März 16th, 2007

CAMERAN (#115, 12-2005)

Posted in interview by jörg

Es sind bei aller Menge verfügbarer Musik nach wie vor seltene Momente: Du hörst das Album einer Band, und obwohl du nicht gleich mitsummen kannst, fesselt dich etwas, macht dich nervös, lässt dich nach dem Kern dieser Musik suchen, der sich nicht gleich zeigen will. Du willst diese Band sehen, weil du denkst, es könnte dann einen jener noch selteneren Momente geben, in denen sich eine Band offenbart, die nicht einfach nur irgendeine Band ist.
Sie knüpfen an diese Momente bei anderen Bands an. An den eleganten Grössenwahnsinn von Jane’s Addiction, an die überschäumende Fusionsvielfalt von Refused. An das Getriebensein von At The Drive-In. An die Energie von Rage Against The Machine. Sicher, diese Namen tauchen häufig in den Referenzlisten von Bands auf.

Das ist schliesslich auch nicht verwunderlich, sind es doch Bands, die erfolgreich nach neuen Wegen aus dem Mainstream des Rock suchten, ohne ihn zu düpieren. Und es ist auch kein Geheimnis oder Manko, dass Cameran ohne Post-Hardcore und Emo (vergessen wir die doofen Heulsusen und denken an die Ursprünge des Begiffs) nicht wären, was sie sind.

Auch da: Warum das Kind mit dem Bade ausschütten? Genauso wenig wie Cameran ohne das Gespür für die grössere Form denkbar wären, die Bands wie Led Zeppelin etablierten. Wir müssten aber über Cameran nicht so viele Worte verlieren, wenn das alles wäre.

Das Entscheidende und vielleicht der Ursprung des Plattentitels „A Caesarean“ (englisch für Kaiserschnitt), ist, dass Cameran mit geradezu verblüffender Energie daran arbeiten, ihren eigenen Platz in Rock zu finden. Und dabei die Einflüsse, die man ja schliesslich als aufmerksam zuhörender Musikliebhaber so hat (nicht zuletzt wenn man in einer Band spielt), zu verarbeiten, um schliesslich etwas Neues zu schöpfen, also über den Punkt hinauszugehen, an dem Rock sich befindet – oder doch zumindest daran an ihm zu ruckeln, zu schauen, ob es da nicht doch noch weiter geht. Das ist ihnen in jedem Song ein Anliegen. Eine Cameran-Formel gibt es nicht.

Da beginnt ein Song mit einem Breakbeat. Ein anderer mit beinahe Freejazz-mässigen Teilen. Da ist eine epische Qualität, da ist Wut und Trotz. Da ist eine Geige und ein Klavier. Und immer wieder himmelstürmende Gitarre, mitreissende Grooves, über denen sich ein Gesang zwischen Verzückung und Verzweiflung entlädt. Neben stilistischer Originalität glänzt dieses Album dann auch noch mit spielerischem Witz und Unmengen von Einfällen. Und wir hören nicht zuletzt eine Band, die genau das sein will: eine Band – keine Egotrips (jedenfalls keine, die man hören könnte), sondern konzentriertes Zusammenspiel. Ein bemerkenswertes Debüt.

Und in Sachen Post-Hardcore ganz gewiss das beeindruckendste der letzten Zeit. Und sie stecken eine Menge Energie in dieses crazy little thing called band: Sie fuhren ohne Album, ohne Agentur oder Label nach England, um dort zu touren. Sie teilten die Bühne mit den Red Hot Chilli Peppers, International Noise Conspiracy, Converge und Supergrass. Sie nahmen ihr Debüt-Album in Schweden mit Pelle Henricsson, dem Produzenten von Refused und den Hives auf. Sie eröffneten den zweiten Teil der US-Samplerreihe „This Is Indierock“ auf Deep Elm Records. Sie kommen aus österreich.

Da rufen wir doch glatt mal an… Erstmal ist alles ganz unspektakulär. Cameran gibt es seit 1999, davor gab es andere Bands, u.a. Racial Abuse, man frönte dem Metal, coverte Slayer und Metallica. Drei der Herren sind Cousins aus dem Burgenland, nahe der Grenze zu Slowenien und Ungarn, der Gitarrist kommt aus Kärnten. Dann wird es schon etwas komplizierter. Einer wohnt noch im Burgenland, wo auch geprobt wird. Zwei wohnen in Wien, der Gitarrist ist nach wie vor in Kärnten.

Eine Zeitlang probten Cameran in Wien, waren aber laut Aaron zu laut für den Proberaum, weshalb man sie dort rausschmiss. Also ging es fortan zum üben ins Burgenland, weil es die Mitte der verschiedenen Lebensorte ist.

„Einfach war es nie“, sagt Aaron, Gitarre und Gesang, mit leicht gequältem Lachen. Bassist, Schlagzeuger und Aaron als familiäre Keimzelle fanden ihren Gitarristen über die klassische Anzeige. Das war eher einfach. Dann ging es los.

***

Kaum war die Band zusammen, liefen die Dinge schon wieder aus dem Ruder:

Aaron: 2001 gab es zwischenzeitlich keine Band. Unser Gitarrist hatte aufgehört, unser Sänger wollte nicht mehr wirklich, also waren wir nur noch zu zweit, unser Schlagzeuger und ich. Da haben wir uns gedacht, wir fahren nach England. Ein Freund von uns dort hatte Lust, mit uns eine Band zu machen. Aber das hat nicht hingehauen.

