, dann wird der nächste Panther kommen. Zu viele haben vorgemacht wie man peinlichst die Bühne verlassen kann und ich hoffe einfach nur dass dies bei mir ausbleibt und ich weiter ehrlich bleiben kann. Dann kann eigentlich nix schief gehen.
Der Frage schließt sich an, ob man überhaupt ausschließlich und extrem politisch (korrekt) sein muss, um als politischer Künstler bzw. politisch denkender und handelnder Mensch ernstgenommen zu werden und glaubwürdig zu sein?
Nein, das glaube ich nicht. Ich muss nicht politisch korrekt sein und ich beurteile bzw verurteile die Leute nicht nach ihrem P.C.-Faktor. Wir sollten begreifen dass wir nicht alle gleich sozialisiert wurden und dass es Diskussionen und Respekt voreinander braucht um Differenzen unpolemisch darzulegen. Ich hab viele solcher Diskussionen auch mit Rappern geführt und bilde mir ein ein paar erreicht zu haben. Genauso wie mir manche eine ganz neue Sicht auf Dinge gegeben haben, die ich früher nicht einmal registriert hätte.

Und ich muss keine komplette LP mit Antifa Texten machen um glaubwürdiger Antifaschist zu sein. Ich liebe die Emails in denen ich Tips kriege für meine Themenwahl. Schreib doch mal was über Israel-Palästina. Ja geil. Wann begreifen die Leute endlich dass sie Bücher lesen müssen oder hinfahren müssen wenn Sie sowas begreifen wollen. Wie soll ich denn in drei Minuten fünfzig, beschränkt auf Doppelreime, Themen behandeln die ich nichtmal in drei Tagen ausreichend diskutieren kann. So Leuten kann ich nur sagen: Get a life!
Lokalpatriotismus war seit eh und je in der Hip Hop-Szene ein großes Thema, gar ein Identifikationsfaktor für Künstler und Fans. Das selbst, wenn man, Patriotismus auf das Heimatland bezogen ablehnt. Wie verhält sich das bei dir und deinem Umfeld, bzw. widerspräche sich ein „Ja“ zu Lokalpatriotismus und „Nein“ zu derartigem Gedankengut betreffend das Heimatland nicht?
Ich bekenne mich schuldig. Ich werde zu Lokalpatriotismus sehr oft befragt. Lokalpatriotismus und Patriotismus sind für mich zwei Paar Stiefel. Und wenn ich schreie „Mannheim 68“ dann bin ich Lokalpatriot für die Neckarstadt, den Jungbusch, das JuZ und das Linke Ufer. Nicht für Bürgermeister Widder und die lange Kulturnacht der Museen oder so ’nem Scheiss. Ich liebe die Stadt in der ich aufgewachsen bin, ich kenn da jeden Strauch und bin im strömenden Regen stundenlang Fussball spielen gewesen, war das erste Mal verliebt dort und der ganze sentimentale Scheiss eben. Aber ich finde die Politik dieser Stadt und ihr Gehabe zum kotzen.Insofern sehe ich keinen Widerspruch.
Nachdem dein Debut nun mitlerweile schon drei Jahre alt ist, bastelst du zur Zeit an dem Nachfolger. Wie kommst du voran und was können wir erwarten?
Naja, ich habe ja zwischendrin auch noch ein paar Sachen raus gebracht. Ich komme sehr gut voran und freue mich wie ein kleines Kind über eine menge feature Gäste die dabei sein werden. Deadly T ist dabei, Lotta C, die Microphone Mafia, Nic Knatterton, Albino und Sista Zoum. Ein paar mehr Kollaborationen stehen noch aus und die Solo-Stücke sind quasi bis auf wenige Ausnahmen fertig. Das Cover ist bis jetzt noch die größte Unbekannte. Tabou von den Perspectives wird das Album mischen und dem ganzen nochmal objektiv auf den Zahn fühlen. Das Ergebnis wird sein ein emotionales, persönliches und politisches Chaoze One Album. Der Name ist übrigens auch klar: FAME.  Bedeutet „Hunger“.
Weißt du schon, wo die neue Scheibe erscheinen wird? Wieder bei „Twisted Chords“, oder z.B. bei „Al Dente Records“ von den Microphone Mafia-Leuten?
Ich gehe fest davon aus dass ich bei meinen lieben Leuten von Twisted Chords releasen werde. Das liegt im wesentlichen einfach daran dass der Link Mannheim Karlsruhe kürzer ist als der nach Köln und es gibt ja da noch diese Binsenweisheit: Never Change A Winning Team!

chaoze-one.de

Interview: Kevin Goonewardena

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