Nach einem Jahr haben wir wieder zusammengefunden und unser erstes Demo aufgenommen. Da waren wir schon ein Jahr in England. Das Demo haben wir dann nach Schweden geschickt. Wir wussten gar nicht, ob wir als Band weitermachen, aber wir wollten die vier Songs so gut wie möglich aufnehmen.

Uns war die Arbeit von Pelle und Eskil Lövström bekannt. Wir haben ihnen geschrieben und gefragt, ob sie Lust und Zeit hätten. Sie antworteten, sie könnten sich das vorstellen. Wir sind dann zehn Tage nach Umea raufgefahren, haben das Ganze gemischt und gemastert und dort den Plan geschmiedet, dass wir das ganze Album dort aufnehmen könnten.

Also sind wir im Winter 2003 für sechs Wochen nach Schweden gefahren mit Sack und Pack. Wir hatten zwar einen ganz guten Deal, aber die Ressourcen waren ziemlich schnell aufgebraucht. Aber es war eine coole Erfahrung. Wie gesagt, das Album ist jetzt fertig, Arne fand es gut, wir telephonieren, wir gehen auf Tour…

Zu NoisOlution kam man dann über die legendäre Weise des Demoverschickens. Soll es ja eigentlich gar nicht wirklich geben, aber manchmal muss es wohl funktionieren. Arne bekam das Demo allerdings von einem Dritten zugespielt, sah die Band vorletztes Jahr auf einem Festival und fand es gut.

Aaron: Er meinte: Nehmt die Platte auf. Dann hat das ganze eben so lange gedauert“.

Nun geht es langsam weiter. Ein kleines Label bringt die Platte in den USA im April raus. Eine kurze Tour soll folgen.

Aaron: Japan wäre genau so cool. Du hast eine Chance, wenn du langsam wächst. Und wenn es klein bleibt und trotzdem angenehm ist für alle Beteiligten, ist das okay. Das andere… Wir würden uns nicht wohl fühlen.

Ich erinnere mich an Naked Lunch. Sie gingen nach England, waren bei mehreren Labels, zuletzt bei Universal, wo sie untergingen und ihr A&R kein langes Weilen kannte. Habt ihr ähnliche, „professionelle“ Ambitionen?

Aaron: Wenn es wachsen soll, wenn wir sehen, dass die Leute das gut finden und wir das Angebot hätten, mit System Of A Down auf Tour zu gehen, würden wir nicht nein sagen. Aber jetzt würden wir sicher nicht mit einer grösseren Plattenfirma signen. Wir haben nicht die Leute, die zu unseren Konzerten kommen und uns noch unterstützen, auch wenn es mal nicht hinhaut. Jetzt ist es viel angenehmer. Wir haben kein Management, machen alles selber, haben nur Arne und unseren Booker. Wir brauchen das zurzeit nicht.

Und so lange wir das Ganze noch selber machen können… Wir versuchen die Aufnahmen so gut zu machen, wie es geht. Unsere Ansprüche an uns selbst sind sehr hoch. Und wir versuchen auch live, das (gequält) professionell… wir machen vielleicht hunderte Dinge unprofessionell, wir richten uns so ein, dass wir uns wohl fühlen. Wir waren mit Soulfly auf Tour und wir hatten nie einen Tourmanager oder Typen, die uns die Gitarrensaiten aufgezogen haben. Keine Ahnung, wenn sich was entwickelt, verwehren wir uns nicht vornherein dagegen. Schauen wir mal.

So eine Band wie Cameran machst du ja nicht neben deinem Vollzeitjob.

Aaron: Ich weiss nicht, ich kann nicht in die Zukunft sehen, was mit der Platte ist, wie die Tour läuft. Wir legen uns keinen Druck auf. Wir sind froh, dass wir touren können, dass wir unterwegs sein können, dass die Platte rauskommt, wir schreiben neue Songs…

Ich würde gern überall spielen. Auch wenn’s kleine Touren sind. Die Band ist eine Möglichkeit, unterwegs zu sein, Musik zu machen, Leute kennen zu lernen, einfach Dinge zu erleben. Wenn du zwei Wochen auf Tour warst, erlebst du manchmal mehr als in einem Jahr zu Hause.

Gibt es bei Cameran so etwas wie ein musikalisches Projekt?

Aaron: Ich glaube in erster Linie ist es bei mir ein innerer Drang. Eine Unfähigkeit, mich anders zu artikulieren als mit Musik. Es ist nicht so, dass wir eine Vision haben von einem ultimativen Album in fünf Jahren. Wir probieren eher, das Ganze so authentisch wie möglich zu machen und den nonverbalen Ausdruck einzufangen.

Und wenn es eine Verbindung mit dem innersten Kern gibt zur Musik, dann ist da immer Energie. Es gibt zum Beispiel Songs, wo ich jedesmal, wenn ich die Sachen spiele, tut sich da ganz viel. Es erinnert mich immer an den Moment, als das Riff da war. Es ist in erster Linie der Ausdruck und die Kommunikation, die im Vordergrund stehen.

Gibt es die Traumband für eine gemeinsame Tour? Eine Cameran-Konsensband?

Aaron: Unser Schlagzeuger meint: Björk. Keine Ahnung… Ich würde zum Beispiel gern mit den Doors auf Tour gehen, oder Rage Against The Machine, oder mit Radiohead, Sigur Ros, Godspeed You! Black Emperor. Es gibt viele Dinge. Ich könnte mir genau so gut vorstellen mit Propagandhi auf Tour zu gehen. Led Zeppelin wäre sicher auch cool, in der alten Besetzung, oder The Who damals… Oder Metallica zu ‚Master Of Puppets‘-Zeiten…

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Interview: Stone

Links (2015):
Indiepedia
Discogs

 

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